Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.01.2021, Az. IX ZR 55/20

9. Zivilsenat | REWIS RS 2021, 9098

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Tenor

Auf die Rechtsmittel des Klägers werden das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] in [X.] - vom 7. Februar 2020 aufgehoben und das Urteil der [X.] für Handelssachen des [X.] vom 16. Juli 2018 abgeändert.

Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.970,19 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juni 2015 zu zahlen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Der Kläger ist Verwalter in dem am 9. Oktober 2014 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der [X.] (fortan: Schuldnerin). Die Schuldnerin befasste sich mit dem Erwerb und dem Betrieb des Containerschiffs M.    . Der [X.] ist Kommanditist der Schuldnerin und mit einer Hafteinlage von 255.645,94 € im Handelsregister eingetragen. In den Jahren 2002 bis 2007 zahlte die Schuldnerin an den [X.]n Ausschüttungen in Höhe von insgesamt 9.970,19 €.

2

Die Schuldnerin wechselte im Jahr 2003 von der Gewinnermittlung durch [X.] gemäß § 4 Abs. 1, § 5 EStG zur Gewinnermittlung bei Handelsschiffen im internationalen Verkehr gemäß § 5a EStG (sogenannte Tonnagegewinnermittlung). Die gesonderte und einheitliche Feststellung des [X.] zwischen Buchwert und Teilwert nach § 5a Abs. 4 EStG auf den 31. Dezember 2002 erfolgte mit Feststellungsbescheid vom 30. März 2012.

3

Mit Beschluss vom 2. Mai 2014 bestellte das Insolvenzgericht den Kläger zum vorläufigen Insolvenzverwalter und ordnete an, dass Verfügungen der Schuldnerin nur mit Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters wirksam seien. Die Schuldnerin veräußerte das Schiff am 2. Juli 2014; der Kläger stimmte der Veräußerung in seiner Eigenschaft als vorläufiger Insolvenzverwalter zu. Das [X.] setzte mit Bescheid vom 3. Juni 2016 eine Gewerbesteuer für das [X.] in Höhe von 309.552,40 € fest. Hierbei rechnete das Finanzamt gemäß § 5a Abs. 4 Satz 3 Nr. 2 EStG den fortgeschriebenen Unterschiedsbetrag dem Gewinn hinzu. Von der Gewerbesteuerforderung sind 4.994,74 € durch Verrechnung getilgt. Den verbleibenden Betrag von 304.557,66 € hat das Finanzamt als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 [X.] eingeordnet. Die zur Insolvenztabelle festgestellten Insolvenzforderungen sind aufgrund von anderen Kommanditisten erbrachter Zahlungen vollständig gedeckt. Hingegen kann die Verbindlichkeit aus dem Steuerbescheid nicht aus der Insolvenzmasse befriedigt werden.

4

Der Kläger macht geltend, der [X.] hafte als Kommanditist für die noch offene Gewerbesteuerforderung, und verlangt Zahlung von 9.970,19 €. Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des [X.] hat keinen Erfolg gehabt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

5

Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Verurteilung des Beklagten.

I.

6

Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Haftung des Beklagten sei zwar aufgrund der Ausschüttungen gemäß §§ 171, 172 Abs. 4 HGB wieder aufgelebt. Jedoch hafte der Beklagte nicht für die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts Bremen.

7

Die Haftung des Kommanditisten für durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder durch Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Masse begründete Masseverbindlichkeiten sei ausgeschlossen. Diese Haftungsbeschränkung erfasse auch die gemäß § 55 Abs. 4 [X.] aufgrund gesetzlicher Fiktion zur Masseschuld umqualifizierte Gewerbesteuerforderung. § 55 Abs. 4 [X.] erstrecke sich auf alle Steuerarten. Zwar sei die Begründung der immanenten Haftungsbeschränkung für Masseverbindlichkeiten nur eingeschränkt geeignet, eine Haftungsbeschränkung in den Fällen zu rechtfertigen, in denen die Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 4 [X.] auf der Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters beruhe. Die von § 55 Abs. 4 [X.] vorgesehene gesetzliche Gleichstellung mit den Fällen des § 55 Abs. 1 Nr. 1 [X.] rechtfertige jedoch die Übertragung dieser Grundsätze. Behandle man die Steuerverbindlichkeit in Ansehung der Haftung der Kommanditisten als Insolvenzforderung und im Übrigen als Masseverbindlichkeit, laufe dies der gesetzlichen Regelung zuwider und führe zu einer systemwidrigen Aufspaltung.

8

Die Gewerbesteuerforderung aus der Veräußerung des Schiffes stelle eine Masseverbindlichkeit gemäß § 55 Abs. 4 [X.] dar. Maßgeblich sei die Veräußerung des Schiffs. Es handele sich um keine aufoktroyierte Verbindlichkeit, weil die Zustimmung des vorläufigen Insolvenzverwalters rechtlich nicht zwingend gewesen sei.

II.

9

Dies hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.

1. Der Beklagte haftet den Gläubigern der Schuldnerin als Kommanditist gemäß § 171 Abs. 1 HGB unmittelbar. Aufgrund der erhaltenen Ausschüttungen ist die Haftung des Beklagten nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 172 Abs. 4 HGB in Höhe von 9.970,19 € wieder aufgelebt.

2. Die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 stellt eine [X.]sverbindlichkeit dar. Wie der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) ausgeführt und näher begründet hat, stellen Gewerbesteuerforderungen aus dem Geschäftsbetrieb einer Kommanditgesellschaft auch dann eine [X.]sverbindlichkeit dar, wenn es sich um Masseverbindlichkeiten handelt.

3. Der Beklagte haftet gemäß §§ 128, 161 Abs. 2, § 171 Abs. 1 HGB auch für die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016. Dies ergibt sich aus den allgemeinen Grundsätzen für die Haftung eines Kommanditisten. [X.] meint das Berufungsgericht, dass die Haftung des Kommanditisten für Verbindlichkeiten der [X.] in der Insolvenz der [X.] ausgeschlossen sei, wenn die Ansprüche des Gläubigers Masseverbindlichkeiten darstellen. Vielmehr ist die Kommanditistenhaftung nicht auf zur Insolvenztabelle angemeldete Forderungen beschränkt.

a) Der Senat hat mit Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) näher ausgeführt, dass bei bestimmten Masseverbindlichkeiten die Haftung des Schuldners gegenständlich beschränkt sein kann. Eine solche gegenständlich beschränkte Haftung des Schuldners für bestimmte Masseverbindlichkeiten gebietet es jedoch nicht, die Haftung des [X.]ers für [X.]sverbindlichkeiten in der Insolvenz der [X.] aus insolvenzrechtlichen Gründen einzuschränken. Dies hat der Senat im Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) begründet und dabei an der entgegenstehenden Rechtsprechung ([X.], Urteil vom 24. September 2009 - [X.], [X.], 2204) nicht festgehalten.

b) Der Beklagte haftet als Kommanditist für solche Masseverbindlichkeiten, welche die Schuldnerin begründet hat. Dies trifft auf die Gewerbesteuerforderung des Finanzamts aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 zu. Es besteht - wie der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) weiter entschieden und im Einzelnen begründet hat - kein Anlass, die Haftung eines Kommanditisten nach §§ 128, 161 Abs. 2, §§ 171, 172 Abs. 4 HGB für Masseverbindlichkeiten nach § 55 Abs. 4 [X.] einzuschränken, welche vom Schuldner begründet worden sind. Wie der Senat in der Parallelsache mit Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) ausgeführt hat, stellt die Gewerbesteuerforderung aus dem Bescheid vom 3. Juni 2016 eine von der Schuldnerin begründete Verbindlichkeit dar.

4. Der Kläger kann gemäß § 171 Abs. 2 HGB die persönliche Haftung des Beklagten für die Verbindlichkeit der Schuldnerin geltend machen. Für § 93 [X.] ist es unerheblich, ob die Verbindlichkeit der [X.] eine Masseverbindlichkeit darstellt. Das gleiche gilt für § 171 Abs. 2 HGB. Dies hat der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) entschieden und näher begründet.

5. Der Haftung des Beklagten steht nicht entgegen, dass der Kommanditist, der eine Verbindlichkeit der [X.] befriedigt, unter Umständen einen Regressanspruch gegen die [X.] erwirbt (§ 110 HGB; vgl. [X.]/[X.]/[X.], HGB, 39. Aufl., § 128 Rn. 25). Dies hat der Senat mit Urteil vom 28. Januar 2021 ([X.], [X.]) entschieden und näher begründet.

III.

Der Senat hat in der Sache selbst zu entscheiden. Die Aufhebung des Berufungsurteils erfolgt nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis; nach letzterem ist die Sache zur Endentscheidung reif (§ 563 Abs. 3 ZPO). Da nach den Feststellungen des Berufungsgerichts die Insolvenzmasse nicht genügt, um die Forderung des Finanzamts zu erfüllen, ist der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Der Zinsanspruch folgt aus § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

Grupp     

        

Möhring     

        

Schoppmeyer

        

Schultz      

        

Selbmann      

        

Meta

IX ZR 55/20

28.01.2021

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Karlsruhe, 7. Februar 2020, Az: 4 U 151/18

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 28.01.2021, Az. IX ZR 55/20 (REWIS RS 2021, 9098)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2021, 9098

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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