Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.07.2019, Az. XI R 2/18

11. Senat | REWIS RS 2019, 5626

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Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

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Gegenstand

(Im Wesentlichen inhaltsgleich mit BFH-Urteil vom 10.07.2019 XI R 28/18 - Rechnungsangaben beim Vorsteuerabzug - handelsübliche Bezeichnung)


Leitsatz

Parallelentscheidung zu XI R 28/18:

1. NV: Zur Frage, welchen Anforderungen Rechnungsangaben zur Bezeichnung der Menge und der Art der gelieferten Gegenstände i.S. des Art. 226 Nr. 6 MwStSystRL genügen müssen, kann sich ein Unternehmer darauf berufen, dass die von ihm verwendeten Bezeichnungen "handelsüblich" i. S. des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG sind .

2. NV: Die Tatsacheninstanz muss --u.U. unter Zuhilfenahme eines Sachverständigen-- ermitteln, welche Angabe der Art der gelieferten Gegenstände unter Berücksichtigung von Handelsstufe, Art und Inhalt des Geschäftes und dem Wert der einzelnen Waren handelsüblich ist .

Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des [X.] vom 12.10.2017 - 1 K 2402/14 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, handelt mit Modeschmuck und Accessoires im sog. Niedrigpreissegment. Die Waren werden jeweils in großen Mengen eingekauft. Die Einkaufspreise je Artikel bewegen sich im unteren bis mittleren einstelligen Eurobereich.

2

Die Klägerin machte in ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für Dezember 2013 u.a. [X.] in Höhe von insgesamt ... € aus acht Rechnungen von vier Lieferanten und in ihrer Umsatzsteuervoranmeldung für Januar 2014 [X.] in Höhe von insgesamt ... € aus zwei Rechnungen von zwei Lieferanten über die Lieferung von Modeschmuck und Accessoires geltend.

3

Die streitgegenständlichen Rechnungen enthalten die folgenden Angaben: Bezeichnung des Artikels ("Kette", "Ohrring", "Gürtel", "Handyzubehör", "Schals", "Geldbörse", "Ring", "Armband", "Mütze", "Handschuhe", "Krawatten", "Uhr", "Div. Modeschmuck (Armband, Ohrring, Kette, etc.)" bzw. "Jewellery", "Hat", "Tape", "Plastic Gift", "Paper Label", "Cap", "[X.]", "[X.]", "[X.]", "[X.]", "Belt" ), [X.] je Artikel, Anzahl der gelieferten Artikel (im drei- und vierstelligen Bereich), [X.], Umsatzsteuer und Rechnungsbetrag. Sonstige Belege --wie [X.], Lieferscheine, Korrespondenz mit den [X.] liegen nicht vor.

4

Wegen unzureichender Leistungsbeschreibungen ließ der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) den Vorsteuerabzug aus den streitgegenständlichen Rechnungen nicht zu und setzte die Umsatzsteuervorauszahlung für Dezember 2013 mit [X.] vom 10.04.2014 in Höhe von ... € und für Januar 2014 mit [X.] vom 18.07.2014 in Höhe von ... € fest.

5

Mit Einspruchsentscheidung vom 03.11.2014 wies das [X.] die Einsprüche der Klägerin gegen die Ablehnung der Änderung des [X.] sowie gegen den [X.] für Januar 2014 als unbegründet zurück.

6

Während des dagegen anhängigen Klageverfahrens stimmte das [X.] den zwischenzeitlich eingereichten Jahressteuererklärungen vom 25.02.2015 (Umsatzsteuer 2013) und vom 23.12.2015 (Umsatzsteuer 2014) zu, die die streitigen Vorsteuerbeträge nicht enthielten.

7

Das [X.] ([X.]) wies die Klage mit Urteil vom 12.10.2017 - 1 K 2402/14 (veröffentlicht in Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2018, 335) ab, da die streitgegenständlichen Rechnungen den Anforderungen zur Ausübung des Vorsteuerabzugs mangels hinreichender Leistungsbeschreibungen nicht genügten.

8

Es führte im Wesentlichen aus, dass für eine hinreichende Leistungsbeschreibung in einer ordnungsgemäßen Rechnung eine Beschaffenheitsbeschreibung dergestalt notwendig sei, dass die zu einer Identifizierung notwendigen und erforderlichen Merkmale beschrieben werden. Die bloße Angabe einer Gattung stelle keine handelsübliche Bezeichnung dar. Diesbezüglich schließe man sich den Ausführungen im Urteil des Hessischen [X.] vom 23.06.2015 - 6 K 1826/12 (juris) zu Warenbezeichnungen bei [X.] an. Diese Überlegungen würden in gleicher Weise für den Handel mit Modeschmuck, Uhren und Accessoires gelten. Hinsichtlich der Handelsüblichkeit einer Bezeichnung sei nicht nach verschiedenen Verkehrskreisen --nämlich dem Handel mit Waren im mittleren und oberen Preissegment einerseits, dem Handel mit Waren im Niedrigpreissegment andererseits-- zu differenzieren.

9

Die Revisionsbegründung der Klägerin wurde am 13.03.2018 um 19:36 Uhr per Fax an den [X.] ([X.]) so übermittelt, dass alle Seiten des Schriftsatzes aufgrund eines schmalen schwarzen Seitenstreifens teilweise unleserlich waren. Die Unterschrift war leserlich. Die [X.] ging mit [X.] am 15.03.2018 beim [X.] ein.

Nach einem diesbezüglichen Hinweis durch die Geschäftsstelle des Senats beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin mit Schriftsatz vom 19.03.2018 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und führte aus, dass ihm nicht bekannt gewesen sei, dass das [X.] durch einen Längsstreifen den Text teilweise verdeckt.

Die Klägerin macht mit ihrer Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend. Das [X.] habe zu Unrecht --losgelöst von handelsüblichen Gepflogenheiten-- lediglich negativ abgegrenzt, was keine handelsübliche Bezeichnung sei. Zu berücksichtigen sei hier jedoch die jeweilige Handelsstufe und Größe des [X.], da an kleineren Marktteilnehmern --mangels [X.] Vernetzung-- nicht die gleichen Anforderungen gestellt werden könnten, ohne dass eine unzulässige Marktbeschränkung vorläge.

Die Klägerin beantragt sinngemäß, unter Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung vom 03.11.2014 und der als Festsetzung geltenden Steuererklärungen vom 25.02.2015 sowie vom 23.12.2015 die Umsatzsteuer für 2013 auf ... € und für 2014 auf ... € festzusetzen.

Das [X.] beantragt, die Revision als unzulässig zu verwerfen, hilfsweise, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Es trägt vor, dass unter Textilhändlern eine Leistungsbeschreibung handelsüblich sei, bei der die Eigenmarke, der Modelltyp, die Farbe und Größe, die Schnittform oder das Material der Ware angegeben werde, da kein Einzelhändler ein Interesse daran haben könne, das Risiko einzugehen, in nahezu unbegrenzter Menge einen immer gleichen Modeartikel zu erwerben.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist zulässig und begründet; sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

A. Die Revision ist nicht bereits wegen Versäumung der für die Revisionsbegründung vorgeschriebenen Frist als unzulässig zu verwerfen.

1. Die Revision ist grundsätzlich innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen (§ 120 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 [X.]O). Die Frist kann --wie vorliegend geschehen-- auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag verlängert werden (§ 120 Abs. 2 Satz 3 [X.]O).

2. Das vor dem Ablauf der [X.] beim [X.] eingegangene Telefax hat diese Frist gewahrt, da aufgrund der vorliegenden Unterschrift die Schriftform nach § 120 Abs. 1 Satz 1 [X.]O eingehalten war, es die Klägerin und das angefochtene Urteil (vgl. § 120 Abs. 1 Satz 2 [X.]O) erkennen ließ und man hieraus die Angabe der Revisionsgründe i.S. des § 120 Abs. 3 [X.]O inhaltlich ausreichend eindeutig (infolge leichthin ausdeutbarer Satzzusammenhänge) entnehmen konnte.

3. Darauf, ob [X.] gemäß § 56 [X.]O ordnungsgemäß glaubhaft gemacht wurden, kommt es somit nicht an.

B. Die Revision ist auch begründet.

Zwar hat das [X.] zu Recht angenommen, dass die nach unionsrechtlichen Vorgaben notwendigen Rechnungsangaben im Rahmen ihres Kontrollzwecks auch dem Ausschluss der mehrfachen Abrechnung derselben Leistung dienen (vgl. [X.]-Beschlüsse vom 14.10.2002 - V B 9/02, [X.]/NV 2003, 213, unter [X.], Rz 15; vom 05.02.2010 - XI B 31/09, [X.]/NV 2010, 962, Rz 8; [X.]-Urteil vom 15.05.2012 - XI R 32/10, [X.]/NV 2012, 1836, Rz 43). Allerdings genügt nach der nationalen Regelung in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 des [X.]es (UStG) als Angabe der Art der gelieferten Gegenstände deren "handelsübliche Bezeichnung". Die Feststellungen der Vorinstanz zur Handelsüblichkeit der streitgegenständlichen Angaben tragen die Entscheidung nicht, so dass im zweiten Rechtsgang Ermittlungen dazu erforderlich sind, ob die von den Lieferanten verwendeten Bezeichnungen unter Berücksichtigung der Handelsstufe, Art und Inhalt der Lieferungen handelsüblich sind.

1. Der Unternehmer kann nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG die gesetzlich geschuldete Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen. Die Ausübung des Vorsteuerabzugs setzt nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 UStG voraus, dass der Unternehmer eine nach den §§ 14, 14a UStG ausgestellte Rechnung besitzt. [X.] Grundlage ist insofern Art. 178 Buchst. a der Richtlinie 2006/112/[X.] über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL), wonach der Steuerpflichtige, um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, eine Rechnung besitzen muss, die die in Art. 226 MwStSystRL aufgeführten Angaben enthält.

2. Um das Recht auf Vorsteuerabzug ausüben zu können, muss grundsätzlich die dem Unternehmer erteilte Rechnung ordnungsgemäß sein und den Anforderungen des § 14 Abs. 4 UStG entsprechen ([X.]-Urteile in [X.]/NV 2012, 1836, Rz 37; vom 16.01.2014 - V R 28/13, [X.]E 244, 126, [X.], 867, Rz 10). Eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung hat daher nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG folgende Angaben zu enthalten: "die Menge und die Art (handelsübliche Bezeichnung) der gelieferten Gegenstände oder den Umfang und die Art der sonstigen Leistung".

a) Nach ständiger Rechtsprechung des [X.] sind diese Anforderungen dahingehend auszulegen, dass die Rechnung Angaben tatsächlicher Art enthalten muss, die die Identifizierung der abgerechneten Leistung ermöglichen, ohne dass dabei eine erschöpfende Beschreibung der konkret erbrachten Leistungen erforderlich ist. Der Aufwand zur Identifizierung der Leistung muss dahingehend begrenzt sein, dass die Rechnungsangaben eine eindeutige und leicht nachprüfbare Feststellung der Leistung, über die abgerechnet worden ist, ermöglichen. Was zur Erfüllung dieser Voraussetzung erforderlich ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls (vgl. [X.]-Urteile in [X.]E 244, 126, [X.], 867, Rz 12; vom 01.03.2018 - V R 18/17, [X.]E 261, 187, Rz 15 f., jeweils m.w.[X.]). Mit der [X.] in § 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 UStG i.d.F. bis zum 31.12.2003-- übernommenen Formulierung "handelsübliche Bezeichnung" (im Klammerzusatz) verweist § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG auf die (besonderen) Abrechnungsgepflogenheiten unter Kaufleuten (vgl. [X.]-Beschluss vom 14.03.2019 - V B 3/19, [X.]E 263, 571, Rz 18).

b) [X.] Grundlage dieser Vorschrift ist für das Streitjahr Art. 226 Nr. 6 MwStSystRL. Hiernach müssen ausgestellte Rechnungen für [X.] u.a. "Menge und Art der gelieferten Gegenstände beziehungsweise Umfang und Art der erbrachten Dienstleistung" enthalten. Eine Bezugnahme auf die Handelsüblichkeit der verwendeten Bezeichnung enthält der Wortlaut des Unionsrechts nicht (vgl. auch die [X.] Fassung: "... nature of the goods supplied" oder die [X.] Fassung: "... la nature des biens livrés").

c) Die formellen Anforderungen des Vorsteuerabzugs regeln die Modalitäten und die Kontrolle seiner Ausübung sowie das ordnungsgemäße Funktionieren des Mehrwertsteuersystems (Urteil des Gerichtshofs der [X.] --EuGH-- Astone vom 28.07.2016 - [X.]/15, [X.]:[X.], [X.] --[X.]-- 2017, 457, Rz 47, m.w.[X.]). Insbesondere die Anforderungen des Art. 226 MwStSystRL an die Angaben in einer Rechnung stellen formelle Voraussetzungen des Abzugsrechts dar ([X.] 06 - [X.] vom 15.09.2016 - [X.]/14, [X.]:C:2016:690, [X.] --UR-- 2016, 795, Rz 41; [X.] vom 15.09.2016 - [X.]/14, [X.]:[X.], [X.], 800, Rz 29; Paper Consult vom 19.10.2017 - [X.]/16, [X.]:C:2017:775, Mehrwertsteuerrecht 2017, 991, Rz 40; [X.] vom 21.11.2018 - [X.]/16, [X.]:C:2018:933, [X.] 2019, 65, Rz 40; EuGH-Beschluss [X.] vom 13.12.2018 - [X.]/18, [X.]:[X.], Rz 33).

aa) Dabei sollen die Angaben, die eine Rechnung enthalten muss, den Steuerverwaltungen es insbesondere ermöglichen, die Entrichtung der geschuldeten Steuer und das Bestehen des [X.] zu kontrollieren (vgl. [X.] 06 - [X.], [X.]:C:2016:690, [X.], 795, Rz 27, mit Verweis auf Schlussanträge der Generalanwältin [X.] vom 18.02.2016 zur Rechtssache [X.]/14, [X.]:[X.], Rz 46; [X.] und [X.] vom 15.11.2017 - [X.]/16 und [X.]/16, [X.]:[X.], [X.], 970, Rz 41; [X.]-Urteil in [X.]E 261, 187, Rz 16). Dazu gehört auch, dass ausgeschlossen werden kann, dass eine Leistung mehrfach abgerechnet wird ([X.]-Beschlüsse in [X.]/NV 2003, 213, unter [X.], Rz 15; in [X.]/NV 2010, 962, Rz 8; [X.]-Urteil in [X.]/NV 2012, 1836, Rz 43).

bb) Regelmäßig dürfte die nach diesen Maßstäben erforderliche Bezeichnung mit derjenigen übereinstimmen, mit der auch der Hersteller die Waren üblicherweise in den Verkehr bringt und die damit handelsüblich ist (so auch [X.] Hamburg, Urteil vom 30.09.2015 - 5 K 85/12, juris, Rz 47; [X.] UStG/[X.], [X.]. 24.04.2019, UStG § 14 Rz 355.4). Denn eine "handelsübliche Bezeichnung" muss den Erfordernissen von Kaufleuten genügen, d.h. sie soll -- ebenso wie für [X.] -- den Abgleich zwischen konkret gelieferter und in Rechnung gestellter Ware ermöglichen, um etwaige Mängel dem Verkäufer unverzüglich anzuzeigen, da die gelieferte Ware nach § 377 Abs. 2 des Handelsgesetzbuchs ansonsten als genehmigt gilt (vgl. [X.]-Beschluss in [X.]E 263, 571, Rz 18). Somit wird dem Klammerzusatz in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG im Regelfall nur erläuternde und indizielle Bedeutung zukommen.

d) Im Bereich des Vorsteuerabzugs können die Mitgliedstaaten nach Art. 273 MwStSystRL zwar weitere Verpflichtungen vorsehen, die sie für erforderlich erachten, um eine genaue Erhebung der Mehrwertsteuer sicherzustellen und um Steuerhinterziehung zu vermeiden. Diese Möglichkeit darf aber nicht dazu genutzt werden, zusätzlich zu den namentlich in Art. 226 MwStSystRL genannten Pflichten weitere Pflichten in Bezug auf die Rechnungsstellung festzulegen ([X.] vom 15.07.2010 - [X.], [X.]:[X.], UR 2010, 693, Rz 41; [X.] vom 01.03.2012 - [X.]/10, [X.]:[X.], [X.], 366, Rz 42; [X.] vom 18.07.2013 - C-78/12, [X.]:C:2013:486, UR 2014, 475, Rz 51; [X.] 06 - [X.], [X.]:C:2016:690, [X.], 795, Rz 25; [X.] und [X.], [X.]:[X.], [X.], 970, Rz 36 ff.). Daher müssen nach Art. 226 MwStSystRL ausgestellte Rechnungen für [X.] nur die darin genannten Angaben enthalten (vgl. EuGH-Urteil [X.] 06 - [X.], [X.]:C:2016:690, [X.], 795, Rz 25).

aa) Dementsprechend ist der Klammerzusatz "handelsübliche Bezeichnung" in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG in Übereinstimmung mit den o.g. Vorgaben unionsrechtskonform dahingehend auszulegen, dass dies keine zusätzliche --verschärfende-- Voraussetzung für den Vorsteuerabzug darstellt. Insofern genügt jede Bezeichnung der Art der gelieferten Gegenstände den formellen Vorsteuerabzugsvoraussetzungen, die unter die unionsrechtliche Definition "Menge und Art der gelieferten Gegenstände" fällt. Die Prüfung, ob dies im jeweiligen Einzelfall erfüllt ist, obliegt der jeweiligen Tatsacheninstanz (EuGH-Urteil [X.] 06 - [X.], [X.]:C:2016:690, [X.], 795, Rz 28).

Diese Auslegung entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers, der durch § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG i.d.[X.] 2003 ([X.], 2645) die Vorgaben der sog. Rechnungsrichtlinie (Richtlinie 2001/115/[X.] zur Änderung der Richtlinie 77/388/[X.] mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung) umsetzen wollte ([X.] 630/03, 82; BTDrucks 15/1562, 48).

bb) Soweit die Verwendung der "handelsüblichen Bezeichnung", d.h. einer im Geschäftsverkehr für einen Gegenstand allgemein bzw. üblicherweise verwendeten Bezeichnung (vgl. Erkenntnis des [X.] --[X.]-- vom 23.02.2005 - 2001/14/0002, abrufbar im "Rechtsinformationssystem des [X.]" unter [X.]; [X.] Münster, Urteil vom 14.03.2019 - 5 K 3770/17 U, E[X.] 2019, 1137, Rz 67; Abschn. 14.5 Abs. 15 Satz 2 des [X.]) eine Vereinfachung im geschäftlichen Verkehr darstellt und damit eventuell von den Mindestvorgaben des Art. 226 Nr. 6 MwStSystRL abweicht (vgl. Widmann in [X.]/ Widmann/[X.], UStG, § 14 Rz 102), könnte sie für den Unternehmer "günstiger" sein. Dann ginge dies dem Unionsrecht vor, selbst wenn es dem Unionsrecht widersprechen würde ([X.]-Urteile vom 25.11.2004 - V R 4/04, [X.]E 208, 470, [X.], 415, unter [X.], Rz 37, m.w.[X.]; vom 18.08.2005 - V R 42/03, [X.]E 211, 537, [X.], 44, unter [X.], Rz 41; vom 24.08.2017 - V R 25/16, [X.]E 259, 171, Rz 14). Insofern kann der Klammerzusatz nicht völlig unbeachtet bleiben (a.A. [X.] Münster in E[X.] 2019, 1137, Rz 66, 74). Vielmehr kommt ihm als nationalem "[X.]" eigenständige Bedeutung zu, da sich der Unternehmer darauf berufen kann, dass die Voraussetzungen nach nationalen Vorgaben erfüllt sind.

cc) Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass [X.] nicht Gesetze auslegen könnten, sondern sich am Gesetz ausrichten müssten (so aber [X.], E[X.] 2019, 1140), denn der Handel muss seine Bezeichnungen nicht anpassen, wenn der Gesetzgeber handelsübliche Bezeichnungen ausdrücklich ausreichen lässt.

3. Gemessen daran hält die Vorentscheidung den Angriffen der Revision nicht stand und ist aufzuheben.

Das [X.] hat den Sachverhalt zwar dahingehend gewürdigt, dass die in den Rechnungen enthaltene bloße Angabe einer Gattung ("Kette", "Ohrring", "Gürtel", "Handyzubehör", "Schals", "Geldbörse", "Ring", "Armband", "Mütze", "Handschuhe", "Krawatten", "Uhr", "Div. Modeschmuck (Armband, Ohrring, Kette, etc.)" sowie "Jewellery", "Hat", "Tape", "Plastic Gift", "Paper Label", "Cap", "[X.]", "[X.]", "[X.]", "[X.]", "Belt") keine handelsübliche Bezeichnung darstelle. Allerdings ist diese Würdigung für den Senat nicht bindend, da das [X.] bei seinen Erwägungen hierzu weder von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen noch nachvollziehbar ist, auf welchen Ermittlungen und Erwägungen sie beruht.

a) Zwar obliegt die Subsumtion der im vorliegenden Streitfall verwendeten Bezeichnungen unter den Begriff "handelsübliche Bezeichnung" nach nationalem Verfahrensrecht dem [X.] (vgl. [X.]-Beschluss vom 29.03.2016 - XI B 77/15, [X.]/NV 2016, 1181, Rz 22) und bindet den [X.] als Sachverhaltswürdigung grundsätzlich gemäß § 118 Abs. 2 [X.]O.

b) Dies gilt jedoch nur, wenn die vorinstanzliche Sachverhaltswürdigung frei von Verfahrensfehlern ist und weder Widersprüche noch einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze enthält und zumindest möglich ist ([X.]-Urteile vom 01.03.2016 - XI R 11/14, [X.]E 253, 438, [X.], 753, Rz 21; vom 13.06.2018 - XI R 2/16, [X.]E 262, 187, [X.] 2018, 678, Rz 7; vom 14.11.2018 - XI R 16/17, [X.]E 263, 71, Rz 25, m.w.[X.]). Außerdem hat der [X.] im Rahmen der revisionsrechtlichen Kontrolle auch nachzuprüfen, ob das [X.] die für die Subsumtion bedeutsamen Begleitumstände erforscht und zutreffend gewürdigt hat ([X.]-Urteile vom 28.08.2013 - XI R 4/11, [X.]E 243, 41, [X.], 282, Rz 47; vom 03.08.2017 - V R 15/17, [X.]E 258, 566, Rz 26; in [X.]E 263, 71, Rz 23 f.; vom 14.02.2019 - V R 22/17, [X.]E 264, 83, [X.] 2019, 350, Rz 27, jeweils m.w.[X.]).

c) Im Streitfall ist die Vorinstanz hinsichtlich der Handelsüblichkeit der verwendeten Bezeichnungen bereits von nicht tragfähigen Prämissen ausgegangen.

Zum einen nimmt das [X.] auf "Ermittlungen" des Hessischen [X.] im Urteil vom 23.06.2015 - 6 K 1826/12 (juris) zur Handelsüblichkeit von Bezeichnungen im Einzelhandel Bezug und hält diese auf Großhändler für übertragbar, da auch deren Waren mittelbar über weitere Händler in den Einzelhandel gelangen würden. Allerdings ist bereits der Schluss aus den Bedürfnissen des Einzelhandels darauf, was im Großhandel üblich sei, bei der Feststellung der tatsächlich im Großhandel allgemein gebräuchlichen Bezeichnungen nicht zulässig.

Zum anderen geht es fälschlicherweise davon aus, dass nicht nach verschiedenen Verkehrskreisen --nämlich dem Handel mit Waren im mittleren und oberen Preissegment einerseits und dem Handel mit Waren im Niedrigpreissegment andererseits-- zu differenzieren sei. Vielmehr ist die Handelsüblichkeit einer Bezeichnung immer von den Umständen des Einzelfalles, wie etwa der jeweiligen Handelsstufe, Art und Inhalt des Geschäftes und insbesondere dem Wert der einzelnen Waren, abhängig (vgl. [X.], Erkenntnis vom 23.02.2005 - 2001/14/0002). Insofern fehlt auch eine nachvollziehbare Begründung für die Annahme, Feststellungen bezüglich der Handelsüblichkeit von Bezeichnungen im [X.] würden auf den Handel mit Modeschmuck, Uhren und Accessoires unmittelbar übertragbar sein.

Schließlich hat das [X.] in keiner Weise dargelegt, aufgrund welcher Tatsachenermittlungen es zu dem Ergebnis kommt, dass die Bezeichnung im gegebenen Zusammenhang nicht als handelsüblich angesehen werden kann. So fehlen Feststellungen dazu, welche Bezeichnungen und Mengenangaben statt den von den Lieferanten verwendeten handelsüblich seien, wie die Geschäfte auf der Handelsstufe der Klägerin abgewickelt werden und welche konkretere Beschreibungen allgemein gebräuchlich seien (vgl. [X.], Erkenntnis vom 23.02.2005 - 2001/14/0002; Ruppe/Achatz, Kommentar zum [X.] [X.], 5. Aufl., § 11 Rz 68).

Damit fehlt es im Streitfall an einer tragfähigen Tatsachengrundlage für eine Sachverhaltswürdigung. Hierin liegt ein materiell-rechtlicher Fehler, der zur Aufhebung des Urteils führt (vgl. z.B. allgemein [X.]-Urteile vom 25.09.2014 - III R 10/14, [X.]E 247, 239, [X.] 2015, 655, Rz 28; vom 25.10.2016 - I R 54/14, [X.]E 256, 66, [X.] 2017, 1216, Rz 10, jeweils m.w.[X.]; vom 08.02.2017 - I R 55/14, [X.]/NV 2017, 1588, Rz 15).

4. Die Sache ist nicht spruchreif. Es kann aufgrund der bisherigen Feststellungen des [X.] nicht darauf geschlossen werden, dass die in den streitgegenständlichen Rechnungen verwendete Angabe der Art der gelieferten Gegenstände unter Berücksichtigung von Handelsstufe, Art und Inhalt des Geschäftes und dem Wert der einzelnen Waren nicht handelsüblich ist und damit den Voraussetzungen des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 UStG genügt. Das [X.] wird somit im zweiten Rechtsgang die erforderlichen Ermittlungen zur handelsüblichen Bezeichnung der gelieferten Gegenstände --möglicherweise unter Zuhilfenahme eines [X.] vorzunehmen haben.

5. Die Übertragung der Kostenentscheidung auf das [X.] folgt aus § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

XI R 2/18

10.07.2019

Bundesfinanzhof 11. Senat

Urteil

vorgehend Hessisches Finanzgericht, 12. Oktober 2017, Az: 1 K 2402/14, Urteil

§ 14 Abs 4 S 1 Nr 5 UStG 2005, § 15 Abs 1 S 1 Nr 1 UStG 2005, Art 226 Nr 6 EGRL 112/2006, § 118 Abs 2 FGO, UStG VZ 2013, UStG VZ 2014

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 10.07.2019, Az. XI R 2/18 (REWIS RS 2019, 5626)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 5626

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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