Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2023, Az. 6 StR 490/23

6. Strafsenat | REWIS RS 2023, 9496

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten [X.]wird das Urteil des [X.] vom 19. Januar 2023, auch soweit es den Mitangeklagten [X.]    betrifft,

a) dahin geändert, dass die Angeklagten jeweils der gefährlichen  Körperverletzung in Tateinheit mit Körperverletzung, der An  geklagte [X.]     zudem der Nötigung schuldig  sind,

b) in den [X.] aufgehoben; die zugehörigen Feststellungen bleiben jedoch aufrechterhalten.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des Landgerichts zurückverwiesen.

2. Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten jeweils der gefährlichen Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen, den Angeklagten [X.]zudem der Nötigung schuldig gesprochen. Den Angeklagten [X.]hat es zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und neun Monaten, den Angeklagten [X.]    unter Strafaussetzung zur Bewährung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten verurteilt. Die auf die Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten [X.]     hat in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten [X.] wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei tateinheitlichen Fällen hält rechtlicher Überprüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

3

a) Nach den Feststellungen wurde [X.]     am 11. November 2022 von einer ihm bis dahin unbekannten Person „grundlos körperlich attackiert“, wodurch er „ein blaues und geschwollenes Auge“ davontrug. Da er und sein Bruder, der Mitangeklagte [X.], dies als „[X.] empfanden und somit Vergeltung üben wollten“, kamen sie überein, den Angreifer „gemeinschaftlich mittels einfacher körperlicher Gewalt zur Rechenschaft“ zu ziehen und ihm ebenfalls ein „blaues Auge“ zuzufügen. Nachdem es ihnen gelungen war, den Angreifer als           [X.].        zu identifizieren, suchten sie am nächsten Tag nach ihm. Als sie mit einem von [X.]     geführten Pkw durch die [X.] fuhren, wurden sie auf eine Personengruppe um [X.].      aufmerksam, in der [X.]     den Angreifer vom Vortag zu entdecken meinte. Deshalb wollten die Angeklagten die Mitglieder der Personengruppe ihrem Plan entsprechend „körperlich attackieren“, um dadurch insbesondere an dem vermeintlichen Täter Vergeltung zu üben.

4

Zu diesem Zweck fuhr [X.]    mit überhöhter Geschwindigkeit auf die Personengruppe zu. Der Geschädigte [X.]und eine weitere Person, die der Gruppe angehörten, wichen dem Fahrzeug aus, woraufhin [X.]    dieses mittels einer Vollbremsung zum Stillstand brachte. Dann ergriff er ein in der Seitenablage der Fahrertür befindliches Pfefferspray, stieg aus, „stürzte“ auf die Gruppe zu und sprühte der ihm am nächsten stehenden Person, bei der es sich um [X.].       handelte, Pfefferspray ins Gesicht, wodurch dieser Schmerzen erlitt. Gleichzeitig stieg [X.]    auf der Beifahrerseite aus und stach mit einem Stichwerkzeug zweimal von oben in Richtung des Halses des Geschädigten [X.], den er irrtümlich für [X.].       hielt. [X.]setzte sich zur Wehr, indem er seinen linken Arm nach oben riss. Infolgedessen traf ihn das Stichwerkzeug am linken Oberarm und an der linken Oberkörperseite. „Unmittelbar nach dem Versprühen des Pfeffersprays“ stiegen die Angeklagten wieder in den Pkw ein und fuhren davon.

5

Aufgrund ihres gemeinsamen Tatplans rechneten beide Angeklagten mit einem körperlichen Angriff des jeweils anderen auf die Personengruppe und nahmen daraus resultierende Verletzungen bzw. Schmerzen des durch den anderen Angegriffenen zumindest billigend in Kauf. Beide waren sich auch „darüber bewusst, dass ihrem gemeinschaftlichen Vorgehen eine besondere Gefährlichkeit zukam, da hierdurch die Verteidigungsmöglichkeiten der Angegriffenen erheblich reduziert wurden“. Sie waren sich überdies der Gefährlichkeit des jeweils von ihnen eingesetzten Tatmittels – Pfefferspray bzw. Stichwerkzeug – bewusst. Beide wussten aber nicht, dass der jeweils andere ein Tatwerkzeug einsetzen wollte, und rechneten auch nicht damit, weil der Einsatz von [X.] nicht von ihrem gemeinsamen Tatplan umfasst war.

6

b) Die Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten [X.]    wegen gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil des Geschädigten [X.] nach § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB. Auch die Annahme des [X.]s, dass [X.]     sich die von [X.]     zum Nachteil des Geschädigten [X.].      begangene Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) gemäß § 25 Abs. 2 StGB als Mittäter zurechnen lassen muss, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die Urteilsgründe belegen jedoch nicht, dass [X.]     jeweils auch den Qualifikationstatbestand des § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB verwirklicht hat.

7

Dieser setzt dem Grund der Strafschärfung entsprechend ein einverständliches Zusammenwirken von mindestens zwei Angreifern in dem Sinne voraus, dass diese dem Geschädigten körperlich gegenüberstehen und jener deshalb in seiner Verteidigungsmöglichkeit tatsächlich oder vermeintlich eingeschränkt ist (vgl. [X.], Beschluss vom 30. Juni 2015 – 3 [X.], [X.]R StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 5). Dafür kann genügen, dass ein Tatgenosse die Wirkung der Körperverletzungshandlung des anderen bewusst in einer Weise verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist (vgl. [X.], Beschluss vom 17. Juli 2012 – 3 [X.], [X.]R StGB § 224 Abs. 1 Nr. 4 Gemeinschaftlich 4). An dem erforderlichen Zusammenwirken fehlt es jedoch, wenn sich mehrere Opfer jeweils nur einem Angreifer ausgesetzt sehen, ohne dass die Positionen ausgetauscht werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 30. Juni 2015, aaO; vom 25. Juli 2017 – 3 [X.], [X.], 339, 340).

8

So verhält es sich hier. Die Angeklagten standen jeweils nur einem Tatopfer körperlich gegenüber und stiegen unmittelbar nach der von ihnen ausgeführten Tathandlung wieder in das Fahrzeug ein, um den [X.] zu verlassen. Den Feststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass sich die Angeklagten bei der Ausführung ihrer jeweiligen Tathandlung gegenseitig unterstützten.

9

c) Der [X.] ändert den Schuldspruch in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO und erstreckt die Entscheidung gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den gleichermaßen von dem Rechtsfehler betroffenen nichtrevidierenden Mitangeklagten [X.], der im Fall B.I der Urteilsgründe (nur) der gefährlichen Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 StGB zum Nachteil des Geschädigten [X.].       in Tateinheit mit Körperverletzung (§ 223 Abs. 1 StGB) zum Nachteil des Geschädigten [X.]schuldig ist. Es ist auszuschließen, dass in einer neuen Hauptverhandlung Feststellungen getroffen werden können, die zur Annahme einer gemeinschaftlichen Begehungsweise im Sinne von § 224 Abs. 1 Nr. 4 StGB führen würden. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen. Die geständigen Angeklagten hätten sich nicht wirksamer als geschehen verteidigen können.

2. Die Änderung der Schuldsprüche zieht die Aufhebung der gegen den Angeklagten [X.]     verhängten Jugendstrafe sowie der im Fall B.I der Urteilsgründe gegen den Mitangeklagten [X.]    verhängten Strafe und der Gesamtstrafe nach sich. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass die [X.] bei zutreffender rechtlicher Würdigung auf niedrigere Strafen erkannt hätte. Sie hat die tateinheitliche Verwirklichung zweier gefährlicher Körperverletzungen „zum Nachteil zweier Geschädigter“ jeweils ausdrücklich zum Nachteil der Angeklagten gewertet. Die zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler unberührt und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO).

[X.]     

      

Ri[X.] [X.] ist
krankheitsbedingt an der
Unterschrift gehindert.

      

Ri[X.] Wenske ist
sonderurlaubsbedingt an
der Unterschrift gehindert

                 

[X.]

        

[X.]

      

Fritsche     

      

Arnoldi     

      

Berichtigungsbeschluss vom 10. Januar 2024

Der Beschluss vom 28. November 2023 wird wegen eines offensichtlichen Schreibversehens im Tenor dahin berichtigt, dass das Urteil des [X.]s Amberg vom 31. Juli 2023 datiert.

[X.]     

      

Wenske     

      

Fritsche

      

von [X.]     

      

Arnoldi     

      

Meta

6 StR 490/23

28.11.2023

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Amberg, 31. Juli 2023, Az: 2 KLs 134 Js 11422/22 jug

§ 224 Abs 1 Nr 4 StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 28.11.2023, Az. 6 StR 490/23 (REWIS RS 2023, 9496)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9496

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 93/17

3 StR 158/21

3 StR 171/15

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