Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.12.2012, Az. XII ZB 665/11

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 716

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII [X.] 665/11

vom

5. Dezember
2012

in der
Betreuungssache

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
BGB § 1906 Abs. 1 Nr. 2
Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung mangels gesetzlicher Grundlage gegenwärtig nicht genehmigungsfähig ist, kann die durch das Betreu-ungsgericht genehmigte Unterbringung im Beschwerdeverfahren nicht auf die zwangsweise Heilbehandlung des Betroffenen erweitert werden (im [X.] an Senatsbeschlüsse vom 20. Juni 2012

XII [X.] 99/12 -
FamRZ 2012, 1366 und XII [X.] 130/12

juris).

[X.], Beschluss vom 5. Dezember 2012 -
XII [X.] 665/11 -
LG [X.]

[X.]

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am 5. Dezember 2012 durch den
Vorsitzenden Richter
Dose
und [X.], [X.], Dr. Nedden-Boeger
und Dr. Botur
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der
Betroffenen wird festgestellt, dass der Beschluss der 7.
Zivilkammer des [X.] vom 6.
September 2011 die Betroffene in ihren Rechten verletzt hat, soweit darin die mit Einwilligung des Betreuers vorgenommene zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit [X.] ge-nehmigt worden ist.
Im Übrigen wird die Rechtsbeschwerde zu-rückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.
Die notwendigen Auslagen der
Betroffenen in den Rechtsmittelinstan-zen werden der St[X.]tskasse auferlegt.
[X.]: 3.000

-
3
-

Gründe:
I.
Die Betroffene wendet sich gegen die inzwischen aufgehobene
Geneh-migung ihrer Unterbringung und gegen die betreuungsrechtlich genehmigte Zwangsbehandlung mit [X.].
Mit Beschluss vom 27.
Juli 2011 hat das Amtsgericht die geschlossene Unterbringung der
Betroffenen bis längstens 19. Juli
2013
genehmigt. Die ge-gen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde der Betroffenen hat das [X.] zurückgewiesen und gleichzeitig die erteilte betreuungsgerichtliche [X.] dahingehend erweitert, dass mit Einwilligung des Betreuers eine zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit [X.] durchgeführt wer-den darf.
Nachdem die Betroffene
hiergegen Rechtsbeschwerde
eingelegt hat-te, hat das Amtsgericht den Beschluss vom 27.
Juli 2011 aufgehoben. Im Rechtsbeschwerdeverfahren beantragt die Betroffene nunmehr
die Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses, soweit darin die betreuungsgerichtliche [X.] auf die zwangsweise Behandlung mit [X.] erweitert worden
ist,
und
die Feststellung, dass sie durch die Entscheidungen des Amts-
und Landgerichts in ihren Rechten verletzt worden ist.

II.
Die Rechtsbeschwerde hat teilweise Erfolg.
Die Betroffene wird durch den angegriffenen Beschluss in ihren Rechten verletzt, soweit das Beschwer-degericht die erteilte betreuungsgerichtliche Genehmigung auf die zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit [X.] erweitert hat.
1
2
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-
4
-
1. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig.
a) Die Rechtsbeschwerde ist auch ohne Zulassung statthaft, §
70 Abs.
3 Satz
1 Nr.
2 FamFG.
b) Hat sich die angefochtene Entscheidung in der Hauptsache erledigt, kann das Beschwerdegericht gemäß § 62 Abs. 1 FamFG aussprechen, dass die Entscheidung des Gerichts des ersten Rechtszuges den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzt hat. Diese Vorschrift ist im Rechtsbeschwerdeverfah-ren entsprechend anzuwenden (Senatsbeschluss vom 15.
Februar 2012

XII [X.] 389/11

FamRZ 2012, 619 Rn.
9 mwN).
Voraussetzung ist

neben einem auf die Feststellung gerichteten Antrag (vgl. Senatsbeschluss vom 8.
Juni 2011

XII [X.] 245/10

FamRZ 2011, 1390 Rn. 8)

, dass ein berechtigtes Interesse an der Feststellung vorliegt. Das Fest-stellungsinteresse ist nach §
62 Abs.
2 Nr.
1 FamFG in der Regel anzunehmen, wenn ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vorliegt. Die gerichtliche Anord-nung oder Genehmigung einer freiheitsentziehenden Maßnahme bedeutet stets einen solchen Eingriff (Senatsbeschluss vom 15.
Februar 2012

XII [X.] 389/11

FamRZ 2012, 619 Rn.
9 f. mwN).
Gleiches gilt für die Genehmigung einer zwangsweisen Behandlung mit [X.].
2. [X.] hat die Voraussetzungen für die Genehmi-gung einer geschlossenen Unterbringung nach §
1906 Abs.1 Nr.
1 und Nr.
2 BGB bejaht, weil die Betroffene nach dem schriftlichen fachpsychiatrischen Gutachten an einer [X.] Schizophrenie leide. Daher [X.] gegenwärtig die jederzeit realisierbare Gefahr, dass sich die Betroffene selbst töte oder sich anderweitig erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge. Das Krankheitsbild der
krankheits-
und behandlungsuneinsichtigen Betroffenen sei zwar chronifiziert. Nach dem eingeholten Sachverständigengutachten könne 4
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6
7
8
-
5
-
jedoch eine langfristige medikamentöse Behandlung im Rahmen einer ge-schlossenen Unterbringung die Krankheit so weit zurückdrängen, dass die Be-troffene die Chance erhielte, für längere Zeit ein autonomes und sozial integrier-tes Leben zu führen.
Daher sei auch die zwangsweise Heilbehandlung der Betroffenen im Rahmen der Unterbringung durch Verabreichung von [X.] entspre-chend dem Antrag des Betreuers gerichtlich zu genehmigen. Die Genehmigung einer medizinischen Behandlung gegen den Willen
eines untergebrachten Be-troffenen sei rechtlich zulässig, weil mit §1906 Abs.
1 BGB eine ausreichende Rechtsgrundlage für
den mit einer solchen Zwangsbehandlung verbundenen Eingriff in die Grundrechte des Betroffenen zur Verfügung stehe. Auch sei die Genehmigung der Zwangsmedikation mit der Bezeichnung der Gruppe der er-laubten Medikamente ausreichend konkret ausgestaltet. Eine weitergehende Konkretisierung durch die Angabe von Einzelsubstanzen und Dosierungen in der gerichtlichen Genehmigung sei
nicht erforderlich, weil es sich dabei um [X.] des Vollzuges der genehmigten Maßnahmen
durch den Betreuer im Zusammenwirken mit den Ärzten
handele.
3.
Dies hält einer rechtlichen Überprüfung nur teilweise
stand.

a)
Die Betroffene wird durch den angegriffenen Beschluss jedenfalls in ihren Rechten verletzt, weil für die Genehmigung der Zwangsbehandlung der Betroffenen derzeit keine ausreichende Rechtsgrundlage besteht.
[X.] ist davon ausgegangen, dass §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB eine ausreichende rechtliche Grundlage für die Zwangsbehandlung im Rahmen einer betreuungsgerichtlich genehmigten Unterbringung biete.

9
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12
-
6
-
Dies
entsprach zwar der früheren Rechtsprechung des Senats (vgl. Se-natsbeschluss [X.]Z 166, 141 = [X.], 615 mwN). Der
Senat hat [X.] diese
Rechtsprechung nach Erlass der angefochtenen Entscheidung auf-gegeben (Senatsbeschlüsse vom 20.
Juni 2012

XII [X.] 99/12

FamRZ 2012, 1366 und XII
[X.] 130/12

juris ). Nach der geänderten Senatsrechtsprechung fehlt es gegenwärtig an einer den verfassungsrechtlichen Anforderungen genü-genden gesetzlichen Grundlage für eine betreuungsrechtliche Zwangsbehand-lung. Da die Einwilligung des Betreuers in eine Zwangsbehandlung mangels gesetzlicher Grundlage mithin nicht genehmigungsfähig ist, kommt die Geneh-migung einer entsprechenden Unterbringung nach § 1906 Abs. 1 Nr. 2 BGB nicht in Betracht, wenn die Heilbehandlung wegen der
Weigerung des [X.], sich behandeln zu lassen, nicht durchgeführt werden kann (vgl. Senatsbe-schlüsse
vom 20.
Juni 2012

XII [X.] 99/12
-
FamRZ 2012, 1366 Rn.
13
und vom 8.
August 2012

XII [X.] 671/11
-
FamRZ 2012, 1634 Rn.
13).
b) Der Feststellungsantrag ist hingegen unbegründet, soweit sich die Be-troffene gegen die Genehmigung der Unterbringung als solche richtet. Das Be-schwerdegericht hat zu Recht auch die Voraussetzungen für eine Unterbrin-gung der Betroffenen wegen Selbstgefährdung nach
§
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB bejaht
(zur Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB vgl. Senatsbeschluss vom 8.
August 2012

XII [X.] 671/11

FamRZ 2012, 1634 Rn.
13).
[X.])
Die zivilrechtliche Unterbringung durch einen Betreuer nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB verlangt keine akute, unmittelbar bevorstehende Gefahr für den Betreuten. Notwendig, aber auch ausreichend, ist eine ernstliche und kon-krete Gefahr für Leib oder Leben des Betreuten (Senatsbeschluss vom 13.
Januar 2010

XII [X.] 248/09

FamRZ 2010, 365 Rn.
14 mwN).
Die [X.] einer Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB muss zudem erforderlich sein (vgl. Senatsbeschluss vom 23.
Januar 2008

XII [X.] 185/07

13
14
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-
7
-
FamRZ 2008, 866, 867). Die Prognose einer nicht anders abwendbaren Suizid-gefahr oder einer Gefahr erheblicher gesundheitlicher Schäden ist im [X.] (Senatsbeschluss vom 13.
Januar 2010

XII
[X.] 248/09

FamRZ 2010, 365 Rn.
14).
[X.]) Danach hat das Beschwerdegericht die
Voraussetzungen einer Un-terbringungsgenehmigung wegen Selbstgefährdung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB ohne Rechtsfehler festgestellt.
[X.] ist insoweit den
von der Rechtsbeschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Sachverständigen gefolgt. Danach bestand bei der Betroffenen zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung das Risiko einer Selbstgefährdung noch ungemindert fort.
Außerdem hat das Beschwer-degericht aus
der persönlichen Anhörung der Betroffenen den Eindruck gewon-nen, dass
sich die akuten Symptome der Erkrankung trotz der medikamentösen Behandlung kaum merkbar zurückgebildet
hatten.
Auf dieser Grundlage ist ge-gen die Annahme, dass bei der Betroffenen immer noch die Gefahr bestand, dass sie sich selbst töte oder sich anderweitig erheblichen gesundheitlichen Schaden zufüge, aus Rechtsgründen nichts zu erinnern.
cc) Aufgrund des Vorbringens der
Rechtsbeschwerde, das Beschwerde-gericht habe
sich nicht mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinan-dergesetzt, der in der nichtöffentlichen Sitzung vom 9.
September 2011
ange-geben habe, dass durch die Behandlung der Betroffenen mit [X.] be-reits eine entscheidende Abschwächung der Wahndynamik erreicht worden sei und sich die Betroffene derzeit in einem für ihre Verhältnisse ausgezeichneten Zustand befinde, ergibt sich nichts anderes. Zwar ist im Beschwerdeverfahren grundsätzlich die weitere Entwicklung des Krankheitsverlaufs und ein darauf
beruhender Erkenntnisfortschritt eines Sachverständigen zu berücksichtigen 16
17
18
-
8
-
(Senatsbeschluss vom 18.
Mai 2011 -
XII [X.] 47/11

FamRZ 2011, 1141 Rn.
14). Wenn danach die Gefahr einer Selbstschädigung durch andere Mittel als die freiheitsentziehende Unterbringung abgewendet werden kann, kommt eine Unterbringung als unverhältnismäßig nicht mehr in Betracht (Senatsbe-schluss vom 13.
Januar 2010

XII [X.] 248/09

FamRZ 2010, 365 Rn.
14 mwN).

Der Sachverständige hat zwar
im Termin vom 9. September 2012 im Rahmen des von ihm mündlich erstatteten Gutachtens ausgeführt, dass die Betroffene aufgrund der stabilen Medikation derzeit in einem für ihre [X.] ausgezeichneten Zustand sei. Er hat aber auch angegeben, dass die Be-troffene von einer Krankheitseinsicht noch weit entfernt sei
und außerhalb der Klinik auch keine Medikamente einnehmen werde. Auf Wahnthemen angespro-chen, sei die Betroffene auch jetzt noch erheblich verbal aggressiv. Bei einer Konfrontation mit Menschen, gegen die sie wahnbedingt ein hohes Aggressi-onspotential aufgebaut habe, seien auch in ihrem jetzigen Zustand, der immer noch durch eine wahnhafte Realitätsverkennung gekennzeichnet sei, durchaus Tätlichkeiten zu befürchten. Eine gegenwärtige Suizidgefahr bestehe zwar nicht. Diese könne aber aufgrund des Krankheitsbildes der Betroffenen bei [X.] entsprechenden situativen Zuspitzung auch nicht ausgeschlossen
werden. Zudem hat der Sachverständige das Bestehen von Alternativen zu einer Unter-bringung aufgrund der absolut fehlenden Krankheitseinsicht bei der Betroffenen
eindeutig verneint. Aufgrund dieser Ausführungen des Sachverständigen konn-te das Beschwerdegericht davon ausgehen, dass bei der Betroffenen auch zum Zeitpunkt der Beschwerdeentscheidung die Voraussetzungen für die Genehmi-gung einer freiheitsentziehenden Unterbringung nach §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB vorlagen.
4. Einer ausdrücklichen
Aufhebung der angefochtenen Entscheidung
über die zwangsweise Behandlung der Betroffenen mit [X.] bedarf es 19
20
-
9
-
nicht. Aus dem [X.] des angegriffenen Beschlusses ergibt sich eindeutig, dass die
Zwangsbehandlung der Betroffenen
nur
im Rahmen der bereits betreuungsgerichtlich genehmigten Unterbringung erfasst sein sollte. Mit der Aufhebung des amtsgerichtlichen [X.] ist daher in-soweit auch die Entscheidung des [X.] gegenstandslos gewor-den.
Dose

Schilling

Günter

Nedden-Boeger

Botur
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 27.07.2011 -
53 [X.]/06 -

LG [X.], Entscheidung vom 06.09.2011 -
7 [X.]/11 -

Meta

XII ZB 665/11

05.12.2012

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 05.12.2012, Az. XII ZB 665/11 (REWIS RS 2012, 716)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 716

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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