Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.03.2023, Az. 5 StR 346/22

5. Strafsenat | REWIS RS 2023, 1786

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Tenor

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des [X.] vom 17. Mai 2022 mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer zurückverwiesen.

- Von Rechts wegen -

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten des Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge, mit Fahren ohne Fahrerlaubnis, mit Gebrauch eines Fahrzeugs ohne Haftpflichtversicherungsvertrag und mit Urkundenfälschung schuldig gesprochen, ihn unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus zwei Urteilen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt, hiervon wegen Erfüllung einer Bewährungsauflage aus einer einbezogenen Entscheidung acht Tage als vollstreckt erklärt und [X.] getroffen; zudem hat es die Fahrerlaubnisbehörde angewiesen, dem Angeklagten vor Ablauf von einem Jahr keine neue Fahrerlaubnis zu erteilen. Hiergegen richtet sich die zu Ungunsten des Angeklagten eingelegte und mit der Sachrüge geführte Revision der Staatsanwaltschaft, die vom [X.] vertreten wird. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2

1. Nach den Feststellungen des [X.]s fuhr der unter anderem wegen Betäubungsmittel- und Verkehrsdelikten mehrfach vorbestrafte und langjährig Drogen konsumierende Angeklagte am 1. Oktober 2019 gegen 0.30 Uhr mit einem [X.]ichtkraftrad ([X.] 125) Richtung [X.]    , ohne im Besitz der hierfür erforderlichen Fahrerlaubnis zu sein. Das Kraftrad war weder für den öffentlichen Straßenverkehr zugelassen noch versichert. An ihm war das für ein anderes Motorrad ausgegebene amtliche Kennzeichen L-TS 94 angebracht, um den Anschein ordnungsgemäßer Zulassung zu erwecken. Er führte einen Rucksack mit sich, der ihm von unbekannten Dritten mit dem Auftrag übergeben worden war, ihn nach [X.].    zu einer weiteren Person zu bringen.

3

Im Rucksack befanden sich knapp 215 g Marihuana mit einem Wirkstoffgehalt von etwa 16 g THC und 7,5 g [X.] mit einem Wirkstoffgehalt von 4,6 g Base, die zum gewinnbringenden Weiterverkauf bestimmt waren. Zudem waren darin eine schwarze [X.]dertasche mit knapp 600 Euro Bargeld, ein Pfefferspray und ein – vom Angeklagten selbst dort platziertes – Bajonett mit einer Klingenlänge von 14 cm. Der Angeklagte rechnete mit der Möglichkeit und nahm billigend in Kauf, dass er im Rucksack zum Weiterverkauf bestimmte Drogen in einer nicht geringen Menge transportiert und damit deren Verkauf unterstützt. Für seine Kurierfahrt sollte er Geld oder einen kleinen Anteil der Drogen erhalten. In seinem Gürtel führte der Angeklagte griffbereit ein Klappmesser mit einer feststellbaren Klinge von 8,5 cm Länge mit sich. Messer, Bajonett und Pfefferspray waren zur Verletzung von Menschen geeignet und bestimmt. Eine gegen 2 Uhr am Tattag entnommene Blutprobe ergab, dass der Angeklagte vor Fahrtantritt [X.] und Marihuana zu sich genommen hatte.

4

2. In seiner Beweiswürdigung ist das [X.] überwiegend der Einlassung des Angeklagten gefolgt. Danach habe er von [X.], die er aus Angst nicht nennen wolle, das Motorrad und den Rucksack mit dem Auftrag einer Kurierfahrt nach [X.].   erhalten, vor Fahrtantritt bei einem Freund noch Drogen konsumiert und von diesem ein Bajonett erworben und in den Rucksack gesteckt, das Pfefferspray dabei aber nicht gesehen. Die Angaben zur Überlassung des Motorrads hat die [X.] aufgrund objektiver Beweismittel als unzutreffend bewertet, weil er selbst das falsche Kennzeichen nebst dem zugehörigen Motorrad erworben hat. Im Übrigen hätten die Angaben des Angeklagten zu seiner Kuriertätigkeit „im Rahmen der Beweisaufnahme nicht widerlegt werden“ können; zu seinen Gunsten sei deshalb lediglich von einer Gehilfentätigkeit auszugehen. Das vom Angeklagten am Gürtel getragene Messer könne eine Beihilfe zum bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln nicht begründen, weil die Haupttäter hiervon keine Kenntnis gehabt hätten.

5

Eine relevante Einschränkung der Steuerungs- oder [X.]istungsfähigkeit durch den vorangegangenen Drogenkonsum hat die [X.] auf der Grundlage mehrerer Zeugenaussagen ausgeschlossen. Aufgrund seines langjährigen Konsums sei der Angeklagte so an diese Substanzen gewöhnt, dass sie keine körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen verursachten. Der Sachverständigen folgend hat die [X.] weiter ausgeführt: „Aufgrund dieser Einschätzung … bestehe auch keine Veranlassung, die Unterbringung des Angeklagten in einer geschlossenen Einrichtung zu empfehlen, da es bereits an der Eingangsvoraussetzung dazu fehlt. Bei Vorliegen der Voraussetzungen könnte die Anwendung des § 35 BtMG erwogen werden.“

II.

6

Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung des Urteils.

7

1. Die Beweiswürdigung des [X.]s zur bloßen Gehilfentätigkeit des Angeklagten hält revisionsrechtlicher Überprüfung nicht stand, weil es die Einlassung des Angeklagten, der sie insoweit gefolgt ist, nicht rechtsfehlerfrei gewürdigt hat.

8

a) Entlastende Angaben eines Angeklagten sind – wie andere Beweismittel – eigenständig und kritisch insbesondere auf ihre Plausibilität und anhand des übrigen Beweisergebnisses auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen; sie brauchen nicht etwa mit Blick auf den Zweifelsgrundsatz als „unwiderlegt“ den Feststellungen zugrunde gelegt werden, wenn es für ihre Richtigkeit oder Unrichtigkeit keine Beweise gibt (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteil vom 2. Februar 2022 – 5 [X.]; Beschluss vom 12. November 2019 – 5 [X.]/19).

9

b) Eine Würdigung der Angaben des Angeklagten findet sich im Urteil lediglich zur Frage der Herkunft des Motorrads bzw. Nummernschildes und zur Beschlagnahme eines ihm gehörenden Geldbeutels. Im Übrigen hat sich die [X.] darauf beschränkt, seine Angaben als „nicht widerlegt“ den Feststellungen zugrunde zu legen. Die gebotene kritische Würdigung dieser Angaben hat die [X.] unterlassen, obgleich bereits die Tatsache, dass der Angeklagte bei einem wesentlichen Teil seiner Aussage – Herkunft von Motorrad und Nummernschild – nachweislich falsche Angaben gemacht hat, hierfür Anlass gab. In diesem Zusammenhang bleibt auch unerörtert, dass sich in seinem Blut [X.] genau derjenigen Drogen befanden, die er transportiert hat. Weshalb der Angeklagte bei dem von ihm behaupteten Verstauen des Bajonetts im Rucksack das dort befindliche Pfefferspray nicht gesehen haben will, erschließt sich ohne nähere Ausführungen nicht.

2. Das [X.] hat zudem nicht in den Blick genommen, dass die Tat auf der Grundlage seiner Feststellungen nach § 30a Abs. 2 Nr. 2 [X.]. 4 BtMG strafbar sein könnte. Erlangt der bewaffnete Gehilfe selbst die tatsächliche Sachherrschaft über die Betäubungsmittel, verwirklicht er ein bewaffnetes Sichverschaffen von Betäubungsmitteln, das mit der Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit steht; denn das Sichverschaffen umfasst auch den Erwerb, für den es ausreicht, dass der Erwerber für einen Fremden tätig wird ([X.]/[X.]/[X.], BtMG, 10. Aufl., § 30a Rn. 109). Die bloße Prüfung, ob sich der Angeklagte an einem bewaffneten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln beteiligte, stellt damit keine erschöpfende Würdigung der festgestellten Tat dar.

3. Die Nichtanwendung von § 64 StGB ist ebenfalls nicht rechtsfehlerfrei begründet. Nach den Feststellungen handelt es sich bei dem Angeklagten um einen langjährigen Drogenkonsumenten. Zudem hat das [X.] im Einklang mit den Angaben des Angeklagten ausgeführt, seine Tat stehe im Zusammenhang mit seinem langjährigen Drogenkonsum. An welcher Voraussetzung von § 64 StGB es fehlen soll, erschließt sich mangels näherer Begründung nicht. Die [X.] nach § 64 StGB hat gegenüber einer Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG Vorrang; ein „Wahlrecht“ des Angeklagten besteht insoweit nicht (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Beschluss vom 19. Juli 2022 – 4 [X.]/22).

4. Rechtsfehler zulasten des Angeklagten hat die Überprüfung des Urteils nach § 301 StPO nicht ergeben.

5. Die Sache bedarf nach alledem insgesamt – unter erneuter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung.

Cirener     

  

Gericke     

  

Mosbacher

  

Köhler     

  

[X.]     

  

Meta

5 StR 346/22

29.03.2023

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Chemnitz, 17. Mai 2022, Az: 5 KLs 850 Js 33863/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.03.2023, Az. 5 StR 346/22 (REWIS RS 2023, 1786)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 1786

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 StR 116/22

5 StR 451/19

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