Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.01.2024, Az. 1 B 25/23

1. Senat | REWIS RS 2024, 1459

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Regelerteilungsvoraussetzung für Aufenthaltstitel: kein Ausweisungsinteresse


Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des [X.] vom 19. April 2023 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die allein auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen [X.]edeutung gestützte [X.]eschwerde hat keinen Erfolg.

2

Grundsätzliche [X.]edeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die erstrebte Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit und Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 8. Mai 2018 - 5 [X.] 18.18 - juris Rn. 3). Das [X.] des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO setzt insoweit die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende [X.]edeutung besteht. Die [X.]eschwerde muss erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage des revisiblen Rechts führen kann (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 19. August 1997 - 7 [X.] 261.97 - [X.]uchholz 310 § 133 <n. F.> VwGO Nr. 26 S. 14). Die [X.]egründungspflicht verlangt, dass sich die [X.]eschwerde mit den Erwägungen des angefochtenen Urteils, auf die sich die aufgeworfene Frage von angeblich grundsätzlicher [X.]edeutung bezieht, substantiiert auseinandersetzt und aufzeigt, aus welchen Gründen der Rechtsauffassung, die der aufgeworfenen Frage zugrunde liegt, zu folgen ist (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 4. April 2012 - 5 [X.] 58.11 - juris Rn. 2 und vom 12. März 2018 - 5 [X.] 26.17 D - juris Rn. 3 m. w. N.).

3

Nach diesen Grundsätzen ist die Revision nicht im Hinblick auf die von der [X.]eschwerde für rechtsgrundsätzlich klärungsbedürftig gehaltene Frage zuzulassen,

"ob bei einem bestehenden und weiterhin aktuellen [X.] gem. § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] für die Erteilung eines nationalen Visums zur Familienzusammenführung eine Ausnahme von der Regel anzunehmen oder das Ermessen gemäß § 27 Abs. 3 Satz 2 [X.] auf Null reduziert ist, wenn keine Ausweisung verfügt wurde und die Frist eines Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 1 [X.] bei einer unterstellten Ausweisung bereits abgelaufen wäre."

4

Es kann dahinstehen, ob die aufgeworfene Frage überhaupt jenseits des Einzelfalls abstrakt klärungsfähig ist. Letzteres ist auch deswegen fraglich, weil aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Fall einer Ausweisung das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach § 11 Abs. 4 Satz 4 [X.] verlängert werden kann.

5

Die vom Kläger aufgeworfene Rechtsfrage ist jedenfalls nicht mehr klärungsbedürftig, weil sie sich auf Grundlage der vom [X.]erufungsgericht zutreffend herangezogenen Rechtsprechung beantworten lässt. Danach kommt es für das Vorliegen eines [X.]s nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] nicht darauf an, ob der Ausländer tatsächlich ausgewiesen werden könnte, was etwa dann nicht der Fall ist, wenn er sich noch nie im Inland aufgehalten hat ([X.]VerwG, Urteil vom 25. Mai 2023 - 1 C 6.22 - NVwZ 2023, 1655 Rn. 11 f.). Vielmehr reicht es aus, dass ein [X.] gleichsam abstrakt - d. h. nach seinen tatbestandlichen Voraussetzungen - vorliegt, wie es insbesondere im Katalog des § 54 [X.] normiert ist ([X.]VerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 - [X.]VerwGE 162, 349 Rn. 15). Außerhalb des [X.]undesgebietes begangene Handlungen, die im [X.]undesgebiet eine schwere Straftat darstellen - wie die vom Kläger in [X.] verwirklichten Drogendelikte -, begründen nach § 54 Abs. 2 Nr. 9 [X.] ein schwer wiegendes [X.].

6

Der [X.]egriff des [X.]s verweist auf das Ausweisungsrecht und greift die in § 53 Abs. 1, § 54 [X.] gewählte und anhand von [X.]eispielen erläuterte [X.]egriffsbildung auf. Diese Vorschriften regeln die Aufenthaltsbeendigung bei Vorliegen eines öffentlichen [X.]s. Umgekehrt setzt die [X.]egründung eines rechtmäßigen Aufenthalts durch Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] in der Regel voraus, dass kein [X.] besteht. § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] knüpfte in seiner bis zur Neuregelung geltenden Fassung an die damalige Terminologie des [X.] an und setzte in der Regel voraus, dass kein "[X.]" im Sinne der §§ 53 ff. [X.] a. F. vorlag. Die geänderte Fassung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] stellt nach den Gesetzesmaterialien lediglich eine Folgeänderung zur Neuordnung des [X.] in den §§ 53 ff. [X.] dar (vgl. Gesetzentwurf der [X.]undesregierung vom 25. Februar 2015, [X.]T-Drs. 18/4097 S. 35). Eine Abwägung mit den privaten [X.]leibeinteressen erfolgt - sofern sie nicht durch § 10 Abs. 3 [X.] ausgeschlossen ist - erst - wie vom [X.]erufungsgericht zutreffend angenommen (UA [X.]l. 8) - im Rahmen der Frage, ob eine Abweichung vom Regelfall im Sinne des § 5 Abs. 1 [X.] vorliegt oder im Rahmen einer - wie hier in § 27 Abs. 3 Satz 2 [X.] - spezialgesetzlich vorgesehenen Ermessensentscheidung ([X.]VerwG, Urteil vom 12. Juli 2018 - 1 C 16.17 - [X.]VerwGE 162, 349 Rn. 15). Entgegen der Auffassung der [X.]eschwerde ist dieses Ermessen in Fällen wie dem vorliegenden nicht grundsätzlich auf Null reduziert.

7

Etwas anderes folgt auch nicht aus dem [X.]eschwerdevorbringen, ein nicht ausgewiesener Ausländer - wie der Kläger - dürfe nicht schlechter gestellt werden als ein ausgewiesener Ausländer. Zwar wird gegen einen Ausländer im Falle seiner Ausweisung nach § 11 Abs. 1 Satz 1 [X.] ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen, dessen [X.]efristung mit der Ausreise zu laufen beginnt (§ 11 Abs. 2 Satz 4 [X.]). Darauf kommt es nach der gesetzlichen Systematik vorliegend indes nicht an. Denn dem Zweck des Fernhaltens eines nicht eingereisten visumpflichtigen Ausländers, der im Ausland [X.]n verwirklicht hat, wird durch die Grundkonzeption des Aufenthaltsgesetzes anderweitig hinreichend Rechnung getragen. Gemäß § 4 Abs. 1 [X.] bedarf es für die Einreise und den Aufenthalt eines Ausländers im [X.]undesgebiet eines Aufenthaltstitels. [X.]ei Vorliegen von [X.]n fehlt es an der allgemeinen Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.]. Die Einreise ohne den nach § 4 [X.] erforderlichen Aufenthaltstitel gilt als unerlaubt (§ 14 Abs. 1 Nr. 2 [X.]) und ein Ausländer, der unerlaubt an den für eine legale Einreise allein zugelassenen Grenzübergangsstellen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 [X.]) einreisen will, wird nach § 15 Abs. 1 [X.] an der Grenze zurückgewiesen ([X.]VerwG, Urteil vom 25 Mai 2023 - 1 C 6.22 - NVwZ 2023, 1655 Rn. 20). Für die von der [X.]eschwerde zusätzlich für erforderlich gehaltene [X.]erücksichtigung der Dauer eines hypothetischen Einreise- und Aufenthaltsverbots ist insoweit kein Raum, zumal im Hinblick auf die Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 [X.] - worauf das [X.]erufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der behördlichen oder gerichtlichen Entscheidung maßgeblich ist.

8

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 2 GKG.

Meta

1 B 25/23

17.01.2024

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: B

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 19. April 2023, Az: OVG 3 B 27/22, Urteil

§ 4 Abs 1 AufenthG 2004, § 5 Abs 1 Nr 2 AufenthG 2004, § 11 Abs 1 AufenthG 2004, § 11 Abs 2 AufenthG 2004, § 11 Abs 4 AufenthG 2004, § 53 AufenthG 2004, § 54 Abs 2 Nr 9 AufenthG 2004

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 17.01.2024, Az. 1 B 25/23 (REWIS RS 2024, 1459)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1459

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

10 CS 23.2320 (VGH München)

Beschwerde, Darlegungsanforderungen bei Mehrfachbegründung durch Verwaltungsgericht;, Ablehnung des Antrags auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis;, Ausweisung;, Regelerteilungsvoraussetzung;, …


1 C 21/18 (Bundesverwaltungsgericht)

Vereinbarkeit der generalpräventiven Ausweisung mit § 53 AufenthG


10 CS 23.783 (VGH München)

Beschwerde, Darlegungsanforderungen


19 ZB 23.1183 (VGH München)

Ausweisung, generalpräventiv, Besonders schwerwiegendes Ausweisungsinteresse, Schwere Brandstiftung und versuchte schwere Brandstiftung, Bleibeinteresse, neunjähriges Kind deutscher …


10 ZB 16.1511 (VGH München)

Ausweisungsinteresse bei Identitätstäuschung


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.