Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2023, Az. 2 C 4/23

2. Senat | REWIS RS 2023, 9342

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Gegenstand

Umfang der Belehrungspflicht bei der Berufung nach § 64 BDG


Leitsatz

In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils eines Verwaltungsgerichts über eine Disziplinarklage ist nur über die Monatsfrist für die Einlegung der Berufung nach § 64 Abs. 1 Satz 2 BDG zu belehren, nicht aber über die Verpflichtung zur Begründung der Berufung innerhalb dieser Frist.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 5. Dezember 2022 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 29. April 2022 verworfen wird.

Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.

Tatbestand

1

Der Rechtsstreit betrifft den Umfang der Belehrungspflicht für ein Disziplinarklageurteil nach Maßgabe des Bundesdisziplinargesetzes.

2

Der ... geborene [X.] steht als Regierungsdirektor (Besoldungsgruppe [X.]) im Dienst der klagenden [X.]. Anfang April 2019 leitete die Klägerin gegen den [X.]n wegen des Verdachts eines Dienstvergehens ein Disziplinarverfahren ein, das im Juli 2019 auf weitere Verhaltensweisen des [X.]n ausgedehnt wurde.

3

Im Juli 2020 hat die Klägerin beim Verwaltungsgericht Disziplinarklage mit dem Ziel erhoben, den [X.]n in das Eingangsamt seiner Laufbahn zurückzustufen. Das Verwaltungsgericht hat den [X.]n in das [X.] zurückgestuft. In der dem Urteil beigefügten Rechtsmittelbelehrung wird darauf hingewiesen, dass den Beteiligten gegen das Urteil die Berufung zusteht und diese innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils einzulegen ist.

4

Die Klägerin hat gegen das ihr am 24. Mai 2022 zugestellte Urteil am 22. Juni 2022 Berufung eingelegt und am 28. Juni 2022 die Verlängerung der Frist für die Berufungsbegründung beantragt. Auf den gerichtlichen Hinweis vom 29. Juni 2022, dass der Antrag verspätet sei, erwiderte die Klägerin, dass die Frist wegen fehlerhafter Rechtsmittelbelehrung noch laufe und begründete am 22. Juli 2022 die Berufung. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin mit der Begründung zurückgewiesen, die Berufung sei mangels rechtzeitiger Begründung unzulässig. Die dem Urteil des [X.] beigefügte Rechtsmittelbelehrung sei nicht unrichtig. In der Belehrung des erstinstanzlichen Urteils müsse lediglich auf die für die Einlegung der Berufung geltende Monatsfrist hingewiesen werden, nicht aber darauf, dass die Berufung auch innerhalb dieser Frist zu begründen sei.

5

Hiergegen richtet sich die bereits vom Oberverwaltungsgericht zugelassene Revision der Klägerin, mit der sie beantragt,

den [X.]n unter Abänderung des Urteils des [X.] Berlin vom 29. April 2022 und des Urteils des [X.] vom 5. Dezember 2022 aus dem Beamtenverhältnis zu entfernen.

6

Der [X.] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht begründet. Ohne Verstoß gegen [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. VwGO) ist das Oberverwaltungsgericht davon ausgegangen, dass die [X.]erufung der Klägerin mangels rechtzeitiger [X.]egründung unzulässig ist. Die Rechtsmittelbelehrung im Urteil des [X.] ist nicht unrichtig erteilt, sodass für die [X.]egründung der [X.]erufung nicht die Jahresfrist nach § 58 Abs. 2 VwGO gilt. In der Rechtsmittelbelehrung des Urteils eines [X.] über eine Disziplinarklage nach Maßgabe des [X.]undesdisziplinargesetzes ist nur über die Monatsfrist für die Einlegung der [X.]erufung zu belehren, nicht aber auch über die Verpflichtung zur [X.]egründung der [X.]erufung innerhalb dieser Frist. Wegen der Unzulässigkeit der [X.]erufung der Klägerin ist klarstellend auszusprechen, dass sie gemäß § 64 Abs. 1 Satz 5 und § 3 [X.] sowie § 125 Abs. 2 Satz 1 VwGO zu verwerfen ist.

8

Nach § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist die [X.]erufung gegen das Urteil des [X.] über eine Disziplinarklage bei dem Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich einzulegen und zu begründen. Gemäß § 58 Abs. 1 VwGO, der nach § 3 [X.] entsprechend anzuwenden ist, muss in der Rechtsmittelbelehrung des erstinstanzlichen Urteils über eine Disziplinarklage jedoch nur über die für die Einlegung der [X.]erufung geltende Monatsfrist belehrt werden. Eine Pflicht zur [X.]elehrung über die innerhalb einer bestimmten Frist vorzulegende [X.]egründung des Rechtsmittels besteht nur bei zweistufig aufgebauten Rechtsmitteln, bei denen im [X.] an die erste Stufe der fristgebundenen Einlegung die zweite Stufe der Vorlage der [X.]egründung innerhalb einer gesonderten Frist nachfolgt.

9

Dies galt etwa für die Revision nach Maßgabe des § 57 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das [X.] vom 23. September 1952 ([X.] I S. 625 - [X.]), auf den sich der [X.]eschluss des [X.]oßen [X.]ats des [X.]s vom 5. Juli 1957 - [X.].[X.]. 1.57 - ([X.]VerwGE 5, 178) bezieht. Das Gesetz sah vor, dass die Revision innerhalb eines Monats nach Zustellung der Entscheidung oder nach der Zustellung des [X.]eschlusses über die Zulassung der Revision beim Verwaltungsgericht schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen und spätestens innerhalb eines weiteren Monats zu begründen ist.

Eine [X.]elehrung über die Frist für die [X.]egründung des Rechtsmittels ist auch geboten, wenn das Rechtsmittel eine Zulassung voraussetzt und es nach erfolgter Zulassung aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Regelung der Einlegung des Rechtsmittels nicht mehr bedarf, sodass von dem zweistufig aufgebauten Rechtsmittel nur die zweite Stufe, die Vorlage der [X.]egründung innerhalb einer gesonderten Frist, übriggeblieben ist ([X.]VerwG, Urteil vom 30. Juni 1998 - 9 [X.] 6.98 - [X.]VerwGE 107, 117 <122 f.>). Dies trifft auf die Zulassung der [X.]erufung nach § 124a VwGO und für die Zulassung der Revision nach § 139 VwGO zu. [X.]ei [X.]eschlüssen des [X.] in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach §§ 80, 80a und 123 VwGO ist über die Frist für die Einlegung der [X.]eschwerde - zwei Wochen nach [X.]ekanntgabe der Entscheidung, § 147 Abs. 1 Satz 2 VwGO - sowie über die gesonderte Frist für die [X.]egründung der [X.]eschwerde nach § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO zu belehren.

Mit diesen Regelungen sind die Vorgaben des § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] nicht zu vergleichen. Zwar schreibt das Gesetz die Einreichung einer [X.]egründung der [X.]erufung vor, sieht dafür aber keine gesonderte Frist vor, über die nach Maßgabe des § 58 Abs. 1 VwGO zu belehren wäre. § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist vielmehr mit einer Vorschrift wie § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO in der bis zum Ablauf des 31. Dezember 1990 geltenden Fassung - VwGO a. F. - zu vergleichen. Danach musste in der innerhalb eines Monats beim Ausgangsgericht einzulegenden [X.]eschwerdeschrift der [X.]und für die Zulassung der Revision in der [X.]eschwerdeschrift dargelegt und bezeichnet werden. Diese Vorschrift wurde stets dahingehend ausgelegt, dass in der Rechtsmittelbelehrung über die Nichtzulassungsbeschwerde nicht auf die Pflicht zur [X.]egründung und die [X.]egründungsfrist hingewiesen werden müsse ([X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 14. Oktober 1960 - 1 [X.] 127.60 - DV[X.]l 1960, 897, vom 30. November 1960 - 8 [X.] 145.60 - NJW 1961, 381, vom 2. Februar 1961 - 8 [X.] 122.60 - NJW 1961, 1083, vom 1. Juni 1965 - 3 [X.] 25.65 - DV[X.]l 1965, 840, vom 21. Juni 1969 - 3 [X.] 61.69 - DV[X.]l 1970, 279 und vom 20. Oktober 1976 - 7 [X.] 159.76 - [X.]uchholz 310 § 58 Nr. 32 S. 11 f.). Zur Abgrenzung vom genannten [X.]eschluss des [X.]oßen [X.]ats vom 5. Juli 1957 zu § 57 Abs. 1 Satz 1 [X.] wurde darauf verwiesen, dass die [X.]egründung für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht als selbstständiger Teil des Rechtsmittels ausgebildet sei und die [X.]egründung lediglich eine bloße Förmlichkeit der [X.]eschwerdefrist darstelle, auf die ebenso wenig wie auf andere Förmlichkeiten hingewiesen werden müsse ([X.]VerwG, [X.]eschluss vom 21. Juni 1969 - 3 [X.] 61.69 - DV[X.]l 1970, 279).

Für die Gleichsetzung des § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] mit § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO a. F. ist auch die Vorgabe dieser Vorschrift unerheblich, dass der [X.]und für die Zulassung der Revision in der [X.]eschwerdeschrift darzulegen oder zu bezeichnen ist, während jene Regelung keinen Zusammenhang zwischen der [X.] und der [X.]egründung der [X.]erufung vorsieht. Denn für § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO a. F. hat es das [X.] ausreichen lassen, wenn die [X.]egründung für die [X.]eschwerde gegen die Nichtzulassung in einem der Einlegung nachfolgenden Schriftsatz innerhalb der Monatsfrist eingereicht wurde (vgl. [X.]VerwG, [X.]eschlüsse vom 1. Juni 1965 - 3 [X.] 25.65 - DV[X.]l 1965, 840 und vom 21. Juni 1969 - 3 [X.] 61.69 - DV[X.]l 1970, 279). Unerheblich ist auch, dass das Gesetz bei § 132 Abs. 3 Satz 3 VwGO a. F. lediglich von "darlegen" und "bezeichnen" spricht. Denn es handelt sich um die regelmäßig erforderliche [X.]egründung des Rechtsmittels, d. h. um die Angabe der [X.]ünde für die Anfechtung der angegriffenen Entscheidung der Vorinstanz.

Das Schutzbedürfnis des Verfahrensbeteiligten, der [X.]erufung gegen das Urteil einzulegen beabsichtigt, rechtfertigt keine erweiternde Auslegung des § 58 Abs. 1 VwGO in dem Sinne, dass auf sämtliche Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Rechtsmittels hinzuweisen ist. Denn der Gesetzgeber hat im Interesse der Rechtssicherheit in § 58 Abs. 1 VwGO diejenigen Aspekte abschließend benannt, über die der [X.]eteiligte zur Wahrung seiner Interessen im Verfahren zu belehren ist. Aus Wortlaut und Systematik des § 58 Abs. 1 VwGO folgt, dass die [X.]elehrung nicht sämtlichen tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten Rechnung tragen und dem [X.]eteiligten jede eigene Überlegung ersparen muss ([X.]VerwG, Urteile vom 21. Januar 1972 - 4 [X.] 40.70 - [X.]uchholz 310 § 58 VwGO Nr. 23 S. 9, vom 27. Februar 1976 - 4 [X.] 74.74 - [X.]uchholz 310 § 58 VwGO Nr. 31 S. 7 f. und vom 9. Mai 2019 - 4 [X.] 2.18 - [X.]VerwGE 165, 299 Rn. 16). Dass § 64 Abs. 1 Satz 2 [X.] von den Regelungen der [X.]ordnung zur [X.]egründung von Rechtsmitteln gegen eine gerichtliche Entscheidung abweicht, ist ausgehend vom eindeutigen Wortlaut des § 58 Abs. 1 VwGO nicht von [X.]edeutung.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 77 Abs. 1 [X.] i. V. m. § 154 Abs. 2 VwGO. Einer Festsetzung des Streitwerts bedarf es nicht, weil sich die Gerichtsgebühren unmittelbar aus dem Gesetz ergeben (§ 78 Satz 1 [X.] i. V. m. Nr. 30 der Anlage).

Meta

2 C 4/23

09.11.2023

Bundesverwaltungsgericht 2. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, 5. Dezember 2022, Az: OVG 82 D 3/22, Urteil

§ 64 Abs 1 S 2 BDG, § 58 VwGO, § 132 Abs 3 S 3 VwGO vom 01.01.1964, § 57 BVerwGG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 09.11.2023, Az. 2 C 4/23 (REWIS RS 2023, 9342)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9342

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