Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.09.2023, Az. IV ZR 164/22

4. Zivilsenat | REWIS RS 2023, 6866

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Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 29. April 2022 wird als unzulässig verworfen, soweit sie sich gegen ihre Verurteilung zur Zahlung von 219,15 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. November 2020 und gegen die Feststellung, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 20. November 2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2012 für [X.]        im [X.]  in Höhe von 11,99 € und für den Kläger im [X.]S   in Höhe von 4,87 € gezahlt hat, wendet.

Im Übrigen werden auf die Rechtsmittel der Beklagten und unter Zurückweisung ihrer weitergehenden Berufung das Urteil des 20. Zivilsenats des [X.] vom 29. April 2022 teilweise aufgehoben und das Urteil der 9. Zivilkammer des [X.] vom 17. Juni 2021 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass folgende Erhöhungen des [X.] in der zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehenden Kranken-/Pflegeversicherung mit der Versicherungsnummer [X.]        in den nachfolgenden Zeiträumen unwirksam sind:

a) im [X.]   für [X.]       zum 1. Januar 2012 um 11,99 € bis zum 31. Dezember 2013

b) im [X.]S   für [X.]       zum 1. Januar 2012 um 4,87 €.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 219,15 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21. November 2020 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie im Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis 20. November 2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die genannten Beitragserhöhungen gezahlt hat.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger zu 97 % und die Beklagte zu 3 %.

Die Kosten des Revisionsverfahrens tragen der Kläger zu 93 % und die Beklagte zu 7 %.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis 4.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

2

Der Kläger hält eine Krankenversicherung bei der [X.], in der bis zum 31. Dezember 2017 [X.]        mitversichert war. Dem Versicherungsvertrag liegen Allgemeine Versicherungsbedingungen für die Krankheitskosten- und Krankenhaustagegeldversicherung (im Folgenden: [X.]) zugrunde, die folgende Regelung enthalten:

"§ 8b Beitragsanpassung

Teil I

(1) Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung zu den Sterbewahrscheinlichkeiten für eine Beobachtungseinheit eines Tarifes eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]

(2) Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.

[…]"

3

Die Beklagte teilte dem Kläger unter anderem folgende Beitragserhöhungen mit:

- zum 1. Januar 2012 für [X.]       im [X.]um 11,99 € und für den Kläger im Tarif [X.]um 4,87 €

 - zum 1. Januar 2013 für den Kläger im [X.]    um 54,90 €

- zum 1. Januar 2014 für den Kläger im [X.]S  um 4,95 €

- zum 1. Januar 2019 für den Kläger im [X.]S  um 1,77 €

4

Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 9.030,78 € nebst Zinsen sowie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte die Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, herauszugeben und zu verzinsen hat. Außerdem hat er die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind.

5

Das [X.] hat die Beklagte zur Zahlung von 479,07 € nebst Zinsen seit dem 21. November 2020 verurteilt. Weiter hat es festgestellt, dass die Beitragserhöhungen - die Erhöhung zum 1. Januar 2012 für [X.]       aber nur bis zum 31. Dezember 2013 - unwirksam seien. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte dem Kläger zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vom 1. Januar 2017 bis zum 20. November 2020 aus dem Prämienanteil gezogen hat, den der Kläger auf die genannten Beitragserhöhungen gezahlt hat. Mit der Berufung hat die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung mit Ausnahme der Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2012 weiterverfolgt. Das [X.] hat die Berufung der [X.] zurückgewiesen. Die Berufung des [X.] hat ebenfalls keinen Erfolg gehabt.

6

Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung wie in der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die Revision hat überwiegend Erfolg.

8

I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die [X.] zum 1. Januar 2012 im [X.]  , zu der das [X.] zugleich die formelle Unwirksamkeit festgestellt habe, zum 1. Januar 2013, 1. Januar 2014 und 1. Januar 2019 unwirksam seien, weil es an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehle. Da die Veränderung der Rechnungsgrundlage Versicherungsleistungen bei diesen Beitragsanpassungen unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wären diese nur dann wirksam, wenn sie auf der Grundlage von § 8b [X.] hätten erfolgen können. Dessen Unwirksamkeit ergebe sich daraus, dass nach den gesetzlichen Vorschriften eine Beitragsanpassung nur zulässig sei, wenn die Veränderung nicht nur vorübergehender Art sei. Unabhängig davon räume § 8b Abs. 1 [X.] bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige. Aus der Unwirksamkeit dieser Erhöhungen folge die Verpflichtung zur Rückzahlung der darauf gezahlten Beiträge sowie zur Herausgabe der hieraus im genannten [X.]raum gezogenen Nutzungen.

9

II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

1. Die Revision ist allerdings wegen Fehlens der nach § 551 Abs. 1 ZPO erforderlichen Begründung gemäß § 552 ZPO insoweit unzulässig, als sie sich gegen die Verurteilung zur Zahlung und gegen die Feststellung der Pflicht zur Herausgabe von Nutzungen richtet, die auf der - ihrerseits von der Berufung nicht umfassten - Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen zum 1. Januar 2012 für [X.]       im [X.]  und für den Kläger im [X.]  beruhen. Die Beklagte hat dagegen in ihrer Revisionsbegründung keine Angriffe vorgebracht. Dies betrifft den Rückzahlungsanspruch für die [X.], die der Kläger auf die Erhöhung zum 1. Januar 2012 im [X.]  in der [X.] ab dem 1. Januar 2017 in Höhe von 219,15 € (45 Monate x 4,87 €) gezahlt hat; hinsichtlich der Erhöhung zum 1. Januar 2012 im [X.]  ist dagegen kein Rückzahlungsbetrag zugesprochen worden.

2. Im Übrigen ist die Revision begründet. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die [X.] mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.

a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom 22. Juni 2022 ([X.], [X.], 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich § 8b Teil I Abs. 2 [X.] entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 - und ebenso von Absatz 1 der hier zugrundeliegenden Klausel - unberührt (vgl. Senatsurteil vom 22. Juni 2022 aaO Rn. 31 ff.).

b) Der Senat hat außerdem mit Urteil vom 12. Juli 2023 ([X.] 347/22, [X.], 1496) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 [X.] in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 [X.] abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom 12. Juli 2023 aaO Rn. 16, 20).

Prof. Dr. Karczewski     

  

Harsdorf-Gebhardt     

  

Dr. Brockmöller

  

Dr. Bußmann     

  

Dr. Bommel     

  

Meta

IV ZR 164/22

27.09.2023

Bundesgerichtshof 4. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Köln, 29. April 2022, Az: 20 U 92/21, Urteil

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 27.09.2023, Az. IV ZR 164/22 (REWIS RS 2023, 6866)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 6866

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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IV ZR 347/22

IV ZR 253/20

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