Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.07.2013, Az. 4 BN 13/13

4. Senat | REWIS RS 2013, 3815

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Gegenstand

Normenkontrolle eines Bebauungsplans; überspannte Anforderungen an die Prüfung der Antragsbefugnis (§ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO)


Tenor

Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das [X.] vom 22. November 2012 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 € festgesetzt.

Gründe

1

Die [X.]eschwerde ist mit dem Ergebnis der Zurückverweisung an die Vorinstanz begründet (§ 133 Abs. 6 VwGO).

2

1. Die Revision ist allerdings nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche [X.]edeutung, die ihr der Antragsteller beimisst.

3

Die [X.]eschwerde hält folgende Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig:

Ist es für die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO ausreichend, wenn ein Antragsteller sich auf einen für die Abwägung nach § 1 Abs. 7 [X.]auG[X.] abwägungserheblichen privaten [X.]elang berufen kann oder hat er darüber hinaus darzulegen, dass gerade dieser [X.]elang in seinem Gewicht und seiner [X.]edeutung verkannt worden ist?

4

Diese Frage führt nicht zur Zulassung der Revision, denn die Anforderungen an die Antragsbefugnis sind in der Rechtsprechung des [X.] bereits hinreichend geklärt. Für die Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Antragsteller hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch die Festsetzungen des [X.]ebauungsplans in einem subjektiven Recht verletzt wird (Urteil vom 30. April 2004 - [X.]VerwG 4 CN 1.03 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 165; stRspr). An die Geltendmachung einer Rechtsverletzung sind grundsätzlich auch dann keine höheren Anforderungen zu stellen, wenn es - wie vorliegend - um das Recht auf gerechte Abwägung (§ 1 Abs. 7 [X.]auG[X.]) eines außerhalb des [X.] wohnenden Grundstückseigentümers geht (mittelbar [X.]etroffener). Auch insoweit reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte [X.]ehandlung seiner [X.]elange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen (Urteil vom 24. September 1998 - [X.]VerwG 4 CN 2.98 - [X.]VerwGE 107, 215 <218 f.>). [X.] ist hiernach, wer sich auf einen abwägungserheblichen privaten [X.]elang berufen kann; denn wenn es einen solchen [X.]elang gibt, besteht grundsätzlich auch die Möglichkeit, dass die Gemeinde ihn bei ihrer Abwägung nicht korrekt berücksichtigt hat (Urteile vom 30. April 2004 a.a.[X.] und vom 16. Juni 2011 - [X.]VerwG 4 CN 1.10 - [X.]VerwGE 140, 41 = [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 182; [X.]eschluss vom 22. August 2000 - [X.]VerwG 4 [X.] 38.00 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 142). Die Antragsbefugnis ist jedoch dann nicht gegeben, wenn eine Rechtsverletzung offensichtlich und eindeutig nach jeder [X.]etrachtungsweise ausscheidet (Urteile vom 24. September 1998 a.a.[X.] S. 217 und vom 18. November 2002 - [X.]VerwG 9 CN 1.02 - [X.]VerwGE 117, 209 <211>). Hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Interesse des [X.]etroffenen geringwertig, nicht schutzwürdig, für die Gemeinde nicht erkennbar oder sonst makelbehaftet ist (Urteil vom 16. Juni 2011 a.a.[X.] Rn. 15 a.E.; [X.]eschlüsse vom 28. Juni 2007 - [X.]VerwG 7 [X.] - juris Rn. 10 m.w.N. und vom 22. August 2000 a.a.[X.] = juris Rn. 8). Die Prüfung, ob das der Fall ist, ist allerdings nicht unter Auswertung des gesamten [X.] vorzunehmen (Urteil vom 24. September 1998 a.a.[X.] S. 218), und sie darf nicht in einem Umfang und in einer Intensität erfolgen, die einer [X.] gleichkommt ([X.]eschluss vom 8. Juni 2011 - [X.]VerwG 4 [X.] 42.10 - [X.] 2011, 1641 Rn. 8). Das Normenkontrollgericht ist daher insbesondere nicht befugt, für die Entscheidung über die Antragsbefugnis den Sachverhalt von sich aus weiter aufzuklären. Deswegen vermag die im Laufe des Verfahrens fortschreitende Sachverhaltsaufklärung durch das Normenkontrollgericht die Antragsbefugnis eines Antragstellers nicht nachträglich in Frage zu stellen. Andererseits muss es widerstreitendes Vorbringen des Antragsgegners, auf dessen Grundlage sich die maßgeblichen Tatsachenbehauptungen in der Antragsschrift als offensichtlich unrichtig erweisen, nicht ausblenden, sondern kann auf der Grundlage des wechselseitigen Schriftverkehrs darüber befinden, ob es einen abwägungserheblichen [X.]elang des Antragstellers geben kann ([X.]eschluss vom 10. Juli 2012 - [X.]VerwG 4 [X.] 16.12 - [X.] 20 1 3, 31 Rn. 3 ) .

5

Einen über diese Rechtsprechung hinausgehenden Klärungsbedarf zeigt die [X.]eschwerde nicht auf.

6

2. Die [X.]eschwerde macht allerdings zu Recht einen Verfahrensfehler im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend. Das Oberverwaltungsgericht hat, indem es den Normenkontrollantrag des Antragstellers mangels Antragsbefugnis als unzulässig angesehen hat, die Anforderungen an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne des § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO überspannt und damit die prozessuale [X.]edeutung dieser Vorschrift verkannt.

7

Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass die vom Antragsteller angeführten Auswirkungen der Planung auf sein Grundstück, das heißt die mit der Nutzung des Plangebiets verbundenen Verkehrslärmimmissionen, grundsätzlich abwägungsrelevant seien. Die von ihm vorgetragene planbedingte Erhöhung der Verkehrsbelastung von derzeit 305 auf circa 647 [X.]fahrzeuge pro Tag, die der Antragsteller der [X.]ebauungsplanbegründung entnommen habe, und die damit einhergehende Lärmbelastung für sein Grundstück seien bei der Abwägung zu berücksichtigen gewesen ([X.], 12). Diese Ausführungen stehen mit der Rechtsprechung des Senats im Einklang (siehe zur [X.]: Urteile vom 17. September 1998 - [X.]VerwG 4 CN 1.97 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 126 und vom 26. Februar 1999 - [X.]VerwG 4 CN 6.98 - [X.] 406.11 § 214 [X.]auG[X.] Nr. 14; [X.]eschlüsse vom 19. Februar 1992 - [X.]VerwG 4 N[X.] 11.91 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 63, vom 28. November 1995 - [X.]VerwG 4 N[X.] 38.94 - [X.] 310 § 47 VwGO Nr. 109, vom 19. August 2003 - [X.]VerwG 4 [X.] 51.03 - [X.] 2004, 1132 und vom 24. Mai 2007 - [X.]VerwG 4 [X.] 16.07 u.a. - [X.] 2007, 580 = [X.] 2007, 2041).

8

Nach Ansicht des [X.] kann gleichwohl nicht von einer Rechtsverletzung zulasten des Antragstellers ausgegangen werden, denn eine fehlerhafte [X.]ehandlung seiner Interessen vor zusätzlichem Verkehrslärm verschont zu bleiben, scheide nach Lage der Dinge offensichtlich aus. Zur [X.]egründung verweist das Gericht auf die vom Antragsteller mit der [X.]egründung des [X.] vorgelegte Planbegründung und auf die Ausführungen der Antragsgegnerin im zugehörigen [X.]. Danach könne davon ausgegangen werden, dass die einschlägigen Orientierungswerte der [X.] 18005 auf dem Grundstück des Antragstellers eingehalten seien. Die [X.] der Antragsgegnerin sei folglich nicht zu beanstanden, zumal der Antragsteller mit seiner Antragsbegründung keinen Gesichtspunkt aufgezeigt habe, der die Richtigkeit der Annahmen des [X.] zur planbedingten Verkehrs- und Lärmzunahme oder die Sachgerechtigkeit seiner [X.]ewertung und Gewichtung der in diesem Zusammenhang gegeneinander abzuwägenden [X.]elange in irgendeiner Weise in Frage stellen könnte. Ungeachtet des Umstandes, dass bei Annahme eines abwägungserheblichen [X.]elangs kein Raum mehr für die Versagung der Antragsbefugnis unter Offensichtlichkeitsgesichtspunkten besteht, hat das Oberverwaltungsgericht die Anforderungen an die Geltendmachung einer Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO auch deshalb überspannt, weil es in der Sache den entsprechenden Vortrag des Antragstellers einer abschließenden materiellrechtlichen Prüfung unterzogen hat, die sich in Umfang und Intensität von einer [X.] kaum unterscheidet ([X.], 13). Dies widerspricht der Funktion des Normenkontrollverfahrens, weil damit die gebotene objektive Rechtskontrolle im Rahmen der [X.] (vgl. hierzu Urteil vom 9. April 2008 - [X.]VerwG 4 CN 1.07 - [X.]VerwGE 131, 100 Rn. 13) umgangen wird.

9

Der somit vorliegende Verfahrensfehler kann sich auf die Entscheidung der Vorinstanz ausgewirkt haben. Da die Antragsbefugnis des Antragstellers zu bejahen ist und auch im Übrigen keine Einwände gegen die Zulässigkeit des [X.] erkennbar sind, ist nicht auszuschließen, dass das Oberverwaltungsgericht ohne Verfahrensfehler zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre, weil es im Rahmen der [X.] jedenfalls auch über die vom Antragsteller ausweislich des Tatbestandes der angefochtenen Entscheidung ([X.]) geltend gemachten objektiven Rechtsverstöße hätte entscheiden müssen. Da das Oberverwaltungsgericht hierzu keine tatsächlichen Feststellungen getroffen hat, kann der Senat nicht feststellen, dass sich das Urteil aus anderen Gründen als richtig erweist (§ 144 Abs. 4 VwGO; vgl. zur Anwendbarkeit dieser Norm im Verfahren über die Zulassung der Revision [X.]eschlüsse vom 14. Februar 2002 - [X.]VerwG 4 [X.] 5.02 - [X.] m.w.N. und vom 8. Juni 2011 a.a.[X.] Rn. 9). Weil auch ein Revisionsverfahren deswegen nur zu einer Zurückverweisung an das Oberverwaltungsgericht führen könnte, macht der Senat von seiner [X.]efugnis nach § 133 Abs. 6 VwGO Gebrauch, das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen. Aus diesem Grund bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob (auch) die vom Antragsteller in [X.]ezug auf die Rechtsprechung des [X.] zur Antragsbefugnis nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO erhobene [X.] (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) erfolgreich gewesen wäre (vgl. [X.]eschlüsse vom 3. Februar 1993 - [X.]VerwG 11 [X.] 12.92 - [X.] 310 § 133 VwGO Nr. 10 = juris Rn. 6 und vom 31. August 1999 - [X.]VerwG 3 [X.] 57.99 - NVwZ-RR 2000, 259 = juris Rn. 11; [X.], in: [X.], VwGO, 13. Aufl. 2010, § 133 Rn. 56; Pietzner/[X.]ier, in: [X.]/[X.]/[X.]ier, VwGO, Stand August 2012, § 133 Rn. 86).

3. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 und 7 GKG.

Meta

4 BN 13/13

29.07.2013

Bundesverwaltungsgericht 4. Senat

Beschluss

Sachgebiet: BN

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 22. November 2012, Az: 10 D 4/11.NE, Urteil

§ 47 Abs 2 S 1 VwGO

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 29.07.2013, Az. 4 BN 13/13 (REWIS RS 2013, 3815)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 3815

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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