Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.06.2022, Az. 6 StR 643/21

6. Strafsenat | REWIS RS 2022, 2679

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Tenor

1. Auf die den Angeklagten S.    betreffende Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 31. August 2021 aufgehoben; jedoch bleiben die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen aufrechterhalten.

Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten dieses Rechtsmittels, an eine andere Jugendkammer des [X.] zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision wird verworfen.

2. Die den Angeklagten A.       betreffende Revision des [X.] wird verworfen.

Insoweit trägt der Nebenkläger die Kosten seines Rechtsmittels und die diesem Angeklagten im Revisionsverfahren erwachsenen notwendigen Auslagen.

- Von Rechts wegen -

Entscheidungsgründe

1

Das [X.] hat die Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen und den Angeklagten [X.]zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten, den Angeklagten S.     unter Einbeziehung einer früheren Entscheidung zu einer Jugendstrafe von drei Jahren verurteilt. Der Nebenkläger strebt mit seinen jeweils auf die [X.] der Verletzung sachlichen Rechts gestützten Revisionen eine Verurteilung der Angeklagten wegen eines versuchten Tötungsdelikts an. Die Rechtsmittel haben im tenorierten Umfang Erfolg.

2

1. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen:

3

Der Angeklagte S.     und der Nebenkläger waren wegen eines Betäubungsmittelgeschäfts zerstritten. Als sie sich zufällig begegneten, stellte S.     den Nebenkläger deshalb zur Rede. Weil dieser ein Gespräch verweigerte, fühlte sich S.     „missachtet und gedemütigt“ und wollte auf den Nebenkläger „losgehen“. Als sie begannen, sich zu „schubsen“, stellte sich der blinde Angeklagte [X.]zwischen beide und hielt die Arme des [X.] umschlossen, um ihn an der Verteidigung gegen [X.] zu hindern. Dieser trat von hinten an den Nebenkläger heran und brachte ihm mit einem Messer mehrere Verletzungen bei, darunter eine von der [X.] bis zum Unterkiefer verlaufende, mindestens zwei bis drei Zentimeter tiefe und bis auf den Unterkieferknochen reichende Schnittwunde mit Verletzung einer Arterie und dadurch verursachter starker Blutung. S.     nahm dabei „ganz erhebliche, unter Umständen lebensgefährliche Verletzungen“ in Kauf. Während der Tat rief er auf [X.]: „Ich bringe dich um!“ oder: „Ich mache dich fertig!“. [X.]hatte zwar damit gerechnet, dass S.     den Nebenkläger schlagen würde, wusste jedoch nichts vom Einsatz des Messers. Dass er mit einer möglichen Tötung des [X.] rechnete, konnte die Kammer nicht feststellen.

4

2. Der Schuldspruch hält nur teilweise revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Während gegen das Urteil betreffend den Angeklagten [X.] aus den Gründen der Antragsschrift des [X.] rechtlich nichts zu erinnern ist, unterliegt es hinsichtlich des S.     teilweise der Aufhebung. Denn das [X.] hat die Möglichkeit eines zumindest bedingten Tötungsvorsatzes nicht erkennbar in den Blick genommen, obwohl dazu Anlass bestand.

5

Der [X.] hat hierzu ausgeführt:

„Bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen - wie sie auch hier, insbesondere durch den tiefen Schnitt im Gesicht, gegeben sind - liegt es nahe, dass der Täter mit dem Eintritt des Todes seines Opfers rechnet. Indem er gleichwohl sein gefährliches Handeln beginnt oder fortsetzt, nimmt er einen solchen Erfolg billigend in Kauf (st. Rspr.; vgl. [X.], Urteil vom 1. Dezember 2011 - 5 [X.] -, Rdnr. 10 m. zahlreichen [X.]). Deshalb ist in derartigen Fällen ein Schluss von der objektiven Gefährlichkeit der Handlungen des [X.] auf bedingten Tötungsvorsatz möglich und regelmäßig ein Vertrauen des [X.] auf das Ausbleiben des tödlichen Erfolges zu verneinen, wenn der von ihm vorgestellte Ablauf des Geschehens einem tödlichen Ausgang so nahekommt, dass nur noch ein glücklicher Zufall diesen verhindern kann (st. Rspr.; vgl. [X.], [X.], 629 [630]). Die Brutalität der Tathandlung und die Augenfälligkeit der hiermit verbundenen Lebensgefahr machten hier das [X.] kognitiv leicht erfassbar.“

6

Dem schließt sich der Senat an.

7

3. Die Sache bedarf daher insoweit neuer Verhandlung und Entscheidung. Die von dem Rechtsfehler nicht betroffenen Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen haben Bestand. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, ergänzende Feststellungen zu treffen, soweit diese den bisherigen nicht widersprechen. Es wird gegebenenfalls die Voraussetzungen eines strafbefreienden Rücktritts zu prüfen haben.

[X.]    

        

König    

        

Feilcke

        

Wenske    

        

von Schmettau    

        

Meta

6 StR 643/21

01.06.2022

Bundesgerichtshof 6. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend BGH, 18. Mai 2022, Az: 6 StR 643/21, Beschluss

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 01.06.2022, Az. 6 StR 643/21 (REWIS RS 2022, 2679)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 2679

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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