Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2018, Az. 3 StR 400/17

3. Strafsenat | REWIS RS 2018, 14198

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[X.]:[X.]:[X.]:2018:080218B3STR400.17.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
3
StR 400/17

vom
8. Februar
2018

Nachschlagewerk:
ja
[X.]St:
ja
Veröffentlichung:
ja

[X.] §
100i Abs.
1 Nr.
2

Rechtsgrundlage
für das Versenden sogenannter "stiller [X.]" durch die [X.] ist §
100i Abs.
1 Nr.
2 [X.].

[X.], Beschluss vom 8. Februar 2018 -
3 StR 400/17 -
KG Berlin

in der Strafsache
gegen

wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung

-
2
-
Der 3.
Strafsenat des [X.] hat auf Antrag des Generalbundes-anwalts und nach Anhörung des Beschwerdeführers am 8.
Februar 2018 ein-stimmig beschlossen:

Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Kammer-gerichts vom 17.
März 2017 wird als unbegründet verworfen, da die Nachprüfung des Urteils auf Grund der Revisionsrechtferti-gung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten erge-ben hat (§
349 Abs.
2 [X.]).
Der Beschwerdeführer hat die Kosten des Rechtsmittels zu tra-gen.

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ([X.]) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Hiergegen wendet sich der [X.] mit seiner Revision, mit der er das Bestehen eines Verfahrenshinder-nisses geltend
macht und die er auf die Rüge der Verletzung materiellen Rechts sowie auf Verfahrensbeanstandungen stützt. Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet im Sinne des §
349 Abs.
2 [X.].
1
-
3
-
I.
Ein Verfahrenshindernis besteht nicht. Die gemäß §
129b Abs.
1 Satz
3 StGB erteilte Ermächtigung zur Verfolgung von [X.]-Führungskadern bis hin zur [X.] der [X.] ist wirksam. Anhaltspunkte für eine
willkürliche Erteilung der Ermächtigung -
worauf sich eine gerichtliche [X.] allenfalls erstrecken könnte
-
bestehen nicht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 6.
Mai
2014 -
3
StR
265/13, [X.], 274 und 3
StR
407/13, juris Rn.
6). Die Vorschrift des
§
129b Abs.
1 Satz
3 StGB ist -
auch aus Sicht des Bundes-verfassungsgerichts
-
nicht verfassungswidrig. Die in den genannten Verfahren erhobenen Verfassungsbeschwerden hat das [X.] mit Beschlüssen vom 15.
Oktober
2014 -
2
BvR
2389/14
-
und vom 19.
Dezem-ber
2014 -
2
BvR
2730/14
-
nicht zur Entscheidung angenommen.
II.
1.
Die erhobenen Verfahrensrügen dringen im Wesentlichen aus den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen nicht durch. Der eingehenderen Erörterung bedarf lediglich die Rüge der Verletzung der §§
100a, 100b
aF, §
261 [X.] durch Verwertung von mittels sogenannter "stil-ler [X.]" erlangter Standortdaten (II.4. der Revisionsbegründung), mit der gel-tend gemacht wird, dass eine Eingriffsermächtigung fehle. Der Verfahrensbe-anstandung bleibt im Ergebnis der Erfolg versagt. Rechtsgrundlage für das Ver-senden stiller [X.] durch die Ermittlungsbehörden ist §
100i Abs.
1 Nr.
2 [X.]; zur Erhebung der dadurch erzeugten Daten ermächtigt §
100g Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, Satz
3 [X.] i.V.m. §
96 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 und 5 [X.] bzw. §
100g Abs.
2 [X.] i.V.m. §
113b Abs.
4 [X.]. Im Einzelnen:
2
3
-
4
-
a)
Bei einer stillen [X.] (auch "stealth ping" genannt) wird eine spezielle [X.] ([X.]) an eine Mobilfunknummer gesandt, die zwar eine Verbin-dung mit dem angewählten Mobiltelefon erzeugt, jedoch von dessen Nutzer nicht bemerkt werden kann, da sie im [X.] nicht angezeigt wird. Der Empfang der [X.] bewirkt -
wie eine gewöhnliche Telefonverbindung zu einem Mobilfunkgerät
-
eine Rückmeldung des Mobiltelefons bei der Funkzelle, in der es eingebucht ist, wodurch bei dem jeweiligen
Netzbetreiber ein Ver-kehrsdatensatz erzeugt wird, der auch die Angabe der benutzten Funkzelle [X.]. Nach einer Abfrage der Daten bei dem Netzbetreiber kann -
abhängig von der Größe der Funkzelle
-
der ungefähre Standort des Mobiltelefons im Zeitpunkt des Empfangs der stillen [X.] bestimmt werden. Voraussetzung [X.] ist, dass das angewählte Mobiltelefon eingeschaltet und empfangsbereit ist ("Standby-Modus"). Im betriebsbereiten Standby-Modus erzeugt das Mobiltele-fon in periodischen Abständen ähnliche Daten: Die Netzbetreiber erfassen [X.] die sog. "[X.]", in der ein Mobiltelefon eingebucht ist, welche [X.] aus einer variablen Anzahl von Funkzellen besteht. In wiederkehrenden Abständen von einigen Stunden meldet das Mobiltelefon dem Netzbetreiber, in welcher [X.] es gerade eingebucht ist. Darüber hinaus wird sofort [X.], wenn das Mobiltelefon in eine Funkzelle einer anderen [X.] wechselt. Ein Wechsel zwischen zwei Funkzellen, die sich in derselben [X.] befinden, wird hingegen nicht mitgeteilt (vgl. BT-Drucks. 18/2695, S.
5
f.; Roggan, [X.], S.
153, 157
f.).
b)
Der Einsatz stiller [X.] und die Erhebung der so generierten Stand-ortdaten kann entgegen der vom [X.] vertretenen Ansicht nicht auf §
100a [X.] i.V.m. den Ermittlungsgeneralklauseln der §
161 Abs.
1 Satz
1, §
163 Abs.
1 [X.] gestützt werden. Die Erhebung mittels stiller [X.] erzeugter Standortdaten wird schon deshalb nicht von §
100a [X.] erfasst, 4
5
-
5
-
weil sie nicht im Rahmen von Telekommunikation anfallen. Zwar schützt das Fernmeldegeheimnis des Art.
10 [X.] nicht nur die Vertraulichkeit des Kommu-nikationsinhalts, sondern auch der näheren Umstände des Kommunikations-vorgangs ([X.], Urteil vom 2.
März
2010 -
1
BvR
256/08, [X.]E 125,
260, 309
f.), wozu als Verkehrsdaten auch die Standortdaten während der Kommunikation zu zählen sind. Als Kommunikation in diesem Sinne ist die un-körperliche Übermittlung von Informationen an individuelle Empfänger mittels Fernmeldetechnik gleich welcher Art zu verstehen ([X.], Beschluss vom 22.
August
2006 -
2
BvR
1345/03, [X.], 351, 353 mwN). Bei dem [X.] stiller [X.] fehlt es jedoch an einem menschlich veranlassten [X.], der sich auf zu übermittelnde Inhalte bezieht. Es wird lediglich ein Datenaustausch zwischen technischen Geräten verursacht, der keinen Rückschluss auf Kommunikationsbeziehungen oder -inhalte erlaubt.
Zudem erfasst §
100a [X.] seinem Wortlaut nach nur die Überwachung und Aufzeichnung der Telekommunikation, also die Auskunft über vorhandene Daten. Das Erzeugen solcher Daten, das eine aktive Einflussnahme auf den vorhandenen Datenbestand darstellt, geht jedoch darüber hinaus und bedarf daher einer eigenen Ermächtigungsgrundlage (insoweit überzeugend [X.]/Singelnstein, [X.], 62, 63; [X.], [X.], 26.
Aufl., §
100a Rn.
70). Diese kann nicht in den Ermittlungsgeneralklauseln der §
161 Abs.
1 Satz
1, §
163 Abs.
1 [X.] gesehen werden, weil der Einsatz stiller [X.] und die sich daran anschließende Abfrage der so erzeugten
Standortdaten das Er-stellen eines -
wenn auch abhängig von der Größe der Funkzellen recht gro-ben
-
Bewegungsprofils ermöglichen und das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art.
2 Abs.
1 i.V.m. Art.
1 Abs.
1 [X.]) in erheblicher Weise berühren.
6
-
6
-
c)
Soweit als Rechtsgrundlage für das Versenden stiller [X.] §
100h Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.]
erwogen wird ([X.] [X.]/[X.], §
100a Rn.
233; SSW-[X.]/[X.], 3.

Aufl., §
100h Rn.
6; SK-[X.]/[X.]/[X.], 5.
Aufl., §
100a Rn.
21 und §
100g Rn.
29), vermag auch dies letztlich nicht zu überzeu-gen.
aa)
Zwar dürfen nach dieser Vorschrift auch ohne Wissen des Betroffe-nen außerhalb von Wohnungen sonstige besondere für [X.] bestimmte technische Mittel verwendet werden, wenn die Erforschung des
Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes eines Beschuldigten auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre und Gegen-stand der Untersuchung eine Straftat von erheblicher Bedeutung ist. In [X.] zu §
100h Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 [X.] sind unter den "sonstigen techni-schen Mitteln" i.S.d. §
100h Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.] solche zu verstehen, die weder der Herstellung von Bildaufzeichnungen noch der Aufzeichnung des nichtöffentlich gesprochenen Wortes innerhalb (§
100c [X.]) oder
außerhalb (§
100f [X.]) von Wohnungen dienen (vgl. [X.], Urteil vom 24.
Januar
2001
-
3
StR
324/00, [X.]St
46, 266, 271
f.; [X.], Urteil vom 12.
April
2005
-
2
BvR
581/01, [X.]E
112, 304, 317). Dabei bezieht sich die Bestimmung eines technischen Mittels zu [X.]n auf seine konkrete Verwen-dung im Strafverfahren. Es ist unerheblich, mit welcher Zweckbestimmung es ursprünglich konzipiert und auf den Markt gebracht wurde (MüKo[X.]/[X.], §
100h Rn.
6). Diese Voraussetzungen erfüllt das technische Mittel der stillen [X.].
bb)
Jedoch dürfen die nach dieser Vorschrift zulässigen technischen Mit-tel nur außerhalb von Wohnungen verwendet werden. Die [X.] haben jedoch weder Kenntnis davon noch Einfluss darauf, wo sich 7
8
9
-
7
-
ein Mobiltelefon im Zeitpunkt des Empfangs einer stillen [X.] befindet. Zwar wird als maßgeblich für die Zuordnung einer Maßnahme als außerhalb oder innerhalb einer Wohnung nicht der Standort oder die Wirkung des technischen Mittels, sondern die Lage der zu erhebenden Daten angesehen ([X.], [X.] vom 14.
März
1997 -
1
BGs
65/97, NJW 1997, 2189
f.; MüKo[X.]/
[X.], §
100h Rn.
8). Auch der Schutzbereich des Art.
13 [X.] soll von einem Eingriff dann nicht betroffen sein, wenn dieser unabhängig vom Standort [X.] und nicht auf die Wahrnehmung von Vorgängen gerichtet ist, die sich [X.] der privaten räumlichen Sphäre zutragen. Denn Art.
13 [X.] vermittelt dem Einzelnen keinen generellen, von den [X.] unabhängigen Schutz gegen Eingriffe, deren spezifische Gefährdung durch dessen raumbezogenen Schutzbereich ohnehin nicht abgewendet werden kann ([X.], Urteil vom 27.
Februar
2008 -
1
BvR
370/07, [X.]E 120, 274, 309
f. zur Online-Durch-suchung).
cc)
§
100h Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.] könnte daher als gesetzliche Er-mächtigungsgrundlage für das Versenden stiller [X.] durchaus in Betracht [X.] werden. Mit §
100i Abs.
1 Nr.
2 [X.] gibt es aber
eine Eingriffsnorm, die die Ermittlung des Standorts eines Mobiltelefons durch Einsatz technischer Mit-tel explizit
regelt, auch die Versendung stiller [X.] umfasst (siehe
sogleich
d)) und daher insoweit als lex specialis zu §
100h Abs.
1 Satz
1 Nr.
2 [X.] anzu-sehen ist (MüKo[X.]/[X.], §
100i Rn.
17).
d)
[X.] für den Einsatz stiller [X.] ergibt sich aus §
100i Abs.
1 Nr.
2 [X.]. Diese Vorschrift sieht vor, dass bei einem durch bestimmte Tatsachen begründeten Verdacht der dort näher bezeichneten Straftaten durch technische Mittel der Standort eines Mobilfunkendgerätes ermittelt werden darf, 10
11
-
8
-
soweit es
für die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufent-halts des Beschuldigten erforderlich ist.
aa)
Zwar hatte der Gesetzgeber bei der Einführung dieser Vorschrift durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6.
August
2002 (BGBl.
I S.
3018) in erster Linie den sogenannten "[X.]" im Blick
(BT-Drucks. 14/9088 S.
7). Nach dem Wortlaut der Norm hat er deren An-wendungsbereich aber gerade nicht auf diesen beschränkt, sondern durch die Wahl des Begriffs "technische Mittel" erkennbar dem technischen Fortschritt Rechnung tragen und die Anwendbarkeit der Vorschrift auch für weitere kri-minaltechnische Neuerungen offenhalten
wollen. Dies ist verfassungsrechtlich zulässig und verletzt insbesondere nicht die aus dem Rechtsstaatsprinzip
folgenden Anforderungen an Tatbestandsbestimmtheit und Normenklarheit,
die für Vorschriften des Strafverfahrensrechts gelten (vgl. [X.], Urteil vom 12.
April
2005 -
2
BvR 581/01, [X.]E
112, 304, 315
f.). Auch der konkrete Anwendungsbereich der Norm ist durch den benannten Zweck des technischen Mittels zur Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkgeräts hinreichend be-stimmt.
bb)
Die Gesetzgebungshistorie bestätigt die Zulässigkeit der Subsumtion der stillen [X.] unter diese Vorschrift. Die stille [X.] zur Ermittlung des unge-fähren Standorts eines Mobilfunkgeräts wird meist observationsunterstützend eingesetzt. Nachdem §
100i Abs.
1 Nr.
2 [X.] in seiner ursprünglichen [X.] die Ermittlung des Standorts eines Mobilfunkendgeräts nur zur vorläufigen
Festnahme oder Ergreifung des [X.] auf Grund eines Haft-
oder Unterbrin-gungsbefehls zuließ, hat der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaß-nahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/[X.] vom 21.
Dezem-12
13
-
9
-
ber
2007 (BGBl.
I S.
3198) diese Einschränkung gestrichen. Hierdurch wollte er ausdrücklich ermöglichen, dass technische Mittel im Sinne dieser Vorschrift auch zur Unterstützung von Observationsmaßnahmen oder zur Vorbereitung einer Verkehrsdatenerhebung nach §
100g [X.] eingesetzt werden können (BT-Drucks.
16/5846, S.
56).
cc)
Die so generierten Daten können von den Strafverfolgungsbehörden nach §
100g Abs.
1 Satz
1 Nr.
1, Satz
3 [X.] i.V.m. §
96 Abs.
1 Satz
1 Nr.
1 und 5 [X.] bzw. §
100g Abs.
2 [X.] i.V.m. §
113b Abs.
4 [X.] erhoben wer-den. Die Regelungen zur Umsetzung einer entsprechenden Abfrage hat die Bundesregierung mit der Verordnung zur Änderung der Telekommunikations-überwachungsverordnung vom 14.
Juni 2017 (BGBl.
I S.
1657 und S.
2316) in §
7 Abs.
1 Satz
1 Nr.
7, §
32 [X.] geschaffen.
2.
Im Übrigen ist ergänzend lediglich Folgendes anzumerken:
a)
[X.], das [X.] hätte zur Überprüfung der Verwertbar-keit verfahrensfremder Telekommunikationsüberwachungserkenntnisse die voll-ständigen Akten der Drittverfahren beiziehen müssen (II.1. der Revisionsbe-gründung), ist nicht zulässig erhoben (§
344 Abs.
2 Satz
2 [X.]). [X.] die Re-vision eine unterlassene Beiziehung von Akten, handelt es sich der Sache nach um eine Aufklärungsrüge gemäß §
244 Abs.
2 [X.] (vgl. [X.], Beschlüsse vom 11.
November
2004 -
5
StR
299/03, [X.]St
49, 317, 327; vom 17.
Ju-li
2008 -
3
StR
250/08, [X.], 51
f.). Der erforderliche Tatsachenvortrag muss sich daher auch darauf erstrecken, aufgrund
welcher Umstände sich das Tatgericht zur Beiziehung der verfahrensfremden Akten hätte gedrängt sehen müssen.
14
15
16
-
10
-
In Bezug auf die Überprüfung der Verwertbarkeit von Erkenntnissen aus Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen gilt, dass dem eine solche Maßnahme anordnenden [X.] bei der Prüfung nach §
100a [X.], ob ein auf bestimmte Tatsachen gestützter Tatverdacht gegeben ist und der [X.] nicht entgegensteht, ein Beurteilungsspielraum zusteht. Die Nachprüfung durch den Tatrichter -
und durch das Revisionsgericht
-, ob die Anordnung rechtmäßig war und die Ergebnisse der Überwachung verwertbar sind, ist daher auf den Maßstab der Vertretbarkeit beschränkt ([X.], Urteil vom 16.
Februar
1995 -
4
StR
729/94, [X.]St
41, 30, 33
f.). Ist die Darstellung der Verdachts-
und Beweislage im ermittlungsrichterlichen Beschluss plausibel, kann sich der erkennende [X.] in der Regel hierauf verlassen. Fehlt es [X.] an einer ausreichenden Begründung oder wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme konkret in Zweifel gezogen, hat der erkennende [X.] die Ver-dachts-
und Beweislage, die im Zeitpunkt der Anordnung gegeben war, anhand der Akten zu rekonstruieren und auf dieser Grundlage die Verwertbarkeit zu untersuchen. War die Überwachung der Telekommunikation in einem anderen Verfahren angeordnet worden, hat er hierzu in der Regel die Akten dieses Ver-fahrens beizuziehen ([X.], Beschluss vom 1.
August 2002 -
3
StR
122/02, [X.]St
47, 362, 367). Um dem Senat die Prüfung zu ermöglichen, ob die jewei-ligen Anordnungen der Überwachungsmaßnahmen ausreichend und plausibel begründet waren und das [X.] sich mangels konkreter Einwän-de
gegen die Rechtmäßigkeit der [X.] auf deren Begrün-dungen verlassen durfte, hätte der [X.] jedenfalls alle in den
hiesi-gen Verfahrensakten enthaltenen ermittlungsrichterlichen Beschlüsse mitteilen müssen. Daran fehlt es hier, weil die gegen den gesondert Verfolgten A.

erlassenen Beschlüsse 6
BGs
83/14 vom 8.
April
2014 ([X.]. [X.] Haftbefehl Bl.
113), 6
BGs
260/14 vom 30.
Dezember
2014 ([X.]. [X.] Haftbefehl Bl.
122), 6
BGs
80/14 vom 8.
April 2014 ([X.]. [X.] Haftbefehl Bl.
124), 6
BGs
141/14 17
-
11
-
vom 7.
Juli
2014 ([X.]. [X.] Haftbefehl Bl.
127), 6
BGs
202/14 vom 7.
Okto-ber
2014 ([X.]. [X.] Haftbefehl Bl.
130) und 6
BGs
259/14 vom 30.
Dezem-ber
2014 ([X.]. [X.] Haftbefehl Bl.
133) nicht vorgelegt werden. Auch der er-mittlungsrichterliche Beschluss vom 16.
Juli 2015 -
6
BGs
251/15
-
aus dem gegen

K.

geführten Verfahren ist Bestandteil der hiesigen Verfah-
rensakten
([X.]. Kontakte D.

-
K.

Bl.
83), wird jedoch von der Revision
nicht mitgeteilt. Und schließlich legt der Beschwerdeführer nicht dar, welche Teile aus verfahrensfremden Akten Bestandteil der hiesigen Verfahrensakten geworden sind. Damit ist dem Senat die Prüfung verwehrt, ob das Kammerge-richt bereits aufgrund der entsprechenden Akteninhalte die Rechtmäßigkeit der verfahrensfremden ermittlungsrichterlichen Anordnungen kontrollieren konnte oder ob es darüber hinaus die vollständigen Akten hätte beiziehen müssen.
b)
[X.] der Verletzung des §
250 Satz
2 [X.] durch Verlesung poli-zeilicher Observationsberichte und weiterer polizeilicher Vermerke und Berichte (II.3. der Revisionsbegründung) ist neben den in der Antragsschrift des [X.] genannten Gründen im Hinblick auf den im Wege des Selbst-leseverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführten polizeilichen Schlussbe-richt auch deshalb unbegründet, weil dessen Verfasser in der Hauptverhand-lung als Zeuge auch zum Inhalt dieses Berichts vernommen wurde. Damit han-delte es sich um eine zulässige vernehmungsergänzende Verlesung (vgl. [X.], Beschluss vom 25.
September
2007
-
1
StR
350/07, [X.], 48). Da der in §
250 Satz
2 [X.] normierte Vorrang des Personalbeweises den grund-sätzlich zulässigen ([X.], Urteil vom 16.
Februar
1965 -
1
StR
4/65, [X.]St
20, 160, 161
f.) [X.] nicht weiter als für seine Zielsetzung einer besse-ren Sachaufklärung erforderlich einschränkt, ist die eigenständige Beweis-verwendung des Inhalts einer verlesenen
Urkunde auch dann zulässig, wenn sie beispielsweise Lücken der Zeugenaussage schließt (vgl. im Einzelnen 18
-
12
-
[X.]/[X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
250 Rn.
17
ff.). Eine solche Urkunde kann dabei auch im Wege des [X.] gemäß §
249 Abs.
2 [X.] zum Gegenstand der Hauptverhandlung gemacht werden, wenn es nicht aus-nahmsweise darauf ankommt, einen in ihr enthaltenen bestimmten Wortlaut unmittelbar mit den Verfahrensbeteiligten zu erörtern ([X.]/Mosbacher, [X.], 26.
Aufl., §
249 Rn.
46, 53; aA [X.]/[X.]/[X.], [X.], 26.
Aufl., §
250 Rn.
17 aE).
c)
Die Unzulässigkeit der Rüge der vorschriftswidrigen Besetzung des
Gerichts (§
338 Nr.
1, §
222b [X.]) ergibt sich entgegen der Ansicht des [X.] nicht schon daraus, dass die Revision das Protokoll des [X.] nicht vorgelegt und damit belegt hat, dass der [X.] nach §
222b [X.] vor der Vernehmung des Angeklagten zur Sache erhoben wurde. Denn der [X.] erfüllt seine die Zulässigkeit einer Verfahrensrüge bewirkende Pflicht aus §
344 Abs.
2 Satz
2 [X.] bereits mit insoweit vollständigem Vortrag aller entscheidungserheblichen Tatsachen. Ob die von der Revision behaupteten Verfahrenstatsachen als erwiesen ange-sehen werden können, ist jedoch eine Frage des Beweises, deren Beantwor-tung dem Revisionsgericht obliegt (vgl. KK-Gericke, [X.], 7.
Aufl., §
344 Rn.
40 mwN).
Die Unzulässigkeit der Rüge folgt indes daraus, dass die Revision den die Maßnahmen bei Überlastung des 1.
Strafsenats regelnden Teil des [X.] des [X.]s für das Jahr 2016 ([X.]) nicht mitgeteilt hat und dieser für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der unterjährigen Übertragung von Zuständigkeiten des 1.
Strafsenats auf den 2.
Strafsenat von Bedeutung war. Im Übrigen wäre die Rüge aus den vom [X.] dargelegten Erwägungen auch unbegründet.
19
20
-
13
-
III.
Die aufgrund der Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils hat keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben.
Becker
Gericke
Spaniol
Ri[X.] Dr.
Tiemann ist erkrankt und daher gehindert zu unter-schreiben.
Becker
Hoch

21

Meta

3 StR 400/17

08.02.2018

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2018, Az. 3 StR 400/17 (REWIS RS 2018, 14198)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2018, 14198

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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2 BGs 42/00 (Bundesgerichtshof)


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