Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.05.2017, Az. VI R 34/15

6. Senat | REWIS RS 2017, 10771

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Gegenstand

Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach der ICSI-Methode als außergewöhnliche Belastungen


Leitsatz

1. Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung können nicht als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 EStG abgezogen werden, wenn die Behandlung nach inländischen Maßstäben nicht mit dem ESchG oder anderen Gesetzen vereinbar ist.

2. Ein Verstoß gegen § 1 Abs. 1 Nr. 5 ESchG liegt nicht vor, wenn zwar mehr als drei Eizellen befruchtet werden, aber lediglich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen zum Zwecke der Übertragung entstehen sollen und der Behandlung eine vorherige sorgfältige individuelle Prognose zugrunde liegt (sog. deutscher Mittelweg).

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 28. April 2015  8 K 1792/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.] zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

I.

1

Streitig ist die Abziehbarkeit von Aufwendungen für künstliche Befruchtungen als außergewöhnliche Belastungen nach § 33 des [[X.].]inkommensteuergesetzes ([[X.].]StG).

2

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) leidet an einer sog. Subfertilität aufgrund einer Spermienanomalie. Im Streitjahr (2010) wurden bei der [[X.].]hefrau ([[X.].]) des [[X.].], mit der er damals noch nicht verheiratet war, im Wege der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) mehrere Versuche unternommen, eine Schwangerschaft herbeizuführen. Auf diese Weise wurden zunächst vier, dann sieben [[X.].]izellen befruchtet. Nach Durchführung der sog. Blastozystenkultur (extrakorporale Kultur während der ersten vier bis sechs Tage nach [[X.].] der ICSI) wurden [[X.].] die jeweils verbliebenen zwei [[X.].]mbryonen eingesetzt. Die Behandlung fand in einer Klinik in [X.] ([X.]) statt.

3

In seiner [[X.].]inkommensteuererklärung für 2010 machte der Kläger für die Behandlung angefallene Kosten in Höhe von 17.261,62 € als außergewöhnliche Belastungen geltend. Bei den Aufwendungen handelte es sich um an die spätere [[X.].]hefrau des [[X.].] gerichtete Rechnungen der "IVF ... " sowie auf diese ausgestellte Apothekenrezepte.

4

Im [[X.].]inkommensteuerbescheid für 2010 lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) die Berücksichtigung der Aufwendungen ab. Gegen den Bescheid legte der Kläger [[X.].]inspruch ein.

5

Mit Schreiben vom 27. November 2012 teilte das [X.] dem Kläger mit, gemäß dem Urteil des [X.] ([X.]) vom 10. Mai 2007 III R 47/05 ([X.][[X.].] 218, 141, [X.], 871) könnten Kosten für eine In-vitro-Fertilisation außergewöhnliche Belastungen sein, wenn die Maßnahmen in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen vorgenommen worden seien. [[X.].]s werde daher eine Bescheinigung der Klinik oder der Krankenkasse benötigt, dass die durchgeführten Maßnahmen mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnungen nach [X.] Recht übereinstimmten. Dies beziehe sich insbesondere auf das [X.] [[X.].]mbryonenschutzgesetz ([[X.].]SchG).

6

Daraufhin übersandte der Kläger dem [X.] eine Stellungnahme der Klinik. Darin war u.a. ausgeführt, es könne nicht bestätigt werden, dass der Wortlaut des [X.]n [[X.].]SchG im Sinne der "[X.]" eingehalten worden sei.

7

Mit [[X.].]inspruchsentscheidung vom 29. April 2013 wies das [X.] den [[X.].]inspruch des [[X.].] zurück. Die Klage hatte keinen [[X.].]rfolg.

8

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

9

[[X.].]r beantragt,
das Urteil des Finanzgerichts (FG) [X.] vom 28. April 2015  8 K 1792/13 aufzuheben und den [[X.].]inkommensteuerbescheid 2010 vom 22. Juli 2011 i.d.F. der [[X.].]inspruchsentscheidung vom 29. April 2013 dahingehend zu ändern, dass die mit der reproduktionsmedizinischen Behandlung im Zusammenhang stehenden Aufwendungen in Höhe von 17.261,63 € als außergewöhnliche Belastungen anerkannt werden.

Das [X.] beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--).

1. Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen [X.] erwachsen. Aufwendungen entstehen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihnen aus rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann, soweit die Aufwendungen den Umständen nach notwendig sind und einen angemessenen Betrag nicht übersteigen (§ 33 Abs. 2 Satz 1 EStG).

a) In ständiger Rechtsprechung geht der [X.] davon aus, dass Krankheitskosten --ohne Rücksicht auf die Art und die Ursache der [X.] dem Steuerpflichtigen aus tatsächlichen Gründen zwangsläufig erwachsen. Allerdings werden nur solche Aufwendungen als Krankheitskosten berücksichtigt, die zum Zwecke der Heilung einer Krankheit oder mit dem Ziel erbracht werden, die Krankheit erträglich zu machen ([X.]-Urteile vom 17. Juli 1981 VI R 77/78, [X.]E 133, 545, [X.] 1981, 711; vom 13. Februar 1987 III R 208/81, [X.]E 149, 222, [X.] 1987, 427; vom 20. März 1987 III R 150/86, [X.]E 149, 539, [X.] 1987, 596; vom 2. September 2010 VI R 11/09, [X.]E 231, 69, [X.] 2011, 119).

b) Im Hinblick auf die für den Abzug nach § 33 EStG erforderliche Zwangsläufigkeit wird nicht danach unterschieden, ob ärztliche Behandlungsmaßnahmen oder medizinisch erforderliche Hilfsmittel der Heilung dienen oder lediglich einen körperlichen Mangel ausgleichen sollen. Deshalb werden regelmäßig auch Aufwendungen als außergewöhnliche Belastung berücksichtigt, obwohl der körperliche Mangel durch die betreffende Maßnahme nicht behoben, sondern nur "umgangen" oder kompensiert wird ([X.]surteil vom 16. Dezember 2010 VI R 43/10, [X.]E 232, 179, [X.] 2011, 414). Dementsprechend erkennt der [X.] in ständiger Rechtsprechung Aufwendungen für die künstliche Befruchtung als Behandlung bei Sterilität an, wenn diese in Übereinstimmung mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte vorgenommen wird ([X.]-Urteile vom 28. Juli 2005 III R 30/03, [X.]E 210, 355, [X.] 2006, 495; in [X.]E 218, 141, [X.] 2007, 871; vom 21. Februar 2008 III R 30/07, [X.]/NV 2008, 1309; [X.]surteil in [X.]E 232, 179, [X.] 2011, 414).

c) Voraussetzung ist allerdings weiter, dass die den Aufwendungen zugrunde liegende Behandlung mit der innerstaatlichen Rechtsordnung im Einklang steht. Denn eine nach nationalem Recht verbotene Behandlung kann keinen zwangsläufigen Aufwand i.S. des § 33 Abs. 1 EStG begründen. Vielmehr ist von den Steuerpflichtigen zu erwarten, dass sie gesetzliche Verbote beachten. Aufwendungen für nach objektiv-rechtlichen Maßstäben verbotene Behandlungsmaßnahmen sind selbst dann nicht zwangsläufig, wenn sie nicht straf- oder bußgeldbewehrt sind (Urteil des [X.] vom 18. November 2014 B 1 [X.] 19/13 R, [X.], 212, Rz 11 zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung) oder wegen eines Strafausschließungsgrundes nicht geahndet werden ([X.] Düsseldorf, Urteil vom 9. Mai 2003  18 K 7931/00 E, Entscheidungen der Finanzgerichte --E[X.]-- 2003, 1548; [X.] München, Beschluss vom 21. Februar 2000  16 V 5568/99, E[X.] 2000, 496). Als außergewöhnliche Belastungen sind daher Kosten für eine künstliche Befruchtung nur zu berücksichtigen, wenn die aufwandsbegründende Behandlung insbesondere nicht gegen das [X.] verstößt und --wie bereits unter b) ausgeführt--mit den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte im Einklang steht.

2. Das [X.] hat seiner Entscheidung zwar diesen [X.] zugrunde gelegt. Es hat aber zu Unrecht angenommen, § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] verbiete, mehr als drei Eizellen zu befruchten, ferner widerspreche die streitige [X.] den Richtlinien der Berufsordnungen für Ärzte. Das Urteil des [X.] ist daher aufzuheben. Die Sache ist jedoch nicht spruchreif. Denn anhand der Feststellungen des [X.] lässt sich nicht abschließend beurteilen, ob die vorgenommenen Behandlungen insbesondere den Vorgaben des [X.] entsprechen.

a) Das [X.] hat allerdings zutreffend die erhebliche Einschränkung der Fertilität des [X.] als Krankheit und die [X.] grundsätzlich als die erforderliche medizinische Heilbehandlung beurteilt, um eine Schwangerschaft herbeizuführen (Urteil des [X.] --BGH-- vom 21. September 2005 IV ZR 113/04, [X.], 122, Rz 13).

b) Entgegen der Auffassung des [X.] verbieten die Berufsordnungen der Ärzte jedoch bei einer [X.] nicht, mehr als drei Eizellen zu befruchten.

Die von den [X.] erlassenen Berufsordnungen legen fest, dass bei speziellen medizinischen Maßnahmen oder Verfahren, die ethische Probleme aufwerfen und zu denen die [X.] und zur Ausführung als Bestandteil der Berufsordnung festgelegt hat, die Ärztinnen und Ärzte diese zu beachten haben. Dies gilt auch für die sog. Richtlinie zur assistierten Reproduktion. Die [X.] haben bis auf den [X.] sowie die Länder [X.] und [X.] auf der Grundlage der (Muster-)Richtlinie zur Durchführung der assistierten Reproduktion der [X.] --Novelle 2006-- ([X.]) --Deutsches Ärzteblatt 2006, 1392-- eigene Richtlinien zur assistierten Reproduktion erlassen. Zusätzlich enthält die [X.] einen Kommentar, der nicht verbindlich ist und den lediglich einige [X.] übernommen haben.

Nach 5.1 der in die Richtlinien der [X.] übernommenen [X.] ist Ziel der Sterilitätstherapie die Herbeiführung einer Einlingsschwangerschaft, da diese das geringste Risiko für Mutter und Kind darstellt. Daher sei es bei Patientinnen unter 38 Jahren zu empfehlen, im ersten oder zweiten [X.]-Versuch nur zwei Embryonen zu transferieren. Nach 3.1.2 der [X.] dürfen maximal drei Embryonen einzeitig auf die Mutter übertragen werden. Nach den Feststellungen des [X.] wurden der späteren Ehefrau des [X.] jeweils zwei Embryonen eingesetzt. Zwar ist in der Kommentierung zu 3.1.2 der [X.] u.a. ausgeführt, dass § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] es verbiete, mehr Eizellen zu befruchten, als einer Frau während eines Zyklus übertragen werden sollen, weshalb es nicht zulässig sei, mehr als drei Eizellen zu befruchten. Diese Ausführungen sind jedoch nicht verbindlich und in die Richtlinien der [X.] auch nicht übernommen worden. Mithin ist die Schlussfolgerung des [X.], eine Befruchtung von mehr als drei Eizellen stehe nicht mit den Richtlinien der Berufsordnung für Ärzte im Einklang, nicht zutreffend.

c) Auch § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] steht der Befruchtung von mehr als drei Eizellen nicht entgegen. Die Vorschrift erlaubt dem Arzt vielmehr, so viele Eizellen zu befruchten, wie nach seiner Beurteilung unter Berücksichtigung des individuellen Prognoseprofils der Patientin und des Paares erforderlich sind, um einerseits entwicklungsfähige, für den Transfer vorgesehene Embryonen zu erhalten und andererseits höhergradige Mehrlingsschwangerschaften zu verhindern (sog. [X.] Mittelweg).

aa) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 [X.] wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei Embryonen auf eine Frau zu übertragen. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft, wer es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Während § 1 Abs. 1 Nr. 3 [X.] die Entstehung von höhergradigen Mehrlingsschwangerschaften unterbinden will ([X.]/ [X.]/Kaiser, Embryonenschutzgesetz, 2. Aufl., § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rz 6), bezweckt § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.], das Entstehen überzähliger Embryonen sowie eine künstliche Befruchtung "auf Vorrat" zu verhindern (Gesetzentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Gesetzes zum Schutz von Embryonen, BTDrucks 11/5460, S. 9; [X.]/[X.]/Kaiser, a.a.[X.], § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rz 1, 3; [X.], Journal für Reproduktionsmedizin und [X.]ogie --[X.].[X.] 2007, 27, 28).

bb) Der Wortlaut der Vorschrift legt die Zahl der Eizellen, die höchstens befruchtet werden dürfen, nicht fest. Verboten ist vielmehr nur, mehr Eizellen zu befruchten, als "innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen". Da nicht Eizellen, sondern nur Embryonen übertragen werden, legt der Wortlaut des § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] die Auslegung nahe, dass diejenige Anzahl von Eizellen befruchtet werden darf, aus der sich voraussichtlich so viele Embryonen entwickeln werden, wie innerhalb eines Zyklus der Frau übertragen werden dürfen ([X.], Die Strafbarkeit nach dem Embryonenschutzgesetz und [X.], 2017, S. 52; [X.]/[X.], Frauenarzt, 2015, S. 14 f.; [X.], [X.].[X.]. 2007, S. 27 f.). Wäre eine starre Begrenzung auf die Zahl drei nicht nur hinsichtlich der Befruchtung von Eizellen beabsichtigt gewesen, so hätte dies der Gesetzgeber nicht nur in § 1 Abs. 1 Nr. 3 [X.], sondern auch in § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] aufnehmen können. Dies hat er nicht getan, obwohl die [X.] im Gesetzgebungsverfahren einen Änderungsantrag eingebracht hatte, nach dem es unter Strafe gestellt werden sollte, bei einer Frau mehr als drei befruchtungsfähige Eizellen zu gewinnen, zu befruchten und auf sie zu übertragen (Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks 11/8057, S. 14). Die Ablehnung dieses Vorschlags lässt den Schluss zu, dass die Zahl der Eizellen, die innerhalb eines Zyklus befruchtet werden dürfen, gerade nicht ziffernmäßig beschränkt werden sollte, sondern die Regelung nur verhindern soll, dass bewusst mehr entwicklungsfähige Embryonen erzeugt werden, als innerhalb eines Zyklus auf die Frau übertragen werden dürfen. Hierfür spricht überdies, dass der Gesetzgeber im Gesetzgebungsverfahren zum [X.] der Auffassung war, dass nur 80 % der [X.] erfolgreich abgeschlossen werden könnten (BTDrucks 11/5460, S. 9). Er ging demnach selbst davon aus, dass es zur Gewinnung von drei [X.] Embryonen der Befruchtung von mehr als drei Eizellen bedurfte ([X.], a.a.[X.], S. 50 ff.; [X.], [X.].[X.]. 2007, S. 27, 29).

cc) Der Zweck des § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] steht dieser Auslegung nicht entgegen. Die Vorschrift soll --wie ausgeführt-- dem Entstehen "überzähliger" Embryonen entgegenwirken, die nicht innerhalb eines Zyklus auf die Frau übertragen werden können, von der die befruchteten Eizellen stammen; ferner will die Vorschrift eine künstliche Befruchtung "auf Vorrat" verhindern. Die Festlegung auf eine jeweils gleiche Anzahl von Eizellen in § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] einerseits und Embryonen in § 1 Abs. 1 Nr. 3 [X.] andererseits wäre nur sinnvoll, wenn aus jeder Eizelle letztlich auch ein transferierbarer Embryo entstünde (so auch Staatsanwaltschaft [X.], Verfügung vom 24. Juli 2014  124 Js 202366/13, Zeitschrift für [X.] --[X.]-- 2015, 64). Dies ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr reifen altersabhängig durchschnittlich nur 20 % bis 30 % der Eizellen im Vorkernstadium überhaupt zu [X.] heran und nur diese haben überhaupt ein realistisches Potenzial auf die Entstehung einer Schwangerschaft ([X.], [X.] 2016, 9). Legte man § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] dahin aus, dass nur jeweils drei Eizellen befruchtet werden dürften (so [X.]/[X.], Strafrechtliche Nebengesetze, § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] Rz 8), wären die Erfolgschancen im Hinblick auf die Herbeiführung einer Schwangerschaft derartig gering, dass eine erfolgsversprechende Behandlung nicht mehr gewährleistet wäre.

dd) Für die Verwirklichung des Tatbestands des § 1 Abs. 1 Nr. 5 [X.] ("sollen") kommt es damit entscheidend darauf an, welchen Zweck der behandelnde Arzt mit der gewählten Vorgehensweise verfolgt ([X.]/[X.]/Kaiser, a.a.[X.], § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rz 20, 24). Beabsichtigt er das Entstehen von lediglich ein bis zwei entwicklungsfähigen Embryonen zum Zwecke der Übertragung, so widerspricht die Behandlung selbst dann nicht den Vorgaben des [X.], wenn trotz sorgfältiger Prognose und individuell angepasster Vorgehensweise im Einzelfall unbeabsichtigt mehr entwicklungsfähige Embryonen entstehen sollten. Damit ist der sog. [X.] Mittelweg mit den Regelungen des [X.] vereinbar, wenn anhand der individuell maßgeblichen Parameter (z.B. Alter, Gewicht, Vorerkrankungen) aufgrund einer sorgfältigen und individuellen Prognose so viele Eizellen befruchtet werden, dass voraussichtlich ein oder zwei entwicklungsfähige Embryonen entstehen, die dann übertragen werden sollen (gl. A. Staatsanwaltschaft [X.], Verfügung vom 24. Juli 2014  124 Js 202366/13, [X.] 2015, 64; Amtsgericht --AG-- [X.], Urteil vom 30. April 2008  6 [X.] 677/06; [X.], Urteil vom 7. Oktober 2011  3 [X.] 781/10; [X.], Urteil vom 27. April 2012  242 [X.] 10202/11; [X.]/[X.]/Kaiser, a.a.[X.], § 1 Abs. 1 Nr. 5, Rz 8, 23; [X.], a.a.[X.], S. 50 ff.; [X.], [X.].[X.]. 2007, 27, 28, 30, 31, 32; [X.]/[X.], Frauenarzt 2015, 14, 15; [X.], [X.] 2016, 9).

d) Das [X.] hat --von seinem Standpunkt aus zu [X.] bisher nicht geprüft, ob die aufwandsbegründenden Behandlungen dem sog. [X.]n Mittelweg entsprechen. Der [X.] kann dies anhand der Feststellungen der Vorentscheidung nicht entscheiden. Hinsichtlich des ersten Behandlungsversuchs unter Verwendung von vier befruchteten Eizellen bestehen für den [X.] nach vorstehenden Ausführungen grundsätzlich keine Zweifel. Ob dies auch für den [X.] unter Verwendung von sieben Embryonen zutrifft, ist aufgrund einer individuellen Prognose zum Zeitpunkt der Befruchtung der Eizellen zu entscheiden. Insoweit wird das [X.] die erforderlichen Feststellungen im zweiten Rechtsgang mit Hilfe eines Sachverständigengutachtens nachholen (vgl. [X.]surteile vom 6. Februar 2014 VI R 61/12, [X.]E 244, 395, [X.] 2014, 458; vom 26. Juni 2014 VI R 51/13, [X.]E 246, 326, [X.] 2015, 9).

e) Ergibt sich danach, dass die Behandlungen im Einklang mit dem [X.] stehen, steht einem Abzug als außergewöhnliche Belastungen nicht entgegen, dass die für die Behandlung gestellten Rechnungen an die spätere Ehefrau des [X.] gerichtet waren. Die Aufwendungen dienten dazu, eine Fertilitätsstörung des [X.] auszugleichen, und waren als insgesamt auf dieses Krankheitsbild abgestimmte Heilbehandlung darauf gerichtet, die Störung zu überwinden und die Krankheit zu lindern (vgl. [X.] in [X.], 122). Die Behandlung ist insoweit ebenso wie eine heterologe Insemination ([X.]surteil in [X.]E 232, 179, [X.] 2011, 414) als untrennbare Einheit zu sehen. Mithin sind auch die spätere Ehefrau betreffende Behandlungsmaßnahmen Aufwendungen zur Behandlung einer Krankheit des [X.], die dieser als außergewöhnliche Belastungen steuermindernd geltend machen kann, soweit er sie --wie im [X.] getragen hat.

3. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 34/15

17.05.2017

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 28. April 2015, Az: 8 K 1792/13, Urteil

§ 33 Abs 1 EStG 2009, § 1 Abs 1 Nr 3 ESchG, § 1 Abs 1 Nr 5 ESchG, EStG VZ 2010, § 33 Abs 2 EStG 2009

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.05.2017, Az. VI R 34/15 (REWIS RS 2017, 10771)

Papier­fundstellen: NJW 2017, 3022 REWIS RS 2017, 10771

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S 7 KR 242/21

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