Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2012, Az. VI ZR 29/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2012, 9444

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI ZR 29/11
Verkündet am:

7. Februar 2012

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
nein
[X.]R:
ja
[X.] § 823 Ad, § 1090
Wird ein Grundstück, das mit dem Recht belastet ist, dort eine unterirdische [X.] zu betreiben, mit einem Bagger überfahren, kann ein [X.] wegen Verletzung eines sonstigen Rechts im Sinne des §
823 Abs.
1 [X.] in Betracht kommen.

[X.], Urteil
vom 7. Februar 2012 -
VI ZR 29/11 -
OLG Hamm

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
7.
Februar 2012
durch den Vorsitzenden [X.],
die Richter
Zoll, Pauge, [X.] und die Richterin von Pentz
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin
wird das Urteil des 6.
Zivilsenats des [X.] vom 9.
Dezember 2010 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das
Berufungsge-richt zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die Beklagte aus übergegangenem Recht des Ener-gieversorgungsunternehmens E.
AG auf Ersatz der für die Überprüfung einer [X.] entstandenen Kosten in Anspruch.
Die Beklagte führte im Zuge der Baumaßnahme "Kanalstraße West" der Stadt [X.] Rodungsarbeiten auf verschiedenen Waldgrundstücken durch. Diese Grundstücke waren mit dem im
Grundbuch von [X.] eingetragenen Recht der E.
AG belastet, einen 8
m breiten Grundstückstreifen (Schutzstreifen) zum [X.] und Betreiben einer unterirdischen Gasfernleitung zu nutzen. Zugleich war 1
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-

dem Eigentümer die Bebauung des [X.] untersagt. Am 15.
Mai 2007 fuhr ein Mitarbeiter der [X.] mit einem 20
t schweren Kettenbagger über den
Schutzstreifen; dabei rutschte er
von den zum Schutz der Gasleitung ver-legten [X.] ab. Die E.
AG ließ die Gasleitung freilegen und überprü-fen. Es wurde eine innerhalb der Norm liegende Verformung
("Unrundheit")
festgestellt, die keiner Reparatur bedurfte. Eine Unterbrechung der Gaszufuhr war nicht erforderlich.
Die Klage blieb in beiden Vorinstanzen erfolglos. Mit der vom Oberlan-desgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren wei-ter.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts scheitert das Schadensersatz-begehren der Klägerin daran, dass kein deliktsrechtlich
geschütztes Rechtsgut der Klägerin verletzt worden sei. Eine Haftung nach §
7 StVG scheide gemäß §
8 Nr.
1 StVG aus, weil der Bagger
nicht schneller als 20
km/h fahren könne. Abgesehen davon fehle es an der Beschädigung einer Sache. Die Gasleitung selbst sei nicht beschädigt worden. Eine regelwidrige Substanzveränderung sei nicht festgestellt worden. Aus diesem Grund sei auch eine Eigentumsverletzung im Sinne des §
823 Abs.
1 [X.] zu verneinen. Da die Gasleitung weiter habe betrieben werden können, sei ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb der Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht ersichtlich. Die [X.] habe auch das dinglich gesicherte Nutzungsrecht der E.
AG nicht ver-letzt. Dieses Recht umfasse nur das Verlegen und Betreiben der [X.] 3
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und ein Bebauungsverbot. Ein Befahren des Grundstückstreifens sei nicht grundsätzlich untersagt. Das [X.] selbst sei nicht beeinträchtigt [X.], weil die Leitung weiter habe betrieben werden können. Weitergehende Pflichten, eine Gefährdung der Leitung auszuschließen, seien von dem [X.] Recht nicht umfasst. Die Klägerin mache Überprüfungskosten wegen vermuteter Beschädigung der Leitung geltend. Hierauf habe sie keinen [X.], wenn eine Beschädigung tatsächlich nicht eingetreten sei.

II.
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Ein Schadensersatzanspruch der Klägerin aus übergegangenem Recht der E.
AG kann nicht mit der Begründung verneint werden, es fehle an der [X.] eines absoluten Rechts.
1. Es kann dahinstehen, ob die bei der Überprüfung festgestellte [X.] der Gasleitung eine Verletzung des Eigentums der E.
AG an der Gaslei-tung im Sinne des §
823 Abs.
1 [X.] darstellt und ob sie auf die Arbeiten der [X.] zurückzuführen ist.
Ebenso kann offenbleiben, ob bereits der [X.] Verdacht, die Gasleitung könne infolge des Befahrens des Schutz-streifens mit dem Bagger beschädigt worden sein, für die Annahme einer Ei-gentumsverletzung genügt (vgl. dazu [X.]surteile vom 25.
Oktober 1988 -
VI
ZR 344/87, [X.]Z 105, 346, 350; vom 21.
Juni 1977 -
VI
ZR 58/76, [X.], 965, 966; [X.], Urteil vom 11.
Juli 2002 -
I
ZR 36/00, [X.] 2002, 440
f.
zur Sachbeschädigung i.S.d. §
429 HGB in der Fassung vom 1.
Januar 1964; [X.]/[X.], [X.], 13.
Bearb.
1999, §
823
Rn.
[X.]; Münch-Komm[X.]/Wagner, 5.
Aufl., §
823 Rn.
113; [X.], Haftungsrecht des [X.], 4.
Aufl., §
10 Rn.
14).
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-

2. Denn die Beklagte hat jedenfalls das der E.
AG eingeräumte dingliche Recht, die betroffenen Grundstücke in einem 8
m breiten Schutzstreifen zum Verlegen und Betreiben einer Gasfernleitung zu nutzen,
verletzt.
a) Das Berufungsgericht hat im Ansatz zutreffend angenommen, dass beschränkte
dingliche Rechte -
wie das der der [X.]
in Form einer beschränk-ten persönlichen Dienstbarkeit (§
1090 Abs.
1 [X.]) eingeräumte Nutzungs-recht
-
als "sonstiges
Recht" im Sinne des §
823 Abs.
1 [X.] zu qualifizieren und damit deliktsrechtlich geschützt sind
(vgl. [X.]surteile vom 25.
September 1964 -
VI
ZR 140/63, [X.], 1201, 1202; vom 21.
November 2000 -
VI
ZR 231/99, [X.], 648, 649 f.; [X.], Urteil vom 31.
Mai 2007 -
III
ZR 258/06, [X.], 1281; [X.], aaO, Rn.
146; [X.]/[X.], aaO,
Rn.
[X.] jeweils mwN).
b) Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts hat die Beklagte
wi-derrechtlich in die zugunsten der [X.] bestellte Dienstbarkeit eingegriffen.
aa)
Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] setzt ein Schadensersatzanspruch wegen Verletzung beschränkter
dinglicher Rechte einen "grundstücksbezogenen" Eingriff voraus, der sich dahin auswirkt, dass die Verwirklichung des jeweiligen Rechts am Grundstück als solches durch rechtliche oder tatsächliche Maßnahmen beeinträchtigt wird (vgl. [X.]surteile vom 28.
Oktober 1975 -
VI
ZR 24/74, [X.]Z 65, 211, 212; vom 21.
November 2000 -
VI
ZR 231/99, aaO, S.
650).
Ein solcher Eingriff
ist beispielsweise darin gesehen worden, dass ein Grundstück infolge baulicher Maßnahmen ver-schlechtert oder Zubehör entgegen den Regeln einer ordnungsmäßigen Wirt-schaft weggeschafft und hierdurch die Sicherheit auf dem Grundstück
lastender Grundpfandrechte
gefährdet wurde ([X.]surteile
vom 28.
Oktober 1975 7
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VI
ZR 24/74, aaO
und vom 6.
November 1990 -
VI
ZR 99/90, [X.], 232).
bb) Auch im Streitfall ist ein "grundstücksbezogener" Eingriff zu bejahen.
Die Beklagte hat die Ausübung
der der E.
AG eingeräumten Dienstbarkeit
be-einträchtigt. Denn
sie hat die zu duldende Benutzung des belasteten Grund-stücks -
das
ungestörte
Betreiben der unterirdischen [X.]
-
behindert
(vgl. zur Beeinträchtigung einer Dienstbarkeit [X.], Urteil vom 7.
Oktober 2005 -
V
ZR 140/04, NJW-RR 2006, 237, 239; [X.]/[X.], aaO,
14.
Bearbeitung
2009, §
1027 Rn.
3 mwN). Dadurch dass ihr Mitarbeiter
beim Befahren des [X.] mit einem 20 t schweren Bagger von den zum Schutz der Gasleitung verlegten [X.] abgerutscht
war
und den [X.]n Verdacht geschaffen
hatte, dass die unter der Erdoberfläche [X.] Gasleitung durch die nicht unerhebliche Krafteinwirkung auf den Erdboden beschädigt worden war, konnte
die
[X.] die
Nutzung der
Leitung nicht mehr ungehindert fortsetzen. Aufgrund
der von einer beschädigten [X.] ausgehenden erheblichen
Gefahren für die Allgemeinheit
war die [X.] -
sowohl aufgrund der sie
als Betreiberin der Anlage treffenden allgemeinen Verkehrssicherungspflichten
als auch gemäß §
49 Abs.
1
EnWG, wonach Energieanlagen so zu errichten und zu betreiben sind, dass die technische Si-cherheit gewährleistet ist,
-
vielmehr verpflichtet, dem Schadensverdacht nach-zugehen und zu überprüfen, ob die Gasleitung durch das Abrutschen des [X.] beschädigt worden war (so auch [X.], Urteil vom 19.
November 2008 -
19
U 13/08).
Dem steht -
anders als das Berufungsgericht meint
-
nicht entgegen, dass die [X.] die Gaszufuhr nicht unterbrechen muss-te. Der Betrieb der Leitung war bereits dadurch beeinträchtigt, dass die [X.] die Nutzung nicht dauerhaft fortsetzen konnte
ohne besondere
Überprüfungs-maßnahmen
zu ergreifen.
11
-

7

-

cc) Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung wird die [X.] haftungsrechtlich auch nicht besser gestellt, als wenn sie Eigentümerin des mit
der Dienstbarkeit belasteten Grundstücks
bzw. des [X.] gewesen wäre. In diesem Fall hätte die Beklagte das Eigentum der [X.] verletzt, weil sie durch Einwirkung auf das Grundstück deren Eigentümerbefugnisse (§
903 [X.])
beeinträchtigt hätte.
Denn das Eigentum an einem Grundstück umfasst auch das
Recht, das Grundstück zum Betreiben einer Leitung zu nutzen. Die Ausübung dieses Rechts hat die Beklagte -
wie unter bb) ausgeführt
-
durch Einwirkung auf die Substanz des Grundstücks behindert.
c) Die Revision weist auch zu Recht darauf hin, dass der [X.] infolge der
Verletzung der beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ein Schaden in Gestalt
der für die Überprüfung der Leitung erforderlichen Kosten entstanden
ist.

III.
Die Sache war zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das [X.] zurückzuverweisen. Der [X.] kann nicht gemäß §
563 Abs.
3 ZPO in der Sache selbst entscheiden, da das Berufungsgericht -
aus seiner

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13
14
-

8

-

Sicht folgerichtig
-
keine Feststellungen zu den weiteren Voraussetzungen ei-nes Schadensersatzanspruches der Klägerin aus §
823 Abs.
1, §
831 [X.] ge-troffen hat.

Galke
Zoll
Pauge

[X.]
von Pentz

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 10.02.2010 -
2 O 101/09 -

OLG Hamm, Entscheidung vom 09.12.2010 -
I-6 U 56/10 -

Meta

VI ZR 29/11

07.02.2012

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 07.02.2012, Az. VI ZR 29/11 (REWIS RS 2012, 9444)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2012, 9444

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VI ZR 29/11

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