Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.05.2010, Az. 1 ABR 6/09

1. Senat | REWIS RS 2010, 6612

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Gegenstand

Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung


Leitsatz

Der Betriebsrat kann vom Arbeitgeber die Durchführung einer Betriebsvereinbarung verlangen, wenn er selbst Partei der Betriebsvereinbarung ist oder ihm durch die Betriebsvereinbarung eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechte eingeräumt werden.

Tenor

Die Rechtsbeschwerde des Betriebsrats gegen den Beschluss des [X.] vom 24. November 2008 - 3 [X.] wird zurückgewiesen.

Gründe

1

A. Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Betriebsrats auf Durchführung eines [X.]s.

2

Die Arbeitgeberin betreibt eine Geschäftsbank mit einem bundesweiten Filialnetz. Antragsteller ist der in der Filiale [X.] gebildete Betriebsrat.

3

Als Folge konzernweiter Umstrukturierungen vereinbarte die Arbeitgeberin mit dem bei ihr gebildeten Konzernbetriebsrat am 18. Oktober 2006 einen Sozialplan. Darin ist ua. bestimmt, dass die Arbeitgeberin Änderungskündigungen auf zumutbare Arbeitsplätze aussprechen kann, ohne zur [X.]eistung einer Abfindung verpflichtet zu sein. Die wirtschaftliche Zumutbarkeit ist nach den Regelungen des Sozialplans gegeben, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmern schriftlich zusagt, ihnen zu ihrem neuen Tarifgehalt eine Zulage in Höhe der Differenz zwischen den bisherigen Bezügen und der Vergütung in der neuen Tarifgruppe zu zahlen.

4

Der Betriebsrat hat geltend gemacht, der Begriff „bisherige Bezüge“ erfasse sämtliche Vergütungsbestandteile und daher auch befristete Ausgleichszulagen, welche die Arbeitgeberin einzelnen Mitarbeitern aufgrund eines im Jahre 2002 vereinbarten Sozialplans zu zahlen habe. Die Arbeitgeberin habe den [X.] mit diesem Inhalt durchzuführen.

5

Der Betriebsrat hat in der Rechtsbeschwerde beantragt

        

festzustellen, dass der Begriff der „bisherigen Bezüge“ iSv. § 3 Abs. 2 lit. b des Sozialplans zu den Auswirkungen des Projekts „Retail Kreditgeschäft“ vom 18. Oktober 2006 iVm. § 8 Abs. 2 des Rationalisierungsschutzabkommens die sog. befristete dynamische Ausgleichszulage erfasst, die dem betroffenen Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der beabsichtigten Versetzungsmaßnahme gewährt wird.

6

Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Antrag abzuweisen.

7

Die Vorinstanzen haben den Antrag abgewiesen. Mit der vom [X.]andesarbeitsgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat seinen Antrag weiter.

8

B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Der Betriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Durchführung des zwischen ihr und dem Konzernbetriebsrat abgeschlossenen Sozialplans.

9

I. An dem Beschlussverfahren ist gem. § 83 Abs. 3 ArbGG neben dem Betriebsrat nur die Arbeitgeberin beteiligt. Der Konzernbetriebsrat und die weiteren örtlichen Betriebsräte waren nicht anzuhören. Der Betriebsrat hat bereits im ersten Rechtszug und in der Anhörung vor dem Senat klargestellt, dass er die beantragte Feststellung aus eigenem Recht zur Durchsetzung eines von ihm geltend gemachten eigenen betriebsverfassungsrechtlichen [X.]s verlange. Die Rechtsstellung anderer Organe der Betriebsverfassung hat er dabei nicht in Frage gestellt.

II. Der Antrag ist zulässig.

1. Der Antrag genügt den Erfordernissen des § 256 Abs. 1 ZPO.

a) Gegenstand des Antrags ist die Feststellung eines Rechtsverhältnisses iSd. § 256 Abs. 1 ZPO. Die vom Betriebsrat aufgeworfene Frage, mit welchem Inhalt der [X.] durchzuführen ist, betrifft nach seinen Darlegungen eine Verpflichtung aus dem zwischen der Arbeitgeberin und ihm bestehenden Rechtsverhältnis, für dessen Inhalt die Auslegung des [X.]s lediglich eine Vorfrage darstellt. Daraus resultierende Meinungsverschiedenheiten können die Betriebsparteien grundsätzlich im Wege eines Feststellungsantrags im Beschlussverfahren klären lassen(vgl. [X.] 20. Januar 2009 - 1 [X.] - Rn. 29, [X.] [X.] 1972 § 77 Betriebsvereinbarung Nr. 44 = EzA ZPO 2002 § 547 Nr. 2).

b) Der Betriebsrat hat das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche rechtliche Interesse an der begehrten gerichtlichen Feststellung. Die Arbeitgeberin wendet den [X.] weiterhin in anderer als der vom Betriebsrat für richtig gehaltenen Auslegung an.

2. Der Betriebsrat ist [X.]. Er hat geltend gemacht, selbst Träger des streitbefangenen Rechts zu sein. Nach seinem Vorbringen verfolgt er nicht die Individualinteressen einzelner Arbeitnehmer, sondern begehrt die Feststellung zur Durchsetzung eines von ihm geltend gemachten eigenen betriebsverfassungsrechtlichen [X.]s.

III. Der Antrag ist unbegründet. Der Betriebsrat hat gegen die Arbeitgeberin keinen Anspruch auf Durchführung des [X.]s.

1. Nach § 77 Abs. 1 Satz 1 [X.] führt der Arbeitgeber Vereinbarungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber, auch soweit sie auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhen, durch. Diese Vorschrift grenzt nicht nur die Kompetenzen der Betriebspartner zueinander ab, indem sie dem Arbeitgeber die alleinige Führung des Betriebs überlässt und einseitige Eingriffe des Betriebsrats in die Betriebsführung verbietet, sondern sie verpflichtet auch den Arbeitgeber gegenüber dem Betriebsrat, solche Vereinbarungen ihrem Inhalt entsprechend im Betrieb anzuwenden ([X.] 24. Februar 1987 - 1 [X.] - zu [X.] 1 a der Gründe, [X.]E 54, 191). Der Betriebsrat kann daher vom Arbeitgeber aus der betreffenden Betriebsvereinbarung iVm. § 77 Abs. 1 Satz 1 [X.] auch deren Durchführung im Betrieb verlangen ([X.] 24. Januar 2006 - 1 [X.] - Rn. 30 mwN, [X.] [X.] 1972 § 80 Nr. 65 = EzA [X.] 2001 § 80 Nr. 5; Fitting 25. Aufl. § 77 Rn. 7; [X.] GK-[X.] 9. Aufl. § 77 Rn. 24; ausf. [X.] Der betriebsverfassungsrechtliche [X.] gem. § 77 Abs. 1 S. 1 [X.], 2005, S. 17 ff.). Dies gilt gemäß § 112 Abs. 1 Satz 3 [X.] gleichermaßen für Sozialpläne.

2. Der Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung aus eigenem Recht steht grundsätzlich dem Betriebsrat zu, der selbst Partei der Betriebsvereinbarung ist. Dieser hat gemeinsam mit dem Arbeitgeber in der Betriebsvereinbarung Regelungen geschaffen, die gem. § 77 Abs. 4 Satz 1 [X.] für die betroffenen Arbeitnehmer unmittelbar und zwingend gelten. Die mit dem Arbeitgeber erzielte Einigung über den Inhalt der Betriebsvereinbarung iVm. § 77 Abs. 1 Satz 1 [X.] gestaltet das Rechtsverhältnis der Betriebsparteien und verleiht dem Betriebsrat damit das Recht, von diesem die Durchführung gemeinsam vereinbarter Normen verlangen zu können.

3. Schließt der Gesamt- oder Konzernbetriebsrat in originärer Zuständigkeit(§ 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 [X.]) mit dem Arbeitgeber Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen, hat der nicht beteiligte örtliche Betriebsrat aus eigenem Recht grundsätzlich keinen Anspruch auf Durchführung der Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung. Dieser besitzt in Bezug auf solche Betriebsvereinbarungen nicht die durch die Einigung auf einen bestimmten Norminhalt vermittelte Rechtsposition, die dazu berechtigt, vom Arbeitgeber als gemeinsamen Normgeber die Durchführung der vereinbarten Regelungen verlangen zu können.

Etwas anderes gilt, wenn die Betriebsvereinbarung einem nicht an deren Abschluss beteiligten Betriebsrat ausdrücklich eigene Rechte einräumt. Insoweit kann auch der durch eine Betriebsvereinbarung begünstigte Betriebsrat die Durchführung der entsprechenden Regelungen verlangen. Entsprechendes gilt bei einer Delegation der [X.]. Im Falle der Beauftragung des Gesamtbetriebsrats nach § 50 Abs. 2 [X.] wird dieser rechtlich als Vertreter der beauftragenden [X.] tätig und schließt für diese Einzelbetriebsvereinbarungen(vgl. Fitting § 50 Rn. 7). Demzufolge steht in den Fällen der Beauftragung nach § 50 Abs. 2 [X.] auch der [X.] den beauftragenden örtlichen [X.] zu ([X.] S. 167 f.). Wird der Konzernbetriebsrat gem. § 58 Abs. 2 [X.] kraft Beauftragung tätig, handelt er als Vertreter des beauftragenden Gesamtbetriebsrats ([X.]/[X.] § 58 Rn. 49). Mit der Beauftragung erhält der Konzernbetriebsrat lediglich die Befugnis, anstelle des Gesamtbetriebsrats tätig zu werden. Der [X.] steht daher diesem zu. Das gilt ebenso im Falle einer Delegation durch den Betriebsrat nach § 50 Abs. 2 iVm. § 54 Abs. 2 [X.].

4. Fehlt es an einer Normsetzung unter Beteiligung des örtlichen Betriebsrats ist es auch nicht geboten, ihm zur Vermeidung einer Schutzlücke einen [X.] aus eigenem Recht zuzuerkennen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats gestalten Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarungen die kollektive Ordnung der betreffenden Betriebe wie Einzelbetriebsvereinbarungen(18. September 2002 - 1 [X.] - zu [X.]I 2 b bb der Gründe, [X.]E 102, 356). Führt der Arbeitgeber eine vom Gesamt- oder Konzernbetriebsrat in originärer Zuständigkeit abgeschlossene Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung nicht durch, steht diesen Betriebsverfassungsorganen ein [X.] zu. Daneben kann der örtliche Betriebsrat die Einhaltung der durch diese Vereinbarungen gestalteten betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung nach § 23 Abs. 3 [X.] erzwingen. Diese Vorschrift begründet in Fällen, in denen der Arbeitgeber seine Verpflichtungen aus dem [X.] grob verletzt, die Antragsbefugnis des Betriebsrats unabhängig von dessen materiellrechtlichen Positionen. Es besteht insoweit eine gesetzliche Prozessstandschaft des Betriebsrats. § 23 Abs. 3 Satz 1 [X.] dient dazu, ein gesetzmäßiges Verhalten des Arbeitgebers im Rahmen der betriebsverfassungsrechtlichen Ordnung sicherzustellen ([X.] 16. November 2004 - 1 [X.] [X.] 2 a der Gründe, [X.]E 112, 341).

5. Ein [X.] des Betriebsrats aus eigenem Recht ergibt sich entgegen der Auffassung des [X.]andesarbeitsgerichts auch nicht aus § 80 Abs. 1 [X.]. Nach dieser Bestimmung kann der Betriebsrat den Arbeitgeber zur Einhaltung der zugunsten der Arbeitnehmer geltenden Schutzvorschriften auffordern. Das Überwachungsrecht des Betriebsrats ist darauf beschränkt, eine Nichtbeachtung oder fehlerhafte Durchführung der Vorschriften beim Arbeitgeber zu beanstanden und auf Abhilfe zu drängen([X.] 28. Mai 2002 - 1 [X.] - zu [X.]I der Gründe mwN, [X.] [X.] 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 96 = EzA [X.] 1972 § 87 Arbeitszeit Nr. 65). Aus der Aufgabe des Betriebsrats, die Einhaltung von Schutzvorschriften zugunsten der Arbeitnehmer zu überwachen, folgen indes keine eigenen [X.] ([X.] 20. Mai 2008 - 1 [X.] - Rn. 15, [X.] [X.] 1972 § 81 Nr. 4 = EzA ArbGG 1979 § 81 Nr. 19).

6. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann aus dem durch die Bildung des Betriebsrats kraft Gesetzes zustande gekommenen „Betriebsverhältnis“ und den sich aus § 2 Abs. 1 [X.] ergebenden wechselseitigen Rücksichtspflichten kein Anspruch auf Durchführung einer Betriebsvereinbarung hergeleitet werden, die der Betriebsrat nicht selbst abgeschlossen hat.

a) Die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat werden durch die Rechte und Pflichten bestimmt, die in den einzelnen Mitwirkungstatbeständen normiert sind, sowie durch wechselseitige [X.], die sich aus § 2 [X.] ergeben. Bei der Wertung der im Gesetz vorgesehenen Rechte kann daher aus dem allgemeinen Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit als Nebenpflicht grundsätzlich auch das Gebot abgeleitet werden, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungsrechts entgegensteht([X.] 3. Mai 1994 - 1 [X.] - zu [X.]I 1 der Gründe, [X.]E 76, 364).

b) Zur Wahrnehmung und Durchsetzung der betrieblichen Mitbestimmung ist es nicht erforderlich, einem nicht am Abschluss einer Gesamt- oder Konzernbetriebsvereinbarung iSd. § 50 Abs. 1, § 58 Abs. 1 [X.] beteiligten Betriebsrat eines Unternehmens oder Konzerns einen [X.] aus eigenem Recht einzuräumen. Dem steht bereits entgegen, dass der örtliche Betriebsrat in den Fällen der originären Zuständigkeit des Gesamt- oder Konzernbetriebsrats nicht selbst Träger des Mitbestimmungsrechts ist. Die Mitbestimmungsrechte werden in diesen Fällen durch die dem jeweiligen Gesamt- oder Konzernbetriebsrat zustehenden [X.] gesichert, die betriebsverfassungsrechtliche Ordnung wird durch § 23 Abs. 3 [X.] gewahrt.

7. In Anwendung dieser Rechtsgrundsätze besteht kein Anspruch des Betriebsrats [X.] auf Durchführung des [X.]s. Er war an dessen Zustandekommen nicht beteiligt. Ein Anspruch aus § 23 Abs. 3 [X.] kommt ebenfalls nicht in Betracht. Der Betriebsrat hat sich weder auf ein grob betriebsverfassungsrechtliches Verhalten der Arbeitgeberin berufen noch sind Anhaltspunkte hierfür vorgetragen.

        

    Schmidt    

        

    Koch    

        

    [X.]inck    

        

        

        

    Federlin    

        

    [X.]    

        

        

Meta

1 ABR 6/09

18.05.2010

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Beschluss

Sachgebiet: ABR

vorgehend ArbG Leipzig, 7. Februar 2008, Az: 5 BV 71/07, Beschluss

§ 77 Abs 1 BetrVG, § 80 Abs 1 BetrVG, § 2 Abs 1 BetrVG, § 83 Abs 3 ArbGG, § 256 ZPO

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Beschluss vom 18.05.2010, Az. 1 ABR 6/09 (REWIS RS 2010, 6612)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 6612

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