Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.05.2014, Az. VI ZR 381/13

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2014, 5474

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]

Verkündet am:

20. Mai 2014

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
GG Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1; [X.] § 823 Abs. 1 Aa, [X.], § 823 Abs. 2 Bf
a)
§
823 Abs.
1 [X.] bezweckt nicht den Schutz eines sorgeberechtigen Eltern-teils vor den psychischen Belastungen, die damit verbunden sind, dass er von einer genetisch bedingten Erkrankung des anderen Elternteils und dem damit einhergehenden Risiko Kenntnis erlangt, dass die gemeinsamen Kin-der auch Träger der Krankheit sein könnten.
b)
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst ein "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung", das den Einzelnen davor schützt, Kenntnis über ihn betreffende genetische Informationen mit Aussagekraft für seine persönliche Zukunft zu erlangen, ohne dies zu wollen.
[X.], Urteil vom 20. Mai 2014 -
VI [X.] -
OLG [X.]

LG Bad Kreuznach

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Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom 20. Mai 2014 durch den Vorsitzenden [X.], [X.], die Richterin [X.], [X.] und die Richterin von [X.]
für Recht erkannt:
Auf die Revision
des Beklagten wird das Grund-
und Teilurteil des 5. Zivilsenats des [X.] vom 31.
Juli 2013 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 3. Zivilkammer des [X.] vom 2.
November 2012 wird [X.].
Die Klägerin hat die Kosten der [X.] zu tragen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:
Die Klägerin nimmt den beklagten Oberarzt der Fachabteilung für Psy-chiatrie und Psychotherapie der H.-Klinik in S. auf Ersatz materiellen und imma-teriellen Schadens
wegen der Information über eine bei ihrem geschiedenen Ehemann festgestellte
Erbkrankheit in Anspruch.
Die Klägerin wurde im Februar 2011 von [X.] geschieden. Aus der Ehe sind ein im Jahr 1994 geborener [X.] und eine im Jahr 1999 geborene 1
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Tochter hervorgegangen. Das Sorgerecht steht der Klägerin und [X.] ge-meinsam zu. Hiervon ausgenommen sind das Aufenthaltsbestimmungs-
und das [X.], die
die Klägerin seit 2009 alleine ausübt. Anfang des Jahres 2011 wurde festgestellt, dass [X.] an [X.], einer unheilbaren, vererblichen und zum Tode führenden Erkrankung des Gehirns,
leidet. Wegen dieser Erkrankung befand
sich [X.] in ärztlicher Behandlung bei dem Beklagten. Mit schriftlicher Erklärung vom 31. März 2011 entband [X.] den Beklagten von der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber der Klägerin
und ermächtigte ihn zur Auskunft über seine Krankheit. Am selben Tag bat der Beklagte die Klägerin zu einem Gespräch, um sie über die Erkrankung ihres geschiedenen Ehemannes zu informieren. Nach der Behauptung des Beklagten entsprach dies dem Wunsch des [X.]
Der Beklagte teilte der Klägerin die Erkrankung mit und wies darauf hin, dass die -
zu diesem Zeitpunkt 12 und 16 Jahre alten
-
gemeinsamen Kinder die genetische Anlage der Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% geerbt hätten.
Die Klägerin fand zunächst keine Einrichtung, die zu einer gentechnischen Untersuchung ihrer Kinder bereit war. Die Diplombiologin und Fachärztin für Humangenetik Dr.
S. teilte ihr mit, dass es nach dem Gendiagnostikgesetz nicht gestattet sei, eine prädiktive Di-agnostik bei noch nicht symptomatischen
Minderjährigen oder bei Personen, die nicht selbst nach entsprechender humangenetischer Beratung und ausrei-chender Bedenkzeit in die Untersuchung eingewilligt hätten, durchzuführen. Die Klägerin ist seit dem 1.
April 2011 wegen reaktiver Depression dauerhaft krank-geschrieben und nicht in der Lage, einer Erwerbsfähigkeit nachzugehen.
Mit der Klage begehrt die
Klägerin
die Zahlung eines Schmerzensgeldes von mindestens 15.000

Beklagten hinsichtlich der ihr entstandenen materiellen und immateriellen Schäden. Sie macht geltend, der Beklagte habe sie über die Erkrankung ihres geschiedenen Mannes nicht, jedenfalls aber so lange nicht unterrichten dürfen, 3
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wie
ihr keine Möglichkeit zur Klärung der Übertragung der Erbkrankheit auf ihre Kinder zur Verfügung gestanden habe. Er habe zunächst klären müssen, ob sie überhaupt Kenntnis von der Erkrankung ihres geschiedenen Mannes habe er-langen wollen.
Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung hat das [X.] durch Grund-
und Teilurteil den Leistungsantrag dem [X.] nach für gerechtfertigt erklärt und dem Feststellungsantrag hinsichtlich des materiellen und
des
über den Leistungsantrag hinausgehenden künftigen imma-teriellen Schadens entsprochen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des
Berufungsgerichts kann die
Klägerin vom Beklag-ten
Ersatz
des ihr entstandenen Schadens aus §
823 Abs.
1 [X.]
verlangen. Der
Beklagte
habe ihre Gesundheit verletzt, indem er ihr mitgeteilt habe, dass ihr geschiedener Ehemann an [X.] leide und eine 50%-ige Wahrscheinlichkeit bestehe, dass auch die gemeinsamen Kinder von
der Erb-krankheit betroffen seien. Die Gesundheitsbeeinträchtigung der Klägerin in Form der reaktiven Depression sei durch ärztliche Bescheinigungen belegt. Es komme deshalb nicht darauf an, ob der Beklagte
zugleich auch das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Klägerin in der Ausprägung des informationellen Selbstbestimmungsrechts verletzt habe. Der Eingriff des Beklagten in die [X.] Rechte der Klägerin sei nicht gerechtfertigt. Der Beklagte habe insbeson-dere nicht bewiesen, dass er die Klägerin im Auftrag ihres geschiedenen Man-4
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nes informiert
habe. Weder aus der ärztlichen Dokumentation, nach der [X.] "mit der Kontaktaufnahme zu seinen Angehörigen einverstanden" sei,
noch aus
der Schweigepflichtentbindungserklärung des [X.] ergebe sich, dass der Beklagte beauftragt gewesen sei, mit der Klägerin zu sprechen. Auch der [X.], dass [X.] offen mit der Erkrankung habe umgehen und seinen [X.] habe unterrichten wollen, begründe keinen derartigen Auftrag.
Sowohl die schriftliche Erklärung des [X.] vom 13.
Januar 2012 als auch die Angaben der Klägerin widersprächen der Darstellung des Beklagten. Allein das Einverständnis des [X.] mit der Information der Klägerin könne die Rechtsverletzung im Verhältnis zu ihr nicht rechtfertigen. Das Einverständnis des [X.] betreffe nur den Wegfall seines eigenen Schutzes vor einer uner-wünschten Information Dritter. Dagegen könne es die schützenswerten Positio-nen der Klägerin und der von ihr vertretenen Kinder nicht außer [X.] setzen.
Der Beklagte habe vielmehr das zu führende Gespräch "an sich gezogen". Er habe unwidersprochen ausgeführt, dass [X.] zunächst seine Kinder habe informieren wollen und erst die Intervention des Beklagten zu einem "[X.]" mit der Information der Klägerin geführt habe. Das Handeln des [X.] sei weder
nach den Bestimmungen des Gendiagnostikgesetzes noch gemäß §
34 StGB gerechtfertigt. Der Beklagte habe auch schuldhaft gehandelt. Aufgrund seiner fachlichen Kompetenz habe er erkennen müssen, dass die [X.] bestanden habe, dass seine Mitteilung die Klägerin psychisch und physisch in ihrer Gesundheit verletze. Es habe sich ihm aufdrängen müssen,
dass die Information geeignet gewesen sei,
erhebliche Ängste auszulösen, ohne [X.], diese Ängste zu entkräften.
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II.
Diese Beurteilung hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Der Klägerin stehen gegen den Beklagten keine Ansprüche auf Ersatz materiel-len und immateriellen Schadens wegen der Mitteilung
zu, dass ihr geschiedener Ehemann an [X.] erkrankt sei und ihre Kinder die genetische Anlage der Erkrankung mit einer Wahrscheinlichkeit von 50% geerbt hätten.

1. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts haftet der Beklagte nicht deshalb aus §
823 Abs.
1 [X.], weil er die Gesundheit der Klägerin rechtswidrig und schuldhaft verletzt hätte. Die Erkrankung der Klägerin ist dem Beklagten haftungsrechtlich nicht zuzurechnen.
a) Das Berufungsgericht ist allerdings zutreffend davon ausgegangen, dass durch die Mitteilung belastender Informationen ausgelöste psychische Stö-rungen
von Krankheitswert eine Gesundheitsverletzung im Sinne des §
823 Abs.
1 [X.] darstellen können
(vgl. Senatsurteile vom 22.
Mai 2007 -
VI
ZR 17/06,
[X.]Z 172, 263 Rn.
12; vom 30.
April 1996 -
VI
ZR 55/95, [X.]Z 132, 341, 344; [X.]/Wagner, 6.
Aufl., §
823 Rn.
135
ff.; [X.]/[X.], [X.], Bearb.
1999, §
823 Rn.
B 26
ff.; [X.] in
Festschrift
Wiese,
1998, [X.], 590).
b)
Die Revision rügt aber zu Recht, dass es an dem
für eine Haftung
er-forderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen der Mitteilung
des Beklag-ten und der von der Klägerin geltend gemachten Gesundheitsverletzung fehlt.
aa) In der Rechtsprechung des [X.] ist es anerkannt, dass die Schadensersatzpflicht durch den Schutzzweck der Norm begrenzt wird. Dies gilt unabhängig davon, auf welche Bestimmung die Haftung gestützt wird. Eine Schadensersatzpflicht besteht nur, wenn die [X.], für die Ersatz 6
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begehrt wird, aus
dem Bereich der Gefahren stammen, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die verletzte vertragliche oder vorvertragliche Pflicht übernommen worden ist (vgl. Senatsurteile vom 22. April 1958 -
VI
ZR 65/57, [X.]Z 27, 137, 140 f.; vom 22. Mai 2012 -
VI
ZR 157/11, [X.], 905 Rn.
14; [X.], Urteile vom 11. Juni 2010 -
V
ZR 85/09, NJW 2010, 2873 Rn.
24; vom 14. März 2006 -
X
ZR 46/04, NJW-RR 2006, 965 Rn.
9; vom 11.
Januar 2005 -
X
ZR 163/02, NJW 2005, 1420, 1421
f.; Münch-Komm[X.]/[X.],
6.
Aufl.,
§
249 Rn.
122, 124; [X.]/Wagner, aaO Rn.
366
ff.; [X.]/[X.], [X.], Neubearb.
2005, §
249 Rn.
27 f.; [X.]/[X.], [X.], 73.
Aufl., vor §
249 Rn.
29 f.). Die Schadensersatz-pflicht hängt zum einen davon ab, ob die verletzte Bestimmung überhaupt den Schutz Einzelner bezweckt und der Verletzte gegebenenfalls zu dem [X.] gehört. Zum anderen muss geprüft werden, ob die Bestim-mung das verletzte Rechtsgut schützen soll. Darüber hinaus muss die Norm den Schutz des Rechtsguts gerade gegen die vorliegende Schädigungsart be-zwecken; die geltend gemachte Rechtsgutsverletzung bzw. der geltend ge-machte Schaden müssen also auch nach Art und Entstehungsweise unter den Schutzzweck der verletzten Norm fallen ([X.], Urteil vom 14. März 2006 -
X
ZR 46/04, NJW-RR 2006, 965 Rn.
9; [X.]/[X.],
aaO, §
249 Rn.
122, 124; [X.]/[X.], aaO). Daran fehlt es in der Regel, wenn sich eine Gefahr realisiert hat, die dem allgemeinen Lebensrisiko und damit dem Risikobereich des Geschädigten zuzurechnen ist. Der Schädiger kann nicht für solche Verletzungen oder Schäden haftbar gemacht werden, die der Betroffene in seinem Leben auch sonst üblicherweise zu gewärtigen hat (vgl. Senatsurteile vom 22.
April 1958 -
VI
ZR 65/57, [X.]Z 27, 137, 141;
vom 7. Juni 1968 -
VI
ZR 1/67, [X.], 800, 802 f.; vom 13. Juli 1971 -
VI
ZR 165/69, NJW 1971, 1982 f.; vom 16. Februar 1972 -
VI
ZR 128/70, [X.]Z 58, 162, 169 f.; vom 4.
Mai 1993 -
VI
ZR 283/92, [X.], 843, 844; vom 22. Mai 2007 -
VI
ZR -

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17/06, [X.]Z 172, 263, Rn.
17; MünchKomm/[X.], aaO, §
249 Rn.
194; [X.]/[X.], aaO Rn.
89; [X.], Schadensersatz, 3.
Aufl., §
3 [X.]; [X.] in jurisPK-[X.], 6.
Aufl. 2012, §
249 [X.] Rn.
35 f.; [X.] in jurisPK-[X.], 6.
Aufl. 2012, §
823 [X.] Rn.
57; Pa-landt/[X.], aaO, vor §
249 Rn.
54; Coester-Waltjen, Jura 2001, 412, 413). Insoweit ist eine wertende Betrachtung geboten (vgl. Senatsurteile vom 20. September 1988 -
VI
ZR 37/88, [X.], 1273, 1274; vom 6. Mai 2003 -
VI
ZR
259/02, [X.], 1128, 1130; [X.], Urteil vom 14. März 1985 -
IX
ZR 26/84, NJW 1986, 1329, 1332, jeweils mwN).
[X.]) Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe ist die Erkrankung der Klä-gerin dem Beklagten haftungsrechtlich nicht zuzurechnen. Nach den [X.] ist die von der Klägerin geltend gemachte [X.] Depression darauf zurückzuführen, dass sie am 31. März 2011 von der Krankheit ihres geschiedenen Mannes und der damit verbundenen Möglichkeit Kenntnis erlangt hat, dass die gemeinsamen, damals 12 und 16 Jahre alten Kinder die genetische Anlage der Krankheit
geerbt haben könnten. Insoweit haben sich aber keine Gefahren verwirklicht, die durch §
823 Abs.
1 [X.] ver-hütet werden sollen. Da [X.] der Klägerin nach den [X.] mit seiner -
bereits seit einiger [X.] und mit deutlichen Symptomen einhergehenden
-
Erkrankung offen umge-hen und sowohl die gemeinsamen Kinder als auch seinen Bekanntenkreis in-formieren wollte, hätte die Klägerin diese Kenntnis jederzeit anderweitig erlan-gen können (vgl. MünchKomm/[X.], aaO, §
249 Rn.
196). Dass eine schwerwiegende -
möglicherweise auch für die Gesundheit der gemeinsamen Kinder relevante
-
Krankheit eines Elternteils erkannt und dem anderen Eltern-teil bekannt wird, ist ein Schicksal, das Eltern jederzeit widerfahren kann. Es gehört zu den allgemeinen Lebensrisiken, fällt aber nicht in den Bereich der Gefahren, vor denen §
823 Abs.
1 [X.] schützen will. Die Bestimmung [X.]
-

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zweckt nicht den Schutz eines sorgeberechtigen Elternteils vor den psychi-schen Belastungen, die damit verbunden sind, dass er von einer genetisch be-dingten Erkrankung
des anderen Elternteils und dem damit einhergehenden Risiko Kenntnis erlangt, dass die
gemeinsamen
Kinder
auch Träger der [X.] sein könnten
(vgl. Senatsurteile vom 7. Juni 1968 -
VI
ZR 1/67, VersR
1968, 800, 802 f.; vom 6. Juni 1989 -
VI
ZR 241/88, [X.]Z 107, 359, 363 ff.; [X.]/Wagner, aaO Rn.
139; [X.], [X.] 2014, 38; [X.], [X.], 862, 863). Derartige Belastungen haben die Personensorgebe-rechtigten vielmehr grundsätzlich hinzunehmen, ohne den Überbringer der Nachricht dafür verantwortlich machen zu können.
2. Das Urteil stellt sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar

561 ZPO).
a)
Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung steht der Klägerin insbesondere kein Schadensersatzanspruch aus §
823 Abs.
1 [X.] wegen [X.] ihres allgemeinen Persönlichkeitsrechts in der Ausprägung eines "Rechts auf Nichtwissen" zu.
aa) Zwar schützt das allgemeine Persönlichkeitsrecht auch das Interesse des Einzelnen, nicht mehr über seine genetischen Eigenschaften wissen zu müssen, als er selbst will. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht ergänzt als "un-benanntes" Freiheitsrecht die
speziellen Freiheitsrechte, die, wie etwa die Ge-wissens-
oder die Meinungsfreiheit, ebenfalls konstituierende Elemente der Persönlichkeit schützen. Seine Aufgabe ist es, im Sinne des obersten Konstitu-tionsprinzips der Würde des Menschen (Art.
1 Abs.
1 GG)
die engere persönli-che Lebenssphäre und die Erhaltung ihrer Grundbedingungen zu gewährleis-ten, die sich durch die traditionellen Freiheitsgarantien nicht vollständig [X.] lassen; diese Notwendigkeit besteht namentlich auch im Blick auf moderne 12
13
14
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-

Entwicklungen und die mit ihnen verbundenen neuen Gefährdungen für den Schutz der menschlichen Persönlichkeit
([X.] 79, 256, 268). Die geneti-sche Konstitution prägt die Persönlichkeit des Einzelnen
und bestimmt wesent-liche Rahmenbedingungen seiner Existenz. Die Kenntnis von Erbanlagen, ins-besondere genetisch bedingten Krankheitsanlagen, kann maßgeblichen Ein-fluss auf die Lebensplanung und Lebensführung einer Person haben und be-rührt deshalb unmittelbar ihr in Art.
2 Abs.
1 GG gewährleistetes Selbstbestim-mungsrecht (vgl. [X.] 79, 256, 268; [X.], [X.] 2006, 103 (16): A 1054-8; [X.], Rechtliche Aspekte des [X.], 2013, S.
61 mwN).
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst deshalb ein "Recht auf Nichtwissen
der
eigenen
genetischen
Veranlagung", das den Einzelnen davor schützt, Kenntnis über ihn
betreffende genetische [X.] mit Aussagekraft für seine persönliche Zukunft zu erlangen, ohne dies zu wollen (vgl. §§
1, 9 Abs.
2 Nr.
5 GenDG; [X.], [X.] 2006, 103 (16): A 1054-8; [X.], aaO, S.
60
ff.; [X.]/[X.]/[X.], GG, Art.
2 Rn.
192, 204
[Stand:
Juli 2001]; Damm, [X.] 2012, 705, 707, 709; der-selbe [X.] 2014, 139, 140
ff.; [X.], [X.], 34,
35
ff.; [X.]
in
Fest-schrift
Wiese, 1998, S.
583, 592
ff.; Kern/Hahn, GenDG, §
1 Rn.
15,
jeweils mwN; Bericht der [X.]
"Chancen und Risiken der Gentechno-logie"
des [X.], BT-Drucks. 10/6775,
S. 168; BT-Drucks. 16/3233, S.
34; BT-Drucks. 16/10532, S.
16 f., 28 f.).

[X.]) Es kann dahinstehen, ob das "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung" bereits dadurch beeinträchtigt wird, dass einer Per-son der Hinweis gegeben wird, sie sei möglicherweise Trägerin
einer Erbkrank-heit. Dies könnte deshalb zweifelhaft sein, weil eine
freie Entscheidung, [X.] Informationen nicht erhalten zu wollen, voraussetzt, dass der Betroffe-nen weiß, dass es
Informationen gibt, die er zur Kenntnis nehmen könnte (vgl. [X.], aaO S.
597). Auf diese Frage kommt es indes nicht an. Denn die [X.]
-

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gerin ist in ihrem "Recht auf Nichtwissen der eigenen genetischen Veranlagung" nicht betroffen. Sie stützt die geltend gemachten Schadensersatzansprüche nicht auf
eine Mitteilung ihrer
eigenen
genetischen
Konstitution, sondern darauf dass der Beklagte sie über eine bei [X.] bestehende
Er-krankung
informiert hat, deren genetische Anlage ihre Kinder möglicherweise geerbt haben. Aus einer etwaigen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeits-rechts ihrer Kinder kann die Klägerin aber keine
Schadensersatzansprüche ab-leiten.
b)
Schadensersatzansprüche der Klägerin aus §
823 Abs.
2 [X.]
in [X.] mit
dem Gendiagnostikgesetz scheiden ebenfalls aus. Das Gesetz enthält keine Bestimmung, wonach das Ergebnis einer diagnostischen
geneti-schen Untersuchung trotz ausdrücklicher schriftlicher Einwilligung des von der Untersuchung Betroffenen solchen Personen nicht bekanntgegeben werden dürfte, die -
wie die Klägerin
-
mit dem Betroffenen
genetisch nicht verwandt sind (vgl. BT-Drucks. 16/10532, S.
28 rechte Spalte 5.
Abs., S.
29 linke Spalte 2.
Abs.).
c)
Feststellungen, die die Annahme einer vertraglichen oder vorvertragli-chen Haftung des Beklagten rechtfertigen würden, hat das Berufungsgericht nicht getroffen. Die Revisionserwiderung macht eine solche Haftung des [X.] auch weder geltend noch zeigt sie Vortrag in den Tatsacheninstanzen auf, dem zu entnehmen wäre, dass zwischen der Klägerin und dem als Ober-arzt bei der H.-Klinik in S. beschäftigten Beklagten ein Vertrag zustande [X.] ist oder jedenfalls ein Vertragsanbahnungsverhältnis bestand
(vgl.
Se-natsurteile vom 20. September 1988 -
VI
ZR 296/87, [X.]Z 105, 189, 192 ff.; vom 31.
Januar 2006 -
VI
ZR 66/05, [X.], 791
Rn. 8 ff.).
16
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-

12

-

3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
91 Abs.
1 Satz 1, §
97 Abs.
1 ZPO.
Galke
[X.]
[X.]

[X.]
von [X.]

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 02.11.2012 -
3 O 306/11 -

OLG [X.], Entscheidung vom 31.07.2013 -
5 U 1427/12 -

18

Meta

VI ZR 381/13

20.05.2014

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 20.05.2014, Az. VI ZR 381/13 (REWIS RS 2014, 5474)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 5474

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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