Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2007, Az. 2 StR 532/06

2. Strafsenat | REWIS RS 2007, 5607

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[X.] vom 24. Januar 2007 in der Strafsache gegen wegen vorsätzlicher Körperverletzung - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 24. Januar 2007 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO beschlossen: Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 25. Juli 2006 im [X.] mit den zugehöri-gen Feststellungen aufgehoben. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an ei-ne andere Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. Die weitergehende Revision des Angeklagten wird verworfen. Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen vorsätzlicher Körperverlet-zung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des [X.] vom 9. November 2005 zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt und seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge in dem aus dem [X.] ersichtlichen Umfang Erfolg; im Übrigen ist sie aus den vom [X.] in seiner Antragsschrift vom 23. November 2006 dargelegten Gründen unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO. 1 - 3 - Die Anordnung, den Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus unterzubringen, hat keinen Bestand, weil die Voraussetzungen des § 63 StGB im angefochtenen Urteil nicht hinlänglich dargelegt sind. 2 1. Der Angeklagte ist in der Vergangenheit achtmal strafrechtlich in Er-scheinung getreten. Er wurde u. a. zweimal wegen vorsätzlicher Körperverlet-zung zu Geldstrafen verurteilt. In einem Fall hatte er [X.] in einem Kaufhaus ohne rechtfertigenden Grund in den Arm gebissen, im anderen Fall einer Kontrolleurin, die ihm eine Fahrpreisnacherhebung aushändigen wollte, das Handgelenk verdreht. Einer weiteren Verurteilung wegen gefährlicher Kör-perverletzung zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten lag zugrunde, dass der Angeklagte dem Opfer ohne rechtfertigenden Grund mit einem Kantholz auf den Kopf geschlagen hatte, so dass dieses eine Gehirnerschütterung und ein Halswirbelschleudertrauma erlitt. Ein weiteres Verfahren wegen tätlichen [X.] gegen einen Tierarzt, der den Hund des Angeklagten behandelt hatte, ist gegen ihn beim Amtsgericht anhängig. Die einbezogene Freiheitsstrafe von drei Monaten aus dem Urteil des [X.] vom 9. November 2005 ist wegen Erschleichens von Leistungen verhängt worden. Der Angeklagte war am 2. Juli 2004 mit dem Zug von [X.] nach [X.] gefahren, ohne den [X.] zu entrichten. 3 Im vorliegenden Verfahren hielt sich der Angeklagte am Tattag, dem 28. April 2005, mit einem Bekannten auf dem Parkplatz vor dem Kaufland in [X.] auf und trank Bier. Der dort in seinem Wagen sitzende Geschädigte [X.] lehnte es ab, seiner Lebensgefährtin den Kofferraum zu öffnen, damit sie ihre Einkäufe einladen könne. Der Angeklagte, der sich ca. fünf Meter entfernt auf-hielt, [X.] sein Verhalten nach. [X.] stieg aus seinem Fahrzeug aus und es kam zu gegenseitigen Beleidigungen. Dann setzte sich [X.] wieder in sein Auto, die linke Tür auf der Fahrerseite stand offen, sein linkes Bein befand sich noch [X.] - 4 - ßerhalb des Fahrzeugs. Der Angeklagte trat nun mit voller Wucht gegen die Fahrertür, so dass sie gegen das linke Schienbein des [X.] prallte. Ob der Ange-klagte das Bein gesehen hatte, konnte nicht festgestellt werden. Als [X.] nun ausstieg, schlug ihm der Angeklagte mindestens einmal ins Gesicht. [X.] ver-suchte, den Angeklagten abzuwehren, kam aber beim Rückwärtsgehen zu Fall. Nunmehr trat ihm der Angeklagte mit dem beschuhten Fuß ins Gesicht. Danach ließ er von [X.] ab. Das [X.] hat mit dem Sachverständigen Dr. S. eine erheb-lich verminderte Schuldfähigkeit des Angeklagten bei der Tat bejaht. Nach dem Gutachten des Sachverständigen leidet der Angeklagte an einer emotional in-stabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus und an einer Alkoholab-hängigkeit. Die Alkoholabhängigkeit habe bei der vorgeworfenen Straftat ledig-lich eine untergeordnete Rolle gespielt, weil der Angeklagte nur leicht alkoholi-siert gewesen sei. Jedoch habe die Persönlichkeitsstörung zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit geführt. 5 Bereits im Kindergarten und im Schulalter sei der Angeklagte durch seine anhaltende Unruhe, seine Konzentrationsstörungen und impulsive Tendenzen aufgefallen, die zunächst unter dem Bild des hyperkinetischen Syndroms zu-sammengefasst worden seien. Bei sich anschließenden tätlichen Übergriffen seitens des Stiefvaters und wechselnden Heimaufenthalten nach dem 16. [X.] habe sich die Persönlichkeitsstörung des Angeklagten ausgebildet, der in seiner Jugendzeit bereits mehrere stationäre psychiatrische Behandlungen erlebt habe. In der Zusammenschau könne daher die Diagnose einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus und damit das [X.] der schweren anderen seelischen Abartigkeit gestellt werden ([X.]). Durch die "Erkrankung" sei die Fähigkeit vorauszuplanen gering und Ausbrüche intensiven Ärgers könnten spontan zu gewalttätigem und explosivem 6 - 5 - Verhalten führen. Das Ausmaß der gezeigten Aggressivität stehe dann übli-cherweise in keinem Verhältnis zu den jeweils findbaren Anlässen und könne bis zu schweren Gewalttätigkeiten gegenüber anderen Personen oder bis zur Zerstörung von Eigentum führen. Die Reaktion des Angeklagten nach dem Wortgefecht, das Übergehen in eine tätliche Auseinandersetzung, sei Ausdruck seiner Persönlichkeitsstörung. Ohne entsprechende psychiatrische Behandlung seien weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten. 2. Die [X.] vermögen die Unterbringung des Angeklag-ten in einem psychiatrischen Krankenhaus nicht zu tragen. Das Vorliegen eines Zustands, der Grundlage einer Unterbringung nach § 63 StGB sein könnte, ist nicht hinreichend durch Tatsachen belegt. 7 Nach seinen eigenen Angaben war der Angeklagte zwar viermal statio-när in psychiatrischen Einrichtungen aufgenommen worden; der [X.] hat die Angaben für glaubhaft gehalten, ohne sie durch Beiziehung der Akten zu verifizieren. Was Anlass dieser stationären Aufenthalte war, wird in den Urteilsgründen nicht mitgeteilt; ebenso fehlen Feststellungen zu den Er-kenntnissen, die während dieser [X.]en anhand fachärztlicher Befunde oder Gutachten über seinen Zustand und seine Entwicklung gewonnen worden sind. Solche Feststellungen waren - insbesondere im Blick auf den einschneidenden Charakter der Maßregel - hier unerlässlich. 8 Denn die Diagnose "Persönlichkeitsstörung" ist entgegen der Auffassung des Sachverständigen noch nicht gleichbedeutend mit derjenigen einer schwe-ren anderen seelischen Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB. Eine Persön-lichkeitsstörung kann auch gegeben sein bei Charaktereigenschaften, die noch dem Normbereich menschlichen Wesens und Verhaltens zugerechnet werden können. Für einen so schwerwiegenden Eingriff, wie ihn die Anordnung der [X.] 6 - lich nicht befristeten Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus dar-stellt, kann die Diagnose einer Persönlichkeitsstörung stets nur unter engen Voraussetzungen und nur dann genügen, wenn feststeht, dass der Täter auf Grund dieser Störung aus einem mehr oder weniger unwiderstehlichen Zwang heraus gehandelt hat. Für eine solche Annahme bedarf es einer Gesamtschau, ob die Störungen beim Täter in ihrer Gesamtheit sein Leben vergleichbar schwer und mit ähnlichen Folgen belasten oder einengen wie krankhafte seeli-sche Störungen. Für die Bewertung der Schwere der Persönlichkeitsstörung und der Erheblichkeit der darauf beruhenden Verminderung der Schuldfähigkeit ist deshalb maßgebend, ob es auch im Alltag außerhalb der Straftaten zu [X.] des beruflichen oder [X.] Handlungsvermögens gekommen ist. Erst wenn das Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens sich im [X.]-verlauf als stabil erwiesen hat, können die psychiatrischen Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich als schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des § 20 StGB angesehen werden (vgl. [X.] Beschlüsse vom 21. September 2006 - 4 [X.] - und vom 19. Juli 2006 - 2 [X.]/06; [X.] NStZ 2006, 154 jeweils m.w.N.). Die bisher vom [X.] getroffenen Feststellungen reichen nicht aus, die Schwere der Persönlichkeitsstörung zu belegen, zumal der Sachverständige selbst ausgeführt hat, dass sich [X.] abgezeichnet hätten, wenn der Angeklagte unter kontinuierlicher psychologischer Betreuung gestanden habe, etwa in einem Heim der [X.] und zu der [X.], als ihm ein Betreuer bestellt worden war. Aus der [X.] ergibt sich ein quasi "zwanghaftes" Verhalten nicht, es ist vielmehr normalpsychologisch erklärbar, dass einem Wortgefecht mit gegenseitigen Beleidigungen Tätlichkeiten folgen. Selbst wenn die psychi-schen Auffälligkeiten des Angeklagten in der [X.] zu einer erheblichen Einschränkung der Steuerungsfähigkeit geführt haben, ist dadurch kein [X.] - 7 - erhafter, die Unterbringung nach § 63 StGB rechtfertigender Zustand begrün-det. Über die [X.] ist daher neu zu entscheiden. Bei der ge-gebenen Sachlage ist auszuschließen, dass beim Angeklagten zum [X.]punkt der Tat die Voraussetzungen des § 20 StGB vorlagen. Der Schuldspruch kann deshalb bestehen bleiben. Dies gilt auch für den Strafausspruch, da der Ange-klagte durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB bei der [X.] nicht beschwert ist. 11 [X.] Ri[X.] Rothfuß ist

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2 StR 532/06

24.01.2007

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.01.2007, Az. 2 StR 532/06 (REWIS RS 2007, 5607)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2007, 5607

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