Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.01.2013, Az. 5 C 19/11

5. Senat | REWIS RS 2013, 9128

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Gegenstand

Ausbildungsförderung für Studium im Ausland; Förderung der Deutschen im Ausland (hier: ständiger Wohnsitz in der Schweiz; Studium in Liechtenstein)


Leitsatz

1. § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG ist auf andere Vertragsstaaten des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum als die Schweiz (hier: Liechtenstein) nicht entsprechend anwendbar.

2. Besondere Umstände des Einzelfalls im Sinne des § 6 Satz 1 BAföG können sich auch aus völkervertragsrechtlichen oder unionsrechtlichen Regelungen ergeben (Weiterentwicklung der Rechtsprechung im Urteil vom 18. Oktober 1979 - BVerwG 5 C 3.78 - BVerwGE 59, 1 <3 ff.>).

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Ausbildungsförderung nach dem [X.] für ein Studium an der [X.] in [X.].

2

Die Klägerin ist [X.] Staatsangehörige. Sie hat eine abgeschlossene Ausbildung als Arzthelferin und während ihrer Berufstätigkeit an einem Abendgymnasium die Fachhochschulreife erworben.

3

Die Klägerin reiste ausweislich der ihr für die [X.] erteilten und bis zum 31. Juli 2014 gültigen Aufenthaltsbewilligung "zum Verbleib beim Lebenspartner ohne Erwerbstätigkeit" am 1. August 2008 in das Hoheitsgebiet der [X.] ein.

4

Zum Wintersemester 2009/2010 nahm die Klägerin an der [X.] in [X.] das Studium der Betriebswirtschaftslehre auf und beantragte hierfür Ausbildungsförderung nach dem [X.]. Der Beklagte lehnte diesen Antrag mit Bescheid vom 5. Mai 2009 ab. Den Widerspruch der Klägerin beschied er nicht.

5

Das Verwaltungsgericht hat der Klage stattgegeben und den Beklagten verpflichtet, der Klägerin für das Studium an der [X.] ab dem Wintersemester 2009/2010 Ausbildungsförderung in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

6

Der Verwaltungsgerichtshof hat das erstinstanzliche Urteil geändert und die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe im streitigen Bewilligungszeitraum von September 2009 bis August 2010 keinen Anspruch auf die begehrte Förderung. Es könne offenbleiben, ob die Klägerin ihren ständigen Wohnsitz in der [X.] oder im Inland habe. Sei von einem ständigen Wohnsitz im Inland auszugehen, scheide § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] als Anspruchsgrundlage aus, weil [X.] nicht zu den in dieser Vorschrift aufgeführten [X.] gehöre, bei denen für den Besuch einer in ihnen gelegenen Ausbildungsstätte Ausbildungsförderung zu leisten sei. Sei von einem ständigen Wohnsitz in der [X.] auszugehen, scheitere der Anspruch an dem notwendigen inländischen Wohnsitz. Die begehrte Förderung finde ihre Rechtsgrundlage auch nicht in § 6 Satz 1 [X.]. Danach könne einem [X.]n Staatsangehörigen mit ständigem Wohnsitz im Ausland zwar für ein Studium im Ausland Ausbildungsförderung geleistet werden, vorausgesetzt, die besonderen Umstände des Einzelfalls rechtfertigten die Förderung. Diese Voraussetzung sei hier aber nicht erfüllt. Das Studium der Betriebswirtschaft sei auch im Inland durchführbar. Der Besuch einer inländischen Ausbildungsstätte sei der Klägerin zumutbar. Eine geeignete Ausbildungsstätte befinde sich beispielsweise in [X.] und damit nur 80 Kilometer von ihrem [X.] Wohnort entfernt. Eine solche, selbst bei täglicher Hin- und Rückfahrt zu bewältigende Entfernung zwischen Wohnort und Ausbildungsstätte werde auch Auszubildenden im Inland zugemutet.

7

Mit der Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter. Sie rügt eine Verletzung des § 6 Satz 1 [X.] und des Völkervertragsrechts bzw. Unionsrechts.

8

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

9

Der Vertreter des [X.] beim [X.] hält das angefochtene Urteil sowohl nach Maßgabe des nationalen Rechts als auch unter völkervertragsrechtlichen und unionsrechtlichen Gesichtspunkten für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Der Verwaltungsgerichtshof hat im Einklang mit revisiblem Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO) entschieden, dass der Klägerin für ihr Studium an der [X.] in [X.] ein Anspruch auf Ausbildungsförderung nicht zusteht. Das sich - wie von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt - auf den Zeitraum September 2009 bis August 2010 beziehende und demzufolge nach dem [X.] über individuelle Förderung der Ausbildung ([X.] - [X.] -) in der Fassung der Bekanntmachung vom 6. Juni 1983 ([X.]), zuletzt geändert durch Art. 1 des [X.] zur Änderung des [X.]es - 22. [X.]ÄndG - vom 23. Dezember 2007 ([X.]), zu beurteilende Verpflichtungsbegehren findet weder in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] (1.) noch in § 6 Satz 1 [X.] (2.) eine Rechtsgrundlage.

1. Nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] wird Auszubildenden, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, Ausbildungsförderung geleistet für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte, wenn eine Ausbildung an einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der [X.] oder in [X.] aufgenommen oder fortgesetzt wird. Diese Vorschrift bietet unmittelbar keine Grundlage für den geltend gemachten Anspruch (a). Ihre entsprechende Anwendung scheidet aus (b).

a) Ein unmittelbarer Anspruch der Klägerin aus § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] scheitert bereits daran, dass die Klägerin das Studium der Betriebswirtschaftslehre im streitgegenständlichen Zeitraum nicht an einer Ausbildungsstätte in einem Mitgliedstaat der [X.] oder in [X.] durchgeführt hat. Der Verwaltungsgerichtshof brauchte daher nicht festzustellen, ob die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum ihren ständigen Wohnsitz im Inland hatte.

b) § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] ist auf andere Vertragsstaaten des Abkommens über den [X.] als die [X.] nicht entsprechend anwendbar. Für eine Analogie fehlt es jedenfalls an einer planwidrigen Regelungslücke.

§ 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] nennt als förderungsfähige Ausbildungsorte ausdrücklich die Mitgliedstaaten der [X.] und die [X.]. Dabei handelt es sich um eine abschließende Aufzählung. Denn während § 8 Abs. 1 [X.] unter anderem zwischen [X.] im Sinne des Grundgesetzes (Nr. 1), Unionsbürgern und deren Ehegatten oder Lebenspartnern und Kindern (Nr. 2 bis 4) sowie Staatsangehörigen eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den [X.] unterscheidet, verzichtet § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] auf die Verwendung der letztgenannten Sammelbezeichnung für die Länder [X.], [X.], [X.] und [X.]. Der Gesetzgeber hat sich somit bewusst dafür entschieden, nicht für den Besuch einer Ausbildungsstätte in jedwedem Vertragsstaat des Abkommens über den [X.] einen Anspruch auf Ausbildungsförderung nach § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] einzuräumen.

Zweck und Ziel der Neufassung sprechen ebenfalls dafür, dass hinsichtlich der weiteren, nicht in § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] einbezogenen Vertragsstaaten des Abkommens über den [X.] keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Die durch die Neufassung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] gewährleistete Förderung kompletter Auslandsstudien innerhalb der Mitgliedstaaten der [X.] soll Auszubildenden, die auf staatliche finanzielle Unterstützung angewiesen sind, die Inanspruchnahme des unionsrechtlichen Freizügigkeitsrechts ermöglichen. Die Einräumung eines Anspruchs auf Förderung einer vollen Ausbildung an einer in [X.] gelegenen Ausbildungsstätte soll darüber hinaus sicherstellen, dass nach dem Wegfall der Grenzpendlerregelung in der bis zum 31. Dezember 2007 geltenden Fassung des § 5 Abs. 1 Satz 1 [X.] in allen unmittelbar angrenzenden Nachbarstaaten der [X.] die Förderung voller Studiengänge möglich ist (vgl. BTDrucks 16/5172 S. 16). Die Länder [X.], [X.] und [X.] grenzen nicht unmittelbar an das Hoheitsgebiet der [X.]. Diese unterschiedliche geographische Lage stellt einen hinreichenden sachlichen Grund dar, um diese Länder vom Anwendungsbereich des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] auszuschließen.

2. Nach § 6 Satz 1 [X.] kann [X.] im Sinne des Grundgesetzes, die ihren ständigen Wohnsitz in einem ausländischen Staat haben und dort oder von dort aus in einem Nachbarstaat eine Ausbildungsstätte besuchen, Ausbildungsförderung geleistet werden, wenn die besonderen Umstände des Einzelfalls dies rechtfertigen. Jedenfalls die zuletzt genannte Voraussetzung ist hier nicht gegeben, sodass der Verwaltungsgerichtshof offenlassen konnte, ob die Klägerin, die [X.] im Sinne des Grundgesetzes ist, im streitgegenständlichen Zeitraum ihren ständigen Wohnsitz in [X.] hatte und dementsprechend von dort aus mit der in [X.] gelegenen Hochschule [X.] eine Ausbildungsstätte in einem Nachbarstaat besucht hat.

Der Verwaltungsgerichtshof ist hinsichtlich der uneingeschränkter gerichtlicher Kontrolle unterliegenden Tatbestandsvoraussetzung der besonderen Umstände des Einzelfalls von einem zutreffenden rechtlichen Maßstab ausgegangen (a). Diesen Maßstab hat er auch rechtsfehlerfrei angewandt (b).

a) Besondere Umstände des Einzelfalls im Sinne des § 6 Satz 1 [X.] sind nach der Rechtsprechung des Senats anzunehmen, wenn einem [X.] Auszubildenden mit ständigem Wohnsitz im Ausland der Besuch einer Ausbildungsstätte im Inland nicht zuzumuten ist oder die beabsichtigte Ausbildung im Inland nicht durchgeführt werden kann. Es muss sich um Umstände handeln, die in der Person des Auszubildenden, seiner Familie oder der Ausbildung selbst begründet sind und einen Aufenthalt außerhalb des ausländischen Wohnsitzes zu Ausbildungszwecken als eine Härte erscheinen lassen. Eine sich aus der Person des Auszubildenden ergebende Unzumutbarkeit ist beispielsweise anzunehmen, wenn dieser wegen Krankheit oder Behinderung durch seine Eltern oder nahe Verwandte betreut werden muss. Eine in den engen persönlichen oder familiären Beziehungen begründete Unzumutbarkeit ist zu bejahen, wenn die Eltern oder andere nahe Angehörige des Auszubildenden ihrerseits behindert oder gebrechlich sind und seiner Anwesenheit zur Betreuung bedürfen (Urteil vom 18. Oktober 1979 - BVerwG 5 C 3.78 - BVerwGE 59, 1 <3 ff.> = [X.] 436.36 § 6 [X.] Nr. 1 S. 3 f.). An dieser Rechtsprechung hält der Senat fest (aa). Die genannten Beispielsfälle sind allerdings nicht abschließend (bb).

aa) Die zu § 6 Satz 1 [X.] in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. April 1976 ([X.]) ergangene Rechtsprechung des Senats ist - entgegen der Rechtsauffassung der Klägerin - beizubehalten.

Das [X.] geht nach seiner Konzeption und Systematik von einem Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Förderung von Ausbildungen im Inland aus. Dies kommt in der grundlegenden Bestimmung des § 4 [X.] zum Ausdruck, die den Regelungen über die Förderung einer Ausbildung im Ausland in § 5 und § 6 [X.] vorangestellt ist. Danach wird Ausbildungsförderung vorbehaltlich der §§ 5 und 6 [X.] für die Ausbildung im Inland geleistet. Unerheblich ist insoweit, wo der Auszubildende seinen ständigen Wohnsitz hat. Die am 1. Januar 2008 in [X.] getretene Neufassung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] ändert hieran nichts. Die Rechtsansicht der Klägerin, mit Rücksicht auf diese Neufassung sei bei der Förderung nach § 6 Satz 1 [X.] in der in Rede stehenden Sachverhaltskonstellation von dem Erfordernis der besonderen Umstände des Einzelfalls abzusehen, entbehrt einer tragfähigen Grundlage.

Die Änderung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] trägt zwar zur Ausdehnung der Förderung im Ausland und damit zur Stärkung der Internationalität der Ausbildung bei. Denn bis zu ihrem Inkrafttreten stand Auszubildenden, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland hatten, für den Besuch einer im Ausland gelegenen Ausbildungsstätte nach § 5 [X.] regelmäßig nur dann ein Anspruch auf Ausbildungsförderung zu, wenn diese den weitaus überwiegenden Teil ihrer Ausbildung an einer Ausbildungsstätte im Inland durchgeführt hatten. Seit ihrem Inkrafttreten sind - wie dargelegt - auch vollständig in einem Mitgliedstaat der [X.] oder [X.] durchgeführte Ausbildungsgänge förderungsfähig. Dies hat zur Folge, dass es innerhalb der [X.], einschließlich [X.], förderungsrechtlich ohne Belang ist, ob der Ausbildungsort im Inland oder in einem der genannten ausländischen [X.] liegt. Der neugefasste § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 [X.] ist allerdings - wie dargelegt - wegen seines abschließenden Charakters einer Erweiterung insbesondere auf andere Vertragsstaaten des Abkommens über den [X.] als die [X.] nicht zugänglich.

bb) Abgesehen von den in der bisherigen Rechtsprechung des Senats behandelten Fallgestaltungen können sich die besonderen Umstände des Einzelfalls im Sinne des § 6 Satz 1 [X.] auch aus völkervertragsrechtlichen oder unionsrechtlichen Regelungen ergeben. Diese können in vergleichbarer Weise wie in der Person des Ausbildenden, seiner Familie oder der Ausbildung liegende Umstände einen atypischen Lebenssachverhalt begründen, aufgrund dessen einem Auszubildenden mit ständigem Wohnsitz im Ausland ausnahmsweise nicht zuzumuten ist, ihn auf die Durchführung der Ausbildung im Inland zu verweisen. Das ist insbesondere zu bejahen, wenn die Ablehnung der Förderung geeignet ist, den Auszubildenden davon abzuhalten, ein ihm völkervertragsrechtlich oder unionsrechtlich eingeräumtes subjektives Recht auszuüben.

b) Der Verwaltungsgerichtshof hat unter Zugrundelegung der aufgezeigten rechtlichen Grundsätze auf der Grundlage seiner tatsächlichen Feststellungen im Ergebnis zu Recht dahin erkannt, dass keine besonderen Umstände im Sinne des § 6 Satz 1 [X.] vorliegen, die eine Förderung des Studiums der Klägerin an der Hochschule [X.] in [X.] rechtfertigen. Dies gilt mit Rücksicht auf die in der bisherigen Rechtsprechung des Senats behandelten Härtefälle (aa). Nichts anderes folgt aus der Berücksichtigung völkervertragsrechtlicher und unionsrechtlicher Gesichtspunkte (bb).

aa) Nach den für den Senat bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs kann das von der Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum an der Hochschule [X.] betriebene Studium der Betriebswirtschaftslehre auch im Inland durchgeführt werden. Die nächstgelegene inländische Ausbildungsstätte befindet sich in [X.] und liegt damit 80 Kilometer von dem - unterstellten - ständigen Wohnsitz der Klägerin in [X.] entfernt. Dies ermöglicht tägliche Hin- und Rückfahrten. Eine Wegstrecke von täglich insgesamt 160 Kilometern lässt die Durchführung der Ausbildung im Inland nicht unzumutbar erscheinen. Sie wird auch Auszubildenden, die ihren ständigen Wohnsitz im Inland haben, zugemutet. Schon deshalb vermag die Klägerin entgegen ihrer Auffassung ihren Anspruch nicht auf Nummer 6.0.7a der [X.] zum [X.] vom 15. Oktober 1991 ([X.] [X.]), zuletzt geändert durch Verwaltungsvorschrift vom 20. Dezember 2001 ([X.] S. 1143), zu stützen.

bb) Die für den Anspruch nach § 6 Satz 1 [X.] erforderliche Unzumutbarkeit lässt sich für die vorliegende Sachverhaltskonstellation nicht aus völkervertragsrechtlichen oder unionsrechtlichen Regelungen ableiten. Zu dieser Feststellung sieht sich der Senat ohne Anrufung des Gerichtshofs der [X.] nach Art. 267 des Vertrages über die Arbeitsweise der [X.] - [X.] - in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 2008 ([X.] Nr. [X.] vom 9. Mai 2008 S. 47 und [X.] 1038 <1054>; in [X.] für die [X.] seit dem 1. Dezember 2009, [X.]) imstande, weil das nachstehend dargelegte Verständnis des Gemeinschaftsrechts nach seiner Ansicht offenkundig ist und keinerlei Raum für einen vernünftigen Zweifel bleibt (vgl. [X.], Urteil vom 6. Oktober 1982 - [X.]. [X.]/81, [X.]. 1982, 3415 <3430>).

(1) Die Klägerin kann für sich aus Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 [X.] nichts herleiten, weil der räumliche Anwendungsbereich dieses Vertrages hier nicht berührt ist.

Nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 [X.] hat jeder Unionsbürger und damit auch jeder [X.] Staatsangehörige das Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Auf dieses Recht kann sich ein Unionsbürger auch gegenüber seinem Herkunftsmitgliedstaat berufen. [X.] eine nationale Regelung eines Ausbildungsförderungssystems bestimmte eigene Staatsangehörige allein deswegen, weil sie von ihrer Freiheit, sich in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben sowie sich dort frei zu bewegen und aufzuhalten, Gebrauch machen, kann darin eine ungerechtfertigte Beschränkung des gemeinschaftlichen Freizügigkeitsrechts liegen (vgl. [X.], Urteil vom 23. Oktober 2007 - [X.]. [X.]/06 und [X.]/06, [X.] und [X.] - Slg. 2007, [X.] Rn. 22 und 28). Das unionsrechtliche Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 [X.] und dessen Ausübung ist aber auf den territorialen Geltungsbereich des Vertrages, also auf das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der [X.] beschränkt. Weder die [X.] noch [X.] gehören zu diesen. Demzufolge greift § 6 Satz 1 [X.] nicht in das Freizügigkeitsrecht gemäß Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 [X.] ein, soweit er für [X.], die - wie vorliegend unterstellt - ihren ständigen Wohnsitz in [X.] haben und von dort aus eine Ausbildungsstätte in [X.] besuchen, die Gewährung von Ausbildungsförderung davon abhängig macht, dass besondere Umstände des Einzelfalls die Förderung rechtfertigen.

(2) Aus demselben Grund kann für die Begründung der Unzumutbarkeit nicht auf die Richtlinie 2004/38/[X.] und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung ([X.]) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der [X.]/[X.], 68/360/[X.], 72/194/[X.], 73/148/[X.], 75/34/[X.], 75/35/[X.], 90/364/[X.], 90/365/[X.] und 93/96/[X.] ([X.] Nr. L 158 vom 30. April 2004 S. 77; berichtigt in [X.] Nr. L 229 vom 29. Juni 2004 S. 35 und [X.] Nr. L 204 vom 4. August 2007 S. 28) zurückgegriffen werden.

(3) Des Weiteren lässt das [X.] über den [X.] ([X.] Nr. L 1 vom 3. Januar 1994 S. 3 und [X.]; in [X.] für die [X.] seit dem 1. Januar 1994, [X.]) den Besuch einer Ausbildungsstätte im Inland für die Klägerin nicht als unzumutbar erscheinen, da die Freizügigkeit während der Ausbildung nicht Gegenstand dieses Abkommens ist.

Die [X.] und [X.] zählen zwar zu den Vertragsparteien des Abkommens über den [X.]. Dessen Ziel ist es, eine beständige und ausgewogene Stärkung der Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen den Vertragsparteien unter gleichen Wettbewerbsbedingungen und die Einhaltung gleicher Regeln zu fördern, um einen homogenen [X.] zu schaffen (Präambel und Art. 1 Abs. 1). Zur Verwirklichung dieses Ziels enthält das Abkommen auch Regelungen, die sich mit der Freizügigkeit befassen (Art. 1 Abs. 2). Dem Regelungsziel des Abkommens entsprechend verhalten sich diese aber nur zu dem Recht der Arbeitnehmer und der selbständig Erwerbstätigen, sich im Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten (Art. 28 ff.). Außerdem wird das Niederlassungsrecht von natürlichen und juristischen Personen zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten, zur Gründung und Leitung von Unternehmen sowie zur Errichtung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften geregelt (Art. 31 ff.). Die Freizügigkeit von Auszubildenden oder Studierenden wird nicht geregelt.

(4) Schließlich ergibt sich die Unzumutbarkeit auch nicht aus dem [X.] zwischen der [X.] Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und [X.]erischen Eidgenossenschaft andererseits über die Freizügigkeit - Freizügigkeitsabkommen - ([X.] Nr. L 114 vom 30. April 2002 S. 6 und [X.]; in [X.] für die [X.] seit dem 1. Juni 2002, [X.]). Denn bereits der territoriale Anwendungsbereich des Abkommens ist hier nicht eröffnet.

Es kann offenbleiben, ob sich die durch das Freizügigkeitsabkommen vermittelte Rechtsposition in seiner Gesamtheit mit dem im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der [X.] geltenden Freizügigkeitsrecht nach Art. 20 Abs. 2 Buchst. a, Art. 21 Abs. 1 [X.] deckt, mit der Folge, dass sich die Staatsangehörigen der Vertragsparteien auf dieses Recht grundsätzlich auch gegenüber ihrem Herkunftsstaat berufen können. Dafür spricht zwar die Präambel, in der die Vertragsparteien erklären, sie seien entschlossen, die Freizügigkeit der Personen im Hoheitsgebiet der anderen Vertragspartei auf der Grundlage der in der [X.] Gemeinschaft geltenden Bestimmungen zu verwirklichen. In die gleiche Richtung weist Art. 1 des [X.]. Danach ist es dessen Ziel, den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten der [X.] und [X.] das Recht einzuräumen, in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien einzureisen oder auszureisen, dort Zugang zu einer unselbständigen Erwerbstätigkeit zu erhalten oder sich als Selbständiger niederzulassen sowie im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien zu verbleiben (Buchst. a). Ferner soll Personen, die im [X.] keine Erwerbstätigkeit ausüben, das Recht auf Einreise und Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Vertragsparteien eingeräumt werden (Buchst. c). Den Staatsangehörigen einer Vertragspartei sollen die gleichen Lebens-, Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen wie Inländern gewährt werden (Buchst. d). Zweifel könnten sich allerdings in Bezug auf den in Rede stehenden Bereich der Bildung daraus ergeben, dass die in Art. 165 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich [X.] (entspricht Art. 149 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Vertrages zur Gründung der [X.] Gemeinschaft - EGV -) verankerte Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden nicht zu den ausdrücklich erklärten Zielen des [X.] gehört. Der Rechtsprechung des [X.] Gerichtshofs könnte nämlich entnommen werden, dass eine ungerechtfertigte Beschränkung des gemeinschaftsrechtlichen Freizügigkeitsrechts durch eine nationale Regelung eines Ausbildungsförderungssystems voraussetzt, dass die Förderung der Mobilität von Lernenden und Lehrenden vertraglich verankert ist (vgl. [X.], Urteil vom 23. Oktober 2007 a.a.[X.] Rn. 26 ff.).

Auch wenn von einer inhaltsgleichen Regelung auszugehen ist, kann das auf der Grundlage der Gegenseitigkeit abgeschlossene Freizügigkeitsabkommen nur zwischen den vertragsschließenden [X.] Freizügigkeit herstellen. Aus dem Abkommen kann daher allenfalls das Recht hergeleitet werden, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten der [X.] und [X.] frei zu bewegen und aufzuhalten. Außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des [X.] liegt es hingegen, wenn eine Benachteiligung geltend gemacht wird, die - wie hier - darin wurzelt, dass von [X.] aus eine Ausbildungsstätte in [X.] besucht wird.

Meta

5 C 19/11

10.01.2013

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, 28. April 2011, Az: 12 BV 10.781, Urteil

§ 5 Abs 2 S 1 Nr 3 BAföG, § 6 S 1 BAföG, § 8 Abs 1 BAföG, Art 20 Abs 2 Buchst a AEUV, Art 21 Abs 1 AEUV

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10.01.2013, Az. 5 C 19/11 (REWIS RS 2013, 9128)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 9128

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