Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2023, Az. 1 StR 223/23

1. Strafsenat | REWIS RS 2023, 9391

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Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 10. Januar 2023, soweit es ihn betrifft,

a) im Fall 13 der Urteilsgründe (Verletzung des Dienstgeheimnisses) aufgehoben; insoweit wird das Verfahren eingestellt und hat die Staatskasse die Kosten des Verfahrens sowie die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen;

b) im Schuldspruch dahin geändert, dass der Angeklagte der Vorteilsgewährung in neun Fällen schuldig ist;

c) im gesamten verbleibenden Strafausspruch aufgehoben.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die weiteren Kosten des Rechtsmittels, an das [X.] – Strafrichter – zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vorteilsgewährung in neun Fällen und wegen Verletzung des Dienstgeheimnisses zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Monaten verurteilt, deren Vollstreckung es zur Bewährung ausgesetzt hat. Zudem hat das [X.] zwei Monate wegen einer rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerung für bereits vollstreckt erklärt. Die gegen seine Verurteilung gerichtete Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und sachlichen Rechts beanstandet, hat den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg, weil die mit der Einsatzstrafe geahndete Tat verjährt ist (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Zum Verfolgungshindernis der (absoluten) Verjährung (§ 78 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 5, § 78c Abs. 3 Satz 2 Alternative 1, § 78a StGB) bezüglich Tat 13 der Urteilsgründe hat der [X.] zutreffend ausgeführt:

„Nach § 353b Abs. 1 und Abs. 2 StGB ist die vorsätzliche Verletzung von [X.] mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Hiervon ausgenommen ist die [X.] nach § 353b Abs. 1 S. 2 StGB, die in drei Jahren verjährt. Infolgedessen beträgt die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 5 StGB drei Jahre und das doppelte der gesetzlichen Verjährungsfrist nach § 78c Abs. 3 StGB sechs Jahre. Die Verjährung beginnt mit dem Eintritt der Gefährdung öffentlicher Interessen (§ 78a StGB).

3

Diese Frist war bei Erlass des angefochtenen Urteils […] abgelaufen.

Die dem Angeklagten vorgeworfene Tat der (fahrlässigen) Verletzung von [X.] nach § 353b Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 StGB war spätestens mit der Weitergabe des Dienstgeheimnisses an den Mitangeklagten [X.]am 15./16. September 2016 vollendet: Der Angeklagte [X.]erfuhr im September 2016 als Polizeibeamter, dass gegen einen Mitarbeiter der Firma M.        (Vor-)Ermittlungen wegen des Verdachts des Handeltreibens mit Kokain eingeleitet worden waren und der Verdacht bestand, der Angeklagte  [X.] sei einer der Abnehmer des dortigen Beschuldigten. Hierüber informierte er zwischen dem Abend des 15. September 2016 und dem Morgen des 16. September 2016 auf nicht näher feststellbare Art und Weise den Mitangeklagten [X.], obwohl er bei der ihm möglichen und zumutbaren Sorgfalt hätte erkennen müssen, dass der Mitangeklagte [X.]für Geheimnisse, die mit dem Mitangeklagten   [X.]und der Firma M.       zu tun haben, nicht zuverlässig verschwiegen war und mögliche Folge des Verrats sein könnte, dass der Mitangeklagte [X.]diese Informationen nicht für sich behält, sondern weitererzählt und dadurch die Betroffenen Gelegenheit erhalten, sich auf etwaige strafprozessuale [X.]ßnahmen einzustellen [,] und dass sein Handeln mithin die Gefahr der störenden Einflussnahme auf den ordnungsgemäßen Ablauf der Ermittlungen nach sich ziehen könnte. Der Mitangeklagte [X.], der eine begangene Straftat des Angeklagten   [X.]für möglich hielt und billigend in Kauf nahm, informierte sodann zwischen dem Abend des 15. September 2016 und dem Morgen des 16. September 2016 tatsächlich den weiteren Geschäftsführer der Firma M.       und vereinbarte mit diesem, dass jener, der weitere Geschäftsführer, den Mitangeklagten   [X.]informieren und warnen wird, um eine Bestrafung des Angeklagten   [X.]zu verhindern. Nach Erhalt der Information am 17. September [X.]] verließen der Mitangeklagte   [X.]für zwei Monate und auch der (ebenfalls informierte) Beschuldigte [X.].   für eine Woche [X.] ([X.], 30 ff.). Gegen den Beschuldigten [X.].   wurde am 6. Dezember 2016 ein Ermittlungsverfahren eingeleitet ([X.]), ab dem 8. Dezember 2016 wurde er observiert und am 15. März 2017 schließlich festgenommen. Das [X.] verurteilte ihn am 23. November 2017 wegen Betäubungsmitteldelikten, begangen ab Ende [X.]]. Gegen den Mitangeklagten   [X.]wurde kein Ermittlungsverfahren eingeleitet.

Die Beendigung des Geheimnisbruchs tritt regelmäßig erst mit einer Erhöhung der Gefährdung bzw. dem Eintritt des Schadens/der Gefährdung oder mit dem Wegfall der Gefährdung, also mit dem Geschehensabschluss, ein (Fischer, StGB 70. Aufl. § 353b Rn. 27; Puschke in [X.], § 353b StGB Rn. 100; [X.]/[X.] in S/[X.], 30. Aufl. § 353b StGB Rn. 23). Bei Gefährdungsdelikten, bei denen der Gesetzgeber den Gefährdungseintritt genügen lässt, die Tatbestandsvollendung also vorverlegt hat, kann es zu einem Fortwirken der tatbestandsmäßigen Handlungen kommen, die den vollen Unrechtsgehalt überhaupt erst herbeiführen oder auch nur steigern und diesen daher nicht etwa nur tatbestandsneutral unberührt lassen (Murmann in [X.], 13. Aufl. vor § 22 Rn. 25, 35 ff.).

Spätestens mit der Flucht der vom Mitangeklagten [X.]gewarnten   [X.]und [X.].   war danach jedenfalls die Gefährdung wichtiger öffentlicher Interessen erhöht.“

4

2. Der Wegfall der Einsatzfreiheitsstrafe von sechs Monaten bedingt die Aufhebung der Gesamtstrafe. Die Feststellungen bleiben bestehen, weil sie von der Verfahrensteileinstellung nicht betroffen sind (§ 353 Abs. 2 StPO). Der Senat hebt, sich dem Antrag des [X.]s insoweit nicht verschließend, vorsorglich die verbleibenden neun Einzelgeldstrafen auf, um dem nunmehr zur Entscheidung berufenen Tatgericht eine in sich stimmige Strafzumessung zu ermöglichen. Die Strafgewalt des Amtsgerichts – Strafrichter – ist ausreichend (§ 354 Abs. 3 StPO). Neue Feststellungen sind möglich, soweit sie den bisherigen nicht widersprechen. Der Vollstreckungsabschlag ist dem Angeklagten weiterhin, nunmehr durch Umrechnung in eine Anzahl von Tagessätzen (vgl. § 51 Abs. 4 Satz 1 Alternative 2 StGB; vgl. zum umgekehrten Fall [X.], Beschluss vom 14. November 2023 – 6 StR 484/23 Rn. 4), gutzubringen.

Jäger     

  

Wimmer     

  

Leplow

  

Allgayer     

  

Munk     

  

Meta

1 StR 223/23

29.11.2023

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Karlsruhe, 10. Januar 2023, Az: 4 KLs 730 Js 21302/17

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 29.11.2023, Az. 1 StR 223/23 (REWIS RS 2023, 9391)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 9391

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1 StR 311/23

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