Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2010, Az. 2 StR 531/10

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 360

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 531/10 vom 15. Dezember 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u.a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 15. Dezember 2010, an der teilgenommen haben: Vorsitzende Richterin am [X.] Prof. Dr. [X.] und [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], [X.], [X.]in am [X.] Dr. [X.], Oberstaatsanwältin beim [X.] als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Rechtsanwalt als Vertreter des [X.], Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.] vom 5. März 2010 mit den [X.]. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Der Nebenkläger verfolgt mit seiner auf die Sachrüge gestütz-ten Revision dessen Verurteilung wegen versuchten Totschlags. Das [X.] hat Erfolg. 1 I. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: 2 1. Der Angeklagte, ein trainierter Kampfsportler, handelte zusammen mit Landsleuten in den Jahren 2005 / 2006 im Raum [X.] mit Rauschgift im [X.]. Aufgrund von [X.] war es im [X.] 2005 zu einer Auseinandersetzung mit einer Gruppe um die kosovarischen [X.] ge-3 - 4 - kommen. Dabei wurde der Angeklagte von [X.]und [X.] zu-sammengeschlagen und fühlte sich fortan gedemütigt und in seiner Ehre ver-letzt, weshalb er auf Rache sann. 2. Am 12. März 2009 gegen 23.30 Uhr hielt sich der Angeklagte mit Freunden vor dem Eingang eines [X.]er Kinos auf. Dort traf er auf die drei [X.], [X.]und [X.], die zufällig das gleiche Kino [X.] wollten. Sofort stürzte er sich auf [X.] und schlug diesem nach kurzem Wortwechsel ins Gesicht. Während sich die übrigen Anwesenden einige Meter abseits hielten, traten [X.]und [X.]ihrem Bruder zur Seite und es entwickelte sich zunächst eine verbale Auseinandersetzung mit gegenseitigen Beschimpfungen sowie ein Gerangel. Zu diesem Zeitpunkt hätte sich der Ange-klagte durch Weggehen oder Weglaufen der von ihm provozierten [X.] entziehen können, er wollte jedoch der bevorstehenden Auseinander-setzung nicht aus dem Wege gehen. Während [X.]ein Messer und [X.] einen Gürtel oder eine zum Schlagen geeignete Kette in Händen hielten, war der Angeklagte mit einer 40-70 cm langen Machete bewaffnet. Zu Gunsten des Angeklagten geht das [X.] davon aus, dieser habe die Machete nicht mitgeführt, sondern während des vorangegangenen Gerangels [X.]A. entwendet. Nun schlug der Angeklagte in Kenntnis der Gefähr-lichkeit der Waffe wuchtig - mit Verletzungs- aber ohne Tötungsabsicht - auf seine sich jetzt passiv verhaltenden Kontrahenten ein. Dabei traf er D. A-. an der Hand und am Kopf. Die scharfe Klinge der Machete drang in die Kopfhaut ein, verursachte eine 9 cm lange Fleischwunde, schälte ein Stück des knöchernen [X.] ab und trennte einen Teil der Kopfschwarte vom Schädel (so genannte Skalpierungs-Verletzung). Während der Angeklagte fluchtartig den Tatort verließ, begann der Geschädigte sofort stark zu bluten. Nach notärztlicher Erstversorgung wurde er stationär behandelt. Ohne rechtzei-tige Hilfe wäre er möglicherweise verblutet, bei einem nur geringfügig veränder-4 - 5 - ten Auftreffwinkel der Machete wäre die Schädeldecke vollständig durchdrun-gen und lebenswichtige Gehirnfunktionen wären beeinträchtigt worden. So aber sind Hand und Kopfverletzungen verheilt, zurückgeblieben ist eine starke Nar-benbildung am oberen Kopf, wo keine Haare mehr wachsen, sowie psychische Beeinträchtigungen wie starke Angstgefühle. 3. Zumindest bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten hat das [X.] nicht festzustellen vermocht. Weil das Töten eines Menschen die Über-windung einer hohen Hemmschwelle erfordere, könne nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeklagte nicht von lebensgefährlichen Verletzungen aus-gegangen sei und den Tod seines Kontrahenten nicht billigend in Kauf genom-men habe, zumal es sich um ein dynamisches Geschehen gehandelt habe und er zufällig in den Besitz der Machete gelangt war. 5 II. Die Erwägungen, mit denen das [X.] bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, halten revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand: 6 Zunächst ist es für die Frage bedingten Vorsatzes ohne Aussagekraft, auf welche Weise der Angeklagte, der die Auseinandersetzung bewusst [X.] hat, in den Besitz der Machete gelangt ist. Entscheidend ist vielmehr sein Vorstellungsbild, als er seinen Kontrahenten bewaffnet mit einem Schlag-werkzeug, das - wie er wusste - geeignet war, schwerste Verletzungen zu ver-ursachen, angriff. 7 Soweit das Schwurgericht auf die erhöhte Hemmschwelle bei [X.] verweist, genügt hier der bloße Hinweis für sich allein nicht für eine Ver-neinung zumindest bedingten Tötungsvorsatzes. Vielmehr ist stets unter [X.] - 6 - rücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sorgfältig zu prüfen, ob ein [X.], der sein gefährliches Handeln durchführt, obwohl er mit der Möglichkeit töd-licher Verletzung rechnet, den Tod des Opfers billigend in Kauf nimmt. Dies wird bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen nahe liegen wenn - wie hier - das Ausbleiben des [X.] nur als glücklicher Zufall erscheinen kann (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 3, 5, 33, 35 und 38; [X.], 150 f). Erforderlich ist stets eine umfassende Würdigung der objek-tiven und subjektiven Tatumstände, nämlich der konkreten Tatsituation und An-griffsweise, Lage und Abwehrmöglichkeit des Opfers, der psychischen Verfas-sung des [X.] und seiner Motivation (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz [X.] 39; [X.], StGB 57. Aufl. § 212 Rn. 7 m.w.[X.]). Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nicht gerecht. So fehlen bereits Ausführungen zum Vorstellungsbild des geständigen, das [X.] aber nicht bereuenden ([X.]) Angeklagten bei Beginn seines An-griffs. Das [X.] stellt lediglich darauf ab, dass es sich um ein dynami-sches, von dem Angeklagten nicht mehr kontrollierbares Geschehen gehandelt habe. Dies spricht hier jedoch nicht gegen sondern vielmehr für einen bedingten Tötungsvorsatz. Insbesondere ist nicht ersichtlich, wieso der Angeklagte bei unkontrollierten, mit voller Wucht gegen den Kopf seines Opfers geführten Schlägen, von denen jeder bei geringfügig anderem Auftreffwinkel tödlich ge-wesen wäre, ernsthaft auf das Ausbleiben eines entsprechenden Erfolgs [X.] haben sollte. 9 Der neue Tatrichter wird bei der Prüfung bedingten Vorsatzes auch die dem Angriff zugrunde liegende Motivlage des Angeklagten einzubeziehen ha-ben. So könnte dem in seiner Ehre gekränkten, aus Wut- und Rachsucht die Auseinandersetzung um jeden Preis suchenden Angeklagten die in der konkre-ten Situation als möglich erkannte Tötung seines Opfers zumindest gleichgültig 10 - 7 - gewesen sein. Dass ihm dessen Tod möglicherweise unerwünscht war, steht der Annahme bedingten Vorsatzes nicht entgegen (BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 42, 51). [X.] Eschelbach [X.]

Meta

2 StR 531/10

15.12.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 15.12.2010, Az. 2 StR 531/10 (REWIS RS 2010, 360)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 360

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