Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2016, Az. 4 StR 389/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1147

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:081216U4STR389.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
389/16

vom
8. Dezember 2016
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 8. Dezember
2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in am [X.]
Sost-Scheible,

[X.]in am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Cierniak,
[X.],
Dr. Paul

als beisitzende [X.],

Staatsanwältin

in der Verhandlung

,
Staatsanwältin beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreterinnen des [X.],

Rechtsanwalt

in der Verhandlung

als Verteidiger,

Rechtsanwältin

in der Verhandlung

als Vertreterin des [X.],

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
-
3
-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 28.
April 2016 wird verworfen.
Der Angeklagte trägt die Kosten seines Rechtsmittels, die dem Neben-
und [X.] hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen und die im Adhäsionsverfahren entstandenen besonderen Kosten.
2.
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorge-nannte Urteil

mit Ausnahme der Entscheidung über die Adhäsionsanträge

mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs
eines Kindes in sechs Fällen, jeweils in Tateinheit mit vorsätzlicher Körperver-letzung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt und eine Adhäsionsentscheidung getroffen. Gegen dieses Urteil [X.] sich die Revisionen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft jeweils mit der Sachrüge. Während die Revision des Angeklagten unbegründet ist, hat das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft
Erfolg.
1
-
4
-
I.
Nach den Feststellungen des angefochtenen Urteils hielten sich die [X.] J.

und P.

G.

vom 22. bis zum 30.
August 2015 mit dem [X.] auf dem Campingplatz am T.

auf. Der Angeklagte, der eine besondere Erregung daran empfindet, wenn größere

schon trockene

Kinder von ihm eine Windel angezogen bekommen, ging an den Abenden vom 22. bis zum 27.
August 2015 jeweils mit dem achtjährigen P.

, der keinerlei Krank-heitsanzeichen aufwies, in seinen Wohnwagen. P.

musste sich mit dem Rücken aufs Bett legen. Der Angeklagte [X.] dessen Genitalbereich, den Penis und den [X.], insbesondere um den Anus, ein und nahm eine rektale Fie-bermessung vor. Anschließend behauptete er wahrheitswidrig, dass P.

Fieber habe und deshalb Fieberzäpfchen erforderlich seien. Er führte P.

jeweils ein Zäpfchen mit einem abführenden Medikament

entweder Glycilax oder Dulcolax

und ein Zäpfchen gegen Übelkeit

Vomex
A

ein. Die Zäpf-chen steckte der Angeklagte jeweils mit seinem Daumen in den Anus, wobei er die Zäpfchen falsch herum einführte und seinen Daumen ebenfalls soweit in den Anus hineinsteckte, bis das Zäpfchen nicht weiter hineingeschoben werden konnte. Die Schmerzensbekundungen von P.

ignorierte er. Anschließend zog der Angeklagte P.

eine Windel an und darüber einen Kinderbody. [X.] Zeit später verspürte P.

einen starken Drang, auf die Toilette zu gehen. Der Angeklagte forderte ihn auf, in die Windel zu machen. Danach schlief
P.

aufgrund der
Nebenwirkung des Präparates Vomex
A im Bett des Ange-klagten ein.
Das [X.] hat das Vorliegen sexueller Handlungen, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind, bejaht. Die Qualifikation des §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB sei aber nicht erfüllt, weil das Eindringen mit Zäpfchen und 2
3
-
5
-
Daumen in den Anus von P.

nicht als beischlafähnliche Handlung [X.] werden könne. Diese Vorgehensweise sei bei Kindern nicht unüblich, auch P.

habe schon früher Zäpfchen erhalten. [X.] habe sich der An-geklagte der vorsätzlichen Körperverletzung schuldig gemacht. Eine gefährliche Körperverletzung nach §
224 Abs.
1 Nr.
1 StGB sei hingegen nicht gegeben, weil die vom Angeklagten verabreichte Dosis der Medikamente

abgesehen von der abführenden Wirkung und der Nebenwirkung der Müdigkeit

keine er-hebliche gesundheitliche Beeinträchtigung habe auslösen können. Auch eine Misshandlung Schutzbefohlener liege nicht vor, weil ein länger andauerndes Leiden oder Schmerzempfinden nicht habe festgestellt
werden können.
II.
Die Revision des Angeklagten zeigt keinen Rechtsfehler zu seinem Nachteil auf (§
349 Abs.
2 StPO).
III.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.].
1.
Das [X.] hat zutreffend eine sexuelle Handlung im Sinne des §
176 Abs.
1 StGB bejaht.
a)
Eine sexuelle Handlung liegt grundsätzlich vor, wenn die Handlung ob-jektiv, also allein gemessen an ihrem äußeren Erscheinungsbild, einen eindeu-tigen Sexualbezug aufweist (vgl. [X.], Urteile vom 20.
Dezember 2007

4
StR 4
5
6
7
-
6
-
459/07, [X.]R StGB §
184f Sexuelle Handlung
2; vom 14.
März 2012

2
StR 561/11, [X.], 10, 12 jeweils mwN). Dies ist bei den festgestellten Handlungen

Eincremen des Genitalbereichs, Einführen eines Thermometers und von Zäpfchen mittels des Daumens in den Anus eines achtjährigen Jun-gen

nicht der Fall. Bei äußerlich ambivalenten Handlungen, die

wie hier

für sich betrachtet nicht ohne weiteres einen sexuellen Bezug aufweisen, ist auf das Urteil eines objektiven Betrachters abzustellen, der alle Umstände des [X.], also auch die Zielrichtung des [X.], kennt (vgl. [X.], Urteil vom 6.
Februar 2002

1
StR
506/01, [X.], 431, 432; Beschluss vom 23.
August 1991

3
StR
292/91, [X.]R StGB §
184c Nr.
1 Erheblichkeit
5). Selbst wenn man insoweit eine sexuelle Absicht des [X.] verlangen würde ([X.], Urteile vom 20.
Dezember 2007 und vom 14.
März 2012 aaO), läge [X.] nach den Feststellungen hier vor, wobei dahinstehen kann, ob bereits das Eincremen des Genitalbereichs und das Eindringen mit Thermometer, Zäpfchen und Daumen in den Körper des Kindes als solches oder erst das spätere Anle-gen der Windel zu einer sexuellen Stimulation geführt hat. Das [X.] hat in einer fehlerfreien Beweiswürdigung eine medizinische Indikation für diese Handlungen ausgeschlossen und als Motiv hierfür allein den Wunsch des [X.], Kinder mit Windeln zu erleben, um sich sexuell zu erregen, festge-stellt.
b)
Die Handlungen waren auch
erheblich im Sinne von §
184h Nr.
1 StGB, denn sie lassen sowohl nach ihrer Bedeutung als auch nach ihrer Intensi-tät und Dauer eine sozial nicht mehr hinnehmbare Beeinträchtigung des durch die §§
174
ff. StGB geschützten Rechtsguts besorgen (zu den allgemeinen
Voraussetzungen vgl. [X.], Urteil vom 1.
Dezember 2011

5
StR
417/11, [X.], 269, 270; Urteil vom 24.
September 1980

3
StR
255/80, [X.]St 29, 336, 338; Beschluss vom 12.
September 2012

2
StR
219/12, [X.], 280 8
-
7
-
mwN). Das Geschehen war nach
allgemeinem Empfinden weit entfernt von
einem bagatellhaften Übergriff.
2.
Das [X.] hat aber rechtsfehlerhaft den schweren sexuellen Missbrauch eines Kindes (§
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB) verneint.
a)
Nach §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB wird der sexuelle Missbrauch von [X.] in den Fällen des §
176 Abs.
1 und 2 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter zwei Jahren bestraft, wenn eine Person über achtzehn Jahren mit dem Kind den Beischlaf vollzieht oder ähnliche sexuelle Handlungen an ihm vornimmt oder an sich von ihm vornehmen lässt, die mit einem Eindringen in den Körper verbunden sind. Die Strafvorschrift des §
176 StGB schützt die ungestörte

§
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB umschreibt besonders nachhaltige Begehungsweisen und stellt sie unter erhöhte Strafdrohung ([X.], Urteil vom 16.
Juni 1999

2
StR
28/99, [X.]St 45, 131, 132; Beschluss vom 19.
Dezember 2008

2
StR
383/08, [X.]St 53, 118, 119). Erforderlich ist, dass die sexuelle Hand-lung mit Blick auf das geschützte Rechtsgut, nämlich die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern ([X.], Beschluss vom 19.
Dezember 2008 aaO), ähn-lich schwer wiegt wie eine Vollziehung des [X.]. Auf eine besondere Er-niedrigung des Opfers stellt §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB daher nicht ab, sondern allein auf das Eindringen in den Körper, welches als schwerwiegende Beein-trächtigung der körperlichen Integrität anzusehen ist ([X.], Urteil vom 18.
No-vember 1999

4
StR
389/99, [X.], 672
f. mit [X.]. [X.], [X.], 367
f.;
und Beschluss vom 19.
Dezember 2008

2
StR 383/08 aaO). [X.] solche ist bei einem Eindringen mit dem Finger oder mit Gegenständen in Scheide oder [X.] eines Kindes grundsätzlich anzunehmen (vgl. [X.], [X.] vom 14.
April 2011

2
StR
65/11, [X.]St 56, 223, 224; LK/[X.], 9
10
-
8
-
StGB, 12.
Aufl., §
176a Rn.
27; SK/[X.], StGB, 135.
Lfg. 2012 §
176a Rn.
16; aA Folkers, [X.] 2007, 11, 14
f.).
b)
Das sexuell motivierte Einführen eines Thermometers, von Zäpfchen und des Daumens in den Anus

wie hier

stellt danach jeweils ein

im Sinne des §
176a Abs.
2 Nr.
1 StGB dar. Als sexuelle Hand-lungen wiegen diese Tätigkeiten im Hinblick auf die Intensität des Eingriffs in die sexuelle Selbstbestimmung und in die ungestörte sexuelle Entwicklung
eines Kindes entgegen der Auffassung des [X.] so schwer, dass sie einem Beischlaf ähnlich sind. Auf eine möglicherweise fehlende konkrete Beein-trächtigung der sexuellen Entwicklung des [X.] durch die sexuelle Hand-lung (UA
16) kommt es hingegen für die Beurteilung des Schweregrades und damit der Beischlafähnlichkeit der Handlung nicht an.
3.
Der Rechtsfehler führt auch zur Aufhebung der

mit Blick auf die beim Einführen der Zäpfchen festgestellten Schmerzen des Kindes

rechtsfehler-freien tateinheitlichen Verurteilung wegen vorsätzlicher Körperverletzung. [X.] ist die Verneinung der Qualifikation des §
224 Abs.
1 Nr.
1 StGB nach den bisher getroffenen Feststellungen nicht zu beanstanden. Der Vortrag der Revision zu der Wirkung der verabreichten Zäpfchen ist weitgehend urteils-fremd. Um die behauptete Schädlichkeit der Medikamente in das [X.] einzuführen, hätte es einer entsprechenden Aufklärungsrüge bedurft. Auch ein Quälen des Kindes nach §
225 Abs.
1 StGB liegt nach den bisherigen Feststellungen nicht nahe.
4.
Die Aufhebung der Entscheidungen über die Anträge im [X.] durch den Senat ist nicht geboten. Darüber hat das neue Tatgericht zu entscheiden ([X.], Beschlüsse vom 12.
April 2016

2
StR
523/15 Rn.
23, 11
12
13
-
9
-
insofern nicht abgedruckt in [X.], 526; vom 2.
Februar 2006

4
StR 570/05, [X.], 1890, 1891).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

[X.]
Paul

Meta

4 StR 389/16

08.12.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.12.2016, Az. 4 StR 389/16 (REWIS RS 2016, 1147)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1147

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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