Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2022, Az. 1 StR 384/21

1. Strafsenat | REWIS RS 2022, 1397

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Gegenstand

Untreue und Bankrott: Bemessung des Vermögensnachteils bei Verkauf von Immobilien; vom Tatbestandsmerkmal des Beiseiteschaffens erfasste Vermögensverschiebungen


Tenor

1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 1. März 2021 aufgehoben

a) mit den Feststellungen im Fall II. 6. ([X.]) der Urteilsgründe und

b) im Gesamtstrafenausspruch.

2. Die weitergehende Revision wird als unbegründet verworfen.

3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Wirtschaftsstrafkammer des [X.] zurückverwiesen.

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Betruges in 161 tateinheitlichen Fällen, wegen Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott in drei Fällen und wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und neun Monaten verurteilt. Die auf die Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

2

1. Die Verurteilung des Angeklagten wegen Untreue in Tateinheit mit vorsätzlichem Bankrott im Fall II. 6. ([X.]) der Urteilsgründe hält rechtlicher Prüfung nicht stand.

3

a) Nach den Feststellungen des [X.]s schlossen der Angeklagte und der gesondert verfolgte D.    jeweils in ihrer Eigenschaft als Vorstände der [X.] (im Folgenden: [X.]) am 20. Februar 2018 mit der [X.] einen Kaufvertrag über 19 Immobilien der [X.]. Ein wirksamer Beschluss der Generalversammlung lag für den Verkauf der Grundstücke nicht vor. Entsprechend dem Satzungszweck waren die Immobilien an Genossenschaftsmitglieder vermietet, die mit der [X.] sog. Optionskaufverträge – mit einem möglichen Erwerb der Immobilie in einem Zeitraum von bis zu 35 Jahren – geschlossen hatten, die zu ihren Gunsten jeweils mit Auflassungsvormerkungen im Grundbuch eingetragen waren. Für die Wertbestimmung des Immobilienpakets nahm das [X.] – unter Zugrundelegung der Einlassung des Angeklagten – zu dessen Gunsten „die Sicht eines objektiven Investors“ ein ([X.] f.). Ausgehend von den vereinbarten [X.] für die 19 Immobilien in Höhe von 3.687.000 [X.] bezifferte das [X.], das sich im Wesentlichen den Ausführungen der sachverständigen Zeugin [X.]anschloss, den „angemessenen Kaufpreis“ des Immobilienpaketes „bei einer Renditeerwartung von 5 %“ auf 3.100.000 [X.] ([X.]). Da die [X.] jedoch lediglich den vertraglich vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 1.765.000 [X.] zahlte, entstand der [X.], die bereits seit dem 31. Dezember 2014 zahlungsunfähig war, nach der Wertung des [X.]s ein Nachteil in Höhe von mindestens 1.335.000 [X.], den der Angeklagte billigend in Kauf nahm.

4

b) Das [X.] hat den Vermögensnachteil im Sinne des § 266 StGB – ungeachtet der in der Veräußerung der Immobilien zu sehenden Pflichtwidrigkeit gegenüber der Genossenschaft insbesondere vor dem Hintergrund der von ihr verfolgten wirtschaftlichen Ziele – rechtsfehlerhaft nicht nach der Differenz zwischen Verkehrswert und erzieltem Kaufpreis bemessen.

5

aa) Ob ein Vermögensnachteil eingetreten ist, muss grundsätzlich durch einen aus [X.] vorzunehmenden Vergleich des gesamten Vermögens vor und nach der beanstandeten Verfügung unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten geprüft werden. Für die Bestimmung des objektiven Wertes einer Immobilie ist die Feststellung ihres Verkehrswertes der zutreffende Ansatz. Dieser bemisst sich nach dem Preis, der im maßgebenden Zeitpunkt im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach den Eigenschaften, der sonstigen Beschaffenheit und Lage des Grundstücks ohne Rücksicht auf ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse zu erzielen wäre (vgl. § 194 [X.]; [X.], Beschluss vom 16. Juni 2021 – 6 [X.] Rn. 10 mwN).

6

bb) Entgegen der Ansicht des [X.]s entbindet die zugunsten des Angeklagten eingenommene „Sicht eines objektiven Investors“ nicht davon, für die Bestimmung des Nachteils für das Vermögen des [X.] – der [X.] – den Verkehrswert der Immobilien zu bestimmen. Hinsichtlich der im Ausgangspunkt zugrunde gelegten Optionskaufpreise stellt das [X.] jedoch lediglich fest, dass die Basis für deren Bestimmung „zum Ankaufzeitpunkt aktuelle Wertgutachten oder bei Neubauten die Kostenkalkulation“ gewesen sei, wobei zusätzlich ein „Puffer von 5 % eingepreist worden sei“ ([X.] f.). Es handele sich „folglich um eine durch die Genossenschaft selbst festgelegte Summe, die sich am objektiven Wert orientierte“ ([X.]). Aus Sicht der sachverständigen Zeugin entsprächen „die Optionskaufpreise dem objektiven Wert der Immobilien“, lägen „eventuell noch darunter“ ([X.]). Diese Betrachtungsweise genügt jedoch keinem der anerkannten Wertermittlungsverfahren zur Bestimmung des Verkehrswertes (vgl. nur [X.], Urteile vom 24. Juni 2015 – [X.] Rn. 11 und vom 12. Januar 2001 – [X.] Rn. 9, 12; [X.]/[X.], [X.], 143. EL August 2021, § 194 Rn. 136 ff.).

7

Ob der durch den Verkauf der Immobilien entstandene Vermögensnachteil für die [X.] in Höhe von 1.335.000 [X.] – wie vom [X.] angenommen – ‘als absoluter Mindestschaden‘ ([X.]) anzusehen ist, kann vor diesem Hintergrund nicht abschließend beurteilt werden. Insbesondere die auf den Grundstücken lastenden Auflassungsvormerkungen zugunsten der sog. Optionskäufer sowie die den Käufer der Immobilien treffenden, vom [X.] nicht näher dargestellten Verpflichtungen diesen gegenüber stellen wertmindernde Faktoren dar, die bei der Bewertung des Verkehrswertes zu berücksichtigen sind.

8

c) Die Feststellungen des [X.]s tragen ferner aus dem gleichen Grund nicht die Annahme des Tatbestandsmerkmals des Beiseiteschaffens im Sinne des § 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB, das nur solche Vermögensverschiebungen erfasst, die den Anforderungen eines ordnungsgemäßen Wirtschaftens grob widersprechen (vgl. [X.], Urteil vom 29. April 2010 – 3 [X.], [X.]St 55, 107 Rn. 29).

9

2. Die Aufhebung der Verurteilung des Angeklagten im Fall II. 6. ([X.]) der Urteilsgründe (geahndet mit einer Einzelstrafe von drei Jahren Freiheitsstrafe) zieht die Aufhebung des Gesamtstrafenausspruchs nach sich. Angesichts der im konkreten Fall schwierigen Beurteilung des Verkehrswertes des Immobilienpakets könnte die Anwendung des § 154 StPO naheliegen.

Raum     

      

Bellay     

      

Bär     

      

Leplow     

      

Pernice     

      

Meta

1 StR 384/21

09.02.2022

Bundesgerichtshof 1. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Stuttgart, 1. März 2021, Az: 6 KLs 165 Js 111011/19

§ 266 StGB, § 283 Abs 1 Nr 1 StGB, § 261 StPO, § 267 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 09.02.2022, Az. 1 StR 384/21 (REWIS RS 2022, 1397)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 1397

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