Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2023, Az. 3 ZB 3/22

3. Strafsenat | REWIS RS 2023, 4352

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Gegenstand

Rechtswegzuständigkeit für den Antrag auf Anordnung der Durchsuchung der Wohnung eines ausreisepflichtigen Ausländers zum Zweck der Sicherung der Abschiebung


Tenor

1. Die Rechtsbeschwerde der beteiligten Behörde gegen den Beschluss des [X.] vom 16. Mai 2022 wird verworfen.

2. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.

1

1. Der Betroffene, ein [X.] Staatsangehöriger, reiste am 27. August 2019 in die [X.] ein. Zuvor hatte er bereits in [X.] Asyl beantragt, und ihm war dort eine Flüchtlingseigenschaft zuerkannt worden. Mit Bescheid vom 17. September 2019 lehnte das [X.] seinen Asylantrag als unzulässig ab und drohte ihm die Abschiebung an. Seit dem 15. Oktober 2019 ist er vollziehbar ausreisepflichtig.

2

Nachdem der Betroffene seiner Verpflichtung, aus der [X.] auszureisen, nicht freiwillig nachgekommen war, plante die beteiligte Behörde, ihn am 11. Mai 2022 nach [X.] abzuschieben. Zur Sicherung dieser Abschiebung beantragte sie am 2. Mai 2022 bei dem [X.], die Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen zu dessen Ergreifung anzuordnen.

3

2. Mit Beschluss vom 5. Mai 2022 hat sich das angerufene Gericht für „sachlich unzuständig“ erklärt und die Sache an das [X.] verwiesen. Zur Begründung hat es angeführt, mangels abdrängender Sonderzuweisung für Durchsuchungen nach § 58 Abs. 6 [X.] sei der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten eröffnet.

4

Gegen die Entscheidung des Amtsgerichts hat die beteiligte Behörde „Beschwerde“ eingelegt. Das [X.] hat das als sofortige Beschwerde behandelte Rechtsmittel mit Beschluss vom 16. Mai 2022 mit der Maßgabe verworfen, dass der Rechtsweg zur ordentlichen Gerichtsbarkeit für unzulässig erklärt wird. Die Rechtsbeschwerde gegen diese Entscheidung hat es zugelassen.

5

3. Gegen den Beschluss des [X.]s wendet sich die beteiligte Behörde mit ihrer Rechtsbeschwerde. Sie beantragt, diesen sowie den Beschluss des Amtsgerichts aufzuheben und dem Antrag auf Gestattung der Wohnungsdurchsuchung stattzugeben, hilfsweise die Sache zu neuer Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

II.

6

Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.

7

1. Die gemäß § 71 Abs. 1 Satz 1 FamFG form- und fristgerecht eingelegte Rechtsbeschwerde ist statthaft. Das [X.] hat die Rechtsbeschwerde gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 [X.] zugelassen. Die beteiligte Behörde hat ein Rechtsschutzinteresse an der Entscheidung über die Verweisung. Das Verstreichen des anvisierten Abschiebungstermins kann allenfalls im nicht beim Senat anhängigen Hauptsacheverfahren Bedeutung erlangen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 [X.], NVwZ 2023, 190 Rn. 8 mwN; ferner [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 [X.], NVwZ 2023, 166 Rn. 2).

8

2. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

9

Für den Antrag auf richterliche Anordnung der Durchsuchung der Wohnung des Betroffenen zum Zweck der Sicherung der Abschiebung ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 VwGO eröffnet.

a) Bei der beantragten Wohnungsdurchsuchung zur Sicherung der Abschiebung eines ausreisepflichtigen Ausländers handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nichtverfassungsrechtlicher Art ([X.], Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 [X.], NVwZ 2023, 190 Rn. 11; [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 [X.], NVwZ 2023, 166 Rn. 4 f.).

b) Eine abdrängende Sonderzuweisung durch Bundesrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 VwGO liegt nicht vor. Insbesondere ist § 106 Abs. 2 Satz 1 [X.] nicht einschlägig, da es sich bei einer Durchsuchung, auch wenn sie dem Zweck der Ergreifung des Betroffenen dient, um ihn unmittelbar danach abzuschieben, nicht um eine Freiheitsentziehung handelt. § 58 Abs. 10 [X.] ist ebenfalls keine Zuweisung an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu entnehmen (vgl. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 [X.], NVwZ 2023, 190 Rn. 12 f., 17; [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 [X.], NVwZ 2023, 166 Rn. 7 f.).

c) Auch eine abdrängende Sonderzuweisung durch Landesrecht gemäß § 40 Abs. 1 Satz 2 VwGO kommt nicht in Betracht. Denn bei einer auf § 58 Abs. 6 [X.] gestützten Durchsuchung handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit nach Landesrecht, sondern um eine auf eine bundesgesetzliche Rechtsgrundlage gestützte Maßnahme. Aus der Kompetenz der Länder, in Ausführung von Bundesrecht als eigene Angelegenheit das zugehörige Verwaltungsverfahren zu regeln, folgt nichts Anderes (aA noch [X.], Beschluss vom 22. Juli 2020 - 4 O 25/20, NVwZ-RR 2020, 900 Rn. 5). Art. 84 Abs. 1 Satz 1 GG eröffnet eine entsprechende Kompetenz nur im Bereich des Verwaltungsverfahrens, nicht aber für die Bestimmung des [X.] und die Ausgestaltung des Prozesses vor den Gerichten. Insoweit sind die Gerichtsverfassung und das gerichtliche Verfahren berührt, die der konkurrierenden Gesetzgebung gemäß Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG unterfallen (s. [X.], Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 [X.], NVwZ 2023, 190 Rn. 18 f.; ferner [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 [X.], NVwZ 2023, 166 Rn. 9; [X.], Beschluss vom 12. Dezember 2022 - 7 B 2023/22.A, DVBl 2023, 425 Rn. 5; unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung nunmehr auch [X.], Beschluss vom 23. November 2022 - 13 [X.], NVwZ 2023, 181 Rn. 2).

d) Über § 58 Abs. 10 [X.] kann schließlich nicht auf § 208 Abs. 4 Satz 3 LVwG [X.] zurückgegriffen werden, der die Zuständigkeit der Amtsgerichte für richterlich angeordnete Wohnungsdurchsuchungen vorsieht.

aa) Gemäß § 58 Abs. 10 [X.] bleiben nur weitergehende Regelungen der Länder, die den Regelungsgehalt der Absätze 5 bis 9 betreffen, unberührt. Landesrechtliche Vorschriften finden demnach lediglich Anwendung, wenn sich aus dem Landesrecht über § 58 Abs. 6 bis 9 [X.] hinausgehende Befugnisse für Wohnungsdurchsuchungen ergeben (s. im Einzelnen [X.], Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 [X.], NVwZ 2023, 190 Rn. 21 ff.; [X.], Beschluss vom 19. Oktober 2022 - 1 [X.], NVwZ 2023, 166 Rn. 10 ff.).

bb) Die gefahrenabwehrrechtlichen Regelungen zur Wohnungsdurchsuchung in [X.] enthalten keine weitergehenden Eingriffsbefugnisse (s. zu den vergleichbaren Vorschriften des [X.] Landesrechts [X.], Beschluss vom 12. Juli 2022 - 3 [X.], NVwZ 2023, 190 Rn. 25 mwN). § 208 LVwG [X.] sieht für die zuständige Polizei- und Ordnungsbehörde keine Kompetenzen für die Durchsuchung von Wohnungen zum Zweck des [X.] eines der Abschiebung zuzuführenden Ausländers vor, die nicht bereits in § 58 Abs. 6 bis 9 [X.] enthalten sind. Zwar lässt § 208 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. [X.] [X.] ein Betreten der Wohnung auch zur Nachtzeit zu, wenn sich Personen darin aufhalten, die gegen aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften verstoßen, während das [X.] eine Wohnungsdurchsuchung gemäß § 58 Abs. 7 Satz 1 [X.] zur Nachtzeit nur ermöglicht, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Ausländer der Abschiebung entziehen wird. § 208 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 Buchst. [X.] [X.] erfasst aber bereits nach seinem Wortlaut lediglich das Betreten, nicht aber die Durchsuchung der Wohnung. Er dient der Durchführung von Kontrollen und nicht der Durchsetzung der Ausreisepflicht. Das bloße Betreten der Wohnung ist zudem von der abdrängenden [X.] in § 208 Abs. 4 Satz 3 LVwG [X.] nicht erfasst.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2 FamFG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 GNotKG.

Von der Festsetzung des Gegenstandswerts von Amts wegen wird abgesehen. Gemäß § 33 Abs. 1 [X.] wird der Wert für die anwaltliche Tätigkeit nur auf Antrag festgesetzt, wenn es an einem für die Gerichtsgebühren maßgeblichen Wert fehlt.

Schäfer     

  

     Berg     

  

Anstötz

  

Ri[X.] [X.] befindet
sich im Urlaub und ist deshalb
gehindert zu unterschreiben.     

  

[X.]     

  

  

Schäfer

  

  

  

Meta

3 ZB 3/22

16.05.2023

Bundesgerichtshof 3. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, 16. Mai 2022, Az: 2 W 8/22, Beschluss

§ 17a Abs 2 S 1 GVG, § 40 Abs 1 S 1 Halbs 1 VwGO, § 40 Abs 1 S 1 Halbs 2 VwGO, § 40 Abs 1 S 2 VwGO, § 58 Abs 6 AufenthG, § 58 Abs 10 AufenthG, § 106 Abs 2 S 1 AufenthG, § 208 Abs 3 S 1 Nr 3 Buchst b VwG SH, § 208 Abs 4 S 3 VwG SH, Art 74 Abs 1 Nr 1 GG, Art 84 Abs 1 S 1 GG, § 71 Abs 1 S 1 FamFG

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 16.05.2023, Az. 3 ZB 3/22 (REWIS RS 2023, 4352)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 4352

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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