Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.11.2016, Az. 4 StR 289/16

4. Strafsenat | REWIS RS 2016, 1855

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen

[X.]:[X.]:[X.]:2016:241116U4STR289.16.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
4
StR
289/16

vom
24. November 2016
in der Strafsache
gegen

wegen gefährlicher Körperverletzung

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 24.
November
2016, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende [X.]in
am [X.]
Sost-Scheible,

[X.]in
am [X.]
Roggenbuck,
[X.] am [X.]
Cierniak,
[X.],
Dr. Quentin

als beisitzende [X.],

Staatsanwältin beim [X.]

als Vertreterin
des
[X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

die Nebenklägerin in Person,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:

-
3
-
1.
Die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Land-gerichts
Detmold vom 22.
Februar 2016 wird verworfen.
2.
Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels und die der Nebenklägerin hierdurch entstandenen notwendi-gen Auslagen zu tragen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverlet-zung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt und deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt. Hiergegen richtet sich seine auf Verfahrensrügen und sachlich-rechtliche Beanstandungen gestützte Revision. Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
I.
1.
Das [X.] hat im Wesentlichen folgende Feststellungen ge-troffen:
Der 1986 geborene Angeklagte war mit der Nebenklägerin seit 2007
verheiratet. Nachdem die Ehe zunächst harmonisch verlaufen war, kam es 2008/2009 zu ersten Problemen, da sich die Nebenklägerin zu anderen [X.] hingezogen fühlte und der Angeklagte aufbrausend reagierte, wenn er im Studium (Lehramt in Theologie und Mathematik) schlechte Noten bekam. In 1
2
3
-
4
-
dieser Zeit wurde die Nebenklägerin an ihrer neuen Arbeitsste-

Beschwerden entwickelte und 20
kg abnahm. Nach einer vorübergehenden Besserung der Beziehung nach der [X.] ihrer Tochter im Jahr 2010 verschlechterte sich diese wieder während der zweiten Schwangerschaft der Nebenklägerin 2011/2012. Die Nebenklägerin nahm weiter ab und wog im Februar 2012 bei 157
cm Größe noch 57
kg. Im März 2012 gebar sie ihr zweites Kind. In der Folge zog sich der Angeklagte, der sich überfordert fühlte, immer mehr zurück; die Nebenklägerin hatte das Gefühl, er benötige sie nur mehr als Haushaltshilfe. Sie verlor weiter an Gewicht und wog im Mai 2012 lediglich
48
kg. Auch in den Folgemonaten nahm die Neben-klägerin weiter ab. Der Angeklagte bemerkte dies, begleitete die Nebenklägerin auch bei Arztbesuchen, kümmerte sich aber nicht weiter um sie, als die Ärzte die Ursache des Gewichtsverlustes nicht aufklären konnten. Vielmehr flüchtete er sich in seine 2012 aufgenommene Tätigkeit als Referendar, zog sich weiter zurück und befasste sich insbesondere mit der Unterrichtsvorbereitung und Computerspielen. Mit dem Haushalt und der Betreuung der Kinder wollte er nichts zu tun haben; dies war nach seiner Ansicht Aufgabe der Nebenklägerin. Schließlich lebten der Angeklagte und die Nebenklägerin nur noch [X.] her.
Die Nebenklägerin nahm währenddessen weiter ab. Hierauf von [X.] angesprochen erklärte sie den Gewichtsverlust mit Nahrungs-mittelunverträglichkeiten. Schließlich stellte sie Ende 2012 den Kontakt zu ihren Schwestern völlig ein, nachdem diese sie immer wieder auf ihr Gewicht ange-sprochen hatten.
Ende April/Anfang Mai 2013 wog die Nebenklägerin nur noch 34,5
kg. Am 30.
April 2013 aß sie Himbeeren und litt daraufhin in der Nacht und am fol-4
5
-
5
-
genden Tag an starken Bauchschmerzen und Durchfall. Dies bemerkte der An-geklagte, dem die Nebenklägerin hiervon auch erzählte. Am Morgen des 2.
Mai 2013 verließ der Angeklagte nach 6
Uhr das Haus und fuhr zur Arbeit. Um den gesundheitlichen Zustand der Nebenklägerin kümmerte er sich
nicht weiter, obwohl er gesehen hatte, dass es ihr schlecht ging und sie sehr schwach war. Tatsächlich war ihre Blutzuckerkonzentration bereits unter den aus medizini-scher Sicht kritischen Wert vom 50
mg/dl gesunken, ihr Blutdruck war sehr niedrig, der Herzschlag war verlangsamt und die Körpertemperatur war erheb-
Sofa. Im Verlauf des [X.] ging ihr Blutzuckerspiegel weiter zurück; auch die

Der Angeklagte, der gegen 15.20
Uhr nach Hause kam, bemerkte den gegenüber dem Morgen deutlich verschlechterten Zustand der Nebenklägerin und erkannte, dass sie dringend ärztlicher Hilfe bedurfte. Er unternahm jedoch nichts, sondern befasste sich bis 19.34
Uhr mit einem Computerspiel. Als er danach ins Wohnzimmer zurückkehrte, lag die Nebenklägerin auf dem Sofa und fror. Der Angeklagte deckte sie zu und bemerkte dabei die Kälte, die von ihrem [X.] jedoch, insbesondere rief er keinen Arzt, sondern zog sich erneut [X.], um bis ca. 21
Uhr zu arbeiten. Anschließend setzte er
sich neben die Ne-benklägerin auf das Sofa und sah fern. Auch hierbei bemerkte er die Kälte, die von der Nebenklägerin, deren Körpertemperatur inzwischen auf ca. 33
Grad Celsius gesunken war, ausging. Er unternahm aber auch weiterhin nichts, son-dern legte sich neben die Nebenklägerin, um am kommenden Schultag [X.] zu sein.
6
-
6
-
Gegen 2
Uhr wachte der Angeklagte auf, da die Nebenklägerin ein Ge-tränk, dass er ihr vor dem Einschlafen auf ihren Wunsch hin gebracht hatte, verschüttet hatte, weil sie zu schwach war, um die Flasche zu halten. Daraufhin holte der Angeklagte ihr eine neue Decke und deckte sie zu. Hierbei berührte er [X.] ferner, dass sie nur noch apathisch auf dem Sofa
lag, kaum noch [X.] hatte, sich zu bewegen, und auf Ansprache kaum mehr reagierte. Spätestens jetzt erkannte er, dass sich die Nebenklägerin in Lebensgefahr befand. Gleich-wohl unternahm er auch weiterhin nichts, obwohl ihm bewusst war, dass er als Ehemann Verantwortung für die Nebenklägerin trug und verpflichtet war, ihr zu helfen. Ihm kam es vielmehr darauf an, in Ruhe weiterschlafen zu können.
Gegen 6
Uhr wachte der Angeklagte erneut auf. Die Nebenklägerin hatte sich erbrochen und war nicht mehr ansprechbar; ihre Augen waren starr
und ihre Pupillen reagierten

wie der Angeklagte erkannte

nicht mehr. Daraufhin verständigte der Angeklagte den Notarzt. Bei der Aufnahme der Nebenklägerin in die Klinik wies sie eine Blutzuckerkonzentration von 21
mg/dl auf; ihre [X.] betrug weniger als 33
Grad Celsius, die Temperatur der nicht sicher, dass ihr Leben gerettet werden kann. Tatsächlich stabilisierte sich der Zustand
der Nebenklägerin nach und nach, auch nahm sie wieder zu, so dass sie bei ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 4.
Juni 2013
35,5
kg wog.
In der Folgezeit erhob die Nebenklägerin schwere Vorwürfe gegen den Angeklagten, unter anderem wegen sexuellen Missbrauchs ihrer Tochter. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden jedoch von der [X.] mangels Tatverdachts nach §
170 Abs.
2 StPO eingestellt.
7
8
9
-
7
-
2.
Die [X.] hat das Verhalten des Angeklagten am 3.
Mai 2013 um 2
Uhr als gefährliche Körperverletzung durch Unterlassen (§
224 Abs.
1 Nr.
5 StGB) bewertet. Die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ih-res erheblich geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage ge-wesen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbe-prozess entgegenzuwirken. Der deshalb bestehenden konkreten Handlungs-pflicht des Angeklagten sei dieser nicht nachgekommen, obwohl es ihm möglich gewesen wäre, ärztliche Hilfe zu holen. Durch das Unterlassen, das für die Ne-benklägerin lebensgefährdend gewesen sei, habe sich ihr Gesundheitszustand weiter verschlechtert. Von all dem habe der Angeklagte gewusst.
3.
Der Angeklagte beanstandet mit Verfahrensrügen, dass mehrere
Urkunden (Kassenbelege von Einkäufen der Nebenklägerin, ein Gutachten aus dem familiengerichtlichen Verfahren) sowie ein hilfsweise gestellter Beweisan-trag auf Einholung eines Glaubhaftigkeitsgutachtens bezüglich der Nebenkläge-s-
Sachrüge macht der [X.] unter anderem geltend, dass sich das
Urteil nicht zu der für die Verurteilung erforderlichen Steigerung des körper-lichen Unwohlbefindens der Nebenklägerin nach 2
Uhr verhalte. Auch sei die Blutzuckerkonzentration und Körperkerntemperatur der Nebenklägerin für den Angeklagten als medizinischen Laien nicht erkennbar gewesen, zumal die [X.] in unzulässiger Weise unterstellt habe, dass es zwischen dem Angeklagten und der Nebenklägerin zu einer Berührung bzw. Hautkontakt [X.] sei.
10
11
-
8
-
II.
Das Rechtsmittel hat keinen Erfolg.
1.
Die Verfahrensrügen sind

wie der [X.] in seiner Antragsschrift vom 8.
Juli 2016 ausgeführt hat

bereits unzulässig (§
344 Abs.
2 Satz
2 StPO), da die Revision weder die Urkunden vorlegt, deren Erörte-rung im Urteil sie vermisst, noch den Beweisantrag auf Erholung des Sachver-ständigengutachtens wiedergibt.
2.
Das Urteil hält im Ergebnis auch der sachlich-rechtlichen Überprüfung stand.
Dabei geht die [X.] zutreffend davon aus, dass jedenfalls bei

wie hier

bestehender Lebensgemeinschaft die Ehegatten einander als [X.] zum Schutz verpflichtet sind ([X.], Urteil vom 24.
Juli 2003

3
StR 153/03, [X.], 156 m. Anm. [X.]). Ferner hat es rechtsfehlerfrei darge-legt, dass der Angeklagte aufgrund dieser Garantenstellung um bzw. kurz nach 2
Uhr am 3.
Mai 2013 verpflichtet gewesen sei, ärztliche Hilfe für die Nebenklä-gerin herbeizurufen, er dies jedoch

vorsätzlich

unterlassen habe. Hierdurch sei

wie das [X.] ebenfalls rechtsfehlerfrei festgestellt hat

auch eine lebensgefährliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der
Nebenklä-gerin eingetreten

224 Abs.
1 Nr.
5 StGB).
a)
Insofern begegnet insbesondere die Beweiswürdigung der [X.] keinen durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
12
13
14
15
16
-
9
-
aa)
Die revisionsgerichtliche Überprüfung der Beweiswürdigung be-schränkt sich allein darauf, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind (§
337 Abs.
1 StPO). Das ist in sachlich-rechtlicher Hinsicht der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld des Ange-klagten überhöhte Anforderungen stellt. Liegen solche Rechtsfehler nicht vor, hat das Revisionsgericht die tatrichterliche Überzeugungsbildung auch dann hinzunehmen, wenn eine abweichende Würdigung der Beweise möglich oder sogar näherliegend gewesen wäre (st. Rspr.; vgl. nur [X.], Urteile vom 20.
September 2012

3
StR
158/12, [X.], 89, 90; vom 26.
April 2012

4
StR
599/11 mwN). Gleichermaßen Sache des Tatrichters ist es, die Bedeu-tung und das Gewicht der einzelnen be-
oder entlastenden Indizien in der Ge-samtwürdigung des Beweisergebnisses zu bewerten. Ist diese Bewertung nach den dargestellten rechtlichen Maßstäben vertretbar, so kann das Revisions-gericht nicht auf der Grundlage einer abweichenden Beurteilung der Bedeutung einer Indiztatsache in die Überzeugungsbildung des Tatrichters eingreifen ([X.], Urteile vom 9.
Juni 2005

3
StR
269/04, NJW 2005, 2322, 2326; vom 20.
September 2012

3
StR
158/12, [X.], 89, 90).
bb)
Hiervon ausgehend weist die Beweiswürdigung der [X.] keinen Rechtsfehler auf.
Entgegen der Ansicht des [X.]s hat die [X.] ausrei-chende Feststellungen zum Gesundheitszustand der Nebenklägerin am 3.
Mai 2013 um 2
Uhr getroffen und hinreichend dargelegt, dass sich dieser bis 6
Uhr weiter verschlechtert hat (vgl. u.a. UA S.
15: Steigerung des pathologischen und lebensbedrohlichen Zustandes um 2
Uhr bis zur akuten Lebensgefahr um 6
Uhr). Die Erkennbarkeit des lebensbedrohlichen Zustandes der Nebenkläg[X.]
18
19
-
10
-
rin bereits um 2
Uhr stützt die [X.] vor dem Hintergrund des auch für den Angeklagten deutlich erkennbaren und erkannten Gewichtsverlustes der Nebenklägerin (vgl. dazu auch [X.], Urteile vom 12.
Juli 2005

1
StR
65/05, [X.], 174, 175; vom 4.
August 2015

1
StR
624/14, juris Rn.
24) und die ihm bekannten aktuellen gesundheitlichen Probleme der Nebenklägerin nach dem Genuss der Himbeeren rechtsfehlerfrei im Wesentlichen auf die ent-sprechenden Ausführungen des rechtsmedizinischen Sachverständigen. Dieser hat unter anderem dargelegt, dass nicht nur wegen der von der Nebenklägerin e-

17). Vielmehr sei auch der apathische Zustand der Nebenklägerin von dem eines bloßen Verschlafen-seins, auf das sich der Angeklagte beruft (UA S.

n-

19). Auch im Übrigen

etwa zu den vom [X.] fest-gestellten Berührungen der Nebenklägerin

weist die Beweiswürdigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten auf und ist daher vom Revisions-gericht hinzunehmen.
Soweit der [X.] beanstandet, dass die Aussage der Nebenklägerin lediglich in Ansätzen mitgeteilt sei und sich das [X.] mit der Aussage nicht differenziert auseinandersetze, vermag der Senat ebenfalls keinen durchgreifenden Rechtsfehler zu erkennen. Denn den [X.] sind die Angaben der Nebenklägerin hinreichend zu entnehmen (vgl. etwa UA S.
18/19, 20). Auch hat die [X.] sich mit diesen differenziert auseinandergesetzt und dabei unter anderem dargelegt, dass sie ihnen nur teilweise folgt (vgl. UA S.
18/19) und insbesondere die Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs der Tochter oder einer vorsätzlichen Tötung

aus rechtsfehler-freien Erwägungen (UA S.
10 und 20)

h-20
-
11
-

Überprüfung allein auf die Sachrüge hin nicht zugänglich.
b)
Das Urteil hält entgegen der Ansicht des [X.]s und des [X.] rechtlicher Überprüfung auch stand, soweit die [X.]

lediglich im Rahmen der Strafzumessung

t-verantwortung (der Nebenklägerin) für die Eskalati
u-

22 Mitte). Hierdurch hat sie im Ergebnis zu Recht bejaht, dass die Garantenpflicht des Angeklagten auch und trotz einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung der Nebenklägerin bestand.
aa)
Zwar unterfällt nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] eine eigenverantwortlich gewollte und verwirklichte Selbstgefährdung grundsätzlich nicht den Tatbeständen eines Körperverletzungs-
oder Tötungs-delikts, wenn sich das mit der Gefährdung vom Opfer bewusst eingegangene Risiko realisiert. Wer eine solche Gefährdung veranlasst, ermöglicht oder för-dert, kann daher nicht wegen eines Körperverletzungs-
oder Tötungsdelikts verurteilt werden; denn er nimmt an einem Geschehen teil, welches

soweit es um die Strafbarkeit wegen Tötung oder Körperverletzung geht

kein tatbe-standsmäßiger und damit strafbarer Vorgang ist (vgl. etwa [X.], Urteil vom 28.
Januar 2014

1
StR
494/13, [X.]St 59, 150, 167 Rn.
71; Beschluss vom 5.
August 2015

1
StR
328/15, [X.], 406
f.).
bb)
Eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung ihres Lebens oder ihrer Gesundheit durch die Nebenklägerin schloss hier jedoch die
Garantenpflicht 21
22
23
-
12
-
des Angeklagten zur Abwendung der (zumindest) lebensgefährlichen Gesund-heitsschädigung der Nebenklägerin nicht aus.
(1)
Der [X.] hat bereits entschieden, dass die Erfolgsab-wendungspflicht eines Garanten nicht stets schon dann entfällt, wenn sein [X.] zunächst lediglich eine eigenverantwortliche Selbstgefährdung derjeni-gen Person ermöglicht, für dessen Rechtsgut bzw. Rechtsgüter er als Garant rechtlich im Sinne von §
13 Abs.
1 StGB einzustehen hat (vgl. [X.], Urteile vom 27.
Juni 1984

3
StR
144/84, [X.], 452 und vom 9.
November 1984

2
StR
257/84, [X.], 319, 320; Beschluss vom 5.
August 2015

1
StR
328/15, [X.], 406
f.). Die Straflosigkeit des auf die Herbeiführung des Risikos gerichteten Verhaltens ändert nichts daran, dass für den Täter Garan-tenpflichten in dem Zeitpunkt bestehen, in dem aus dem allgemeinen Risiko eine besondere Gefahrenlage erwächst. Mit dem Eintritt einer solchen Gefah-renlage ist der Täter verpflichtet, den drohenden Erfolg abzuwenden ([X.],
Urteile vom 27.
Juni 1984

3
StR
144/84, [X.], 452 und vom 9.
No-vember 1984

2
StR
257/84, [X.], 319, 320; Beschluss vom 5.
August 2015

1
StR
328/15, [X.], 406
f.).
(2)
An diesen Grundsätzen ist jedenfalls dann festzuhalten,
wenn das Verhalten des Opfers sich in Bezug auf das Rechtsgut Leben und Gesundheit in einer eigenverantwortlichen Selbstgefährdung erschöpft (vgl. [X.], [X.] vom 5.
August 2015

1
StR
328/15, [X.], 406
f.). In diesen
Fällen bleibt zwar die Beteiligung an der eigenverantwortlichen Selbstgefähr-dung für einen Garanten an sich straffrei, bei Realisierung des von dem be-troffenen Rechtsgutsinhaber eingegangenen Risikos besteht indes eine straf-bewehrte Erfolgsabwendungspflicht aus §
13 Abs.
1 StGB. Denn anders als in den Selbsttötungsfällen erschöpft sich im Fall der Selbstgefährdung die Preis-24
25
-
13
-
gabe des eigenen Rechtsguts gerade darin, dieses in einem vom Betroffenen jedenfalls in seinem wesentlichen Grad zutreffend erkannten Umfang einem Risiko auszusetzen. Eine Hinnahme des als möglich erkannten Erfolgseintritts bei Realisierung des eingegangenen Risikos ist mit der Vornahme der [X.] indes nicht notwendig verbunden. Entwickelt sich das allein auf Selbstgefährdung angelegte Geschehen daher erwartungswidrig in Richtung auf den Verlust des Rechtsguts, umfasst die ursprüngliche Entscheidung des Rechtsgutsinhabers für die (bloße) Gefährdung seines Rechtsguts nicht zu-gleich den Verzicht auf Maßnahmen zum Erhalt des nunmehr in einen Zustand konkreter
Gefahr geratenen Rechtsguts. Eine Person, die nach den allgemei-nen Grundsätzen des §
13 Abs.
1 StGB Garant für das bedrohte Rechtsgut ist, trifft dann im Rahmen des tatsächlich Möglichen und ihr rechtlich Zumutbaren die Pflicht, den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs abzuwenden ([X.], [X.] vom 5.
August 2015

1
StR
328/15, [X.], 406
f.
mwN).
(3)
Dies zugrunde gelegt, bestand für den Angeklagten eine Garanten-pflicht, der er nicht nachgekommen ist, weil er um bzw. kurz nach 2
Uhr, als die Möglichkeit der Abwendung der (weiteren) lebensgefährlichen Verschlechte-rung des Gesundheitszustandes der Nebenklägerin bestand, auf das Herbei-rufen medizinischer Hilfe verzichtet hat.
(3.1.)
Nach den vom [X.] rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellun-gen war die Nebenklägerin um bzw. kurz nach 2
Uhr nicht (mehr) zu einer [X.] Risikobeurteilung und -abwägung in der Lage. Dies hatte zur Folge, dass der Angeklagte mangels Eigenverantwortlichkeit der sich bis dahin ([X.]) selbst gefährdenden Nebenklägerin die Tat-
bzw. [X.] über das Geschehen erlangte (vgl. [X.], Beschluss vom 16.
Januar 2014

1
StR
389/13, [X.]R StGB §
227 Beteiligung
4, Rn. 20, 31; ferner [X.], Be-26
27
-
14
-
schluss vom 11.
Januar 2011

5
StR
491/10, [X.] 2011, 266, 267 m. Anm. [X.]; Urteil vom 28.
Januar 2014

1
StR
494/13, [X.]St 59, 150, 168, Rn. 73 mwN).
Denn nach den getroffenen Feststellungen bemerkte der Angeklagte be-reits um 2

sondern auch, dass
sie nur noch apathisch auf dem Sofa lag, kaum noch [X.] hatte, sich zu bewegen, und kaum auf Ansprache reagierte (UA S.
9, 18/19; zur entsprechenden Einlassung des Angeklagten: UA S.
14 oben). Dies entspricht in objektiver Hinsicht den vom rechtsmedizinischen Sachverständigen mitgeteil-ten Folgen eines erheblichen Gewichtsverlustes, nämlich fortschreitender Un-terkühlung, Bettlägerigkeit, Apathie und Lethargie (UA S.
15). Die Annahme der [X.], die Nebenklägerin sei zu diesem Zeitpunkt aufgrund ihres [X.] geschwächten Gesundheitszustandes nicht mehr in der Lage gewesen, selbst Maßnahmen zu ergreifen, um dem bereits begonnenen Sterbeprozess entgegenzuwirken und der Angeklagte habe (auch) dies erkannt (UA S.
21), begegnet daher keinen Bedenken.
(3.2.)
Aus den vom [X.] getroffenen Feststellungen ergibt sich ferner, dass der Gewichtsverlust der Nebenklägerin nicht von einem (ernsthaf-ten) Selbsttötungswillen getragen war.
Auch dies weist trotz ihres teilweise aggressiven und abweisenden [X.]s, wenn sie hierauf angesprochen wurde, vor dem Hintergrund, dass die Nebenklägerin noch um 2
Uhr ein Getränk zu sich nahm, um das sie den [X.] zuvor gebeten hatte, ihres Engagements innerhalb der Familie trotz des Eindrucks, dass der Angeklagte sie nur noch als Haushaltshilfe benötige, sowie der von ihr für den Gewichtsverlust abgegebenen Erklärungen (psycho-28
29
30
-
15
-
Schwangerschaft verbundene Hormonumstellung und eine damit einhergehen-de Appetitlosigkeit, Nahrungsmittelunverträglichkeiten),
keinen Rechtsfehler auf.
(3.3.)
Die Nebenklägerin hat in ihre (weitere) Gesundheitsschädigung auch nicht wirksam eingewilligt (§
228 StGB).
Denn dies setzt

unter anderem

voraus, dass sie einen entsprechen-den Willen frei bilden und entsprechend handeln konnte (vgl. [X.], Urteil vom 19.
Juli 2012

497/12, NJW 2013, 2953, 2955 mwN; [X.], Beschluss vom 10.
November 2010

2
StR
320/10, [X.] 2011, 316, 317 m. Anm. [X.]/Metz-macher). Hieran fehlte es indes

wie oben ausgeführt

jedenfalls für den hier maßgeblichen Zeitpunkt am 3.
Mai 2013 um bzw. kurz nach 2
Uhr.
c)
Auch im Übrigen weist das Urteil keinen den Angeklagten beschwe-renden Rechtsfehler auf (vgl. zu §
13 Abs.
1 StGB etwa [X.], Urteil vom 4.
August 2015

1
StR
624/14, juris Rn. 39).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Cierniak

Mutzbauer
Quentin
31
32
33

Meta

4 StR 289/16

24.11.2016

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.11.2016, Az. 4 StR 289/16 (REWIS RS 2016, 1855)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 1855

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

4 StR 289/16 (Bundesgerichtshof)

Körperverletzung durch Unterlassen: Umfang der Beschützergarantenpflicht des Ehemannes bei eigenverantwortlicher Selbstgefährdung der Ehefrau


5 StR 92/07 (Bundesgerichtshof)


4 StR 287/17 (Bundesgerichtshof)

Schwerer sexueller Missbrauch einer widerstandsunfähigen Person: Widerstandsunfähigkeit einer stark alkoholisierten Person und Anforderungen an die …


4 StR 360/12 (Bundesgerichtshof)

Strafverfahren wegen sexuellen Kindesmissbrauchs: Anforderungen an die Beweiswürdigung bei Abweichen vom Gutachten des Sachverständigen und …


5 StR 542/08 (Bundesgerichtshof)


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.