Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2022, Az. XII ZB 237/22

12. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 8230

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Gegenstand

Beschwerde in Betreuungssachen: Notwendige Feststellungen bei Anordnung einer umfassenden Betreuung


Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird der Beschluss der 29. Zivilkammer des [X.] vom 28. April 2022 aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung, auch über die außergerichtlichen Kosten des [X.], an das [X.] zurückverwiesen.

Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtskostenfrei.

Eine Festsetzung des [X.] (§ 36 Abs. 3 GNotKG) ist nicht veranlasst.

Gründe

I.

1

Der 54-jährige Betroffene leidet nach den getroffenen Feststellungen an einer paranoiden Schizophrenie, wegen der er seine Angelegenheiten nicht mehr selbst besorgen kann. Das Amtsgericht hat eine Betreuung für alle Angelegenheiten sowie Postangelegenheiten angeordnet und den Beteiligten zu 2 als Berufsbetreuer bestellt. Das [X.] hat die Beschwerde des Betroffenen zurückgewiesen. Hiergegen richtet sich seine Rechtsbeschwerde.

II.

2

Die Rechtsbeschwerde ist begründet.

3

1. Das [X.] hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die gesetzliche Betreuung für den unter paranoider Schizophrenie leidenden Betroffenen solle aus Sicht des Sachverständigen vollumfänglich für alle Bereiche eingerichtet werden. Eine Krankheitseinsicht bestehe nicht und es gebe auch keine Hilfemöglichkeiten, die eine Betreuung ganz oder teilweise entbehrlich machten.

4

2. Die angefochtene Entscheidung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand, weil sie keine hinreichende Begründung zum Umfang des Aufgabenkreises enthält.

5

a) Nach § 1896 Abs. 2 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, soweit die Betreuung erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung darf sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst zu regeln (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann. Für die Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten bedarf es konkreter Darlegung, dass Handlungsbedarf in allen Angelegenheiten besteht (vgl. [X.]sbeschluss vom 10. Juni 2020 - [X.]/20 - FamRZ 2020, 1588 Rn. 9 mwN).

6

b) Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht, denn sie enthält keine konkreten Feststellungen zur Erforderlichkeit des angeordneten umfassenden Aufgabenkreises.

7

Derartige Feststellungen lassen sich auch nicht dem Sachverständigengutachten und der Stellungnahme der Betreuungsbehörde entnehmen, auf die das [X.] Bezug nimmt. Soweit das Sachverständigengutachten den Aufgabenbereich der Aufenthaltsbestimmung hervorhebt und dies damit begründet, dass der Betroffene künftig außerhalb der Familie leben solle, um den Kindern eine bessere psychische und seelische Entwicklung sowie ein gesundes und unbeschwertes Aufwachsen zu ermöglichen, ist bereits nicht erkennbar, dass sich daraus ein Betreuungsbedarf zum Wohle des Betroffenen ergibt.

8

3. Der angefochtene Beschluss kann daher keinen Bestand haben. Der [X.] kann in der Sache nicht abschließend entscheiden, da er die noch erforderlichen Feststellungen nicht selbst treffen kann.

9

Die Zurückverweisung gibt dem [X.] auch Gelegenheit, die von der Rechtsbeschwerde gegen das Sachverständigengutachten erhobenen Einwände zu berücksichtigen. Für das weitere Verfahren weist der [X.] zudem darauf hin, dass die Anordnung einer Betreuung für „alle Angelegenheiten“ nach der am 1. Januar 2023 in [X.] tretenden Fassung des § 1815 BGB nicht mehr zulässig ist (vgl. [X.]. 564/20 S. 310).

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

Guhling     

  

Klinkhammer     

  

Günter

  

Nedden-Boeger     

  

Pernice     

  

Meta

XII ZB 237/22

14.12.2022

Bundesgerichtshof 12. Zivilsenat

Beschluss

Sachgebiet: ZB

vorgehend LG Frankfurt, 28. April 2022, Az: 2-29 T 25/22

§ 1896 Abs 2 S 1 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 14.12.2022, Az. XII ZB 237/22 (REWIS RS 2022, 8230)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 8230

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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XII ZB 25/20

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