Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.04.2011, Az. 5 AZR 184/10

5. Senat | REWIS RS 2011, 7339

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Gegenstand

Einbehalt von Sozialversicherungsbeiträgen - landesrechtlich geregelter Übergang von Arbeitsverhältnissen


Tenor

1. Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 14. Januar 2010 - 4 [X.]/09 - wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über einbehaltene Arbeitnehmeranteile zum [X.]sbeitrag.

2

Die beklagte Aktiengesellschaft ist aufgrund Verschmelzung im Laufe des Verfahrens Rechtsnachfolgerin der [X.] geworden. Der 1943 geborene Kläger war seit 1972 bei der [X.], einer Anstalt des öffentlichen Rechts, beschäftigt und dort im „[X.]“ tätig. Seine betriebliche Altersversorgung regelte sich seit dem Jahre 1984 ohne inhaltliche Änderungen durch Dienstvereinbarung, zuletzt durch die „[X.]“ vom 7. Juli 1997. Danach stand dem Kläger eine Gesamtversorgung iHv. 75 % des zuletzt bezogenen Gehalts zu, auf die [X.]. Renten, die er aufgrund nicht ausschließlich eigener Leistung von der Sozialversicherung erhält, anzurechnen sind.

3

Nach dem durch das [X.] 1992 mit Wirkung zum 1. Jan[X.]r 1992 eingeführten § 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI sind in der gesetzlichen [X.] versicherungsfrei Beschäftigte von Körperschaften, Anstalten oder Stiftungen des öffentlichen Rechts, denen nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen eine Anwartschaft auf Versorgung bei verminderter Erwerbsfähigkeit und im Alter sowie auf Hinterbliebenenversorgung gewährleistet ist, wenn die Erfüllung der Gewährleistung gesichert ist. Das Gesetz verlangt ferner, dass bei der [X.] unterliegenden Rechtsträgern das Vorliegen der Voraussetzungen von der zuständigen Landesbehörde bestätigt wird. Soweit Personen am 31. Dezember 1991 noch versicherungspflichtig waren, ist nach § 230 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ein entsprechender Antrag zu stellen.

4

Die [X.] machte von dieser Möglichkeit zunächst keinen Gebrauch, jedoch wurde seit 1994 der Gesamtpersonalrat initiativ. Der Vorstand der [X.] beschloss deshalb am 10. August 1996, für die der einschlägigen Dienstvereinbarung unterliegenden Beschäftigten mit deren Zustimmung einen Antrag auf Befreiung von der Sozialversicherung zu stellen, soweit bestimmte - beim Kläger vorliegende - Voraussetzungen erfüllt waren. Bei Versicherungsfreiheit erhöhen sich die vom Arbeitgeber zu zahlenden Renten im Rahmen der Gesamtversorgung wegen der geringeren Ansprüche auf gesetzliche Rente. Die betroffenen Arbeitnehmer wurden durch ein Merkblatt sowie ein Anschreiben unterrichtet. Darin war klargestellt, dass mit einem vom Mitarbeiter und der Bank gemeinsam zu stellenden Antrag bei der Sozialversicherung die Voraussetzungen der Versicherungsfreiheit erfüllt sind. Ferner heißt es in dem Anschreiben an die betroffenen Arbeitnehmer:

        

„Sofern der Antrag positiv von der [X.] beschieden wird, wirkt die Befreiung ab Eingang des Antrags bei dem Träger der [X.]. Ab diesem Zeitpunkt werden wir, solange dafür die Voraussetzungen vorliegen, keine [X.]sbeiträge (…) mehr abführen.“

5

Antragsgemäß wurde der Kläger von der Pflichtversicherung in der gesetzlichen [X.] befreit.

6

Durch Gesetz vom 7. Mai 2003 wurde die [X.] Girozentrale neu strukturiert. Art. 4 dieses Gesetzes enthält das „Gesetz über die Ausgliederung der [X.] aus dem Vermögen der [X.] Girozentrale“ ([X.]). Nach dessen § 1 Abs. 1 wird „die als rechtlich unselbständiger Zentralbereich der [X.] Girozentrale betriebene [X.] ([X.]) (…) aus dem Vermögen der [X.] Girozentrale ausgegliedert und auf eine dadurch gegründete Aktiengesellschaft übertragen“. Die Wahl der Rechtsform der Aktiengesellschaft erfolgte auf Betreiben des Vorstands und der Eigentümer der [X.]. Den Übergang der Arbeitsverhältnisse regelt § 4 Abs. 1 [X.] wie folgt:

        

„Die Arbeitsverhältnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die in der gemäß § 1 ausgegliederten [X.] (…) beschäftigt sind, gehen mit dem Tage des Wirksamwerdens der Ausgliederung mit allen Rechten und Pflichten auf die [X.] über.“

7

Seit dem 1. Juni 2003 behielten die [X.] und später die Beklagte den Arbeitnehmeranteil der [X.]sbeiträge vom Bruttoentgelt des [X.] (wieder) ein und führten ihn ab.

8

Mit seiner am 28. April 2005 eingereichten und mit Schriftsatz vom 20. November 2008 erweiterten Klage hat der Kläger zunächst Ersatz des Schadens geltend gemacht, der ihm seit dem 1. Juni 2003 bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand im Jahre 2006 dadurch entstanden sei, dass sein Bruttogehalt mit Arbeitnehmerbeiträgen zur gesetzlichen [X.] belastet wurde. Er hat dazu die Auffassung vertreten, die [X.] habe eine Gesamtzusage erteilt, ihn von der [X.]spflicht zu befreien. Aufgrund einer Entscheidung der [X.] sei die [X.] in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden. Deshalb sei die Erfüllung der Gesamtzusage unmöglich, was von der [X.] zu vertreten sei. Dafür habe die Beklagte als Rechtsnachfolgerin einzustehen.

9

Nachdem das [X.] in gleichgelagerten Parallelverfahren einen Schadensersatzanspruch verneinte (15. Juli 2008 - 3 [X.]/07 - [X.] ZPO § 253 Nr. 48 sowie - 3 [X.] - und - 3 AZR 1059/06 -), hat der Kläger einen Erfüllungsanspruch geltend gemacht und die Auffassung vertreten, § 4 Abs. 1 [X.] verpflichte die Beklagte, ihn so zu stellen, als wäre die innerbetriebliche Handhabung zur Gewährleistung der gesetzlichen Sozialversicherungsfreiheit weiter möglich gewesen. Die Minderung seines Nettoeinkommens stehe im Widerspruch zum Ziel des § 4 Abs. 1 [X.], den Inhalt des Arbeitsverhältnisses unverändert zu erhalten.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.089,67 Euro nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 5.802,40 Euro seit dem 4. Mai 2005 bis zum 6. Jan[X.]r 2009 und aus 9.089,67 Euro seit dem 6. Jan[X.]r 2009 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und geltend gemacht, der Kläger habe keine von den gesetzlichen Befreiungsvoraussetzungen unabhängige Rechtsposition erworben, insbesondere keinen Anspruch auf Erhöhung der Nettovergütung um den Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen [X.].

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.] zurückgewiesen. Mit der vom [X.] zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat die Berufung des [X.] gegen das klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.

I. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Zahlung weiterer Vergütung in Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum von seinem Bruttoentgelt einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zum [X.]sbeitrag. Die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerin haben den Vergütungsanspruch des [X.] erfüllt (§ 362 Abs. 1 BGB).

1. Die Beklagte kann dem Entgeltanspruch des [X.] den besonderen Erfüllungseinwand der Einbehaltung und Abführung von [X.]sbeiträgen entgegenhalten.

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den Gesamtsozialversicherungsbeitrag (§ 28d SGB IV) an die Einzugsstelle zu zahlen. Er hat gemäß § 28g Satz 1 und Satz 2 SGB IV gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf den vom Beschäftigten zu tragenden Teil des [X.], den er ausschließlich im Wege des Abzugs vom Arbeitsentgelt geltend machen kann. Mit dem Abzug und der Abführung von Lohnbestandteilen erfüllt der Arbeitgeber seine Zahlungspflicht gegenüber dem Arbeitnehmer ([X.] 7. März 2001 - [X.] - zu III 1 b der Gründe mwN, [X.] 97, 150). Die Abführung begründet einen besonderen Erfüllungseinwand, ohne dass es einer Aufrechnung bedürfte ([X.] 30. April 2008 - 5 [X.] - Rn. 18, [X.] 126, 325). Soweit die Abführung vor der Verschmelzung durch die vormalige Arbeitgeberin des [X.], der [X.], erfolgte, kann die Beklagte den besonderen Erfüllungseinwand nach § 324 UmwG iVm. § 613a Abs. 1 BGB erheben.

Dass der Kläger ab dem 1. Juni 2003 (wieder) versicherungspflichtig in der gesetzlichen [X.] war, stellt er selbst nicht in Abrede.

2. § 4 Abs. 1 [X.] begründet keinen Vergütungsanspruch in Höhe der im streitgegenständlichen Zeitraum einbehaltenen Arbeitnehmeranteile zum [X.]sbeitrag.

a) Nach § 4 Abs. 1 [X.] ist das Arbeitsverhältnis des [X.] „mit allen Rechten und Pflichten“ auf die [X.] übergegangen. Die Norm ist § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB nachgebildet, der für den Betriebsübergang durch Rechtsgeschäft formuliert, der neue Inhaber trete in die Rechte und Pflichten aus den im Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsverhältnissen ein. Der Gesetzesbegriff „Rechte und Pflichten“ umfasst dabei die durch den Arbeitsvertrag selbst oder die arbeitsvertraglich in Bezug genommenen [X.] gestalteten Arbeitsbedingungen ([X.]/Preis 11. Aufl. § 613a BGB Rn. 66 mwN). Wie § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB gewährt § 4 Abs. 1 [X.] einen Inhaltsschutz und will verhindern, dass allein der Übergang der Arbeitsverhältnisse kraft Gesetzes zum Anlass eines Abbaus der erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer genommen werde (zu § 613a Abs. 1 Satz 1 BGB vgl. [X.] 7. November 2007 - 5 [X.] - Rn. 15, [X.] 124, 345; 15. Februar 2007 - 8 [X.] [X.] 121, 273).

b) Der Kläger hatte vor dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses nach § 4 Abs. 1 [X.] gegen seine frühere Arbeitgeberin keinen Anspruch erworben, nicht mit dem Arbeitnehmeranteil zum gesetzlichen [X.]sbeitrag belastet zu werden. Das [X.] hat ohne Rechtsfehler angenommen, die [X.] als vormalige Arbeitgeberin des [X.] habe sich nur dazu bereit erklärt, die seinerzeit bestehende gesetzliche Möglichkeit zur Befreiung von der [X.] auszuschöpfen. Sie hat in dem Anschreiben an die betroffenen Arbeitnehmer ausdrücklich darauf hingewiesen, sie werde keine [X.]sbeiträge mehr abführen, „solange dafür die Voraussetzungen vorliegen“. Eine Willenserklärung in Form einer Gesamtzusage (zum Begriff der Gesamtzusage und deren Voraussetzungen vgl. [X.] 8. Dezember 2010 - 5 [X.] - Rn. 17 f., [X.], 225), unabhängig von der Versicherungsfreiheit des [X.] in der gesetzlichen [X.] dessen Arbeitnehmeranteil zum [X.]sbeitrag übernehmen zu wollen, lässt sich dem nicht entnehmen. Die vormalige Arbeitgeberin hat lediglich im Rahmen der sozialversicherungsrechtlichen Vorgaben daran mitgewirkt, dass der Kläger die Vorteile der vom Gesetzgeber zum 1. Januar 1992 eröffneten Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen [X.] in Anspruch nehmen konnte.

3. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23/[X.] vom 12. März 2001 ([X.]. [X.] vom 22. März 2001 S. 16) zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben oder Unternehmens- oder Betriebsteilen, wobei dahingestellt bleiben kann, ob diese auf den Übergang eines Arbeitsverhältnisses kraft Gesetzes überhaupt anwendbar ist (vgl. dazu [X.] 29. Juli 2010 - [X.]/09 - [[X.]] Rn. 25 mwN, [X.] 1999 Richtlinie 2001/23 Nr. 4).

Nach Art. 3 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/23/[X.] vom 12. März 2001 ([X.]. [X.] vom 22. März 2001 S. 16) gehen die Rechte und Pflichten des Veräußerers aus einem zum Zeitpunkt des Übergangs bestehenden Arbeitsvertrag oder Arbeitsverhältnis aufgrund des Übergangs auf den Erwerber über. Dazu hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass die Richtlinie 2001/23/[X.] die Wahrung der Ansprüche der Arbeitnehmer bei einem Wechsel des Inhabers des Unternehmens dadurch gewährleisten soll, dass sie ihnen die Möglichkeit gibt, ihr Beschäftigungsverhältnis mit dem neuen Arbeitgeber zu eben den Bedingungen fortzusetzen, die mit dem Veräußerer vereinbart waren. Die Richtlinie solle soweit wie möglich die Fortsetzung des Arbeitsvertrags oder des Arbeitsverhältnisses mit dem Erwerber in unveränderter Form gewährleisten, um eine Verschlechterung der Lage der betroffenen Arbeitnehmer allein aufgrund des Übergangs zu verhindern ([X.] 27. November 2008 - [X.]/07 - [[X.]] Rn. 28, Slg. 2008, [X.]; 15. September 2010 - [X.]/09 - [[X.]] Rn. 26, jeweils mwN).

Der Kläger hatte vor dem gesetzlichen Übergang seines Arbeitsverhältnisses gegen seine vormalige Arbeitgeberin keinen Anspruch erworben, nicht mit dem Arbeitnehmeranteil zur gesetzlichen [X.] belastet zu werden (so. [X.]). Seine Lage hat sich allein durch den Übergang seines Arbeitsverhältnisses nicht verschlechtert.

4. Die finanziellen Nachteile des [X.] resultieren ausschließlich daraus, dass in Folge der Privatisierung seiner Arbeitgeberin die Voraussetzungen für eine Versicherungsfreiheit in der gesetzlichen [X.] nicht mehr vorlagen und er wieder - wie schon in den Jahren 1972 bis 1996 - versicherungspflichtig wurde. Ob die Privatisierung eines öffentlichen Arbeitgebers einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers begründen kann (verneinend jedenfalls für die streitgegenständliche Privatisierung [X.] 15. Juli 2008 - 3 [X.]/07 - [X.] ZPO § 253 Nr. 48), braucht der [X.] nicht zu entscheiden. Auf Schadensersatz stützt der Kläger seine Klage nicht mehr.

II. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

        

    Müller-Glöge    

        

    Laux    

        

    Biebl    

        

        

        

    Kremser    

        

    Ilgenfritz-Donné    

                 

Meta

5 AZR 184/10

20.04.2011

Bundesarbeitsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Kiel, 25. Februar 2009, Az: öD 4 Ca 2169 b/08, Urteil

§ 362 Abs 1 BGB, § 613a Abs 1 S 1 BGB, § 4 Abs 1 LBSG SH, Art 3 Abs 1 UAbs 1 EGRL 23/2001

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 20.04.2011, Az. 5 AZR 184/10 (REWIS RS 2011, 7339)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7339

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