Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.02.2010, Az. 2 StR 391/09

2. Strafsenat | REWIS RS 2010, 9517

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES URTEIL 2 StR 391/09 vom 10. Februar 2010 in der Strafsache gegen wegen versuchten Totschlags u. a. - 2 - Der 2. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 10. Februar 2010, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] Prof. Dr. [X.], [X.]in am [X.] Roggenbuck, [X.] am [X.] [X.], Prof. Dr. [X.], Prof. Dr. [X.], [X.] am [X.]als Vertreter der [X.], Rechtsanwältin als Verteidigerin, Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 5. Mai 2009 mit den [X.] aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere als Schwurge-richt zuständige Strafkammer des [X.] zurückverwiesen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit schwerer Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jah-ren verurteilt. Die Staatsanwaltschaft verfolgt mit ihrer zu Ungunsten des Ange-klagten eingelegten, auf die Sachrüge gestützten Revision die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes und beanstandet die ihm gewährte (weitere) Strafrahmenmilderung nach §§ 46 a Nr. 2, 49 Abs. 1 StGB. Das vom [X.] vertretene Rechtsmittel hat Erfolg. 1 I. Das [X.] hat folgende Feststellungen getroffen: 2 - 4 - Der 71 Jahre alte Angeklagte führte über Jahre zunächst verbale Ausei-nandersetzungen mit Nachbarn und deren Besuchern, die ihre Autos in Höhe seines Hauses auf der gegenüberliegenden [X.]nseite parkten. Er fühlte sich dadurch in der Ausfahrt mit seinem eigenen Pkw behindert, wobei er das [X.] nicht nur gegenüber seiner Ausfahrt, sondern auf der gesamten Länge der [X.] gegenüber seinem Hausgrundstück für verboten hielt. Seine Anzeigen bei verschiedenen Behörden blieben erfolglos, da angesichts der Breite der [X.] objektiv selbst dann keine Behinderung bestand, wenn ein Auto genau gegenüber der Grundstücksausfahrt stand. [X.] würgte der Angeklagte einen Nachbarn, der gegenüber seinem Haus geparkt hatte, und verletzte ihn durch Schläge mit einem Pickelstiel. Das [X.] verurteilte den Angeklagten deshalb wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer zur [X.] ausgesetzten und seit dem [X.] erlassenen Freiheitsstrafe von zehn Monaten. 3 Der 61 Jahre alte Nebenkläger arbeitete seit dem Juni 2008 bei einem Taxiunternehmen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Angeklagten. Ebenso wie die anderen Fahrer des Unternehmens ließ auch er sich zwar anfangs von dem Angeklagten dazu bewegen, sein gegenüber dessen Haus geparktes Auto umzusetzen, ging aber später auf solche Bitten nicht mehr ein. Auch am Mor-gen des 1. Oktober 2008 parkte der Nebenkläger seinen Wagen auf der [X.] [X.]nseite etwa in Höhe der Eingangstür des Hauses des Angeklagten. Der Angeklagte, der dies beobachtet hatte, geriet in Wut und lief dem Nebenkläger in die Räume des [X.] nach. Er forderte die-sen auf, sein Auto wegzusetzen, und beschimpfte und beleidigte ihn. Der [X.] beendete die Auseinandersetzung mit dem Hinweis, der Angeklagte möge sich an die Polizei wenden. Der in seiner Einsichts- und Steuerungsfähig-keit nicht erheblich beeinträchtigte Angeklagte fasste dies als Provokation auf und entschloss sich, den Nebenkläger zu töten. Er lief in sein Haus, holte eine 4 - 5 - von ihm als Urlaubsandenken aufbewahrte, etwa 70 cm lange Machete, betrat erneut die Räume des [X.], stürmte auf den links neben der [X.] stehenden, ihm seitlich zugewandten Nebenkläger zu und schlug die-sem in Tötungsabsicht mit beiden Händen die Machete gezielt auf den Kopf. Der Nebenkläger, der sich keines Angriffs versah, wurde ungeschützt am Kopf getroffen. Bei dem Versuch, einen zweiten Schlag abzuwehren, wurde der [X.] seiner rechten Hand abgetrennt und der [X.] erheblich verletzt. Der Angeklagte schlug mindestens noch [X.] auf den Kopf des [X.]s ein, bevor dessen anwesende Kollegen die Klinge ergreifen und den Angreifer überwältigen konnten. Der Nebenkläger erlitt eine offene Schädelfrak-tur und drei bis 10 cm lange Schnittwunden am Kopf. Der abgetrennte [X.] musste bis zum Stumpf amputiert werden. In Folge des Verlusts des [X.] und einer aus der Verletzung resultierenden Fehlstellung des [X.] ist der Nebenkläger in der Benutzung der rechten Hand erheblich einge-schränkt. [X.] Die Verneinung der Mordmerkmale "Heimtücke" und "sonstige niedrige Beweggründe" hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand: 5 1. Das [X.] hat ein heimtückisches Handeln des Angeklagten mit der Begründung abgelehnt, er habe die objektiv gegebene Arg- und Wehrlosig-keit des [X.] nicht bewusst ausgenutzt. Seine affektive Erregung und das Gefühl der Hilflosigkeit und Demütigung, gepaart mit seinem spontanen Tatentschluss, hätten ihm den Blick dafür versperrt, dass dem Nebenkläger auf Grund der Schnelligkeit des Angriffs jegliche Abwehrmöglichkeit genommen gewesen sei. 6 - 6 - Diese Würdigung entbehrt einer tragfähigen Grundlage: 7 Für das bewusste Ausnutzen der - durch das [X.] rechtsfehlerfrei festgestellten - Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers genügt es, wenn der Täter die Arg- und Wehrlosigkeit in ihrer Bedeutung für die hilflose Lage des Angegrif-fenen und die Ausführung der Tat in dem Sinne erfasst, dass er sich bewusst ist, einen durch seine Ahnungslosigkeit gegenüber einem Angriff schutzlosen Menschen zu überraschen ([X.] [X.]R § 211 Abs. 2 Heimtücke 25, 26; NStZ 2005, 688, 689; 2009, 501, 502). Zwar kann die Spontanität des [X.] im Zusammenhang mit der Vorgeschichte und dem psychischen Zustand des [X.] ein Beweisanzeichen dafür sein, dass ihm das Ausnutzungsbe-wusstsein fehlt ([X.] NStZ 2006, 503, 504 m.w.N.). Andererseits hindert aber nicht jede affektive Erregung oder heftige Gemütsbewegung einen Täter daran, die Bedeutung der Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers für die Tat zu er-kennen ([X.] NStZ 2006, 167, 169; 2009, 571, 572, jew. m.w.N.). Vielmehr ist bei erhaltener Einsichtsfähigkeit auch die Fähigkeit des [X.], die [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzu-schätzen, im Regelfall nicht beeinträchtigt ([X.] NStZ 2008, 510, 511 f.; Beschl. v. 24. November 2009 - 1 [X.]). Kommt der Tatrichter dennoch zu dem Ergebnis, dass der Täter die für die Heimtücke maßgeblichen Umstände auf Grund seiner Erregung nicht in sein Bewusstsein aufgenommen hat, so muss er die Beweisanzeichen dafür darlegen und würdigen. 8 Eine solche umfassende Beweiswürdigung hat die [X.] nicht vorgenommen. Sie hat, bezogen auf den Tötungsvorsatz, festgestellt, dass der Angeklagte in vollem Umfang über die kognitiven Fähigkeiten verfügte, sowohl die objektiven Umstände seines Tuns als auch dessen Konsequenzen subjektiv zu erfassen. Dem psychiatrischen Sachverständigen folgend, ist sie davon ausgegangen, dass die Fähigkeit des Angeklagten zur Einsicht in das 9 - 7 - Unrecht seiner Tat erhalten geblieben war. Demgegenüber hat das [X.] das [X.] mit einer unzulänglichen Begründung verneint, die konkrete Umstände nicht aufzeigt, auf Grund derer die Fähigkeit des Ange-klagten, die [X.] in ihrem Bedeutungsgehalt für das Opfer realistisch wahrzunehmen und einzuschätzen, trotz erhaltener Einsichtsfähigkeit beein-trächtigt war. Das Schwurgericht hat sich insbesondere nicht mit dem Umstand befasst, dass die ablehnende Haltung des [X.] für den Angeklagten nicht überraschend kam, sondern dass es sich um eine ihm aus seinen frühe-ren Auseinandersetzungen mit den Fahrern des [X.] hinlänglich bekannte Alltagssituation handelte ([X.], 23). Den von ihm in dieser Situation gefassten Entschluss, den Nebenkläger zu töten, setzte der Angeklagte entge-gen der Einschätzung des [X.] gerade nicht spontan in die Tat um. Vielmehr entschied er sich dazu, ein geeignetes Tatwerkzeug herbeizuholen, und verließ zu diesem Zweck den späteren [X.] zunächst für mehrere [X.], ehe er mit der Machete zurückkehrte. Dass der Angeklagte ungeachtet sei-ner vom [X.] festgestellten Gemütsverfassung zu einer derart erfolgs-orientierten Vorgehensweise in der Lage war, stellt ein gewichtiges Indiz gegen die Annahme fehlenden [X.]s dar, das der neue Tatrichter in seine Würdigung einzubeziehen haben wird. 2. Das [X.] hat das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe als objektiv erfüllt angesehen und dabei - insofern rechtsfehlerfrei - auf das [X.] Missverhältnis zwischen [X.] und Tat abgestellt. Die subjektiven Vor-aussetzungen des [X.] hat es mit der Begründung verneint, das [X.] der Hilflosigkeit habe es dem Angeklagten versperrt, die Niedrigkeit seiner Beweggründe in sein Bewusstsein aufzunehmen und gedanklich zu beherr-schen, und ihn zu einer spontanen Tat hingerissen. Auch diese Erwägung hält - ungeachtet des dem Tatrichter bei seiner Würdigung zustehenden [X.] - 8 - lungsspielraums (vgl. [X.] NStZ 2007, 330, 331) - rechtlicher Überprüfung nicht stand. Der Tat waren über Jahre vielfache Belehrungen des Angeklagten über die Unrichtigkeit seiner Rechtsauffassung durch Polizei, Ordnungsamt, Staats-anwaltschaft, seinen eigenen Rechtsanwalt, das die Vorstrafe verhängende [X.] und seine Bewährungshelferin vorausgegangen. Insbesondere die [X.]shelferin hatte sich bemüht, dem Angeklagten, einem unbeholfenen Auto-fahrer, Fahrmöglichkeiten aufzuzeigen, die ihm das Ausparken erleichtert [X.]. Der Angeklagte hatte jedoch darauf bestanden, rückwärts in einem Zug immer in eine bestimmte Fahrtrichtung auszufahren, und dabei gegenüber der Bewährungshelferin angekündigt, auch künftig gegen Personen körperliche Gewalt anzuwenden, die gegenüber seiner Ausfahrt parken würden ([X.]). Die zur neuen Verhandlung berufene Schwurgerichtskammer wird sich deshalb damit auseinander zu setzen haben, dass die Tat, die der Angeklagte selbst unmittelbar nach seiner Festnahme gegenüber der Polizei ([X.]) sowie noch in der Hauptverhandlung vor dem [X.] ausdrücklich als gerechtfertigt bewertet hat, einen Akt der Selbstjustiz darstellte. 11 I[X.] Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf Folgendes hin: 12 1. Der neue Tatrichter wird die Tat auch im Hinblick auf eine Strafbarkeit nach § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB zu würdigen haben, der nicht im Wege der [X.] hinter § 226 Abs. 1 Nr. 2 StGB zurücktritt ([X.]St 53, 23 f.; [X.] NStZ-RR 2009, 278). 13 - 9 - 2. Voraussetzung des § 46 a Nr. 2 StGB ist, ebenso wie bei § 46 a Nr. 1 StGB, dass die Leistung des [X.] Ausdruck der Übernahme von [X.] gerade gegenüber dem Opfer ist. Daran fehlt es jedoch, wenn der Ange-klagte die Tat als Notwehrhandlung gegen einen rechtswidrigen Angriff des Tatopfers hinstellt und somit schon die [X.] des Geschädigten bestreitet ([X.] [X.]R StGB § 46 a Nr. 1 Ausgleich 7). 14 [X.] Roggenbuck Appl [X.] [X.]

Meta

2 StR 391/09

10.02.2010

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 10.02.2010, Az. 2 StR 391/09 (REWIS RS 2010, 9517)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9517

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