Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.09.2014, Az. B 8 SF 1/14 R

8. Senat | REWIS RS 2014, 2553

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Rechtsweg - Zulässigkeit des Sozialrechtswegs - Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten - öffentlich-rechtliche Streitigkeit - zivilrechtliche Streitigkeit - stationäre Einrichtung - Leistungs- und Vergütungsvereinbarung - abstraktes Schuldanerkenntnis - sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis - Abtretung


Leitsatz

Der Vortrag, allein aus der typischen Konstellation des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses folge ein öffentlich-rechtlicher Anspruch einer Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger, kann künftig den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht mehr begründen.

Tenor

Die Beschwerde des Beklagten gegen den Beschluss des [X.] vom 20. Dezember 2013 wird zurückgewiesen. Der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist zulässig.

Der Beklagte trägt die Kosten für das weitere Beschwerdeverfahren.

Gründe

1

I. Im Streit ist im Rahmen eines Zwischenverfahrens die Zulässigkeit des von der Klägerin beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

2

Die [X.], die in [X.] eine soziotherapeutische Einrichtung betreibt (im Folgenden "Einrichtung"), unterhält bei der Klägerin ein Konto, auf das der [X.] die [X.] nach dem [X.] - ([X.]) für die leistungsberechtigten Bewohner der Einrichtung überwies. Die Klägerin, die sich von der Einrichtung zur Sicherung ihrer Ansprüche alle gegenwärtigen und zukünftigen Forderungen gegen deren Schuldner hatte abtreten lassen (Globalabtretung vom [X.]), teilte dem [X.]n mit der "Anzeige einer Forderungsabtretung" (vom [X.], Eingang bei dem [X.]n am 10.11.2011) mit, Leistungen seien künftig regelmäßig auf ein ([X.] bei ihr zu überweisen. Der [X.] lehnte dies ab, weil es sich bei seinen Leistungen um zweckgebundene Ansprüche der jeweiligen Hilfeempfänger handele, die nach § 17 Abs 1 [X.] nicht abgetreten werden könnten.

3

Mit ihrer Klage zum Sozialgericht ([X.]) [X.] verlangt die Klägerin von dem [X.]n die Zahlung eines Teilbetrages in Höhe von 40 000 Euro. Sie trägt vor, die Einrichtung habe gegen den [X.]n auf Grund der bestehenden Leistungs- und Vergütungsvereinbarung nach § 75 Abs 3 [X.] einen eigenen öffentlich-rechtlichen Zahlungsanspruch; diese Vereinbarungen seien öffentlich-rechtliche Verträge nach § 53 Abs 1 [X.] - ([X.]). In einem Schreiben des [X.]n vom 28.10.2011 habe dieser seinen Rechtsbindungswillen zur Zahlung der vereinbarten Vergütung an die Einrichtung zum Ausdruck gebracht; auch diese "Kostenübernahmeerklärung" begründe den Zahlungsanspruch der Einrichtung. Dieser Anspruch sei wirksam an sie (die Klägerin) abgetreten worden.

4

Das [X.] hat den Sozialrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Landgericht [X.]uppertal verwiesen (Beschluss vom 18.2.2013); auf die Beschwerde der Klägerin hat das [X.] ([X.]) Nordrhein-[X.]estfalen diesen Beschluss aufgehoben (Beschluss vom 20.12.2013). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, es handele sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe (§ 51 Abs 1 [X.] <[X.]G>), weil die Klägerin lediglich Ansprüche der Einrichtung aus abgetretenem Recht geltend mache und sich zur Begründung der Klage auf Normen des öffentlichen Rechts auf dem Gebiet des Sozialrechts, nämlich auf § 75 Abs 3 [X.], stütze. Zudem leite die Klägerin den von ihr geltend gemachten Anspruch aus einem abstrakten Schuldanerkenntnis her. Zwar sei auch ein möglicher Anspruch aus einem Schuldbeitritt des [X.]n zu den Verpflichtungen der Hilfeempfänger gegenüber der Einrichtung zu prüfen, bei dem es sich um einen zivilrechtlichen Anspruch handele; da die Klägerin jedoch das [X.] angerufen und in nicht offensichtlich unverständiger [X.]eise einen einheitlichen Lebenssachverhalt zur Überprüfung gestellt habe, sei der Anspruch gemäß § 17 Abs 2 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz ([X.]) umfassend von den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zu prüfen.

5

Hiergegen wendet sich der [X.] mit seiner vom [X.] zugelassenen weiteren Beschwerde. Er ist der Ansicht, der Anspruch der Klägerin könne sich weder aus einem öffentlich-rechtlichen Schuldanerkenntnis noch unmittelbar aus der Leistungs-/Vergütungsvereinbarung ergeben, sondern allenfalls aus einem zivilrechtlichen Schuldbeitritt, sodass das [X.] den Rechtsstreit zu Recht verwiesen habe.

6

II. Die [X.] Zulassung durch das [X.] statthafte und auch im Übrigen zulässige (weitere) Beschwerde (§ 202 [X.]G iVm § 17a Abs 4 Satz 4 [X.]) ist unbegründet. Der von der Klägerin beschrittene Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit ist - gegenwärtig noch - zulässig. Zutreffend hat das [X.] deshalb den Beschluss des [X.] aufgehoben. In der Sache hat es damit zugleich entschieden, dass der beschrittene Rechtsweg zulässig ist. Dies war jedoch im Tenor klarzustellen (vgl § 17a Abs 3 Satz 2 [X.]).

7

Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlich oder bürgerlich-rechtlich ist, richtet sich, wenn es - wie hier - an einer ausdrücklichen Sonderzuweisung fehlt, nach der Natur des Rechtsverhältnisses, aus dem der [X.] hergeleitet wird. Dieser Grundsatz bestimmt die Auslegung sowohl von § 13 [X.] (Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten) als auch von § 51 Abs 1 [X.]G (Zulässigkeit des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit). Die Abgrenzung muss von der Sache her getroffen werden. Ausgangspunkt für die Prüfung ist deshalb die Frage, welcher Art das Klagebegehren nach dem zugrundeliegenden Sachverhalt ist (vgl zum Ganzen nur B[X.] [X.] 4-1720 § 17a [X.] Rd[X.] 9 mwN).

8

Vorliegend handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe (§ 51 Abs 1 [X.] 6a [X.]G). Die Klägerin macht mit ihrem Vortrag in erster Linie einen Anspruch unmittelbar aus den Vereinbarungen nach § 75 Abs 3 [X.] und aus einem abstrakten (öffentlich-rechtlichen) Schuldanerkenntnis geltend, das der [X.] aus ihrer (der klägerischen) Sicht abgegeben haben soll, wie sich aus dem Schreiben des [X.]n vom 28.10.2011 ergebe. Die Klägerin beruft sich damit auf einen eigenen materiell-rechtlichen Anspruch der Einrichtung, den diese wirksam an die Klägerin abgetreten habe. Diese - von der Klägerin behauptete - Verpflichtung zur Zahlung hat ihre Grundlage im Sozialhilferecht. Sie verlöre ihren Charakter nicht durch eine Abtretung; denn durch die Abtretung wird das zugrundeliegende Rechtsverhältnis nicht geändert (vgl B[X.]E 61, 274 ff = [X.] 1200 § 53 [X.] 7).

9

Nach dem klägerischen Vortrag ist insoweit nicht entscheidend, dass der [X.] den (schuldrechtlichen) Verpflichtungen des Heimbewohners gegenüber der Einrichtung (nur) beigetreten ist (grundlegend zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis B[X.]E 102, 1 ff Rd[X.] 15 ff = [X.] 4-1500 § 75 [X.] 9; aus der Literatur vgl nur: [X.], Sozialrecht aktuell 2012, 85 ff; [X.], Sozialrecht aktuell 2012, 137 ff; Müller-Fehling, Sozialrecht aktuell 2012, 133 ff; Dillmann, Sozialrecht aktuell 2012, 181 ff). Ein solcher Zahlungsanspruch der Einrichtung aus einem Schuldbeitritt findet seine Grundlage zwar im Zivilrecht, weil er notwendigerweise die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers (aus dem Heimvertrag) teilt (vgl B[X.] [X.] 4-3500 § 75 [X.]; [X.], Sozialrecht aktuell 2012, 99 ff; [X.], [X.]b 2013, 127 ff; [X.]/[X.], juris PraxisKommentar [X.], 2. Aufl 2014, § 75 [X.] Rd[X.]0 ff). Zutreffend geht das [X.] aber davon aus, dass es sich bei dem vorgetragenen Lebenssachverhalt um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt; denn sowohl Klageantrag als auch Klagegrund sind identisch (vgl dazu nur: [X.] , Beschluss vom 27.11.2013 - [X.]/13 - [X.], 159 Rd[X.] 16 mwN; [X.], Urteil vom 25.9.2013 - 10 [X.] - Rd[X.] 17). Im Streit ist hier nur die Zahlung der bewilligten, nicht höherer Leistungen (zu dieser Unterscheidung [X.], [X.]b 2013, 127 ff). In solchen Fällen, in denen der [X.] bei identischem Streitgegenstand auf mehrere, verschiedenen Rechtswegen zugeordnete (auch tatsächlich und rechtlich selbständige) Anspruchsgrundlagen gestützt ist, ist das angerufene Gericht nach § 17 Abs 2 Satz 1 [X.] zur Entscheidung über sämtliche Klagegründe verpflichtet, sofern nur der Rechtsweg für einen von ihnen gegeben ist (stRspr seit [X.], 1 ff). Damit nimmt der Gesetzgeber seit der Novellierung von § 17 Abs 2 Satz 1 [X.] zum 1.1.1991 durchaus gewisse Zufälligkeiten hin, die sich aus dem Vortrag der Klägerin und weiteren Besonderheiten des Einzelfalls ergeben (vgl [X.] <[X.]>, Beschluss vom [X.] - 4 [X.]/01 -, NJ[X.] 2002, 2894 ff).

Dies darf zwar nicht dazu führen, dass der Rechtsweg vollständig zur Disposition der Beteiligten steht. Anspruchsgrundlagen, die offensichtlich nicht gegeben sind bzw erkennbar vom Rechtsuchenden nur mit dem Ziel geltend gemacht werden, einen bestimmten Rechtsweg beschreiten zu können, haben bei der Prüfung des Rechtswegs außer Betracht zu bleiben (vgl etwa [X.] [X.] 300 § 17a [X.] [X.] 5). Ein solcher Fall liegt hier aber (noch) nicht vor. Der Vortrag der Klägerin, es werde "aus einer Vereinbarung nach § 75 Abs 2 [X.]" geleistet und der [X.] habe zudem mit seinem weiteren Schreiben eine entsprechende öffentlich-rechtliche Verpflichtung in einem abstrakten Schuldanerkenntnis erklärt, ist nicht zielgerichtet zur Begründung allein des Rechtswegs erfolgt und auch gegenwärtig (noch) nicht offensichtlich haltlos (vgl: Ladage, [X.]b 2013, 553, 556; [X.], [X.]b 2013, 127, 131 und [X.]). Bereits das [X.] hat allerdings in einer den Einrichtungen (wie auch den Leistungsberechtigten) übersandten Kostenübernahmeerklärung kein (öffentlich-rechtliches) Schuldanerkenntnis gesehen ([X.]E 126, 295 ff). Hieran ist festzuhalten, wenn keine besonderen Umstände vorliegen, die dann aber für die Begründung des Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit künftig dargelegt werden müssen. Unter Berücksichtigung der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des Senats vom 18.3.2014 ([X.] 4-3500 § 75 [X.]), in der die zivilrechtliche Natur des Zahlungsanspruchs der Einrichtung aus der Schuldübernahme betont worden ist, kann künftig dagegen der Vortrag (wie hier), es bestehe allein auf der Basis der typischen Konstellation des sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnisses ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, den Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit nicht mehr begründen.

Die Kostenentscheidung (zu deren Notwendigkeit nur: B[X.], Beschluss vom 27.4.2010 - [X.] [X.] 2/10 R - Rd[X.] 16 -, insoweit nicht abgedruckt in [X.] 4-1300 § 116 [X.] 1 mwN; [X.] 4-1780 § 40 [X.] 1 Rd[X.] 12 mwN) beruht auf § 197a Abs 1 Satz 1 [X.]G, § 154 Abs 2 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Festsetzung eines Streitwerts bedurfte es mangels eines Antrags des Anwalts der Klägerin (§ 33 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) schon im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens für den [X.]n (§ 64 Abs 3 [X.]) nicht.

Meta

B 8 SF 1/14 R

30.09.2014

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Düsseldorf, 18. Februar 2013, Az: S 22 SO 123/12, Beschluss

§ 51 Abs 1 Nr 6a SGG, § 13 GVG, § 17 Abs 2 S 1 GVG, § 17a GVG, § 75 Abs 3 SGB 12, § 17 Abs 1 SGB 12, § 53 Abs 1 SGB 10

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 30.09.2014, Az. B 8 SF 1/14 R (REWIS RS 2014, 2553)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 2553

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III ZB 59/13

10 AZR 454/12

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