Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.03.2014, Az. B 8 SF 2/13 R

8. Senat | REWIS RS 2014, 7039

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Gegenstand

Sozialgerichtliches Verfahren - Verweisungsbeschluss - Klage eines Sozialhilfeträgers gegen einen Einrichtungsträger auf Erstattung überzahlter Leistungen - Unzulässigkeit des Sozialrechtswegs - keine öffentlich-rechtliche Streitigkeit - Sozialhilfe - Leistungserbringungsrecht - sozialhilferechtliches Dreiecksverhältnis - Beitritt zu einer privatrechtlichen Schuld


Leitsatz

Für die Klage einer Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger aus dessen Schuldbeitritt zur Verpflichtung des Hilfeempfängers aus dem Heimvertrag ist der Zivilrechtsweg eröffnet; dies gilt auch für den Anspruch des Sozialhilfeträgers auf Erstattung wegen überzahlter Beträge.

Tenor

Auf die Beschwerde der Beklagten werden der Beschluss des [X.] vom 11. November 2013 aufgehoben und der Beschluss des [X.] vom 17. Oktober 2012 abgeändert. Der Rechtsstreit wird an das [X.] verwiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens und des Verfahrens der weiteren Beschwerde.

Gründe

1

I. Im Streit ist im Rahmen eines Zwischenverfahrens die Zulässigkeit des vom [X.]läger beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit.

2

Der [X.]läger gewährte dem Hilfeempfänger [X.] ([X.]) ab März 2009 bis Februar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in der ursprünglich von der "[X.]" betriebenen Einrichtung. Die [X.] ist deren Rechtsnachfolgerin. Ab September 2009 hielt sich [X.] tatsächlich nicht mehr in der Einrichtung auf, was dem [X.]läger im Februar 2010 bekannt wurde. Die deshalb entstandene Überzahlung bezifferte der [X.]läger auf 5740,36 Euro, worauf die [X.] im April 2010 4296,90 Euro zahlte. Weitere Zahlungen würden erfolgen, sobald [X.] die von ihm aus dem [X.] noch geschuldete Vergütung für den Heimaufenthalt entrichtet habe.

3

Mit seiner [X.]lage vor dem [X.] ([X.]) machte der [X.]läger, gestützt auf die Rechtsprechung des [X.]undessozialgerichts ([X.][X.]) zum [X.]eitritt des Sozialhilfeträgers zur Schuld des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungserbringer, zunächst die Rückzahlung überzahlter [X.]eträge in Höhe von 1443,46 Euro samt Verzugszinsen geltend; weil die [X.] jedoch weitere 1004,36 Euro an den [X.]läger gezahlt hatte, "erklärte" er insoweit "den Rechtsstreit für erledigt". Während das [X.] den Sozialrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht (AG) [X.]/[X.] verwiesen hat ([X.]eschluss vom 17.10.2012), hat das [X.] (L[X.]) [X.] auf die [X.]eschwerde des [X.]lägers den [X.]eschluss des [X.] aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zulässig sei ([X.]eschluss vom 11.11.2013). Zur [X.]egründung seiner Entscheidung hat das L[X.] ausgeführt, zwar sei das Verhältnis zwischen der [X.]n und [X.] grundsätzlich rein zivilrechtlicher Natur, basierend auf dem [X.]. Sobald [X.] hilfebedürftig werde, werde dieses Verhältnis jedoch öffentlich-rechtlich überlagert. Denn der Sozialhilfeträger bediene sich der Einrichtung, um seiner Gewährleistungsverantwortung gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen; Grundlage hierfür bildeten § 75 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes [X.]uch - Sozialhilfe - ([X.][X.] XII) und die [X.]ostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers (Schuldbeitritt) als Verwaltungsakt mit Drittwirkung.

4

Dagegen hat die [X.] die vom L[X.] zugelassene weitere [X.]eschwerde eingelegt.

5

II. Die (weitere) [X.]eschwerde (§ 202 Sozialgerichtsgesetz <[X.]G> iVm § 17a Abs 4 Satz 4 Gerichtsverfassungsgesetz ) ist begründet. Allerdings ist der [X.]eschluss des [X.] dahin abzuändern, dass das Verfahren an ein anderes AG als vom [X.] tenoriert zu verweisen ist.

6

Nach § 202 [X.]G iVm § 17a Abs 2 Satz 1 GVG spricht das Gericht, wenn der zu ihm beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, dies aus und verweist den Rechtsstreit zugleich an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs. Zu Unrecht hat das L[X.] auf die [X.]eschwerde des [X.]lägers den [X.]eschluss des [X.] gänzlich aufgehoben; denn vorliegend handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten der Sozialhilfe (§ 51 Abs 1 [X.] 6a [X.]G), sondern um eine zivilrechtliche Streitigkeit (§ 13 GVG) auf Rückzahlung überzahlter Vergütungen im Rahmen eines sozialrechtlichen [X.] (grundlegend zum sozialhilferechtlichen Dreiecksverhältnis [X.][X.]E 102, 1 ff Rd[X.] 15 ff = [X.] 4-1500 § 75 [X.] 9; aus der Literatur vgl nur: [X.], Sozialrecht aktuell 2012, 85 ff; [X.], Sozialrecht aktuell 2012, 137 ff; Müller-Fehling, Sozialrecht aktuell 2012, 133 ff; Dillmann, Sozialrecht aktuell 2012, 181 ff). Dieser Zahlungsanspruch der [X.]n findet seine Grundlage (zur Maßgeblichkeit der Natur des Rechtsverhältnisses vgl nur [X.][X.] [X.] 4-1720 § 17a [X.] 3 Rd[X.] 9 mwN) im Zivilrecht.

7

Die [X.]eziehungen zwischen dem [X.]läger und der [X.]n (sog [X.]) werden insoweit geprägt durch das Sachleistungsverschaffungsprinzip (in Form der Gewährleistungsverantwortung), indem der Sozialhilfeträger der Zahlungsverpflichtung des Hilfeempfängers, einer privatrechtlichen Schuld, gegenüber der Einrichtung aus dem zwischen ihnen abgeschlossenen [X.] beitritt (vgl dazu: [X.], Sozialrecht aktuell 2012, 99 ff; [X.], [X.]b 2013, 127 ff; [X.]/[X.], juris Praxis[X.]ommentar [X.][X.] XII, § 75 [X.][X.] XII Rd[X.] 28 ff). Der Leistungserbringer besitzt mithin grundsätzlich keinen eigenen öffentlich-rechtlichen Honoraranspruch ([X.][X.] aaO; [X.], [X.]b 2013, 553 ff), der allenfalls in einem gesondert abgegebenen abstrakten Schuldanerkenntnis gesehen werden könnte (abgelehnt: [X.]VerwGE 126, 295, 303; 96, 71, 77).

8

Der Schuldbeitritt löst zwar einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der Einrichtung gegenüber dem Sozialhilfeträger aus; er kann jedoch naturgemäß nichts an der Rechtsnatur der zugrundeliegenden Schuld, die aus dem zwischen [X.] und der [X.]n geschlossenen privatrechtlichen [X.] resultiert, ändern; der Schuldbeitritt teilt vielmehr notwendigerweise die Rechtsnatur der Forderung des Gläubigers (so auch [X.]ayerisches L[X.], [X.]eschluss vom 26.11.2012 - L 18 [X.] 173/12 [X.] - mwN; aA L[X.] [X.], [X.]eschluss vom 12.4.2013 - L 23 [X.] 272/12 [X.] - und vom [X.] [X.] 247/12 [X.]; zweifelnd L[X.] Nordrhein-Westfalen, Urteil vom [X.] - L 20 [X.] 394/12 - Rd[X.] 56). Die Schuld, der beigetreten wird, kann rechtlich für den [X.]eitretenden nicht zu einer öffentlich-rechtlichen mutieren, während sie bei dem bisherigen Alleinschuldner eine privatrechtliche bleibt.

9

Für den Erstattungsanspruch wegen überzahlter Leistungen an die Einrichtung auf [X.]asis dieses Schuldbeitritts gilt nichts anderes: Er teilt die zivilrechtliche Rechtsnatur der Forderung, selbst wenn der [X.]läger ihn als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch bezeichnet; maßgeblich ist seine wahre Rechtsnatur. Weder durch den Schuldbeitritt noch durch die §§ 75 ff [X.][X.] XII wird das zivilrechtliche Verhältnis zwischen [X.] und der Einrichtung zu einem öffentlich-rechtlichen. Die zwischen dem [X.]läger und der [X.]n abgeschlossenen Vereinbarungen nach den §§ 75 ff [X.][X.] XII modifizieren als Normverträge lediglich die zivilrechtlichen Pflichten und sind deshalb nicht von [X.]edeutung für die [X.]estimmung des Rechtswegs, wenn es - wie vorliegend - um die Erstattung überzahlter [X.]eträge geht, die zur Erfüllung der aus dem [X.] - vermeintlich - resultierenden Schuld aufgrund der Schuldübernahme erfolgt sind.

Darauf, ob die Zivilgerichte mit dem [X.]onstrukt "[X.]" vertraut sind, kommt es für die Rechtswegbestimmung nicht an; wie in anderen Verfahren haben ggf auch die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei ihrer Entscheidung Vorfragen zu klären, die möglicherweise nicht in ihre originäre Zuständigkeit fallen (so z[X.] der [X.]undesgerichtshof <[X.]GH> - sogar entgegen der von ihm selbst zitierten Rspr des [X.][X.] - beim Streit um die Maklervergütung beim [X.] nach § 421g Sozialgesetzbuch Drittes [X.]uch - Arbeitsförderung - <[X.][X.] III> in der bis 31.3.2012 geltenden Fassung, vgl Urteil vom 18.3.2010 - III ZR 254/09; vgl auch das [X.][X.] bei der Prüfung des Eintritts einer Sperrzeit wegen einer privaten Trunkenheitsfahrt eines [X.]erufskraftfahrers zu Vorfragen aus dem Gebiet des Arbeitsrechts, [X.][X.]E 91, 18 ff = [X.] 4-4300 § 144 [X.] 2). Außerdem muss sich das Zivilgericht mit sozialrechtlicher Materie insoweit ohnedies nur in beschränktem Umfang befassen (dazu nur [X.], [X.]b 2013, 127, 130 f). Einer Anfrage (§ 41 Abs 3 Satz 1 [X.]G) beim 3. Senat des [X.][X.], der im Rahmen einer Rechtswegbeschwerde wegen des Vergütungsanspruchs eines Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger im Jahr 2002 noch die Verwaltungsgerichte für zuständig erklärt hat ([X.][X.] [X.] 3-1500 § 51 [X.] 27), bedurfte es schon deshalb nicht, weil der erkennende Senat für das Sozialhilferecht nach der Geschäftsverteilung des Gerichts allein zuständig ist (hierauf weist zu Recht Ladage hin, [X.]b 2013, 553, 556).

Eine Zuständigkeit des [X.] ergibt sich auch nicht aus § 17 Abs 2 Satz 1 GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in [X.]etracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten entscheidet. Dies wäre nur denkbar im Hinblick auf einen Anspruch des [X.]lägers aus Rückabwicklung eines öffentlich-rechtlichen [X.] (dazu oben). Die Anwendung des § 17 Abs 2 Satz 1 GVG setzt indes einen einheitlichen Streitgegenstand voraus, der sich nicht nur aus dem [X.]lageantrag, sondern auch dem vorgetragenen [X.]lagegrund ergibt ([X.]GH, [X.]eschluss vom 27.11.2013 - III Z[X.] 59/13 - Rd[X.] 16 mwN; [X.]undesarbeitsgericht, Urteil vom 25.9.2013 - 10 [X.] - Rd[X.] 17). Vorliegend hat der [X.]läger seinen "Rückabwicklungsanspruch" indes weder rechtlich noch tatsächlich mit einem angeblichen Schuldanerkenntnis begründet, das neben der mit der Leistungsbewilligung erfolgten Schuldübernahme abgegeben sein müsste.

Sachlich und örtlich zuständig für den Rechtsstreit ist allerdings nicht das AG [X.]/[X.], sondern das [X.]. Die sachliche Zuständigkeit des AG resultiert aus der Höhe der (noch) streitigen Forderung von 439,10 Euro (§§ 13, 23 [X.] 1 GVG). Ein Wahlrecht hinsichtlich des örtlich zuständigen Gerichts nach § 17a Abs 2 Satz 2 GVG besteht entgegen der Ansicht des [X.] von vornherein nicht; denn stellte man auf den Erfüllungsort als besonderen Gerichtsstand ab, wäre allein das für diesen maßgebliche AG zuständig. Das [X.] wäre aber ohnedies auch als Gericht des besonderen Gerichtsstands des [X.] (§§ 12, 29 Zivilprozessordnung ) für die Geldforderung des [X.]lägers (vgl §§ 270 Abs 4, 269 Abs 1 [X.]ürgerliches Gesetzbuch <[X.]G[X.]>; dazu nur [X.], ZPO, 29. Aufl 2012, § 29 Rd[X.] 25 mwN, und [X.], [X.]G[X.], 73. Aufl 2014, § 270 Rd[X.] 1) zuständig, wie es als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§§ 12, 17 Abs 1 ZPO) örtlich zuständig ist. Ob § 29 ZPO überhaupt einschlägig ist, bedarf deshalb keiner Entscheidung.

Die [X.]ostenentscheidung (zu deren Notwendigkeit nur: [X.][X.] [X.] 4-1300 § 116 [X.] 1 Rd[X.] 16 mwN; [X.] 4-1780 § 40 [X.] 1 Rd[X.] 12 mwN) beruht auf § 197a Abs 1 [X.]G, § 155 Abs 1 Satz 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Der Festsetzung eines Streitwerts bedurfte es mangels eines Antrags des Anwalts der [X.]n (§ 33 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) schon im Hinblick auf die [X.]ostenfreiheit des Verfahrens für den [X.]läger (§ 2 Abs 1 Gerichtskostengesetz) nicht.

Meta

B 8 SF 2/13 R

18.03.2014

Bundessozialgericht 8. Senat

Beschluss

Sachgebiet: SF

vorgehend SG Berlin, 17. Oktober 2012, Az: S 184 SO 2419/11, Beschluss

§ 202 S 1 SGG, § 17a Abs 2 S 1 GVG, § 17a Abs 4 S 3 GVG, § 17a Abs 4 S 4 GVG, § 51 Abs 1 Nr 6a SGG, § 13 GVG, § 17 Abs 2 S 1 GVG, § 75 Abs 3 SGB 12

Zitier­vorschlag: Bundessozialgericht, Beschluss vom 18.03.2014, Az. B 8 SF 2/13 R (REWIS RS 2014, 7039)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2014, 7039

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III ZR 254/09

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10 AZR 454/12

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