Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2023, Az. 2 StR 124/23

2. Strafsenat | REWIS RS 2023, 5951

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Gegenstand

Wiedereinsetzung in die versäumte Revisionseinlegungsfrist: Fehlerhafte Übersendung der Revisionsschrift via beA und notwendiger Inhalt des Wiedereinsetzungsantrages; Beginn der Frist für die Revisionsbegründung


Tenor

1. Der Angeklagten wird auf ihren Antrag und ihre Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vor Ablauf der Frist zur Einlegung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 25. November 2022 gewährt.

2. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision.

Gründe

1

Das [X.] hat die Angeklagte wegen vorsätzlicher Brandstiftung und Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt und eine Einziehungsentscheidung getroffen. Der Angeklagten war auf ihren Antrag und ihre Kosten Wiedereinsetzung in die Frist vor Ablauf zur Einlegung der Revision zu gewähren.

2

1. Der Wiedereinsetzungsantrag der Angeklagten vom 12. Mai 2023 ist zulässig und begründet.

3

a) Dem Antrag liegt folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:

4

Gegen das in ihrer Anwesenheit am 25. November 2022 verkündete Urteil hat die Angeklagte durch Schriftsatz ihres Verteidigers vom 28. November 2022 Revision eingelegt. Der Schriftsatz trägt den Aufdruck „per beA“, ist dem [X.] jedoch am 30. November 2022 ohne qualifizierte Signatur über das elek-tronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) zugegangen. Auf Anordnung des Vorsitzenden sind die schriftlichen Urteilsgründe dem Verteidiger am 23. Januar 2023 zugestellt worden. Dieser hat das Rechtsmittel mit der Rüge der Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet, die Revisionsbegründung signiert und unter Verwendung seines besonderen Anwaltspostfachs dem [X.] übersandt.

5

Nachdem der [X.] mit Zuschrift vom 25. April 2023, die durch die Geschäftsstelle des [X.] am 4. Mai 2023 zur Versendung an den Verteidiger in den Geschäftsgang gegeben worden ist, die Verwerfung der Revision als unzulässig (§ 349 Abs. 1 StPO) beantragt hatte, weil die [X.] nicht den Formerfordernissen des § 32a Abs. 3 StPO genüge, hat der Verteidiger für die Angeklagte mit Schriftsatz vom 12. Mai 2023, der − signiert und auf sicherem Übermittlungsweg aus seinem besonderen Anwaltspostfach − am gleichen Tag beim [X.] eingegangen ist, Wiedereinsetzung in die Frist zur Einlegung der Revision beantragt, neuerlich Revision eingelegt und diese noch einmal begründet.

6

Zum [X.] ist unter eidesstattlicher Versicherung des Sachverhalts durch den Verteidiger ausgeführt, dass er als Verteidiger den [X.]sschriftsatz unterschrieben habe, dieser aber versehentlich durch eine Mitarbeiterin mit deren Mitarbeiterkarte dem Gericht übersandt worden sei. Er habe als Verteidiger am Abend die als Papierakte vorliegenden Postausgänge kontrolliert und lediglich den Ausdruck aus dem System „beA“ in der Akte gesehen. Daraus habe er fälschlich den Rückschluss gezogen, er selbst habe den zuvor von ihm unterzeichneten Schriftsatz versandt.

7

Der [X.] hat beantragt, den Antrag der Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Einlegung der Revision als unzulässig zu verwerfen, da sich dieser nicht zu dem Zeitpunkt des [X.] verhalte. Es sei weder vorgetragen noch nach der Aktenlage offensichtlich, dass dies erst durch Übersendung seiner Zuschrift auf Verwerfung der Revision als unzulässig geschehen sei.

8

Mit weiterem Schriftsatz vom 11. Juli 2023 hat der Verteidiger den Vortrag zum Wiedereinsetzungsantrag dahingehend ergänzt, dass die Antragsschrift des [X.]s vom 25. April 2023 am 8. Mai 2023 in seiner Kanzlei eingegangen und ihm erst zu diesem Zeitpunkt der Fehler offenbar geworden sei.

9

b) Der Angeklagten ist auf ihren Antrag Wiedereinsetzung in die - aus den Gründen der Zuschrift des [X.]s vom 25. April 2023 versäumte - Frist zur Einlegung der Revision (§ 341 Abs. 1 StPO) zu gewähren.

aa) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand erhält derjenige, der ohne Verschulden verhindert war, eine Frist einzuhalten (§ 44 Satz 1 StPO). Innerhalb der Antragsfrist von einer Woche ist zudem die versäumte Handlung nachzuholen (§ 45 Abs. 2 Satz 2 StPO). Binnen gleicher Frist muss der Antragsteller, sofern sich die Wahrung derselben nicht offensichtlich aus den Akten ergibt, auch Ausführungen zu dem Zeitpunkt des Wegfalls des Hindernisses machen. Die hierzu erforderlichen Angaben sind ebenso wie ihre Glaubhaftmachung Zulässigkeitsvoraussetzungen (vgl. [X.], Beschluss vom 14. Januar 2015 - 1 StR 573/14, [X.], 145 mwN). Maßgeblich hierfür ist der Zeitpunkt der Kenntnisnahme durch den Angeklagten; dies gilt auch dann, wenn der Verteidiger eigenes Verschulden geltend macht (vgl. [X.], Beschlüsse vom 12. Januar 2021 - 3 [X.], NStZ-RR 2021, 112 mwN; vom 29. November 2016 - 3 [X.], BeckRS 2016, 21447 mwN). Nach Ablauf der Wochenfrist kann der Vortrag nur noch ergänzt oder verdeutlicht werden (vgl. [X.], Beschlüsse vom 29. November 2016 - 3 [X.], juris Rn. 5; vom 30. April 2015 - 1 [X.], juris Rn. 4).

bb) Hieran gemessen ist das Wiedereinsetzungsgesuch der Angeklagten zulässig.

(1) Der Senat kann dem Vortrag des Verteidigers im Schriftsatz vom 12. Mai 2023 zu dem dort glaubhaft gemachten [X.] noch hinreichend deutlich die implizierte Angabe entnehmen, dass der Verteidiger seinen Übersendungsfehler bei der [X.] erst durch die Zuschrift des [X.]s vom 25. April 2023 bemerkte. Angesichts seiner dargestellten fehlerhaften Kontrolle der Übermittlung am 30. November 2022 und dem Aufdruck „beA“ auf der [X.]sschrift ist nicht erkennbar, wie der Verteidiger jenseits der Zuschrift des [X.]s auf den Übersendungsfehler aufmerksam geworden sein könnte. Der gleichwohl fehlende Vortrag zur Kenntnisnahme durch die Angeklagte ist hier ausnahmsweise unschädlich. Weder die dargestellte Sachlage noch der Akteninhalt bieten irgendeinen Anhalt, wie die Angeklagte vor ihrem Verteidiger Kenntnis von der unzureichenden Übermittlung der [X.]sschrift durch dessen Büro erlangt haben könnte.

(2) Der Wiedereinsetzungsantrag wahrt die Wochenfrist des § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO. Nach der Aktenlage hat die Geschäftsstelle des [X.] die Zuschrift des [X.]s vom 25. April 2023 am 4. Mai 2023 zur postalischen Übersendung an den Verteidiger in den Geschäftsgang gegeben, so dass ein Zugang beim Verteidiger, ungeachtet dessen nach Ablauf der Wochenfrist eingegangenen weiteren Vortrags (vgl. hierzu [X.], Beschluss vom 29. November 2016 - 3 [X.], juris, Rn. 5), vor dem 5. Mai 2023 ausgeschlossen ist. Die Wochenfrist ist damit durch den am 12. Mai 2023 eingereichten Schriftsatz, durch den der Verteidiger auch die versäumte Handlung [X.] nachgeholt hat, gewahrt.

cc) Der Wiedereinsetzungsantrag ist auch begründet. Die Angeklagte trifft an der fehlerhaften Übersendung der [X.] durch ihren Verteidiger kein Verschulden (§ 44 Satz 1 StPO). Dessen Verschulden wird ihr nicht zugerechnet (vgl. [X.], Beschluss vom 26. Januar 2017 - 1 [X.], juris Rn. 5).

2. Da das [X.] bereits ein vollständiges Urteil abgefasst hat und dieses zudem wirksam zugestellt worden ist, bedarf es keiner Rückgabe der Akten an das [X.] zur Ergänzung der Urteilsgründe oder dessen Zustellung. Mit der Zustellung dieses Beschlusses beginnt die Frist zur Begründung der Revision (vgl. Senat, Beschluss vom 20. Dezember 2022 - 2 StR 431/22, juris Rn. 2; [X.], Beschluss vom 9. November 2022 - 5 StR 362/22, juris Rn. 2 mwN; vgl. auch Senat, Beschluss vom 8. Januar 1982 - 2 StR 751/80, [X.]St 30, 335, 338).

3. [X.] folgt aus § 473 Abs. 7 StPO.

Appl     

        

Zeng     

        

Meyberg

        

Grube      

        

Schmidt      

        

Meta

2 StR 124/23

01.08.2023

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Beschluss

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Köln, 25. November 2022, Az: 103 KLs 3/22

§ 44 S 1 StPO, § 45 Abs 1 S 1 StPO, § 45 Abs 2 StPO, § 341 Abs 1 StPO, § 349 Abs 1 StPO

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 01.08.2023, Az. 2 StR 124/23 (REWIS RS 2023, 5951)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2023, 5951

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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