Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.12.2021, Az. VI R 23/19

6. Senat | REWIS RS 2021, 676

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

(§ 34 EStG bei Überstundenvergütungen)


Leitsatz

Werden Überstundenvergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet, ist die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG zu gewähren.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] - 3 K 1007/18 E wird als unbegründet zurückgewiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.

Tatbestand

I.

1

Die Beteiligten streiten über die Gewährung der Tarifermäßigung nach § 34 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für die Vergütung von Überstunden.

2

Die Kläger und [X.] (Kläger) sind verheiratet und wurden für das Streitjahr 2016 zur Einkommensteuer zusammen veranlagt. Der Kläger war bei der [X.] (GmbH) als Arbeitnehmer [X.] tätig. In den Jahren 2013 bis 2015 hatte er rund 330 Überstunden geleistet. Davon entfielen 115,75 Stunden auf das [X.], 114,5 Stunden auf das [X.] und 99,5 Stunden auf das Jahr 2015.

3

Mit Vertrag von August 2016 vereinbarte der Kläger mit der GmbH die Aufhebung des Arbeitsvertrags zum [X.] Der Aufhebungsvertrag sah u.a. vor, dass die GmbH mit der Lohnabrechnung für August 2016 rückwirkend für die Vorjahre die 330 geleisteten und bislang nicht ausgezahlten Überstunden mit einem Betrag von insgesamt ... € brutto vergütet.

4

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr gaben die Kläger die für die Überstunden erhaltene Zahlung in der Anlage N unter "Entschädigungen / Arbeitslohn für mehrere Jahre" an.

5

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --[X.]--) gewährte die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 1 EStG auch im Einspruchsverfahren nicht.

6

Das Finanzgericht (FG) gab der hiergegen erhobenen Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2019, 1199 veröffentlichten Gründen statt.

7

Mit der Revision rügt das [X.] die Verletzung materiellen Rechts.

8

Es beantragt,
   das Urteil des [X.] - 3 K 1007/18 E aufzuheben und die Klage abzuweisen.

9

Die Kläger beantragen,
   die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

II.

Die Revision des [X.] ist unbegründet. Sie ist deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Das [X.] hat zu Recht entschieden, dass die im Streitjahr ausgezahlten Überstundenvergütungen nach § 34 EStG ermäßigt zu besteuern sind.

1. Als ermäßigt zu besteuernde außerordentliche Einkünfte kommen insbesondere Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten in Betracht (§ 34 Abs. 2 Nr. 4  1. Halbsatz EStG).

a) Nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG ist eine Tätigkeit mehrjährig, soweit sie sich über mindestens zwei Veranlagungszeiträume erstreckt und einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten umfasst. Allerdings reicht es nicht aus, dass der Arbeitslohn in einem anderen Veranlagungszeitraum als dem zufließt, zu dem er wirtschaftlich gehört, und dort mit weiteren Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zusammentrifft. Die Entlohnung muss vielmehr für sich betrachtet zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit sein, die Vergütung folglich für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten und veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden (z.B. Senatsurteile vom 03.07.1987 - VI R 43/86, [X.], 431, [X.] 1987, 820; vom 07.08.2014 - VI R 57/12, und vom 07.05.2015 - VI R 44/13, [X.], 523, [X.] 2015, 890). Die mehrjährige Zweckbestimmung kann sich entweder aus dem Anlass der Zuwendung oder aus den übrigen Umständen ergeben. Soweit andere Hinweise auf den Verwendungszweck fehlen, kommt der Berechnung des Entgelts maßgebliche Bedeutung zu (Senatsurteile vom 16.12.1996 - VI R 51/96, [X.], 161, [X.] 1997, 222; in [X.], 523, [X.] 2015, 890, und vom 31.08.2016 - VI R 53/14, [X.], 120, [X.] 2017, 322).

b) Darüber hinaus muss die Entlohnung für eine mehrjährige Tätigkeit aus wirtschaftlich vernünftigen Gründen in zusammengeballter Form erfolgen (Senatsurteile in [X.], 523, [X.] 2015, 890, und in [X.], 120, [X.] 2017, 322).

c) Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit kann insbesondere auch eine Lohnnachzahlung für vorangegangene Veranlagungszeiträume sein (Senatsurteile vom 10.06.1983 - VI R 106/79, [X.], 454, [X.] 1983, 575; vom 28.09.1984 - VI R 48/82, [X.], 532, [X.] 1985, 117; vom 10.06.1983 - VI R 176/80, [X.], 456, [X.] 1983, 642; vom 22.07.1993 - VI R 104/92, [X.], 555, [X.] 1993, 795, und vom 14.10.2004 - VI R 46/99, [X.], 573, [X.] 2005, 289). Dabei steht der Umstand, dass sich die zugeflossene Vergütung aus mehreren Beträgen zusammensetzt, die jeweils einem bestimmten Einzeljahr zugerechnet werden können, der Annahme einer Vergütung für eine mehrjährige Tätigkeit nicht entgegen (Senatsurteile vom 11.06.1970 - VI R 338/67, [X.], 306, [X.] 1970, 639, und in [X.], 573, [X.] 2005, 289). Voraussetzung ist nur, dass der Zufluss insgesamt mehrere Jahre betrifft (Senatsurteile vom 17.07.1970 - VI R 66/67, [X.], 381, [X.] 1970, 683, und in [X.], 573, [X.] 2005, 289).

2. Die genannten Grundsätze gelten auch für den Fall der nachträglichen Auszahlung von Überstundenvergütungen, soweit die Vergütungen für einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten veranlagungszeitraumübergreifend geleistet werden (so auch [X.] in Kirchhof/Seer, EStG, 20. Aufl., § 34 Rz 33; [X.], § 34 EStG Rz 59). Umfasst der Zeitraum, für den Überstunden veranlagungszeitraumübergreifend vergütet werden, mehr als zwölf Monate, ist danach die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 2 Nr. 4  2. Halbsatz EStG zu gewähren.

3. Im Streitjahr hat die GmbH dem Kläger Überstundenvergütungen für die Jahre 2013 bis 2015 ausbezahlt. Mithin handelt es sich nach den angeführten Rechtsgrundsätzen um ein zweckbestimmtes Entgelt für eine mehrjährige Tätigkeit. Für die veranlagungszeitraumübergreifende Vergütung der Überstunden war daher die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG zu gewähren.

4. Schließlich liegen im Streitfall auch wirtschaftlich vernünftige Gründe für eine Zusammenballung vor. Denn die Abgeltung der Überstunden erfolgte aufgrund der Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

5. [X.] beruht auf § 135 Abs. 2 [X.]O.

Meta

VI R 23/19

02.12.2021

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend FG Münster, 23. Mai 2019, Az: 3 K 1007/18 E, Urteil

§ 34 Abs 2 Nr 4 Halbs 2 EStG 2009, EStG VZ 2016

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 02.12.2021, Az. VI R 23/19 (REWIS RS 2021, 676)

Papier­fundstellen: NJW 2022, 1272 REWIS RS 2021, 676

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

VI R 53/14 (Bundesfinanzhof)

(Tarifermäßigung gemäß § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG für mehrjährige Tätigkeit: Prämie für einen …


VI R 10/18 (Bundesfinanzhof)

Ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn für eine mehrjährige Tätigkeit


VI R 19/19 (Bundesfinanzhof)

(Aufhebung einer Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG)


IX R 3/20 (Bundesfinanzhof)

Auszahlung aus einem Aufbaukonto der betrieblichen Altersversorgung als ermäßigt zu besteuernde Vergütung für mehrjährige Tätigkeit …


VI R 44/13 (Bundesfinanzhof)

Ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn für eine mehrjährige Tätigkeit - Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

Keine Referenz gefunden.

Literatur & Presse BETA

Diese Funktion steht nur angemeldeten Nutzern zur Verfügung.

Anmelden
Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.