Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.10.2011, Az. 2 StR 328/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 1987

© REWIS UG (haftungsbeschränkt)

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Entscheidungstext


Formatierung

Dieses Urteil liegt noch nicht ordentlich formatiert vor. Bitte nutzen Sie das PDF für eine ordentliche Formatierung.

PDF anzeigen


BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 328/11
vom
26. Oktober
2011
in der Strafsache
gegen

wegen Verbreitens kinderpornografischer Schriften u. a.

-
2
-
Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung
des Generalbun-desanwalts und des Beschwerdeführers am 26. Oktober 2011 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-richts [X.] vom 29.
März
2011 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere [X.] des [X.]s zurückver-wiesen.
3.
Die weitergehende Revision wird verworfen.

Gründe:

Das [X.] hat den Angeklagten wegen
Verbreitens kinderporno-grafischer Schriften in 22 Fällen und wegen Besitzes kinderpornografischer Schriften zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung angeordnet. Seine auf die Rüge formellen und materiellen Rechts gestützte Revision hat mit der Sachrüge den aus der [X.] ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist sie unbegründet
im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.
Die Unterbringung des Angeklagten
in der Sicherungsverwahrung kann nicht bestehen bleiben. Zwar liegen die formellen Voraussetzungen des
vom 1
2
-
3
-
[X.] angewendeten §
66 Abs.
2 StGB aF vor, dessen Änderung durch das am 1.
Januar
2011 in [X.] getretene Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen vom [X.] 2010 zu keiner abweichenden Beurteilung zugunsten des Angeklagten führt (vgl. Art.
316e Abs.
2 [X.]). Hingegen bestehen durchgreifende Bedenken gegen die Annahme der materiellen Voraussetzungen der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung
gemäß §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB insbesondere bei [X.] der Maßgaben der durch das [X.] mit Urteil vom 4.
Mai
2011 (2
BvR
2365/09 ua -
Rn.
172, NJW
2011, 1931, 1946) erlassenen Weitergeltungsanordnung, welche die [X.] bei Erlass der angefochte-nen Entscheidung noch nicht berücksichtigen konnte.
Nach dem Urteil des [X.]s vom 4.
Mai
2011 ist die Vorschrift des §
66 StGB verfassungswidrig und gilt nur vorläufig bis zur Neure-gelung durch den Gesetzgeber weiter. Während der Dauer seiner [X.] muss der Tatsache Rechnung getragen werden, dass es sich bei der [X.] in ihrer derzeitigen Ausgestaltung um einen verfassungs-widrigen Eingriff in das Freiheitsrecht handelt. Nach der Weitergeltungsanord-nung des [X.]s darf die Regelung der [X.] werden. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Anforderungen an die Gefahrprognose und die gefährdeten Rechtsgüter. In der Regel wird der Ver-hältnismäßigkeitsgrundsatz bei einer Anordnung der Sicherungsverwahrung nur gewahrt sein, wenn eine Gefahr schwerer Gewalt-
oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder in dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist. Insoweit gilt in der Übergangszeit ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwendung strengerer Verhältnismäßigkeitsmaßstab (Senat, Urteil vom 7.
Juli
2011 -
2
StR
184/11;
[X.], Urteil vom 7.
Juli
2011 -
5
StR
192/11;
Be-schluss vom 4.
August
2011 -
3
StR
235/11).
3
-
4
-
Jedenfalls nach diesem Maßstab hat das [X.] weder einen Hang zur Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB noch eine daran anknüpfende zukünftige Gefährlichkeit des Angeklagten tragfähig begründet. Das [X.] hat nicht näher dargelegt, auf welche konkreten
([X.], 55)
sich der Hang des Angeklagten bezieht und welche solcher Straftaten von ihm mit welcher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Damit genügen die [X.] nicht den Darstellungsanforderungen, die von der [X.] an die Beurteilung des Hangs und an die Gefährlichkeitsprognose ge-stellt werden, um eine revisionsgerichtliche Nachprüfbarkeit der vom Tatrichter vorzunehmenden Gesamtwürdigung des [X.] und seiner Taten zu ermögli-chen ([X.], Beschluss vom 27.
September
1994 -
4
StR
528/94, NStZ
1995, 178; Beschluss vom 30.
März
2010 -
3
StR
69/10, NStZ-RR
2010, 203; Be-schluss vom 15.
Februar
2011
-
1
StR
645/10, NStZ-RR
2011, 204; Beschluss vom 2.
August
2011 -
3
StR
208/11).
Soweit die [X.] vor dem Hintergrund der [X.] auf die fest verwurzelte pädophile Neigung des Angeklagten und auf eine verharmlosende Haltung zur Kinderpornografie abgestellt hat, deren Konsum
ihn eigenen Anga-ben zufolge von
sexuellen Übergriffen auf Kinder abgehalten habe, mag dies einen Hang zu Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nach der Art und mit dem Gewicht der [X.] gemäß §
184b Abs.
1 und 2 StGB bele-gen. Derartige Delikte des Umgangs mit Kinderpornografie, dessen Strafbarkeit nach dem gesetzlichen Regelungszweck des §
184b StGB darauf abzielt, der mittelbaren Förderung des sexuellen Missbrauchs von [X.] (vgl. Fischer,
StGB 58.
Aufl., §
184b Rn.
2), sind allerdings nicht als ausrei-chend schwere ([X.] anzusehen, auf die sich nach der [X.]sanordnung des [X.]s der kriminelle Hang im Sinne des §
66 Abs.
1 Nr.
3 StGB aF
beziehen muss.
4
5
-
5
-
Für einen Hang des Angeklagten auch zu erheblichen Straftaten des [X.]n Missbrauchs von Kindern ließen sich zwar die vom [X.] gewür-digten Vortaten anführen, zu denen auch Fälle des schweren sexuellen [X.] gemäß §
176a Abs.
2 StGB zählten, die grundsätzlich n-desverfassungsgerichts darstellen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2.
August
2011 -
3
StR
208/11 und vom 11.
August
2011 -
3
StR
221/11). Die letzten dieser
Ta-ten lagen jedoch über zwölf Jahre zurück. Das darin vom [X.] erkannte,

55, 59) hätte bereits bei der für das Vorliegen eines Hangs vorzunehmenden Gesamtwürdigung aller konkreten Umstände berück-sichtigt werden müssen, die für die Beurteilung der Persönlichkeit des Ange-klagten und seiner Taten maßgebend sind.
Bei einer sorgfältigen
Gesamtwürdigung hätte es auch der Erörterung
jener Gesichtspunkte bedurft, welche die sachverständig beratene [X.] insoweit rechtsfehlerfrei zur Begründung ihrer Überzeugung angeführt hat, dass die bei dem Angeklagten festgestellte Pädophilie keine Einschränkung seiner Steuerungsfähigkeit bewirkt habe (vgl. [X.], Beschluss vom 2. August 2011 -

3 StR
208/11 Rn.
6). Hierzu hat das [X.] etwa die Fähigkeit des Ange-klagten gezählt, sich über einen längeren Zeitraum weitgehend normgemäß zu verhalten und sich -
in Bezug auf eine früher langjährig bestehende Alkohol-problematik und Nikotinsucht -
auch einem starken inneren Verlangen zu [X.] ([X.] S.
46
f.). Überdies hat das [X.] darauf abgestellt, dass der Angeklagte sexuell nicht völlig auf Kinder fixiert sei, sondern sexuelle Kon-takte in der Vergangenheit auch mit Erwachsenen gelebt habe. Zudem gehe es dem Angeklagten bei seinen Kontakten zu Kindern nicht ausschließlich um [X.] Kontakte, vielmehr habe die [X.] Beschäftigung mit Kindern

en körperlichen Behinde-6
7
-
6
-
rung und der damit seit seiner Jugend einhergehenden Schwierigkeiten, Kon-takte zu gleichaltrigen Personen herzustellen ([X.] S.
48). Die Erwähnung dieses Umstands steht allerdings in einem Kontrast zu dem nachfolgend im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose mehrfach als ungünstig angeführten Gesichts-punkt, dass der Angeklagte gegen die früher von ihm selbst erwogene Rückfall-vermeidungsstrategie, den Kontakt zu Kindern überhaupt zu meiden, wiederholt verstoßen habe ([X.] S.
56
f.).
Die Urteilsgründe lassen darüber hinaus nicht hinreichend deutlich er-kennen, inwieweit und aus welchen Gründen der gerichtliche Sachverständige, dessen Ausführungen auch nur vereinzelt gestreift werden, in seinem mündlich erstatteten Gutachten von seinem vorläufigen schriftlichen Gutachten abgewi-chen und zu einer geänderten Gefährlichkeitsprognose gelangt ist ([X.] S.
55).
8
-
7
-
Der Senat vermag nicht völlig auszuschließen, dass eine neue tatrichter-liche Verhandlung noch zur Feststellung von Umständen führt, die bei [X.] der neueren Rechtsprechung des [X.]s die Anord-nung der Sicherungsverwahrung rechtfertigen könnten. Über den [X.] muss deshalb nochmals entschieden werden.

Fischer

Appl

Berger

Eschelbach

Ott

9

Meta

2 StR 328/11

26.10.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 26.10.2011, Az. 2 StR 328/11 (REWIS RS 2011, 1987)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 1987

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

2 StR 328/11 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Sicherungsverwahrung wegen Umgangs mit Kinderpornografie im Lichte der Weitergeltungsanordnung der Bundeserfassungsgerichts


1 StR 502/19 (Bundesgerichtshof)

Verbreiten kinderpornografischer Schriften: Tatbestandsmäßigkeit verbaler und ggf. nur fiktiver Schilderung von Missbrauchshandlungen in einem Internetchat; …


3 StR 350/20 (Bundesgerichtshof)

Anordnung der Sicherungsverwahrung bei Strafverurteilung wegen sexuellen Kindesmissbrauchs und Verbreitung kinderpornografischer Schriften: Einordnung von Pädophilie …


2 StR 461/20 (Bundesgerichtshof)

Strafverurteilung wegen schweren Missbrauchs von Kindern u.a.: Geltung des Zweifelssatzes bei Prüfung des Verfolgungsverjährung; Verstoß …


2 StR 136/21 (Bundesgerichtshof)

Schwerer sexueller Missbrauch von Kindern in mehreren Fällen


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

2 StR 328/11

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.