Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2011, Az. VI R 53/10

6. Senat | REWIS RS 2011, 7516

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Gegenstand

Keine Anlaufhemmung bei Antragsveranlagung


Leitsatz

Eine Anlaufhemmung gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO kommt in den Fällen des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.F. des JStG 2008 nicht in Betracht. Dies gilt auch bei Anwendung der Übergangsregelung des § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG i.d.F. des JStG 2008 (Abgrenzung zur Senatsentscheidung vom 15. Januar 2009 VI R 23/08, BFH/NV 2009, 755).

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob die Kläger und Revisionskläger (Kläger) für die [X.] und 2003 (Streitjahre) zur Einkommensteuer zu veranlagen sind.

2

Die Kläger sind Eheleute. Sie haben in den Streitjahren ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt. Am 13. November 2008 reichten sie beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) Einkommensteuererklärungen für die Streitjahre ein. Das [X.] lehnte die Durchführung der Antragsveranlagung mit der Begründung ab, dass die Abgabefrist von zwei Jahren versäumt und auch bis zum 28. Dezember 2007 keine Steuererklärung eingereicht worden sei. Der Einspruch blieb ohne Erfolg.

3

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2010, 1611 veröffentlichten Gründen ab.

4

Mit der hiergegen gerichteten Revision rügen die Kläger die Verletzung materiellen Rechts.

5

Die Kläger beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und das [X.] zu verpflichten, die Kläger für die [X.] und 2003 zur Einkommensteuer zu veranlagen.

6

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

7

II. Die Revision der Kläger ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --[X.]O--). Die Entscheidung der Vorinstanz erweist sich als zutreffend.

8

Besteht das Einkommen --wie im [X.] nach § 46 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) ganz oder teilweise aus Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, von denen ein Steuerabzug vorgenommen worden ist, so wird eine Veranlagung nur unter den in § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 8 EStG genannten Voraussetzungen durchgeführt.

9

a) Nach § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG i.d.[X.] des Jahressteuergesetzes 2008 (EStG n.[X.]) wird eine Einkommensteuer-Veranlagung durchgeführt, wenn sie beantragt wird. Die --frühere zusätzliche-- Voraussetzung, dass der Antrag bis zum Ablauf des auf den Veranlagungszeitraum folgenden zweiten Kalenderjahres zu stellen war, ist entfallen.

§ 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] ist gemäß § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG n.[X.] erstmals für den Veranlagungszeitraum 2005 anzuwenden und --hier einschlägig-- in Fällen, in denen am 28. Dezember 2007 über einen Antrag auf Veranlagung zur Einkommensteuer noch nicht bestandskräftig entschieden ist. Letzteres trifft zu. Eine bestandskräftige Ablehnung des Antrags der Kläger auf Durchführung der [X.] für die Streitjahre liegt nicht vor. Nach der Rechtsprechung des Senats ist es nicht erforderlich, dass der Antrag auf Veranlagung für Veranlagungszeiträume vor 2005 bereits vor dem 28. Dezember 2007 bei den Finanzbehörden eingegangen ist (Urteil vom 12. November 2009 VI R 1/09, [X.], 97, [X.], 406).

b) Im Streitfall steht der Veranlagung gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 i.V.m. § 52 Abs. 55j Satz 2 EStG n.[X.] jedoch der Eintritt der Festsetzungsverjährung entgegen (vgl. Senatsurteil in [X.], 97, [X.], 406, II. b).

Die Festsetzungsfrist für die Einkommensteuer beträgt nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 der Abgabenordnung ([X.]) vier Jahre. Sie beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist (§ 170 Abs. 1 [X.]). Die Einkommensteuer für 2002 verjährte demnach mit Ablauf des Jahres 2006, diejenige für 2003 mit Ablauf des Jahres 2007. Nach den Feststellungen des [X.] haben die Kläger die erforderlichen Anträge durch Abgabe der Einkommensteuererklärungen für 2002 und 2003 aber (erst) im Jahre 2008 beim [X.] gestellt.

c) Der Ablauf der Festsetzungsfrist war vorliegend nicht nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] gehemmt, weil keine Steuererklärung einzureichen war.

Im Streitfall bestand, wie auch § 25 Abs. 3 EStG i.V.m. § 56 der [X.] deutlich macht (a.[X.] in Korn, § 46 EStG Rz 35.1), keine Pflicht zur Abgabe der Einkommensteuererklärungen. Die Kläger waren gemäß § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] lediglich berechtigt, eine solche einzureichen. Ebenso wurden die Kläger vom [X.] nicht zur Abgabe der einschlägigen Erklärungen aufgefordert (§ 149 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Im Fall einer Antragsveranlagung kommt daher § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] nicht zur Anwendung ([X.]/[X.], EStG, 30. Aufl., § 46 Rz 34; [X.] in [X.]/[X.]/ [X.], § 46 EStG [X.]; [X.] in [X.], EStG, 6. Aufl., [X.] 1998 ff., § 46 Rz 65 ff.; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 170 [X.] Rz 24), da eine Verpflichtung zur Abgabe einer Steuererklärung nicht aus § 25 Abs. 3 EStG abgeleitet werden kann.

d) [X.] Bedenken hiergegen bestehen nicht. Denn Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes verlangt lediglich nach der Gleichbehandlung nämlicher Sachverhalte. Zwischen Pflicht- und Antragsveranlagung bestehen jedoch [X.], die eine unterschiedliche Behandlung im Hinblick auf eine Anlaufhemmung rechtfertigen. Denn die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] soll nach der Rechtsprechung des [X.] ([X.]) verhindern, dass durch eine späte Einreichung der Steuererklärung die der Finanzbehörde zur Verfügung stehende Bearbeitungszeit verkürzt wird ([X.]-Urteil vom 6. Juni 2007 [X.], [X.]E 217, 393, [X.], 954, m.w.N.).

e) Der Senat hat zwar in seinem Urteil vom 15. Januar 2009 [X.] ([X.]/NV 2009, 755) entschieden, dass der Anwendung des § 46 Abs. 2 Nr. 8 EStG n.[X.] für Veranlagungszeiträume vor 2005 auch eine Verjährungsfrist nicht entgegensteht. Dies betraf allerdings den hier nicht gegebenen besonderen Fall, dass die Klage ohnehin auf Grundlage der Rechtsprechung des Senats (vgl. [X.]-Urteil vom 21. September 2006 [X.], [X.]E 215, 144, [X.], 45) zu § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG a.[X.] erfolgreich gewesen wäre. Denn die negative Summe der Nebeneinkünfte hatte [X.] als im streitigen [X.] dort den Betrag von 800 DM überstiegen. Der Senat hatte dabei insbesondere berücksichtigt, dass aufgrund seiner 2005 geänderten Rechtsprechung zu § 46 Abs. 2 EStG und der darauf folgenden Reaktionen des Gesetzgebers vielfach zeitliche Zufälligkeiten darüber mitentscheidend gewesen waren, ob Anträge und Klagen auf Durchführung der [X.] erfolgreich sein konnten.

Meta

VI R 53/10

14.04.2011

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 4. Mai 2010, Az: 4 K 478/10, Urteil

§ 46 Abs 2 Nr 8 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 52 Abs 55j S 2 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 25 Abs 3 EStG 2002 vom 20.12.2007, § 56 EStDV, § 169 AO, § 170 Abs 1 AO, § 170 Abs 2 S 1 Nr 1 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 14.04.2011, Az. VI R 53/10 (REWIS RS 2011, 7516)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 7516

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