Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2019, Az. 1 AZR 279/17

1. Senat | REWIS RS 2019, 10472

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Gegenstand

Anrechnung Nachteilsausgleich auf Sozialplanabfindung


Leitsatz

Abfindungen aufgrund eines Sozialplans und aufgrund eines gesetzlichen Nachteilsausgleichs sind - im Wege der Erfüllungswirkung gemäß § 362 Abs. 1 BGB - verrechenbar.

Tenor

Die Revision des [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 29. März 2017 - 4 Sa 1619/16 - wird auf seine Kosten zurückgewiesen.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zahlung einer Sozialplanabfindung.

2

Der [X.]läger war bei der Beklagten unter Anrechnung einer Vorbeschäftigungszeit seit dem 2. September 1991 beschäftigt. Im März 2014 beschloss die Beklagte, den [X.] in [X.] stillzulegen. Hierüber unterrichtete sie den Betriebsrat und verhandelte mit ihm am 8. April 2014 über einen Interessenausgleich. Mit Schreiben vom 16. April 2014 übermittelte sie dem Betriebsrat eine „Anzeige von beabsichtigten anzeigepflichtigen Entlassungen gem. § 17 Abs. 2 [X.]SchG“. Noch bevor das [X.] auf Antrag der Beklagten mit Beschluss vom 2. Mai 2014 einen Vorsitzenden für eine Einigungsstelle mit dem Regelungsgegenstand „Interessenausgleich und Sozialplan für die beabsichtigte Stilllegung der Betriebsstätte [X.]“ bestellt hatte, kündigte die Beklagte die Arbeitsverhältnisse aller im Betrieb beschäftigten Mitarbeiter, so auch das des [X.]lägers zum 30. November 2014. Nach Rücknahme der dagegen erhobenen [X.]ündigungsschutzklage verlangte der [X.]läger die Zahlung eines Nachteilsausgleichs. Daraufhin verurteilte das [X.] die Beklagte mit Urteil vom 2. April 2015 (- 11 [X.]/14 -) zur Zahlung einer Abfindung von 12.230,40 Euro brutto. Auf die Berufung des [X.]lägers verurteilte das [X.] mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 8. September 2015 (- 7 [X.] 870/15 -) die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung iHv. weiteren 4.076,80 Euro brutto. Die Beklagte kehrte an den [X.]läger - deklariert als „Abschlag“ - 4.000,00 Euro im Mai 2015 sowie - deklariert jeweils als „Abfindung“ - 4.000,00 Euro im Juni 2015, 4.076,80 Euro im September 2015 und 4.230,40 Euro im November 2015, mithin insgesamt den ausgeurteilten Nachteilsausgleich iHv. 16.307,20 Euro, aus. Zuvor - am 13. September 2014 - hatte sie mit dem Betriebsrat einen Sozialplan vereinbart, nach dessen §§ 1, 2 Nr. 1 dem [X.]läger 9.000,00 Euro brutto als Abfindung für den Verlust seines Arbeitsplatzes zustehen. Deren Zahlung lehnte die Beklagte unter Verweis auf den beglichenen Nachteilsausgleich ab.

3

Der [X.]läger hat mit seiner [X.]lage die Sozialplanabfindung verlangt und die Auffassung vertreten, auf diese sei die aufgrund der gerichtlichen Festsetzung des Nachteilsausgleichs gezahlte Abfindung schon deshalb nicht anzurechnen, weil das Gericht deren Höhe zu gering bemessen habe. Darüber hinaus verbiete sich eine Anrechnung aus unionsrechtlichen Gründen.

4

Der [X.]läger beantragt,

        

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.000,00 Euro brutto zu zahlen.

5

Die Beklagte hat beantragt, die [X.]lage abzuweisen.

6

Das Arbeitsgericht hat die [X.]lage abgewiesen. Das [X.] hat die Berufung des [X.]lägers zurückgewiesen. Dieser verfolgt mit seiner Revision den [X.] weiter.

Entscheidungsgründe

7

Die zulässige Revision des [X.] ist unbegründet. Das [X.] hat zu Recht erkannt, dass die Beklagte den Anspruch des [X.] auf Zahlung der Sozialplanabfindung erfüllt hat, § 362 Abs. 1 BGB.

8

I. Der Kläger hat - darüber besteht zwischen den Parteien kein Streit - einen Anspruch auf Abfindung nach dem Sozialplan vom 13. September 2014 iHv. 9.000,00 Euro brutto erworben.

9

II. Dieser Anspruch ist im Hinblick auf die Zahlung von 16.307,20 Euro brutto durch die Beklagte jedoch gemäß § 362 Abs. 1 BGB erloschen.

1. Nach § 362 Abs. 1 BGB erlischt ein Schuldverhältnis, wenn die geschuldete Leistung an den Gläubiger bewirkt wird. Das Bewirken der geschuldeten Leistung besteht in der Herbeiführung des geschuldeten Leistungserfolgs. Bei einer Geldschuld - wie einer Abfindung - wird dieser Erfolg regelmäßig erzielt, wenn der Gläubiger den Geldbetrag, den er beanspruchen kann, endgültig zur freien Verfügung übereignet oder überwiesen erhält (vgl. [X.] 27. Juni 2008 - V ZR 83/07 - Rn. 26).

2. Die Beklagte hat an den Kläger im Mai 2015, Juni 2015, September 2015 und November 2015 als „Abschlag“ und „Abfindung“ bezeichnete Geldbeträge iHv. insgesamt 16.307,20 Euro brutto geleistet. Diesbezüglich hat sie eine Tilgungsbestimmung für den Sozialplanabfindungsanspruch weder vorgenommen noch behauptet. Aus den Zeitpunkten der Zahlung folgt vielmehr, dass sie damit den vom Kläger erstrittenen Nachteilsausgleich tilgen wollte. Dennoch kommt den Zahlungen materiell-rechtliche [X.] iSv. § 362 Abs. 1 BGB (auch) hinsichtlich der - den Nachteilsausgleich nicht übersteigenden - Sozialplanforderung zu.

a) Gemäß § 362 Abs. 1 BGB tritt nach der Theorie der realen [X.] die [X.] als objektive Folge der [X.] ein. Die [X.] ist kraft Gesetzes objektive Tatbestandsfolge der Leistung. Ein zusätzliches subjektives Tatbestandsmerkmal ist grundsätzlich nicht erforderlich. Kann die Leistung des Schuldners einem bestimmten Schuldverhältnis im engeren Sinn, dh. einer bestimmten Leistungspflicht, zugeordnet werden oder reicht sie zur Tilgung aller Verbindlichkeiten aus mehreren Schuldverhältnissen (im engeren Sinn) aus, bedarf es zum Erlöschen der Forderungen keiner Tilgungsbestimmung (vgl. [X.] 17. Januar 2018 - 5 [X.] - Rn. 14 mwN). [X.] - auch ohne ausdrückliche Tilgungsbestimmung - ist daher grundsätzlich anzunehmen bei jeglicher erfüllungsgeeigneter, inhaltlich dem Schuldverhältnis entsprechender Leistung (vgl. zur Erfüllung des gesetzlichen Mindestlohnanspruchs durch mindestlohnwirksame Leistungen grdl. [X.] 25. Mai 2016 - 5 [X.] - Rn. 20 ff., [X.]E 155, 202). Wird im Fall einer Anspruchskonkurrenz - etwa bei einem Zusammentreffen von deliktischen und vertraglichen Schadensersatzansprüchen - der Berechtigte aus einem der beiden Ansprüche befriedigt, erlischt auch der andere Anspruch, soweit und weil er auf dasselbe Interesse gerichtet ist (vgl. bereits [X.] 16. Dezember 1968 - III ZR 179/67 - zu 1 der Gründe, [X.]Z 51, 226). Demnach erfüllt etwa bei gesetzlichem Mindest- und übergesetzlichem Mehrurlaub der Arbeitgeber mit der Freistellung des Arbeitnehmers auch ohne ausdrückliche oder konkludente Tilgungsbestimmung beide Ansprüche ganz oder teilweise, soweit sie sich decken (grdl. [X.] 7. August 2012 - 9 [X.] - Rn. 10 ff., [X.]E 143, 1). Ähnliches gilt bei einer aus Rechtsgründen erfolgenden Anrechen- oder Verrechenbarkeit von geschuldeten Leistungen (vgl. [X.] 11. Oktober 1973 - IX ZR 130/70 - zu 3 c der Gründe). Allerdings kann der Schuldner mittels einer negativen Tilgungsbestimmung die durch die [X.] an sich eintretende [X.] ausschließen (vgl. [X.] 3. Dezember 1990 - II [X.] - zu III der Gründe).

b) Nach diesen Grundsätzen hat die Beklagte mit der Zahlung von 16.307,20 Euro brutto Nachteilsausgleich an den Kläger auch dessen Anspruch auf Abfindung nach dem Sozialplan iHv. 9.000,00 Euro brutto erfüllt. Der Zahlung eines Nachteilsausgleichs an den Arbeitnehmer kommt von Rechts wegen [X.] auch für einen ihm zustehenden Anspruch auf Sozialplanabfindung zu, da beide betriebsverfassungsrechtlich begründeten Leistungen weitgehend auf dasselbe Interesse gerichtet sind. Eine - hiervon ausnahmsweise abweichende - ausdrückliche negative Tilgungsbestimmung hat die Beklagte bei Bewirkung der Zahlungsbeträge nicht vorgenommen.

aa) Der Anspruch auf Zahlung einer Abfindung aus einem Sozialplan nach § 112 Abs. 1 Satz 2 [X.] einerseits und der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 [X.] andererseits stehen nicht beziehungslos nebeneinander und können nicht kumulativ verlangt werden (so bereits [X.] 18. Dezember 1984 - 1 [X.] - [X.]E 47, 329 und 13. Juni 1989 - 1 [X.] 819/87 - [X.]E 62, 88). Zwischen ihnen besteht insoweit [X.], als sie beide dem Ausgleich wirtschaftlicher Nachteile dienen.

(1) Von den Betriebsparteien geschlossenen Sozialplänen kommt eine zukunftsbezogene Ausgleichs- und Überbrückungsfunktion zu. Festgelegte Geldleistungen in Form einer Abfindung sind kein zusätzliches Entgelt für die in der Vergangenheit erbrachten Dienste. Vielmehr sollen sie die voraussichtlich entstehenden wirtschaftlichen Nachteile eines Arbeitsplatzverlustes infolge einer Betriebsänderung ausgleichen oder zumindest abmildern (vgl. etwa [X.] 8. Dezember 2015 - 1 [X.] 595/14 - Rn. 17, [X.]E 153, 333).

(2) Diesem Zweck dient auch der Nachteilsausgleich nach § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 [X.]. Durch die Verpflichtung zur Gewährung eines Nachteilsausgleichs soll zum einen das betriebsverfassungswidrige Verhalten eines Arbeitgebers, der seiner gesetzlichen Beratungspflicht bei Betriebsänderungen nicht genügt hat, sanktioniert werden. Der Anspruch will - präventiv - die vorgeschriebene Beteiligung des Betriebsrats an einer unternehmerischen Maßnahme sicherstellen. Ist diese Beteiligung unzureichend, erhalten die betroffenen Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch auf den Ausgleich bestimmter Nachteile. Die Anspruchsnorm schützt die Beachtung der gesetzlichen Beteiligungsrechte des Betriebsrats bei Betriebsänderungen zum anderen aber nicht ausnahmslos. Sie sanktioniert ein betriebsverfassungswidriges Verhalten nur in den Fällen, in denen die von der unternehmerischen Maßnahme betroffenen Arbeitnehmer ihren Arbeitsplatz verlieren oder sonstige wirtschaftliche Nachteile erleiden. Auch wenn das Ausmaß der Verletzung von [X.] des Betriebsrats durch den Arbeitgeber bei der Festsetzung der Höhe des Nachteilsausgleichs Bedeutung zukommt (vgl. [X.] 7. November 2017 - 1 [X.] 186/16 - Rn. 35 mwN), setzt das Entstehen eines solchen Anspruchs voraus, dass der Arbeitnehmer „infolge“ der ohne Beachtung der Mitbestimmung des Betriebsrats durchgeführten Maßnahme wirtschaftliche Nachteile - entweder in Form einer Entlassung oder in sonstiger Art und Weise - erleidet. Deshalb ist der gesetzliche Nachteilsausgleich keine bußgeldähnliche Verpflichtung mit Strafcharakter. Vielmehr sollen die Arbeitnehmer eine gewisse Entschädigung dafür erhalten, dass eine im Gesetz vorgesehene Beteiligung unterblieben und damit eine Chance nicht genutzt worden ist, einen Interessenausgleich zu finden, der Entlassungen vermeidet oder andere wirtschaftliche Nachteile abmildert (grdl. [X.] 20. November 2001 - 1 [X.] 97/01 - zu II 1 b der Gründe, [X.]E 99, 377; vgl. auch [X.] 23. September 2003 - 1 [X.] 576/02 - zu II 3 c aa der Gründe, [X.]E 107, 347).

(3) Diese [X.] hat zur Folge, dass eine gezahlte Sozialplanabfindung auch auf einen Anspruch auf gesetzlichen Nachteilsausgleich anzurechnen ist und ihr insoweit [X.] zukommt. Der insoweit auch von § 113 Abs. 3 [X.] verfolgte [X.] wird dadurch nicht aufgehoben (vgl. grdl. [X.] 20. November 2001 - 1 [X.] 97/01 - zu II 1 b und c der Gründe, [X.]E 99, 377; vgl. auch [X.] 24. August 2006 - 8 [X.] 317/05 - und 16. Mai 2007 - 8 [X.] 693/06 -; zust. Annuß in [X.] [X.] 16. Aufl. § 113 Rn. 65; [X.]/G/N/R/H/Hess 10. Aufl. § 112 Rn. 368; krit. [X.]/[X.] 16. Aufl. §§ 112, 112a Rn. 123; [X.]/[X.] 19. Aufl. [X.] § 113 Rn. 2; zT auch Oetker GK-[X.] 11. Aufl. § 113 Rn. 109 f. mwN; Fitting [X.] 29. Aufl. § 113 Rn. 32 mwN; HaKo-[X.]/[X.]. § 113 Rn. 2). Das gilt ebenso für den - umgekehrten und hier vorliegenden - Fall der [X.] eines gezahlten Nachteilsausgleichs bezüglich des Anspruchs auf Sozialplanabfindung (im Ergebnis ebenso bereits [X.] 13. Juni 1989 - 1 [X.] 819/87 - zu [X.] 3 a der Gründe, [X.]E 62, 88).

bb) Die Verrechnung von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung - im Wege der [X.] - verbietet sich nicht im Hinblick auf die Richtlinie 98/59/[X.] vom 20. Juli 1998 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Massenentlassungen ([X.]). Deren Art. 6 als Ausprägung des allgemeinen unionsrechtlichen Gebots des effet utile gibt es nicht vor, den Nachteilsausgleich nach § 113 [X.] auf jeden Fall (in voller Höhe) neben einer Sozialplanabfindung fordern zu können.

(1) Art. 2 der ausweislich ihrer Erwägungsgründe 2, 4 und 6 die Verstärkung des [X.] und die Verbesserung des Funktionierens des Binnenmarktes bezweckenden [X.] verlangt im Fall einer Massenentlassung die Durchführung eines [X.]s mit der Arbeitnehmervertretung (vgl. im Einzelnen zB [X.]/Spelge 2. Aufl. [X.]/[X.] Rn. 5 und Rn. 8 ff.). Nach Art. 2 Abs. 1 [X.] hat ein Arbeitgeber, der beabsichtigt, eine Massenentlassung iSd. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie durchzuführen, die Arbeitnehmervertreter rechtzeitig zu konsultieren, um zu einer Einigung zu gelangen. Diese Verhandlungen haben sich nach Art. 2 Abs. 2 [X.] mindestens darauf zu erstrecken, Massenentlassungen zu vermeiden oder zu beschränken sowie ihre Folgen durch [X.] Begleitmaßnahmen zu mildern. Nach Art. 2 Abs. 3 [X.] hat der Arbeitgeber den Arbeitnehmervertretern - damit sie konstruktive Vorschläge unterbreiten können - rechtzeitig im Verlauf der Konsultationen zweckdienliche Auskünfte zu erteilen und sie schriftlich über die in Art. 2 Abs. 3 Buchst. b [X.] aufgezählten Angaben zu unterrichten. Insgesamt bezweckt die [X.] eine Teilharmonisierung und überlässt es dem nationalen Recht, die materiell-rechtlichen Voraussetzungen festzulegen, unter denen der Arbeitgeber ggf. Massenentlassungen vornehmen kann oder nicht ([X.] 21. Dezember 2016 - [X.]/15 - [[X.]] Rn. 29 ff.; [X.] 26. Oktober 2017 - 2 [X.] 298/16 - Rn. 24). Gemäß Art. 6 [X.] müssen die Mitgliedstaaten aber Verfahren einrichten, mit denen die Einhaltung der von der Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen gewährleistet werden kann. Sie haben dabei darauf zu achten, dass die Verstöße gegen das Unionsrecht nach sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden, die denjenigen entsprechen, die für nach Art und Schwere gleichartige Verstöße gegen nationales Recht gelten. Die Sanktion muss wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein (vgl. [X.] 8. Juni 1994 - [X.]/92 - [Kommission/[X.]] Rn. 40). Die den Mitgliedstaaten überlassene Umsetzung dieser Maßgabe darf der Richtlinie nicht ihre praktische Wirksamkeit nehmen (vgl. [X.] 16. Juli 2009 - [X.]/08 - [Mono Car Styling] Rn. 34, 36).

(2) Dem unionsrechtlich determinierten Massenentlassungsschutz und der Konsultationspflicht entspricht das in § 17 Abs. 2 [X.] geregelte [X.] (vgl. [X.] 22. September 2016 - 2 [X.] 276/16 - Rn. 47, [X.]E 157, 1; zu § 17 [X.] insgesamt vgl. auch [X.] 26. Januar 2017 - 6 [X.] 442/16 - Rn. 23, [X.]E 158, 104). Verstößt der Arbeitgeber gegen dessen gesetzliche Anforderungen, ist die im Zusammenhang mit einer Massenentlassung erfolgte Kündigung nach § 134 BGB rechtsunwirksam ([X.] 20. Januar 2016 - 6 [X.] 601/14 - Rn. 16 mwN, [X.]E 154, 53; 21. März 2013 - 2 [X.] 60/12 - Rn. 23 ff., [X.]E 144, 366). Diese Rechtsfolge verhindert, dass der Arbeitgeber durch den Ausspruch von Kündigungen unumkehrbare Fakten schafft, bevor das [X.] ordnungsgemäß durchgeführt wurde (vgl. [X.] 21. März 2013 - 2 [X.] 60/12 - Rn. 26, aaO).

(3) Damit existiert eine Rechtsfolge, die eine wirksame Sanktion iSv. Art. 6 [X.] darstellt (Preis/Sagan/[X.]/[X.] [X.] 2. Aufl. Rn. 14.123). Die Sanktionswirkung einer Geldentschädigung ist weder geboten noch adäquat. Sie ließe unabhängig von der Höhe eines Entschädigungsbetrags den Bestand der Kündigung unberührt und könnte den Ausspruch von Kündigungen vor Abschluss des [X.]s nicht effektiv verhindern (vgl. [X.] 21. März 2013 - 2 [X.] 60/12 - Rn. 26 f., [X.]E 144, 366). Auch wären unterschiedliche Sanktionen für Konsultations- und Anzeigeverfahren - einerseits Unwirksamkeit der Kündigung bei fehlender oder fehlerhafter Anzeige der Massenentlassung gegenüber der [X.] (dazu vgl. [X.] 22. November 2012 - 2 [X.] 371/11 - [X.]E 144, 47) und andererseits Geldentschädigung für Verstöße gegen die Konsultationspflicht - nach Ziel und Ausgestaltung der [X.] nicht zu rechtfertigen (vgl. [X.]/Spelge 2. Aufl. Art. 6 [X.]/[X.] Rn. 5; [X.] EWiR 2013, 693, 694).

(4) Gegenteiliges ergibt sich nicht aus der Entscheidung des [X.]s der [X.] ([X.]) vom 8. Juni 1994 (- [X.]/92 - [Kommission/[X.]]). Danach ist eine Entschädigung für entlassene Arbeitnehmer, die mit Beträgen verrechenbar ist, deren Zahlung ein Arbeitnehmer ohnehin aufgrund des Arbeitsvertrags oder wegen dessen Bruchs verlangen kann, keine hinreichend abschreckende Sanktion für einen Arbeitgeber, der im Fall einer Massenentlassung seiner Pflicht zur Information und Konsultation der Arbeitnehmervertreter nicht nachkommt. Darum geht es vorliegend aber nicht, weil die nach nationalem Recht vorgesehene Sanktionierung eines Verstoßes gegen die unionsrechtlich determinierte Konsultationspflicht in der Unwirksamkeit der Kündigung und nicht in der Zahlung einer Abfindung liegt. Zu dieser Frage ist keine Vorlage nach Art. 267 AEUV veranlasst. Art. 6 [X.] verpflichtet nicht zu spezifischen Sanktionen, sondern unterstellt die Regelung der Rechtsfolgen eines unterbliebenen oder nicht hinreichend beachteten [X.]s vor einer Massenentlassung der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten. Für das darin ausgedrückte allgemeine Gebot des effet utile unterliegt die unionsrechtliche Rechtslage, wonach nationalrechtliche Sanktionen effektiv, abschreckend und verhältnismäßig sein müssen (vgl. [X.] 2. Mai 2018 - [X.]/15 [[X.]] - Rn. 29; 7. März 2018 - [X.]/16 - [[X.]] Rn. 28 f.; 7. September 2006 - [X.]/04 - [[X.] und [X.]] Rn. 51), keinen Zweifeln.

cc) Sollte die Beklagte vorliegend das [X.] des § 17 Abs. 2 [X.] nicht ordnungsgemäß durchgeführt haben, steht dies der [X.] der Nachteilsausgleichszahlung (auch) für die streitbefangene Sozialplanforderung daher nicht entgegen. Zwar geht der Kläger - in Übereinstimmung mit der Beklagten - hiervon nicht aus, weil nach seiner Ansicht § 17 Abs. 2 [X.] lediglich Anzeige- und Unterrichtungspflichten regele. Diese Auffassung ist aber bereits vor dem Hintergrund des Wortlauts von § 17 Abs. 2 Satz 2 [X.], wonach Arbeitgeber und Betriebsrat „insbesondere die Möglichkeiten zu beraten“ haben, „Entlassungen zu vermeiden oder einzuschränken und ihre Folgen zu mildern“, nicht haltbar. Entsprechend ist das Vorbringen des [X.] widersprüchlich, die Beklagte habe mit dem Unterrichtungsschreiben an den Betriebsrat vom 16. April 2014 der Pflicht des § 17 Abs. 2 [X.] genügt, während eine rechtzeitige und umfassende Unterrichtung des Betriebsrats sowie eine Konsultation und Verhandlung mit ihm zum Zwecke der Abmilderung, Vermeidung und Beschränkung von Folgen der Betriebsstilllegung nicht erfolgt seien. [X.] man dennoch, die Beklagte habe das [X.] nach § 17 Abs. 2 [X.] durchgeführt, sprächen erst recht keine unionsrechtlichen Gründe gegen die Verrechnung von Nachteilsausgleich und Sozialplanabfindung im Wege einer [X.]. Denn die Beklagte hätte in diesem Fall ihrer Konsultationspflicht in dem von der [X.] vorgegebenen Umfang entsprochen. Die Verletzung von [X.] des Betriebsrats im Zusammenhang mit §§ 111 ff. [X.], welche über den von der [X.] vorgegebenen Schutzstandard hinausgehen - wie die Einschaltung eines unparteiischen Dritten (Einigungsstellenverfahren) im Zusammenhang mit einem Interessenausgleichsversuch (vgl. auch [X.] 20. November 2001 - 1 [X.] 97/01 - zu [X.] der Gründe, [X.]E 99, 377) - erfordert keine den Vorgaben des Art. 6 [X.] entsprechende Sanktion.

dd) Schließlich ist die Rüge der Revision unbegründet, im Streitfall bliebe bei der Annahme einer Verrechenbarkeit der Forderungen unberücksichtigt, dass die Beklagte besonders massiv gegen die Beteiligungsrechte des Betriebsrats nach §§ 111, 112 [X.] verstoßen habe. Das Ausmaß des betriebsverfassungswidrigen Verhaltens eines Arbeitgebers ist ein bei der Bemessung der Abfindungshöhe im Rahmen des § 113 Abs. 3 iVm. Abs. 1 [X.] durch das [X.] einzustellendes Moment (vgl. [X.] 7. November 2017 - 1 [X.] 186/16 - Rn. 36 mwN). Die den Nachteilsausgleich titulierende(n) Entscheidung(en) der Gerichte für Arbeitssachen sind rechtskräftig und nicht - auch nicht mittelbar - Gegenstand der revisionsrechtlichen Überprüfung im hiesigen Rechtsstreit.

        

    Schmidt    

        

    Ahrendt    

        

    K. Schmidt    

        

        

        

    Rose    

        

    [X.]    

                 

Meta

1 AZR 279/17

12.02.2019

Bundesarbeitsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: AZR

vorgehend ArbG Berlin, 10. August 2016, Az: 12 Ca 16673/15, Urteil

Art 6 EGRL 59/98, Art 2 Abs 1 EGRL 59/98, § 362 Abs 1 BGB, § 112 Abs 1 S 2 BetrVG, § 113 Abs 3 BetrVG, § 113 Abs 1 BetrVG

Zitier­vorschlag: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 12.02.2019, Az. 1 AZR 279/17 (REWIS RS 2019, 10472)

Papier­fundstellen: MDR 2019, 680-681 REWIS RS 2019, 10472

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