Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.04.2013, Az. 5 StR 593/12

5. Strafsenat | REWIS RS 2013, 6332

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5 StR 593/12

BUNDESGERICHTSHOF

IM [X.] DES VOLKES

URTEIL

vom 24. April 2013
in der Strafsache
gegen

wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person u.a.

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-
Der 5. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom
24.
April 2013, an der teilgenommen haben:

Vorsitzender Richter Basdorf,

Richter Dr. Raum,
Richterin [X.],
Richter Prof. Dr. König,
Richter Bellay

als beisitzende Richter,

Oberst[X.]tsanwalt
beim [X.]

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwältin

als Verteidigerin,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

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für Recht erkannt:

Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.]s [X.] vom 30. Juli 2012 im [X.] mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Jugendschutzkammer des [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

G
r ü n d e

Das [X.] hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person und sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen in 15 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt und die Sicherungsverwahrung angeordnet. Auf die mit der allgemeinen Sachrüge begründete Revision des Angeklagten hat der [X.] beantragt, die [X.] gemäß §
349 Abs. 4 StPO entfallen zu lassen und die Revision im Übrigen zu ver-werfen (§
349 Abs. 2 StPO). Das nunmehr auf die Überprüfung des Maßre-gelausspruchs beschränkte Rechtsmittel ist erfolgreich, führt indes nur
zur Aufhebung des [X.]s mit den zugehörigen Feststellungen und zur Zurückverweisung an das [X.].

1
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I.

Das [X.] hat folgende Feststellungen und Wertungen getrof-fen:

1. Zu einem nicht mehr exakt bestimmbaren Zeitpunkt zwischen [X.] 2002 und Dezember 2003 missbrauchte der Angeklagte die am 1. Sep-tember 1985 geborene

[X.]

sexuell, indem er dem [X.] mehrere Cocktailtomaten in die Scheide einführte. Erst am nächsten Morgen bemerkte die Geschädigte auf einen entsprechenden Hin-weis des Angeklagten die in ihrer Scheide befindlichen Tomaten (Tat 1).
Die

jahrelang unentdeckt gebliebene

Tat beging der Angeklagte während des Laufs der Reststrafenbewährung aus dem Urteil gemäß unten Ziffer 2, wobei er der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin unterstellt war.

Im Zeitraum von August 2010 bis zum 20. Januar 2012 nahm der An-geklagte sexuelle [X.]ndlungen an seiner am 27. Januar 1996 geborenen Stieftochter

[X.].
vor, der gegenüber er im Einverständnis mit seiner Ehefrau alle Erziehungsrechte und -pflichten wahrnahm. Er zog sich jeweils in den Abendstunden mit seiner Stieftochter in das Eheschlafzimmer zurück, um dort bei abgeschlossener Tür zwölf Fällen kam es zum ungeschützten Geschlechtsverkehr bis zum [X.]. Bei einigen der zwölf [X.]ndlungen führte der Angeklagte zusätz-lich Gegenstände in die
Vagina des Mädchens ein (Salatgurke, Apfel, Kartof-fel, Vibrator). Neben
den Fällen des vaginalen Geschlechtsverkehrs kam es
in
mindestens drei weiteren Fällen zum Oralverkehr, bei dem

[X.]

.

das unbedeckte erigierte Glied des Angeklagten in den Mund nehmen musste (Taten 2 bis 16).

2. Bereits mit Urteil vom 19. Oktober 1998 war der Angeklagte vom [X.] [X.] wegen 14 Fällen des sexuellen Missbrauchs eines [X.] in Tateinheit mit sexuellem Missbrauch einer Schutzbefohlenen zu einer 2
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Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Die dort zugrunde liegenden Taten hatte er zwischen [X.] 1994 und März 1998 zum Nachteil seiner am 24. Mai 1984 geborenen Stieftochter

[X.]u.
aus seiner früheren Ehe begangen. Auch bei einem Teil dieser Taten kam es zur Einführung von Gegenständen in die Scheide des Kindes, zur Durchführung von Oral-
und Analverkehr
an dem damals
11-jährigen Kind
sowie im Zeitraum zwischen Januar und März 1998 in [X.] fünf Fällen zum Geschlechtsverkehr bis zum Samenerguss an der 13-Jährigen.

3. [X.] beruht im Strafausspruch auf einer Verständigung, auf-grund derer der Angeklagte in der [X.]uptverhandlung die festgestellten Taten im Wege einer Erklärung seiner Verteidigerin eingeräumt hat. Von der Rich-tigkeit dieses Geständnisses hat sich die [X.] durch Einvernahme von
Zeugen und einer gerichtsmedizinischen Sachverständigen überzeugt.

Die sachverständig beratene [X.] bejaht das Vorliegen eines [X.]nges im Sinne des § 66 StGB, aufgrund dessen der Angeklagte für die Allgemeinheit gefährlich ist. Auch angesichts des fortgeschrittenen Lebensal-ters des Angeklagten bei seiner voraussichtlichen [X.]ftentlassung sei es
durLage sein wird, eine einfach strukturierte und hilfsbedürftige Frau etwa aus ;
bei dieser könne
es sich mit Blick auf die Häufigkeit derartiger familiärer Konstellationen auch
um . Die [X.]
sieht keine
[X.]ndhabe, den Angeklagten etwa mit den Mitteln der Führungsaufsicht
daran zu hindern, einen von ihm dominierten Sozial-raum zu schaffen.
Den [X.]undsatz der Verhältnismäßigkeit sieht sie gewahrt, §
174 und

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6
-
II.

1. Diese Begründung für die Anordnung der Sicherungsverwahrung hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

a) Rechtlich nicht zu beanstanden ist, dass das [X.] die for-mellen und materiellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 2 StGB
bejaht, den es wegen der nicht eindeutigen Feststellbarkeit der einzelnen Tatzeitpunkte gemäß Art.
316e Abs. 2 EGStGB in der für den Angeklagten günstigeren Fassung
vom 27. Dezember 2003 anwendet. Insbesondere hat das [X.] einen [X.]ng des Angeklagten zu erheblichen Straftaten und seine darauf beruhende Gefährlichkeit für die Allgemeinheit gestützt auf die Ausführungen des Sachverständigen in nachvollziehbarer Weise begründet. Den [X.] ist insbesondere die auf das Sachverständigengutachten gestützte Erwartung der [X.] zu entnehmen, der Angeklagte werde sich nach einer künftigen [X.]ftentlassung wiederum aktiv bemühen, einen geschützten und von ihm kontrollierten [X.] Bereich und so die Voraussetzungen für Rückfalltaten zu schaffen.

b) Die Urteilsbegründung genügt indes nicht den Anforderungen an eine strikte Verhältnismäßigkeitsprüfung, die im Hinblick auf die durch das Urteil des [X.] vom 4.
Mai
2011 ([X.] 128, 326) festgestellte Verfassungswidrigkeit des Rechts der Sicherungsverwahrung geboten
ist. In der Regel muss eine Gefahr schwerer Gewalt-
oder Sexual-straftaten aus konkreten Umständen in der Person oder dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten sein ([X.] [X.]O S. 406). Der [X.] hat dies
t-sprechung weitere normative Konturen gegeben. Danach ist sowohl hinsicht-lich der Erheblichkeit weiterer Straftaten als auch hinsichtlich der Wahr-scheinlichkeit ihrer Begehung ein gegenüber der bisherigen Rechtsanwen-dung strengerer Maßstab anzulegen (vgl. [X.], Beschlüsse vom 2. Au-8
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gust
2011

3 [X.], [X.]R StGB § 66 Strikte Verhältnismäßigkeit 1,
und vom 24. Januar 2012

5
StR
535/11).

c) Zur Frage der Erheblichkeit weiterer Straftaten nach diesen stren-gen Maßstäben verhält sich das Urteil nicht konkret.

[X.]) Das [X.] hat insoweit nur darauf abgestellt, dass es sich bei den [X.] nach §§
174 und 179 StGB um schwere Sexualstrafta-ten handele, und dies
unter Hinweis
auf die gesetzlichen [X.]. Indes kommt es prinzipiell nicht auf die Bezeichnung des [X.] an, dessen Verletzung für die Zukunft droht, auch nicht letztent-scheidend auf den durch gesetzliche Strafrahmen im Voraus gewichteten Schuldumfang. Ausschlaggebend
sind hier vielmehr die Bedeutung des vor Rückfalltaten zu schützenden Rechtsgutes und die mögliche Verletzungsin-tensität (vgl. [X.], Beschluss vom 11. Dezember 2012

5
StR
431/12, NJW
2013, 707, zur Veröffentlichung in
[X.]St bestimmt, mwN). Die
Straf-drohung
bietet

ebenso wie die gesetzgeberisch vorgenommene Abstufung der Anlassdelikte nach §§ 66 ff. StGB (vgl. [X.], [X.] 2011, 229, 231) und hier die Aufnahme von Straftaten nach §§ 174 und 179 Abs. 1 bis 4 StGB in den Katalog des § 66 Abs. 3 StGB in der Fassung vom 22.
Dezember
2010 ([X.] I S. 2300)

eine erste, allerdings im vorliegen-den Fall nicht die allein maßgebliche Orientierung bei der besonderen Ver-hältnismäßigkeitsprüfung.

bb) Zwar sind bestimmte Deliktsgruppen im Hinblick auf das besonde-re Gewicht der zu schützenden Rechtsgüter grundsätzlich als schwere Ge-walt-
oder Sexualstraftaten zu werten (vgl. [X.], Beschluss vom 24. Janu-ar
2012

5
StR
535/11

und Urteil vom 4. August 2011

3 [X.], NStZ
2011, 692, 693). Hinsichtlich der Sexualstraftaten
wird dies
angesichts ihrer oftmals gewichtigen psychischen Auswirkungen
unabhängig von körper-licher Gewaltanwendung

unter Berücksichtigung der Umstände des Einzel-falls

grundsätzlich für den schweren sexuellen Missbrauch von Kindern 11
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8
-
bejaht ([X.], Beschluss vom 26. Oktober 2011

5 StR 267/11,
NStZ-RR
2012, 9; vgl. auch [X.], Beschlüsse vom 2. August 2011

3 [X.]

und vom 11. August
2011

3 StR 221/11), den das [X.] indes im Rahmen seiner Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht erörtert hat.

Soweit die Straftat nach §
179 Abs.
1 StGB in Rede steht, belegt das Urteil bereits keinen [X.]ng des Angeklagten zur Begehung sexueller Übergrif-fe zum Nachteil widerstandsunfähiger Personen.

Taten nach § 174 Abs. 1 StGB bedürfen demgegenüber einer einzel-fallbezogenen Bewertung im Lichte
der Weitergeltungsanordnung des Bun-desverfassungsgerichts. Denn es sind durchaus Fallgestaltungen denkbar, die deren
Voraussetzungen nicht erfüllen. Auch wenn das Urteil Umstände darstellt, die hier
eine gewichtige Rolle spielen können, nimmt es eine solche
Betrachtung und Bewertung nicht vor.

2.
Allerdings teilt der Senat nicht die Auffassung des Generalbundes-normativ-wertender Betrachtung ob des Fehlens nötigender Tatelemente nicht das Gewim Sinne der Rechtsprechung des Bun-desverfassungsgerichts und des [X.] erreichten.

Eine so weitgehende Ausgrenzung von Straftaten nach § 174 StGB
stünde in Widerspruch zu der Wertung, die der Gesetzgeber mit der Auf-nahme dieses Delikts
in den Katalog des § 66 Abs. 3 StGB getroffen hat. §
174 StGB schützt die sexuelle Selbstbestimmung und ungestörte sexuelle Entwicklung von Jugendlichen innerhalb bestimmter [X.], die in typischer Weise die Gefahr der Ausnutzung aus sexuellen Moti-ven durch Autoritätspersonen begründen (Fischer, StGB, 60. Aufl., § 174 Rn.
2). Schon im Hinblick auf das Bestehen eines Abhängigkeitsverhältnis-ses erübrigt sich häufig die Anwendung nötigender Mittel, ohne dass
damit 14
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gerade bei dem jahrelangen sexuellen Missbrauch innerhalb von [X.] eine nennenswert geringere
Gefährdung der durch §
174 StGB geschützten Rechtsgüter oder eine geringere
Intensität der Verletzung der sexuellen Selbstbestimmung und der ungestörten sexuellen Entwicklung in-diziert
wäre.

3. Das neue Tatgericht ist verpflichtet, über die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur bundes-rechtlichen Umsetzung des
Abstandsgebotes im Recht der Sicherungsver-wahrung ([X.] I 2012, 2425) am 1.
Juni 2013 weiterhin auf der [X.]undlage des bisherigen Maßstabs strikter Verhältnismäßigkeit ([X.] 128, 326) zu entscheiden. Dies ergibt sich aus [X.]undsätzen
des im Rechtsst[X.]tsprinzip verankerten Vertrauensschutzes
(vgl. [X.], Urteile vom 23. April 2013

5
StR 610 und 617/13), hier zudem aus dem Gedanken des Verschlechte-rungsverbots.

[X.]Schneider

König Bellay

18

Meta

5 StR 593/12

24.04.2013

Bundesgerichtshof 5. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.04.2013, Az. 5 StR 593/12 (REWIS RS 2013, 6332)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 6332

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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3 StR 208/11

3 StR 175/11

5 StR 267/11

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