Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2016, Az. IV ZR 169/15

IV. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 8676

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[X.]:[X.]:[X.]:2016:060716UIVZR169.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

IM NAMEN [X.]S VOLKES

URTEIL
IV ZR 169/15
Verkündet am:

6. Juli 2016

Schick

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle

in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk: ja

[X.]Z: nein

[X.]R:

ja

[X.] Art. 7 Satz 2; [X.] § 12h a.F.

Die rückwirkende Einstufung in den [X.] des § 12h [X.] in der bis zum 31. Dezember 2015 geltenden Fassung gemäß Art. 7 Satz 2 [X.] setzt voraus, dass ein Ruhen der Leistungen noch bei Inkrafttreten der Regelung am 1.
August 2013 vorgelegen hat.

[X.], Urteil vom 6. Juli 2016 -
IV ZR 169/15 -
LG Essen

[X.]

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Der IV.
Zivilsenat des [X.] hat durch den
Richter Felsch, die Richterin [X.], den Richter [X.], die Richterinnen Dr.
Brockmöller und Dr. Bußmann
auf die mündliche Verhandlung vom 6.
Juli
2016

für Recht erkannt:

Auf die Rechtsmittel des
Klägers
wird
das Urteil der 10.
Zivilkammer des Landgerichts Essen
vom 29.
Januar 2015
aufgehoben
und der Beklagte unter Abänderung des Urteils des [X.] vom 13.
August 2014 verurteilt, an den
Kläger 2.334,76

s-zuschlag pro angefangenem Monat aus 243,90

2012 und aus je 429,52

p-tember, Oktober, November und Dezember 2012 zu [X.].

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Beklagte trägt die
Kosten des Rechtsstreits.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Die Kläger, ein Krankenversicherungsverein auf Gegenseitigkeit,
macht gegen den bei ihm
krankenversicherten Beklagten Ansprüche auf 1
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Zahlung rückständiger Prämien für den Zeitraum Mai 2012 bis
Dezember 2012 geltend.

Beklagte mit deren Zahlung in Verzug geraten war, stellte der
Kläger mit Schreiben vom 3. Mai 2011 das Ruhen der Leistungen fest.

Vom 25. März 2013 bis 14. November 2013 befand sich der [X.] in Strafhaft. Weil er in dieser Zeit über die Justizbehörde kranken-versichert war, bot der
Kläger ihm
mit Schreiben vom 8. Mai 2013 den Abschluss einer Anwartschaftsversicherung für die Haftdauer an. Dieses Angebot nahm der Beklagte unter dem 22. Mai 2013 an.

Am
21. Dezember 2012 zahlte er o-von der
Kläger
den überwiegenden Teil auf ältere, teilweise bereits titu-lierte Beitragsforderungen sowie auf [X.]
tete der Beklagte am 8. März

Er ist der Auffassung, dass damit alle Beitragsrückstände ausge-glichen seien, weil er gemäß der zum 1. August 2013 in [X.] getretenen Gesetzesänderung des § 193 [X.] i.V.m. Art. 7 [X.] rückwirkend ab Mai 2011 in den [X.] nach § 12h [X.] (in der bis zum 31.
Dezember 2015 geltenden Fassung, im Folgenden §
12h [X.] a.F.) einzustufen sei. Die monatliche Prämie in diesem Tarif betrug nur 100,92

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Der
Kläger
meint, eine rückwirkende Einstufung in den [X.] scheide aus, weil zum Stichtag 1. August 2013 kein ruhendes [X.] mehr bestanden habe. Er
hat zuletzt eine Forderung in Höhe

Säumniszuschlägen
sowie Auskunftskos-ten in Höhe von 0,geltend gemacht.

In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben.

Mit der zugelassenen Revision verfolgt der
Kläger seine Schluss-anträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision hat Erfolg.

[X.] Das Berufungsgericht hat angenommen, dass die Prämienzah-lungsansprüche des
Klägers
erfüllt seien, weil für die Berechnung der Prämienhöhe der gesetzliche [X.] nach § 12h [X.]
a.F.
zugrun-de zu legen sei. Der Regelung des Art. 7 [X.] lasse sich
eine Vo-raussetzung des Inhalts, dass auch für die rückwirkende Einstufung in den [X.] eine am 1. August 2013 noch bestehende Ruhendstel-lung nach § 193 Abs. 6 [X.] vorliegen müsse, nicht entnehmen.

I[X.] Das hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Zu der Rechtsfrage, ob die Regelung des Art. 7 Satz 2 [X.] voraussetzt, dass die Leistungen aus dem [X.] noch gemäß § 193 Abs. 6 [X.] ruhend gestellt sind, werden in Rechtsprechung und Schrifttum unterschiedliche Auffassungen vertreten.

a) Ebenso wie die Vorinstanzen sind auch das [X.] ([X.], 440) und das [X.] (r+s 2015, 454) der Ansicht, dass die in Art.
7 Satz
2 [X.] angeordnete Rückwirkung des [X.]s nicht voraussetze, dass die Versicherungsleistungen zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der gesetzlichen Regelung noch ruhend ge-stellt waren.

Diese Gerichte meinen, dass der Wortlaut des Gesetzes eine Ein-schränkung der angeordneten Rückwirkung auf am 1. August 2013 ru-hend gestellte Verträge nicht enthalte und auch Sinn und Zweck des [X.] gegen eine dahingehende einschränkende Auslegung der [X.] sprächen. Die vom Gesetzgeber beabsichtigte Erleichte-rung der Schuldenlast werde anderenfalls verfehlt; insbesondere würden die finanziell besonders schwachen Versicherungsnehmer, die [X.] im Sinne des [X.] sind, von der Begünstigung ausgeschlos-sen ([X.] aaO juris Rn. 31-36; [X.] aaO juris Rn. 43-45).

b) Gegenteiliger Auffassung sind das [X.] (r+s 2014, 85; zustimmend [X.] in [X.]/[X.], [X.] 29. Aufl. § 193 Rn. 45), das [X.] (r+s 2016, 136), das [X.] ([X.], 1015) jedenfalls für den Fall, dass das [X.] am 1.
August 2013 vollständig beendet war, sowie im Schrifttum 12
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Muschner (in HK-[X.], 3.
Aufl. Art. 7 [X.] Rn. 3 f.) und [X.] ([X.], 818).

Zur Begründung wird vor allem angeführt, aus der Gesetzesbe-gründung zur Neufassung des Art.
7 [X.] (Beschlussempfehlung und Bericht des [X.] (14. Ausschuss), BT-Drucks. 17/13947 S. 31 f. zu Artikel 5) ergebe sich, dass der Gesetzgeber nur die Beitragsschuldner im Blick gehabt habe, deren Verträge bei Inkrafttreten der Regelung noch
fortbestanden, und eine Gleichstellung von Versi-cherten, bei denen das Ruhen der Leistungen bis zum 1.
August 2013 andauerte, mit denjenigen Altschuldnern, bei denen das Ruhen der
Leis-tungen bereits vor dem 1.
August 2013 beendet war, durch die neue Rechtslage nicht beabsichtigt worden sei ([X.] aaO Rn.
13-15; [X.] aaO; [X.] aaO S. 819) und dass eine dementspre-chend enge Auslegung der Vorschrift auch aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sei, weil die rückwirkende Einführung eines Notlagen-tarifs eine nur ausnahmsweise zulässige echte Rückwirkung darstelle
([X.] aaO; Muschner aaO
Rn.
4; [X.] aaO S. 820). Teilweise wird auch darauf verwiesen, dass die in §
193 Abs.
8 [X.] geregelte Be-lehrungspflicht des Versicherers
nur für einen noch bestehenden und auf den [X.] umgestellten [X.] einen Sinn ergebe
([X.] aaO; [X.] aaO).

Zudem folge schon aus Wortlaut und Systematik des Gesetzes, dass von der rückwirkenden Regelung nur solche Versicherungsverhält-nisse erfasst würden, die zum 1.
August 2013 noch ruhend gewesen [X.], weil der Gesetzgeber sich des Passiv Perfekts bedient habe ("ruhend gestellt worden sind") und die Versicherungsnehmer "ab" diesem Zeit-punkt als im [X.] versichert gelten ([X.] aaO S.
818).
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2. Zutreffend
ist die zuletzt genannte Auffassung, nach der Art.
7 Satz
2 [X.] nur anzuwenden ist, wenn ein Ruhen der Leistungen noch bei Inkrafttreten der Regelung am 1.
August 2013 vorgelegen hat.

a)
Dies folgt in erster Linie aus Wortlaut und Systematik des Art.
7 [X.].

Danach kann die Regelung über die rückwirkende Geltung des [X.]s in Art.
7 Satz 2 bis 6 [X.] nicht losgelöst von dem in Art.
7 Satz 1 [X.] enthaltenen Grundtatbestand gesehen werden, nach der solche Versicherungsnehmer als im [X.] versichert gelten, für die am 1.
August 2013 das Ruhen der Leistungen gemäß §
193 Abs.
6 [X.] festgestellt ist.
Diese Grundvoraussetzung muss
auch für die nach Maßgabe der Sätze 2 bis 6 vorgesehene zeitliche Rückwir-kung
erfüllt sein.
Denn
Art.
7 Satz 2 [X.] ordnet seinem Wortlaut nach nur an, dass der [X.] unter den dort genannten Vorausset-zungen "ab" einem früheren Zeitpunkt gilt als nach der Grundregel des Satzes
1 vorgesehen.

Ein hiervon abweichender Wille
des Gesetzgebers dahingehend, dass nicht nur rückwirkend
eine zeitliche Ausdehnung der Geltung des [X.]s
stattfinden soll, sondern von ihr auch solche Versiche-rungsnehmer erfasst sein sollen, für die die Regelung des Art.
7 Satz
1 [X.] nicht gilt, weil ein Ruhen der Leistungen nur für einen früheren Zeitraum in der Vergangenheit vorgelegen hat, kommt im [X.] nicht zum Ausdruck.

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b) Ein solcher Wille hätte auch
wegen der verfassungsrechtlichen Problematik einer derartigen Regelung deutlich formuliert werden müs-sen.

Die rückwirkende Einführung eines [X.]s führt zum [X.] oder der Herabsetzung bereits voll entstandener Beitragsansprüche der Versicherer und stellt damit eine echte Rückwirkung dar (Muschner in HK-[X.], 3. Aufl. Art. 7 [X.] Rn. 4). Eine echte Rückwirkung liegt immer dann vor, wenn der Gesetzgeber nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Tatbestand eingreift ([X.] 114, 258, 300; 101, 239, 263; 95, 64, 86). Sie ist grundsätzlich unzulässig ([X.] aaO) und bedarf für ihre Zulässigkeit einer beson-deren Rechtfertigung ([X.] 72, 200, 242).

Insoweit sind verschiedene Fallgruppen für eine Zulässigkeit aner-kannt (vgl. dazu [X.] in [X.]/[X.], GG 76. EL Art. 20 VII Rn.
80
ff.; [X.] in [X.]/[X.], GG 12. Aufl. Art. 20 Rn. 72). Die [X.]begründung (BT-Drucks. 17/13947 S.
31 f.) stellt allerdings nicht fest, welchen
dieser anerkannten Gründe der Gesetzgeber als gegeben betrachtete, um eine Rückwirkung zu rechtfertigen.

Dabei ist zu erkennen, dass der Gesetzgeber von einer geringen Belastung der Versicherer durch die rückwirkende Versicherung im Not-lagentarif ausging, weil die so begründete niedrigere Forderung aus dem [X.] an die Stelle einer in vielen Fällen ohnehin nicht mehr bei-treibbaren höheren Forderung trete, so dass der [X.] für die Versicherungsunternehmen reduziert werde
(BT-Drucks. 17/13947 S. 31 re. Sp. unten). Unter Berücksichtigung dieses Umstands erscheint es möglich, in dem
vom Gesetzgeber beabsichtigten
Schutz 22
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von säumigen Versicherungsnehmern vor weiterer Überschuldung einen überwiegenden, zwingenden Grund des Gemeinwohls zu sehen, der [X.] für den Fall von am Stichtag noch ruhenden Leistungen den Eingriff in eine entstandene und noch nicht ausgeglichene Prämienforde-rung rechtfertigt.

Die
Rückwirkungsproblematik
gebietet
eine möglichst enge Ausle-gung. Dies gilt umso mehr,
als der Zweck des Gesetzes, die Zahlungsfä-higkeit des Versicherungsnehmers schneller wiederherzustellen, damit der volle Versicherungsschutz zügig wiedererlangt werden könne, bei ei-nem Versicherten, bei dem kein Ruhen der Leistungen mehr besteht,
be-reits
insoweit erreicht ist, als er
wieder vollen Versicherungsschutz ge-nießt (zutreffend [X.] aaO S.
819).

3. In dieser Auslegung verstößt die Regelung auch nicht gegen den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs.
1 GG.

Dem Gesetzgeber ist bei der Schaffung von Übergangsregelungen notwendigerweise ein gewisser Spielraum einzuräumen. Denn gerade bei weitreichenden Änderungen ist es unmöglich, die unter dem alten Recht entstandenen und womöglich schon abgewickelten [X.] vollständig dem neuem Recht zu unterstellen. Auch verlangt der Grundsatz der Rechtssicherheit klare schematische Entscheidungen über die zeitliche Abgrenzung zwischen dem alten und dem neuen Recht, so dass es unvermeidlich ist, dass sich in der Rechtsstellung der Betroffenen, je nachdem, ob sie dem alten oder dem neuen Recht zu entnehmen ist, Unterschiede ergeben, die dem Ideal der [X.] widersprechen. Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtags-
und anderen [X.] muss sich daher auf die Frage
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schränken, ob der Gesetzgeber den ihm zukommenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, ob er die für die zeitliche Anknüpfung in Betracht kommenden Faktoren hinreichend gewürdigt hat und die ge-fundene Lösung sich im Hinblick auf den gegebenen Sachverhalt und das System der Gesamtregelung durch sachliche Gründe rechtfertigen lässt oder als willkürlich erscheint ([X.] NJW 2013, 2103 Rn.
34 m.w.N.).

Dieser Prüfung hält die Übergangsregelung des Art.
7 [X.] stand, insbesondere weil sie nicht
der Beseitigung eines verfassungswid-rigen Zustands diente, sondern lediglich einer materiellen Besserstellung finanziell überforderter Versicherungsnehmer, die alte Rechtslage aber auch unzweifelhaft verfassungsgemäß war (vgl. hierzu [X.] aaO Rn.
35 m.w.N.).

4. Nach alledem war der Beklagte nicht in den [X.] einzu-stufen und schuldete für den mit der Klage geltend gemachten Zeitraum die ursprüngliche
Prämie. Einwendungen gegen die
vom
Kläger
auf die-ser Grundlage errechnete und geltend gemachte
Höhe der Prämienforde-rung
sind nicht ersichtlich.

Der Anspruch auf Zahlung der Säumniszuschläge beruht auf §
193 Abs.
6 [X.].

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5. Unbegründet
ist die Klage dagegen wegen der [X.], da der
Kläger nicht vorgetragen hat, wann und wofür diese Kosten ent-standen sein sollen.

[X.][X.]

[X.]

Dr. Brockmöller

Dr. Bußmann
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 13.08.2014 -
22 [X.] -

LG Essen, Entscheidung vom 29.01.2015 -
10 [X.]/14 -

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Meta

IV ZR 169/15

06.07.2016

Bundesgerichtshof IV. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 06.07.2016, Az. IV ZR 169/15 (REWIS RS 2016, 8676)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 8676

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