Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.10.2019, Az. 1 C 47/18

1. Senat | REWIS RS 2019, 2122

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Gegenstand

Fortführung eines Aufnahmeverfahrens nach Rückkehr in die Aussiedlungsgebiete


Leitsatz

1. Bei der Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 BVFG, der auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt wird, und der Erteilung eines "Härtefallaufnahmebescheids" nach § 27 Abs. 1 Satz 2 BVFG an Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Bundesgebiet aufhalten, handelt es sich um einen einheitlichen Streitgegenstand.

2. Die Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG greift nach bestandskräftiger Ablehnung eines auf einen Härtefall gestützten Aufnahmeantrags und Rückkehr in die Aussiedlungsgebiete bei einem Folgeantrag nur, wenn der im Erstverfahren gestellte Antrag allein wegen Nichtvorliegens einer besonderen Härte keinen Erfolg hatte (so schon BVerwG, Urteil vom 6. November 2014 - 1 C 12.14 - Buchholz 412.3 § 27 BVFG Nr. 19 Rn. 17).

3. Kehrt ein Aufnahmebewerber nach Ablehnung, aber vor bestandskräftigem Abschluss eines auf einen Härtefall gestützten Aufnahmeverfahrens in die Aussiedlungsgebiete zurück, um das Aufnahmeverfahren von dort aus weiterzuführen, findet die Wohnsitzfiktion des § 27 Abs. 1 Satz 3 BVFG nur dann entsprechende Anwendung, wenn der Aufnahmebewerber bei Verlagerung des Wohnsitzes in das Bundesgebiet - abgesehen von der fehlenden Einreise im Wege eines Aufnahmeverfahrens - alle weiteren Voraussetzungen als Spätaussiedler nach der seinerzeit geltenden Rechtslage erfüllte und nur über das Vorliegen eines Härtefalls irrte.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheids nach dem [X.] ([X.]).

2

Der ... in der ehemaligen [X.] geborene Kläger ist [X.] Staatsangehöriger. Sein Vater ist [X.] Volkszugehörigkeit. Bei der Mutter wurde die Nationalität im [X.] 2001 von "[X.]" in "[X.]" geändert. Mitte 2011 reiste sie als [X.] Staatsangehörige in das [X.] ein. Sie ist im Besitz einer Spätaussiedlerbescheinigung. Der Kläger verfügt über ein Sprachzertifikat für die [X.] Sprache vom Oktober 2014, wonach er die Prüfung mit dem Gesamtergebnis [X.] bestanden hat. Auch er ließ 2001 seine Nationalität im [X.] in "[X.]" ändern.

3

Der Kläger stellte erstmals im November 1991 einen Antrag auf Erteilung eines Aufnahmebescheids. Im Oktober 2012 reiste er in das [X.] ein und erhob Anfang 2015 Untätigkeitsklage. Während des Gerichtsverfahrens kehrte er nach [X.] zurück und stellte im Oktober 2016 unter Berufung auf die [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] einen "Folgeantrag". Diesen Antrag lehnte das [X.] mit Bescheid vom 4. Januar 2017 ab. Ungeachtet der Frage, ob der Kläger erneut einen Wohnsitz in den [X.] begründet habe, fehle es an den Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.]. Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch. Außerdem wurde der Bescheid von ihm in das anhängige Klageverfahren einbezogen. In der mündlichen Verhandlung am 21. Februar 2017 erklärte er, dass er die Klage insoweit zurücknehme; im Übrigen erklärten die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt. Mit (weiterem) Bescheid vom 21. Februar 2017 lehnte das [X.] den Aufnahmeantrag mit der Begründung ab, der Kläger könne sich nicht auf einen Härtefall berufen und erfülle auch nicht die sonstigen Erteilungsvoraussetzungen. Bei Begründung des ständigen Aufenthalts in [X.]land im Oktober 2012 sei er nach der damals geltenden Fassung des § 6 Abs. 2 [X.] 2007 kein [X.]r Volkszugehöriger gewesen. Mit (getrennten) [X.] vom 11. April 2017 wies das [X.] die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 4. Januar 2017 und 21. Februar 2017 zurück. Hinsichtlich des Bescheids vom 21. Februar 2017 wurde zur Begründung ausgeführt, der Kläger sei weiterhin in [X.]land gemeldet und habe keine Härtefallgründe geltend gemacht; außerdem erfülle er nicht die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufnahmebescheids. Hinsichtlich des Bescheids vom 4. Januar 2017 wurde darauf verwiesen, dass selbst bei Rückkehr in das [X.] die [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] nur gelte, wenn ein Härtefallantrag allein wegen [X.] einer besonderen Härte abgelehnt worden sei.

4

Die gegen diese Entscheidungen erhobene Klage hat der Kläger nachträglich auf die Erteilung eines Aufnahmebescheids unter Aufhebung des Bescheids vom 4. Januar 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. April 2017 beschränkt. Mit Urteil vom 10. April 2018 hat das Verwaltungsgericht der Klage insoweit stattgegeben und das Verfahren im Übrigen eingestellt. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Beklagten mit Urteil vom 1. Oktober 2018 zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kläger erfülle die Voraussetzungen des § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.]. Nach Ablehnung seines Antrags auf Erteilung eines Aufnahmebescheids durch bestandskräftigen Bescheid vom 21. Februar 2017 liege ein Folgeantrag im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] vor. Der Anwendung der [X.] stehe nicht entgegen, dass die Ablehnung eines Härtefallaufnahmebescheids nicht allein auf das Fehlen eines Härtefalls gestützt worden sei. Kehre ein Aufnahmebewerber nach Ablehnung eines Härtefallaufnahmebescheids (unverzüglich) zurück, werde er so gestellt, als habe er das [X.] nie verlassen. Folglich bedürfe es der (erstmaligen oder nochmaligen) Prüfung nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] auf der Grundlage der zum Zeitpunkt der Entscheidung über diesen Antrag geltenden Rechtslage. In der Zwischenzeit könnten sich Veränderungen der Sach- und Rechtslage ergeben, die dem ursprünglichen "einheitlichen Streitgegenstand" nicht mehr zugeordnet werden könnten.

5

Die Beklagte rügt eine Verletzung des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.]. In der Rechtsprechung des [X.] sei geklärt, dass sich auf die [X.] nach Rückkehr in die [X.]e nur berufen könne, wer zum Zeitpunkt der vorherigen Aufenthaltnahme in [X.]land die sonstigen Voraussetzungen für die Anerkennung als Spätaussiedler nach § 6 [X.] erfüllt habe. Der Gesetzgeber habe mit der [X.] verhindern wollen, dass einem Aufnahmebewerber allein wegen der irrigen Annahme, er könne sich, ohne im Besitz eines Aufnahmebescheids zu sein, auf eine besondere Härte berufen, der Spätaussiedlerstatus unwiderruflich verloren gehe.

6

Der Kläger verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des [X.] beim [X.] beteiligt sich am Verfahren und teilt die Auffassung der Beklagten.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision der [X.]eklagten ist zulässig und begründet. Die Annahme des [X.]erufungsgerichts, der Kläger habe einen Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.], weil er sich nach Rückkehr in die [X.] auf die [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] berufen könne, ohne dass es darauf ankomme, ob er bei Verlagerung seines Wohnsitzes nach [X.] die sonstigen Voraussetzungen erfüllte, verletzt [X.]undesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Das [X.]erufungsgericht verkennt, dass es für eine unmittelbare Anwendung des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] schon an einem Folgeantrag fehlt (1.). Auch in einem - wie hier - nach Rückkehr fortgeführten Erstverfahren gilt die [X.] bei entsprechender Anwendung nur, wenn alleiniger Grund für die Nichterteilung eines Aufnahmebescheids im [X.]e das Fehlen eines Härtefallgrundes war, der [X.] also bei Verlagerung des Wohnsitzes in das [X.] - abgesehen von der fehlenden Einreise im Wege eines Aufnahmeverfahrens - alle weiteren Voraussetzungen als Spätaussiedler nach der seinerzeit geltenden Rechtslage erfüllte und nur über das Vorliegen eines Härtefalls irrte (2.). Da das [X.]erufungsgericht - aus seiner Sicht folgerichtig - keine Feststellungen dazu getroffen hat, ob der Kläger - im maßgeblichen Zeitpunkt der Aufenthaltnahme im [X.] im Oktober 2012 - die sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung eines Härtefallaufnahmebescheids erfüllte, kann der [X.] nicht abschließend entscheiden und ist der Rechtsstreit nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen (3.).

9

Maßgeblich für die [X.]eurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei [X.] grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung oder Entscheidung in der Tatsacheninstanz (hier: 1. Oktober 2018), soweit nicht aus Gründen des materiellen Rechts ausnahmsweise auf einen anderen Zeitpunkt abzustellen ist, hier etwa bei der Frage, ob der Kläger bei Verlagerung seines Wohnsitzes nach [X.] im Oktober 2012 bis auf die fehlende Einreise im Aufnahmeverfahren alle weiteren Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllte. Während des Revisionsverfahrens eingetretene Rechtsänderungen sind zu berücksichtigen, wenn das [X.]erufungsgericht - entschiede es anstelle des [X.] - sie zu berücksichtigen hätte (vgl. [X.]VerwG, Urteile vom 12. März 2002 - 5 [X.] 2.01 - [X.]VerwGE 116, 114 <115> und vom 22. April 2004 - 5 [X.] 27.02 - [X.] 412.3 § 27 [X.] Nr. 11). Das auf Erteilung eines Aufnahmebescheids gerichtete Verpflichtungsbegehren des [X.] beurteilt sich mithin vor allem auf der Grundlage des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge ([X.]undesvertriebenengesetz - [X.]) in der Fassung der [X.]ekanntmachung vom 10. August 2007 ([X.]), zuletzt geändert durch das während des Revisionsverfahrens am 11. Mai 2019 in [X.] getretene Gesetz für schnellere Termine und bessere Versorgung (Terminservice- und Versorgungsgesetz) vom 6. Mai 2019 ([X.]). Die hier maßgeblichen [X.]estimmungen haben sich seit der Entscheidung des [X.]erufungsgerichts aber nicht geändert.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] wird ein Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den [X.]n erteilt, die nach [X.]egründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen. Abweichend hiervon kann nach § 27 Abs. 1 Satz 2 [X.] Personen, die sich ohne Aufnahmebescheid im Geltungsbereich des Gesetzes aufhalten, ein Aufnahmebescheid erteilt werden, wenn die Versagung eine besondere Härte bedeuten würde und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Der Wohnsitz im [X.] gilt als fortbestehend, wenn ein Antrag nach § 27 Abs. 1 Satz 2 [X.] abgelehnt wurde und der Antragsteller für den Folgeantrag nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] erneut Wohnsitz in den [X.]n begründet hat (§ 27 Abs. 1 Satz 3 [X.]).

Nach Rückkehr des [X.] in die [X.] kommt als Anspruchsgrundlage für sein [X.]egehren auf Erteilung eines Aufnahmebescheids hier nur § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] in [X.]etracht. Ob er nach (erneuter) [X.]egründung eines ständigen Aufenthalts in [X.] die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllte, beurteilt sich nach § 4 Abs. 1 Nr. 3 [X.]. Danach setzt die Spätaussiedlereigenschaft für - wie der Kläger - bis zum 31. Dezember 1992 geborene Abkömmlinge von Personen, die die in der Vorschrift genannten [X.] erfüllen, (u.a.) einen ununterbrochenen Wohnsitz ("seit") in den [X.]n voraus. Daran fehlt es, da der Kläger nach den Feststellungen des [X.] ([X.] und 18 f.), die sich das [X.]erufungsgericht durch [X.]ezugnahme zu eigen gemacht hat ([X.], im Oktober 2012 seinen Wohnsitz in [X.] aufgab, einen neuen Wohnsitz in [X.] begründete und diesen erst im März 2017 wieder nach [X.] zurückverlagerte.

1. Für eine unmittelbare Anwendung der [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] bedürfte es nach dem klaren Wortlaut eines Folgeantrags und damit eines abgeschlossenen Erstverfahrens. Daran fehlt es im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung vor dem [X.]erufungsgericht, weil das vom Kläger 1991 eingeleitete Verfahren auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nie abgeschlossen worden ist.

a) Ein (erster) ablehnender [X.]escheid des [X.]s vom Februar 1994 wurde dem Kläger nicht wirksam bekanntgegeben, da eine Zustellung nach den Feststellungen des [X.]erufungsgerichts seinerzeit (nur) an den nicht zustellungsbevollmächtigten Großvater des [X.] erfolgte. Damit kommt den (weiteren) "Anträgen" des [X.] vom Mai 2011 und November 2013 rechtlich keine eigenständige [X.]edeutung zu.

b) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass der Kläger im Oktober 2016 ausdrücklich einen "Folgeantrag" gestellt hat. Verlegt ein Antragsteller während eines laufenden Aufnahmeverfahrens unter Aufrechterhaltung seines Aufnahmebegehrens seinen Wohnsitz in das [X.] oder von dort in die [X.] zurück, führt dies lediglich zu einer Änderung der für sein Aufnahmebegehren maßgeblichen Anspruchsgrundlage. Damit handelt es sich bei dem vom Kläger im Oktober 2016 während eines laufenden Klageverfahrens vom [X.] aus gestellten (weiteren) Aufnahmeantrag - entgegen der vom Kläger seinerzeit gewählten [X.]ezeichnung - verfahrensrechtlich nicht um einen Antrag auf Wiederaufgreifen eines abgeschlossenen ([X.] ("Folgeantrag"), sondern um die Fortführung des 1991 von den [X.]n aus durch einen entsprechenden Antrag eingeleiteten und während seines Aufenthalts im [X.] (vorübergehend) auf das Vorliegen eines Härtefalls gestützten (Erst-)Aufnahmeverfahrens.

c) Auch die vom Kläger in [X.]ezug auf einzelne [X.]escheide des [X.]s erklärten "Klagerücknahmen" führten nicht zu einer wirksamen [X.]eendigung des Aufnahmeverfahrens. Soweit er im Februar 2017 seine Klage gegen den ablehnenden [X.]escheid vom 4. Januar 2017 zurücknahm, erfolgte dies wegen der fehlenden Durchführung eines Vorverfahrens. Der vom Kläger gegen diesen [X.]escheid eingelegte Widerspruch wurde vom [X.] mit Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 zurückgewiesen. Hiergegen erhob der Kläger sodann erneut Klage. Soweit er im April 2018 seine Klage gegen den - eine Aufnahme im [X.]e ablehnenden - [X.]escheid vom 21. Februar 2017 zurücknahm bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung seines Klagebegehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheids unter Aufhebung des [X.]escheids vom 4. Januar 2017 und des hierauf bezogenen Widerspruchsbescheids vom 11. April 2017, reagierte er damit nur auf den Umstand, dass er sich inzwischen nicht mehr im [X.], sondern erneut im [X.] aufhielt und damit als Anspruchsgrundlage statt § 27 Abs. 1 Satz 2 [X.] nunmehr (wieder) § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] in [X.]etracht kam, dessen Voraussetzungen das [X.] im [X.]escheid vom 4. Januar 2017 verneint hatte.

d) Die gegenteilige Auffassung des [X.]erufungsgerichts, wonach der Aufnahmeantrag des [X.] durch [X.]escheid vom 21. Februar 2017 und Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 bestandskräftig abgelehnt worden sei und es sich bei dem streitgegenständlichen Antrag um einen "Folgeantrag" handele ([X.]), verkennt, dass dem Aufnahmebegehren des [X.] ein einheitlicher, nicht teilbarer Streitgegenstand zugrunde liegt.

Nach dem sog. zweigliedrigen [X.] wird der Streitgegenstand zum einen durch die mit dem Klageantrag erstrebte Rechtsfolge und zum anderen durch den Klagegrund, d.h. den Lebenssachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, bestimmt (stRspr, vgl. [X.]VerwG, [X.]eschluss vom 9. Juli 2014 - 9 [X.] 63.13 - [X.] 401.2 § 4 UStG Nr. 8 Rn. 13 m.w.N.). Damit liegt ein einheitlicher Streitgegenstand auch dann vor, wenn sich das aus einem einheitlichen Klagegrund hergeleitete [X.]egehren rechtlich auf mehrere Anspruchsgrundlagen stützen lässt (materielle Anspruchsnormenkonkurrenz; [X.]VerwG, Urteil vom 27. September 2016 - 1 [X.] 20.15 - juris Rn. 15).

In Anwendung dieser Grundsätze handelt es sich bei der Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 [X.] und der Erteilung eines Härtefallaufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 2 [X.] um zwei - sich lediglich auf Tatbestandsebene gegenseitig ausschließende - Anspruchsgrundlagen für ein und dasselbe [X.]egehren. Diese beziehen sich nach ihren Anspruchsvoraussetzungen auf unterschiedliche Fallgestaltungen, sind aber ohne Unterschied in den Rechtsfolgen und im Klagegrund auf das gleiche Ziel, nämlich die Erteilung eines Aufnahmebescheids nach §§ 26 ff. [X.] gerichtet. Damit stehen beide Anspruchsgrundlagen in materieller Anspruchsnormenkonkurrenz und beziehen sich auf den gleichen Streitgegenstand. Folglich konnte das auf Erteilung eines Aufnahmebescheids gerichtete (Erst-)Verfahren nicht allein durch die vom Kläger erklärte "Rücknahme" seiner Klage gegen den [X.]escheid vom Februar 2017 bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung seines Klagebegehrens auf Erteilung eines Aufnahmebescheids unter Aufhebung des [X.]escheids vom Januar 2017 wirksam beendet werden.

2. Kehrt ein Antragsteller - wie hier - während eines laufenden Aufnahmeverfahrens in das [X.] zurück, fehlt es nach den vorstehenden Ausführungen zwar an einem Folgeantrag. Allerdings ist die [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] aufgrund der mit ihr vom Gesetzgeber verfolgten Zielrichtung, den [X.] vor den Rechtsnachteilen einer übereilten Ausreise zu schützen ([X.]T-Drs. 12/3341 S. 7 und [X.]T-Drs. 12/3597 S. 44 f.), auf diese Fallkonstellation entsprechend anzuwenden. Denn für den mit der [X.] verfolgten Zweck macht es keinen Unterschied, ob der [X.] den negativen Abschluss seines Aufnahmeverfahrens in [X.] abwartet und sodann nach Rückkehr in das [X.] mittels eines Folgeantrags ein neues Aufnahmeverfahren einleitet oder ob er während eines laufenden Aufnahmeverfahrens in der Erkenntnis, dass sein Aufnahmeantrag mangels Vorliegens eines Härtefalls in [X.] keinen Erfolg haben kann, zurückkehrt und das Verfahren vom [X.] aus fortführt.

a) Schon bei unmittelbarer Anwendung greift die [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] nur, wenn ein Härtefallantrag nach Verlagerung des Wohnsitzes in das [X.] allein wegen [X.] einer besonderen Härte keinen Erfolg hatte (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 6. November 2014 - 1 [X.] 12.14 - [X.] 412.3 § 27 [X.] Nr. 19 Rn. 17). An diesem Erfordernis ist auch unter [X.]erücksichtigung der im vorliegenden Verfahren geltend gemachten [X.]edenken festzuhalten.

aa) Der Wortlaut des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] steht dieser Auslegung nicht entgegen. Soweit die Anwendung der [X.] die Ablehnung eines Antrags nach Satz 2 voraussetzt, kann dies auch dahin verstanden werden, dass die [X.] nur greift, wenn die Ablehnung gerade auf das Nichtvorliegen eines Härtefalls gestützt worden ist.

bb) Für eine enge Auslegung spricht vor allem der vom Gesetzgeber mit der Fiktion eines fortbestehenden Wohnsitzes verfolgte Zweck. Die [X.] wurde durch das Gesetz zur [X.]ereinigung von Kriegsfolgengesetzen (Kriegsfolgenbereinigungsgesetz) vom 21. Dezember 1992 ([X.]G[X.]l. I S. 2094) in das [X.]undesvertriebenengesetz eingefügt (seinerzeit § 27 Abs. 1 Satz 4 [X.]), weil es für die Spätaussiedlereigenschaft eines ununterbrochenen Wohnsitzes in den [X.]n bedarf. Mit der Fiktion sollte nach den Gesetzesmaterialien der nicht gewollte Ausschluss vom [X.]tatus nach § 4 [X.] vermieden werden. Da ein Härtefallantrag die Aufgabe des Wohnsitzes im [X.] voraussetze, müsse bei Ablehnung eines Aufnahmebescheids im [X.] grundsätzlich erneut ein Wohnsitz im [X.] begründet werden, was einem Statuserwerb nach § 4 [X.] dauerhaft entgegenstünde. Damit würde die Ablehnung eines Härtefallantrags automatisch zu einem dauernden Ausschluss vom [X.]tatus führen. § 27 [X.] wolle dem [X.]etroffenen aber eine erneute Antragstellung vom [X.] aus ermöglichen. Deshalb werde mittels einer Fiktion der ursprüngliche Wohnsitz des [X.] aufrechterhalten ([X.]T-Drs. 12/3341 S. 7 und [X.]T-Drs. 12/3597 S. 44 f.). Ein - nach den Gesetzesmaterialien nicht gewollter - automatischer und dauernder Ausschluss vom [X.]tatus konnte aufgrund der seinerzeit vergangenheitsbezogenen weiteren Spätaussiedlervoraussetzungen aber nur eintreten, wenn der [X.]etroffene bei Verlagerung des Wohnsitzes in das [X.] - abgesehen von der fehlenden Einreise im Wege eines Aufnahmeverfahrens - alle weiteren Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllte und nur über das Vorliegen eines Härtefalls irrte. In diesem Fall sollte er aus einer übereilten Ausreise in [X.]ezug auf seine Spätaussiedlereigenschaft keine Nachteile erleiden und nicht mit dem Risiko einer Fehleinschätzung über das Vorliegen einer (während des Aufenthalts im [X.] geltend gemachten) Härte belastet werden (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 22. Februar 2018 - 1 [X.] 36.16 - [X.] 412.3 § 27 [X.] Nr. 23 Rn. 26 und [X.]eschluss vom 26. August 2005 - 5 [X.] 72.05 - juris Rn. 3). Dieses Ziel ließ sich bei Personen, die ansonsten bei Einreise alle Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllten, nur über eine [X.] vermeiden. Erfüllte ein [X.] hingegen schon bei Einreise außer dem fehlenden Aufnahmeverfahren auch ansonsten nicht die Voraussetzungen für eine Aufnahme als Spätaussiedler, beruht die Ablehnung eines ([X.] nicht auf einer übereilten Ausreise, weil der [X.]etroffene, auch wenn er im [X.] verblieben wäre und das Verfahren von dort aus geführt hätte, keinen Aufnahmebescheid erhalten hätte. Damit führte das Verlassen der [X.] nicht zu einem vom Gesetzgeber "nicht gewollten" Ausschluss vom [X.]tatus.

cc) Auch systematische Gründe sprechen für eine enge Auslegung der [X.]. Denn sie begründet eine Ausnahme vom vertriebenenrechtlichen Erfordernis eines ununterbrochenen Wohnsitzes in den [X.]n. Hierfür bedarf es einer besonderen Rechtfertigung, die fehlt, wenn der [X.]etroffene nicht lediglich über das Vorliegen eines Härtefalls irrte, sondern beim Verlassen der [X.] auch die weiteren Voraussetzungen nicht erfüllte. In diesen Fällen bedarf er wegen seiner Ausreise und der damit verbundenen Aufgabe seines Wohnsitzes in den [X.]n vertriebenenrechtlich keines Schutzes und ist auch bei einer späteren Änderung der Sach- und Rechtslage nicht einem [X.] gleichzustellen, der seinen Wohnsitz in den [X.]n nie aufgegeben hat.

dd) Entgegen der Auffassung der Vorinstanzen stehen dieser Einschätzung die Ausführungen im Urteil des [X.]s vom 27. September 2016 - 1 [X.] 20.15 - (juris Rn. 21) nicht entgegen. In diesem Verfahren ging es nicht um die Erteilung eines Aufnahmebescheids, sondern um die Einbeziehung eines Familienangehörigen, der zuvor auf der Grundlage eines eigenen, später zurückgenommenen Aufnahmebescheids in das [X.] ausgereist war. In diesem Zusammenhang hat der [X.] lediglich die seinerzeit aufgeworfene Frage aufgegriffen, ob im Falle eines nicht im [X.] verbliebenen Familienangehörigen bei Rückkehr ein ununterbrochenes Verbleiben in Ausnahmefällen nach dem "Rechtsgedanken" des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] fingiert werden könne, etwa wenn der Aufenthalt des Familienangehörigen allein auf einem irrtümlich angenommenen [X.]tatus beruhte, ohne sich hierzu inhaltlich zu verhalten. Dem ist nicht zu entnehmen, dass der Anwendungsbereich der [X.] - entgegen den vorstehenden Ausführungen - der vom [X.]erufungsgericht angenommenen Erweiterung unterliegt. Im Übrigen hat der [X.] eine entsprechende Anwendung der [X.] auf Familienangehörige inzwischen ausdrücklich abgelehnt ([X.]VerwG, Urteil vom 22. Februar 2018 - 1 [X.] 36.16 - [X.] 412.3 § 27 [X.] Nr. 23 Rn. 26).

b) Kehrt ein Antragsteller - wie hier - nach Ablehnung seines [X.] durch das [X.] aber vor Abschluss des Aufnahmeverfahrens in das [X.] zurück und verfolgt er sein Aufnahmebegehren von dort aus weiter, fehlt es nicht nur an einem Folgeantrag, sondern mangels [X.]estands- bzw. Rechtskraft auch an einer bindenden Entscheidung über die Gründe, die einer Aufnahme im [X.] entgegenstanden. Für eine entsprechende Anwendung der [X.] auf diese Fallkonstellation bedarf es daher der inzidenten Prüfung, ob der [X.]etroffene bei Verlagerung des Wohnsitzes in das [X.] - abgesehen von der fehlenden Einreise im Wege eines Aufnahmeverfahrens - alle weiteren Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllte und nur über das Vorliegen eines Härtefalls irrte, da ansonsten auch in dieser Fallkonstellation die Aufgabe des Wohnsitzes im [X.] nicht auf einer übereilten Ausreise beruhte und es damit auch hier an einem "ungewollten" Ausschluss vom [X.]tatus fehlt.

Vorliegend hat das [X.] die Ablehnung einer Aufnahme im [X.] im [X.]escheid vom 21. Februar 2017 und in dem auf diesen [X.]escheid bezogenen Widerspruchsbescheid vom 11. April 2017 auch mit dem Nichtvorliegen der sonstigen Erteilungsvoraussetzungen begründet. Dabei ist es in rechtlicher Hinsicht zutreffend davon ausgegangen, dass sich die Anforderungen an die [X.] Volkszugehörigkeit bei der Entscheidung über einen nach ständiger Aufenthaltnahme in [X.] im [X.] zu erteilenden Aufnahmebescheid nach der im Zeitpunkt der Aufenthaltnahme geltenden Rechtslage bestimmen ([X.]VerwG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - NWV[X.]l. 2019, 62 Rn. 23 f. m.w.N.). Das [X.]erufungsgericht hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - allerdings keine tatrichterlichen Feststellungen getroffen, die eine abschließende [X.]eurteilung erlauben, ob das [X.] auf der Grundlage der bei Einreise im Oktober 2012 geltenden Rechtslage zu Recht das Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen verneint hat. Dieser inzidenten Prüfung bedarf es nach den vorstehenden Ausführungen trotz der vom Kläger im April 2018 erklärten "Rücknahme" seiner Klage gegen den eine Aufnahme im [X.] ablehnenden [X.]escheid vom Februar 2017 und den hierauf bezogenen Widerspruchsbescheid, weil es sich bei dem [X.]egehren auf Erteilung eines Aufnahmebescheids um einen einheitlichen Streitgegenstand handelt. Damit konnte die Entscheidung des [X.]s über die Nichterteilung eines Aufnahmebescheids im [X.] bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung der Klage auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nicht isoliert in [X.]estandskraft erwachsen.

3. Der Rechtsstreit ist daher zur weiteren Aufklärung an das [X.]erufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird insbesondere zu prüfen haben, ob beim Kläger bei Einreise im Oktober 2012 die Voraussetzungen des § 6 [X.] in der seinerzeit geltenden Fassung - [X.] 2007 - vorlagen. Denn nur dann greift nach den vorstehenden Ausführungen die [X.] des § 27 Abs. 1 Satz 3 [X.] und macht den Weg frei für eine Prüfung der Aufnahmevoraussetzungen nach aktueller Sach- und Rechtslage.

Für die Anwendung der [X.] kann sich der Kläger hingegen nicht auf die zwischenzeitlichen Änderungen der Voraussetzungen des [X.]tatus durch das Zehnte Gesetz zur Änderung des [X.]undesvertriebenengesetzes vom 6. September 2013 ([X.]G[X.]l. I S. 3554) - Zehntes [X.]-Änderungsgesetz - berufen, da diese mangels einer ausdrücklichen Übergangsregelung keine Rückwirkung auf Aufenthaltnahmen vor seinem Inkrafttreten finden. Eine derartige Übergangsvorschrift enthielt - bezogen auf die Rechtsänderungen durch das [X.]tatusgesetz - etwa der zwischenzeitlich aufgehobene § 100a Abs. 1 [X.] 2001 (vgl. [X.]VerwG, Urteil vom 28. Mai 2015 - 1 [X.] 24.14 - [X.]VerwGE 152, 164 Rn. 20 f.; zur Nichtanwendbarkeit der Regelung nach ihrer Aufhebung s.a. [X.]eschluss vom 10. August 2016 - 1 [X.] 83.16 - juris Rn. 7 f.). Das Zehnte [X.]-Änderungsgesetz sieht indes keine Übergangsregelung vor und hat mithin keine [X.]edeutung für vor seinem Inkrafttreten erfolgte Aufenthaltnahmen ([X.]VerwG, Urteil vom 10. Oktober 2018 - 1 [X.] 26.17 - NWV[X.]l. 2019, 62 Rn. 25 f.).

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Meta

1 C 47/18

29.10.2019

Bundesverwaltungsgericht 1. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, 1. Oktober 2018, Az: 11 A 1805/18, Urteil

§ 27 Abs 1 BVFG, § 27 Abs 1 S 1 BVFG, § 27 Abs 1 S 3 BVFG, § 4 BVFG, § 6 BVFG

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29.10.2019, Az. 1 C 47/18 (REWIS RS 2019, 2122)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2019, 2122

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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