Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.06.2008, Az. 4 StR 78/08

4. Strafsenat | REWIS RS 2008, 3453

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[X.]IM NAMEN DES VOLKES Urteil 4 StR 78/08 vom 12. Juni 2008 in der Strafsache gegen wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung u.a.- 2 - Der 4. Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 12. Juni 2008, an der teilgenommen haben: Vorsitzende [X.]in am [X.] [X.], [X.] am [X.] Maatz, Prof. Dr. [X.], [X.], Dr. Ernemann als beisitzende [X.], [X.]

als Vertreterin der [X.], Rechtsanwalt als Verteidiger, Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle, für Recht erkannt: - 3 - 1. Die Revisionen des Angeklagten und der [X.] gegen das Urteil des [X.] vom 17. Juli 2007 werden verworfen. 2. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen. Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hier-durch entstandenen notwendigen Auslagen. Von Rechts wegen Gründe: Das [X.] hat den Angeklagten wegen versuchter besonders schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung zu einer Frei-heitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung for-mellen und materiellen Rechts rügt, wobei er mit der Sachrüge geltend macht, lediglich fahrlässig gehandelt zu haben. Die Staatsanwaltschaft beanstandet mit der Sachrüge, dass der Angeklagte nicht auch wegen tateinheitlich begangenen vierfachen Mordversuchs verurteilt worden ist. Beide Rechtsmittel haben keinen Erfolg. 1 - 4 - [X.] 1. Nach den Feststellungen des [X.]s leidet der Angeklagte nach einem Verkehrsunfall im Jahre 2002, durch den er u.a. ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit einer Schädigung des [X.] erlitten hatte, an einer Beein-trächtigung im Bereich der Stimmungen und Affekte. Auch kam es - bedingt durch die Hirnschädigungen - zu einer Betonung zwanghafter Persönlichkeits-merkmale mit einem Streben nach Dominanz und Kontrolle. Der Angeklagte versuchte nach dem Unfall bereits dreimal, sich das Leben zu nehmen, und befand sich in ständiger psychiatrischer Behandlung. 2 Nachdem seine knapp 20jährige Tochter M. , die ihm "besonders am Herzen (lag)", von zu [X.] ausgezogen und in das Elternhaus ihres Freundes gezogen war und der Angeklagte ihr Auto verkauft hatte, kam es zwischen ihr und dem Angeklagten zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis. Der Angeklagte beobachtete an den Abenden vor der hier abgeurteilten Tat jeweils für einige Stunden das Haus, in dem seine Tochter jetzt wohnte, um sie allein abzupas-sen und mit ihr zu sprechen. Dabei konnte er ihn Erfahrung bringen, dass M. [X.] im Dachgeschoss des [X.]s bewohnte. Zu einem Gespräch kam es jedoch nicht. Der Angeklagte schrieb seiner Tochter einen Brief, in dem er sich versöhnlich zeigte und sie bat, sich bei ihm zu melden. Als sie darauf nicht reagierte, verfiel er in eine depressive, verzweifelte Stimmung. Am [X.] trank er Alkohol und versuchte Kontakt zu seiner Tochter aufzunehmen, was ihm jedoch nicht gelang. Dann beschloss er, sich durch Autoabgase, und als dies fehlschlug, sich mit dem Übergießen und Anzünden von Benzin das Leben zu nehmen. Hierzu füllte er den Kraftstoff in drei oder vier größere Beutel. Er wollte sich damit in sein Auto setzen, das sich in der Garage befand, die Beutel zerreißen und dann das Benzin entzünden. Als ihm bewusst wurde, dass seine 3 - 5 - im [X.] bei diesem Vorhaben ebenfalls getötet werden könnte, änderte er seinen Plan dahin, dass er sich vor M. s Augen anzünden und umbringen wollte. Er wollte ihr damit zeigen, [X.] das ist, zu leidenfi. Der Angeklagte begab sich gegen 2 Uhr nachts zu dem Haus, in dem M. wohnte und versuchte, seine Tochter mit Steinwürfen gegen ein Dachge-schossfenster aufzuwecken. M. war jedoch - was der Angeklagte nicht wusste - nicht anwesend. In dem Haus schliefen vier Personen. Da seine [X.] ihn nicht bemerkt hatte, begann der Angeklagte aus Verzweiflung zu weinen. Er sah keinen Grund mehr, sich vor dem Haus umzubringen, und gab deshalb sein Vorhaben auf, sich selbst anzuzünden. Dennoch wollte er M. leiden se-hen. Er warf daher einen der mit Benzin gefüllten Beutel in Richtung auf ein Dachgeschossfenster. Dann nahm er die anderen Beutel und verteilte das Ben-zin vor oder an der [X.]ingangstür. Er entzündete das [X.] und als die Tür zu brennen begann, lief er weg. 4 Da der im [X.] den Brand bemerkte und lautstark zu bellen anfing und auch ein [X.] ausgelöst wurde, konnten die schlafenden Hausbe[X.] die Gefahr erkennen. Die [X.]ingangstür brannte zu diesem Zeitpunkt bereits selbständig. Flur und Treppenhaus waren [X.]. Es gelang einem Hausbe[X.], den Brand zu löschen, bevor die alarmierte Feuerwehr eintraf. In diesem Zeitpunkt hatte die Tür schon 20 bis 30 Minuten gebrannt, und die Flammen hatten u.a. bereits ein Stück Dachrinne und einen Teil des dahinter befindlichen Dachkastens beschädigt. Es entstand ein Sachschaden von ca. 3.000 Euro. Eine Hausbe[X.]in erlitt eine leichte Rauchvergiftung, die anderen Be[X.] blieben unverletzt. 5 - 6 - Mit der Inbrandsetzung der Tür nahm der Angeklagte nach den [X.] auf andere Gebäudeteile in Kauf. Er hatte auch erkannt, dass in dem Haus zur Tatzeit mindestens vier Hausbe[X.] schliefen, wobei er davon ausging, dass sich seine Tochter in dem [X.]. Ihm war bekannt, dass er den einzigen Fluchtweg, nämlich durch die [X.], durch deren Inbrandsetzung versperrte. Er wusste aber nicht, dass sich hinter der Tür ein [X.] befand und konnte auch nicht davon ausgehen, dass der Hund die Hausbe[X.] auf den Brand aufmerksam ma-chen würde. 6 Dass der Angeklagte erkannte und billigte, dass durch die Brandlegung Menschen zu Tode kommen, er also mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, hat die [X.] nicht feststellen können. 7 Nach dem Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen, dem das Schwurgericht folgt, war der Angeklagte bei Begehung der Tat auf Grund [X.] chronischen hirnorganischen [X.] nach einem Schädel-Hirn-Trauma in Verbindung mit seiner Alkoholisierung (seine [X.] zur Tatzeit betrug ca. 2,8 ›) in seiner Fähigkeit, sein Verhalten entsprechend seiner vorhandenen Unrechtseinsicht zu steuern, erheblich eingeschränkt (§ 21 StGB). 8 2. Die [X.] wertet das Verhalten des Angeklagten als versuchte besonders schwere Brandstiftung (§§ 306 b Abs. 2 Nr. 1, 22, 23 StGB) in [X.] (§ 52 StGB) mit schwerer Brandstiftung (§ 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB). 9 Der Tatbestand des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB sei nicht vollendet, weil wegen der rechtzeitigen Warnung der Hausbe[X.] durch den Hund und den [X.] objektiv keine konkrete Gefahr für das Leben der [X.] - 7 - [X.] bestanden habe. Dies sei dem Angeklagten bei der Inbrandsetzung [X.] nicht bekannt gewesen, so dass ein Versuch der besonders schweren Brandstiftung vorliege. Der Angeklagte habe nämlich durch den Brand vorsätz-lich Menschen in die Gefahr des Todes bringen wollen. Die unbemerkte [X.] sei aus seiner Sicht wahrscheinlich und damit die Gefahr für das Leben der Hausbe[X.] auch konkret gewesen. Ein - bedingter - Tötungsvorsatz sei dagegen nicht sicher feststellbar: 11 Zwar könnten für einen solchen die objektiven Umstände der Tat spre-chen: Die Tat sei zur Nachtzeit begangen worden, als - wie der Angeklagte wusste - sämtliche Be[X.] des [X.]s schliefen; die zum Bau des [X.]s verwendeten Materialien seien leicht brennbar gewesen; es habe im [X.] nur eine Fluchtmöglichkeit, nämlich durch die Eingangstür, die in Brand gesetzt worden sei, gegeben; aus dem oberen Stockwerk sei die Flucht nur ü-ber die Treppe möglich gewesen, die sich in der Nähe des [X.] habe; der Angeklagte habe die hölzerne Eingangstür mittels eines Brand-beschleunigers entzündet, wodurch ein Übergreifen des Feuers auf andere we-sentliche Gebäudeteile sehr wahrscheinlich gewesen sei, und er habe einen weiteren Brandbeschleuniger auf dem Hausdach platziert. 12 Gegen diese gewichtigen Indizien für einen (bedingten) Tötungsvorsatz spräche aber, dass der Angeklagte kein nachvollziehbares Motiv für eine Tö-tung gehabt habe. Er habe die Verbindung zu seiner Tochter wieder herstellen wollen. Er habe sie nicht töten, sondern nur in psychischer Hinsicht leiden se-hen wollen, möglicherweise, indem er ihr "das Heim" nehmen und sie zur Rück-kehr nach [X.] habe bewegen wollen. Hinzu komme, dass sich der [X.], bedingt durch seine hirnorganische Störung in Verbindung mit seiner [X.] - 8 - holisierung, in einem Zustand affektiver Labilität und kognitiver Einengung be-funden habe. Eine Reflexion über mögliche Folgen der Brandstiftung - die sich als [X.] darstelle - sei ihm daher nur eingeschränkt möglich gewesen. Die Bejahung des [X.]es im Sinne des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB stelle keinen Widerspruch zur Ablehnung des bedingten Tötungs-vorsatzes dar; denn die vorsätzliche Herbeiführung einer Lebensgefahr sei nicht gleichbedeutend mit einem bedingten Tötungsvorsatz. 14 I[X.] Revision des Angeklagten 15 1. Die Verfahrensrüge (Aufklärungsrüge) ist schon nicht zulässig erhoben (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO), weil die Revision die - für die Beantwortung der Frage weiteren Aufklärungsbedarfs (vgl. [X.], 45; [X.] bei [X.]/[X.] NStZ-RR 2008, 1, 5) wesentlichen - Anlagen zu dem verlesenen Schreiben des [X.] vom 28. Februar 2007 ([X.] Œ [X.]. 31/32 d.A.) und das zur Frage der Inbrandsetzung in der [X.] vom 13. Juli 2007 ebenfalls (auszugsweise) verlesene Gutachten des [X.] vom 5. März 2007 ([X.]. 36 f., [X.]. 93 d.A.) nicht mitgeteilt hat. Die Rüge ist im Übrigen aus den in der [X.] vom 4. März 2008 genannten Gründen auch unbegründet. 16 - 9 - 2. Soweit der Beschwerdeführer die Beweiswürdigung des [X.]s angreift, ist die Revision ebenfalls unbegründet. Das [X.] hat seine Überzeugung, dass der Angeklagte die Inbrandsetzung vorsätzlich - und nicht nur fahrlässig - begangen hat und dass er mit [X.] im Sinne des § 306 b Abs. 2 Nr. 1 StGB handelte, in [X.] Weise nachvoll-ziehbar dargelegt. Auf ungeschickten Formulierungen im Zusammenhang mit der Verneinung eines Tötungsvorsatzes, die den [X.] scheinbar in Frage stellen (vgl. [X.], 16), beruht das Urteil ersichtlich nicht. 17 II[X.] Revision der Staatsanwaltschaft 18 Der Staatsanwaltschaft ist zuzugeben, dass die Feststellungen des [X.]s einen bedingten Tötungsvorsatz des Angeklagten nahe legen. Das Schwurgericht hat diese Frage aber umfassend geprüft und sich wegen der Motivlage des Angeklagten und insbesondere wegen seiner psychischen Ver-fassung nicht davon überzeugen können, dass er mit (bedingtem) Tötungsvor-satz handelte und den für möglich gehaltenen Tod der Hausbe[X.] gebilligt hat (vgl. zur Bejahung des [X.]es einerseits und zum Aus-schluss des (bedingten) Tötungsvorsatzes andererseits: [X.]St 22, 67, 73 ff.; 26, 176, 182; [X.] NStZ 2007, 150, 151 [bei einer psychischen Beeinträchti-gung]). Auch wenn eine andere Würdigung möglich gewesen wäre, weist diese
19 - 10 - Wertung - wie der [X.] in seiner Antragsschrift eingehend dargelegt hat - keinen Rechtsfehler auf. Sie ist daher vom [X.]. Tepperwien Maatz [X.] [X.] Ernemann

Meta

4 StR 78/08

12.06.2008

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 12.06.2008, Az. 4 StR 78/08 (REWIS RS 2008, 3453)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2008, 3453

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