Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.02.2010, Az. 4 StR 394/09

4. Strafsenat | REWIS RS 2010, 9668

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Gegenstand

Brandstiftung mit Todesfolge: Zeugnisverweigerungsrecht für Geistliche; Begriff der Leichtfertigkeit; bedingter Tötungsvorsatz


Tenor

1. Die Revisionen der Staatsanwaltschaft und des Angeklagten gegen das Urteil des [X.] vom 20. März 2009 werden verworfen.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft und die dem Angeklagten hierdurch entstandenen notwendigen Auslagen. Der Angeklagte hat die Kosten seines Rechtsmittels zu tragen.

Von Rechts wegen

Gründe

1

Das [X.] hat den Angeklagten wegen Brandstiftung mit Todesfolge zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren verurteilt. Die dagegen gerichtete, auf die Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten bleibt ebenso wie das mit der Sachrüge begründete - vom [X.] nicht vertretene - Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ohne Erfolg.

[X.] Das [X.] hat im Wesentlichen Folgendes festgestellt:

2

Am 13. September 2008 entschloss sich der Angeklagte, in der von ihm und seinem [X.] bewohnten Mietwohnung in [X.] einen Brand zu legen und diese dadurch zu zerstören. Die Wohnung befand sich in einem Reihenhaus mit 2 1/2 Etagen, in denen noch weitere vier Mietparteien wohnten. Zur Ausführung seines Vorhabens verteilte der Angeklagte in den späten Abendstunden größere Mengen Benzin in drei verschiedenen Räumen seiner Wohnung. Als er gegen 22.45 Uhr das von ihm verteilte Benzin entzündete, kam es, für den Angeklagten überraschend, zu einer heftigen Verpuffung des mittlerweile entstandenen Benzin-Luft-Gemisches, die u. a. dazu führte, dass ein Teil der [X.] wurde. Sodann entwickelte sich ein offener Wohnungsbrand, der von der Wohnung des Angeklagten in der 1. Etage auch auf die Dachgeschosswohnung der Eheleute [X.] übergriff. In dieser Wohnung hielt sich zur Tatzeit K. [X.] auf, die sich nicht mehr in Sicherheit bringen konnte und an den Folgen einer Brandgasvergiftung verstarb. Der Brand erfasste auch den Dachstuhl und weitere wesentliche Gebäudeteile. Die Mieter der beiden Erdgeschosswohnungen wurden rechtzeitig auf den Brand aufmerksam und konnten das Gebäude unverletzt verlassen.

3

Das [X.], das ein Motiv für die Tat letztlich nicht feststellen konnte, hat angenommen, dass der Angeklagte trotz der objektiven Gefährlichkeit seiner Tathandlung nicht mit bedingtem Tötungsvorsatz handelte, sondern den Tod von K. [X.] (lediglich) grob achtlos und unter Außerachtlassung der sich auch nach seinen individuellen Fähigkeiten und Kenntnissen aufdrängenden tödlichen Folgen verursachte.

4

I[X.] Die Revisionen decken weder zum Nachteil noch zum Vorteil des Angeklagten Rechtsfehler auf.

5

1. a) Die vom Angeklagten erhobene Verfahrensrüge, das [X.] habe die aus [X.] stammenden [X.] und D. nicht über das ihnen als [X.] Geistliche zustehende Zeugnisverweigerungsrecht gemäß § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO belehrt, hat keinen Erfolg.

6

aa) Da sich ein mögliches Zeugnisverweigerungsrecht im Sinne des § 53 Abs. 1 Nr. 1 StPO nur auf Tatsachen erstreckt, die dem betreffenden Geistlichen in seiner Eigenschaft als Seelsorger anvertraut oder bekannt geworden sind und nicht auf das, was er in ausschließlich karitativer oder fürsorgerischer Tätigkeit erfahren hat ([X.]St 51, 140, 141; vgl. auch [X.] NJW 2007, 1865), kam jedenfalls dem [X.] ein solches Zeugnisverweigerungsrecht nicht zu. Denn der Angeklagte bat den Zeugen zunächst lediglich darum, ihm für einige Tage Unterkunft zu gewähren, was dieser jedoch ablehnte. Weder bei diesem ersten noch bei dem zweiten Zusammentreffen mit dem Angeklagten erfuhr der Zeuge D. den Grund für dieses Hilfeersuchen.

7

bb) Im Hinblick auf das, was dem [X.] anlässlich seines Zusammentreffens mit dem Angeklagten bekannt wurde, mag die Rechtslage anders zu beurteilen sein, denn der Angeklagte, der sich schon in der Vergangenheit an diesen Zeugen mit der Bitte um seelsorgerischen Beistand gewandt hatte, äußerte bei dieser Gelegenheit sinngemäß, eine schlimme Tat begangen zu haben. Gleichwohl kann die Rüge nicht durchgreifen. Eine Pflicht zur Belehrung in Fällen des § 53 StPO besteht nicht (vgl. [X.], Urteil vom 19. März 1991 - 5 [X.], NJW 1991, 2844, 2846, in [X.]St 37, 340 insoweit nicht abgedruckt; Senatsurteil vom 27. Mai 1971 - 4 StR 81/71, [X.] (1971), 93, 94); das Gericht darf regelmäßig davon ausgehen, dass der Zeuge sein Recht zur Zeugnisverweigerung kennt ([X.] 52. Aufl. § 53 Rdn. 44). Dies gilt für den Geistlichen eines fremden Landes jedenfalls dann, wenn er sich - wie der Zeuge V. - in [X.] dauerhaft aufhält und hier eine Gemeinde betreut. Im Übrigen wurde der Zeuge aus Anlass seiner polizeilichen Vernehmung am 2. Oktober 2008 über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt und äußerte daraufhin, in „Glaubens- und Gewissensdingen“ werde er keine Angaben machen. Seine Bekundungen zur Begegnung mit dem Angeklagten hat er demnach in Kenntnis seines Rechts zur Verweigerung des Zeugnisses gemacht; Anhaltspunkte für ein dahin gehendes Missverständnis sind weder vorgetragen noch ersichtlich.

8

b) Die Nachprüfung des angefochtenen Urteils aufgrund der erhobenen Sachrüge weist keinen den Angeklagten [X.] Rechtsfehler auf. Die Wertung des [X.]s, der Angeklagte habe den Tod der K. [X.] jedenfalls leichtfertig verursacht und sei deshalb der Brandstiftung mit Todesfolge im Sinne des § 306 c i.V.m. § 306 a Abs. 1 Nr. 1 StGB schuldig, ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.

9

Soweit der Gesetzgeber die leichtfertige Todesverursachung unter Strafe gestellt hat, umschreibt das Gesetz nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] mit dem Begriff der [X.]keit ein Verhalten, das - bezogen auf den Todeseintritt - einen hohen Grad von Fahrlässigkeit aufweist. [X.] handelt hiernach, wer die sich ihm aufdrängende Möglichkeit eines tödlichen Verlaufs aus besonderem Leichtsinn oder aus besonderer Gleichgültigkeit außer Acht lässt ([X.]St 33, 66, 67). Gemessen daran war die Gefährdung von Leib und Leben anderer im Hause anwesender Mitbewohner angesichts der vom [X.] zum konkreten Tathergang getroffenen Feststellungen auch für den Angeklagten in seiner konkreten, angespannten psychischen Verfassung zum Tatzeitpunkt hochgradig wahrscheinlich. Die dagegen gerichteten Einwände des Beschwerdeführers erschöpfen sich darin, die nachvollziehbare Beweiswürdigung der [X.] durch eine eigene zu ersetzen, ohne jedoch Rechtsfehler aufzuzeigen, die den Bestand des Urteils gefährden könnten.

2. Auch die Revision der Staatsanwaltschaft bleibt erfolglos.

a) Die Staatsanwaltschaft beanstandet, dass das [X.] an das Vorliegen der Voraussetzungen eines bedingten Tötungsvorsatzes zu hohe Anforderungen gestellt habe. Angesichts der vom [X.] getroffenen Feststellungen, wonach der Angeklagte insgesamt 28 Liter Brandbeschleuniger in seiner im mittleren Stockwerk eines Mehrfamilienhauses gelegenen Wohnung ausgebracht habe, hätte bedingter Tötungsvorsatz allenfalls dann verneint werden können, wenn der Angeklagte aufgrund besonderer und außergewöhnlicher Umstände darauf hätte vertrauen dürfen, dass der Tod von weiteren Hausbewohnern nicht eintreten werde. Solche Umstände habe die [X.] indessen nicht festgestellt. Auch die Erwägung des [X.]s, der Angeklagte habe gegenüber den anderen Hausbewohnern keine feindliche Gesinnung gehabt, stehe der Annahme eines bedingten Tötungsvorsatzes nicht entgegen. Die den Angeklagten überraschende Verpuffung stelle in diesem Zusammenhang lediglich eine unerhebliche Abweichung vom Kausalverlauf dar.

b) Die Beweiserwägungen, mit denen das [X.] einen bedingten Tötungsvorsatz verneint hat, halten indessen revisionsrechtlicher Nachprüfung stand.

aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des [X.] setzt bedingt vorsätzliches Handeln voraus, dass der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolges als möglich und nicht ganz fern liegend erkennt und dass er ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet (st. Rspr.; vgl. nur [X.]St 36, 1, 9; [X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 53). In Abgrenzung zu der Schuldform der bewussten Fahrlässigkeit müssen beide Elemente der inneren Tatseite, also sowohl das Wissenselement als auch das Willenselement in jedem Einzelfall besonders geprüft und durch tatsächliche Feststellungen belegt werden ([X.]R aaO). Tritt die Lebensgefährlichkeit einer äußerst gefährlichen Gewalthandlung offen zu Tage, liegt es zwar nahe, dass der Täter mit der Möglichkeit eines tödlichen Ausgangs der von ihm in Gang gesetzten Handlungskette rechnet. Da es jedoch auch Fälle geben kann, in denen der Täter zwar alle Umstände kennt, die [X.] zu einer das Leben gefährdenden Behandlung machen, er sich aber gleichwohl nicht bewusst ist, dass der Tod des Opfers eintreten kann, bedarf es für den Schluss auf die Billigung eines Todeserfolges im Hinblick auf die insoweit bestehende hohe Hemmschwelle einer sorgfältigen Prüfung des Einzelfalles ([X.], Urteil vom 22. November 2001 - 1 [X.], [X.], 314, 315). Bei Inbrandsetzung eines Gebäudes sind im Rahmen der Gesamtwürdigung insbesondere die Beschaffenheit des Gebäudes (im Hinblick auf Fluchtmöglichkeiten und Brennbarkeit der beim Bau verwendeten Materialien), die Angriffszeit (wegen der erhöhten Schutzlosigkeit der Bewohner zur Nachtzeit), die konkrete Angriffsweise sowie die psychische Verfassung des [X.] und seine Motivation bei der Tatbegehung zu berücksichtigen ([X.]R StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 39).

bb) Nach diesem Maßstab hat die [X.] sehr wohl in den Blick genommen, dass neben der objektiven Gefährlichkeit der Tathandlung auch verschiedene weitere Umstände für das Vorliegen eines bedingten Tötungsvorsatzes sprachen, so die (Nacht-)zeit der Tatbegehung, das - für den Angeklagten erkennbare - Vorhandensein einer leicht brennbaren [X.] im Gebäude, das Ausbringen des Brandbeschleunigers an verschiedenen Stellen und die sorgfältige Planung der Tat. Das [X.] hat jedoch auch - sachverständig beraten - die psychische Verfassung des Angeklagten mit der gedanklichen Einengung auf die Zerstörung des früheren mit seiner Frau gemeinsam bewohnten Lebensraumes sowie das fehlende Motiv des Angeklagten für die Tötung anderer Hausbewohner berücksichtigt und zusätzlich erwogen, dass der Brandbeschleuniger nicht in unmittelbarer Nähe des möglichen Fluchtwegs ausgebracht war. Dass es auf der Grundlage dieser umfassenden Würdigung letztlich zur Verneinung des (bedingten) Tötungsvorsatzes gekommen ist, lässt einen Rechtsfehler nicht erkennen. Rechtsfehlerhaft überspannte Anforderungen an die tatrichterliche Überzeugungsbildung (vgl. dazu [X.], Urteile vom 11. Januar 2005 - 1 StR 478/04, NJW 2005, 1727 und vom 4. Dezember 2008 - 4 StR 371/08) lassen diese Erwägungen ebenfalls nicht erkennen. Die [X.] hat ihre Zweifel daran nicht überwinden können, dass der Angeklagte die erhebliche Ausweitung des [X.] mit den tödlichen Folgen für das Tatopfer in sein Wissen aufgenommen hatte. Diese Wertung des Tatrichters ist vom Revisionsgericht hinzunehmen.

[X.]                                Solin-Stojanović

                         Ernemann                                Franke

Meta

4 StR 394/09

04.02.2010

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Urteil

Sachgebiet: StR

vorgehend LG Essen, 20. März 2009, Az: 22 Ks 31/08 Ss 341/09, Urteil

§ 53 Abs 1 Nr 1 StPO, § 211 StGB, § 212 StGB, § 306a Abs 1 Nr 1 StGB, § 306c StGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 04.02.2010, Az. 4 StR 394/09 (REWIS RS 2010, 9668)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 9668

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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