Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.05.2013, Az. VI ZR 255/11

VI. Zivilsenat | REWIS RS 2013, 5931

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
VI [X.]/11
Verkündet am:

14. Mai 2013

Holmes

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin

der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit

Nachschlagewerk:
ja
[X.]Z:
ja
[X.]R:
ja
[X.] § 823 Abs. 2 Be; StGB § 323c
§
323c StGB ist ein Schutzgesetz im Sinne des §
823 Abs. 2 [X.].
[X.], Urteil vom 14. Mai 2013 -
VI [X.]/11 -
[X.]

[X.]

-

2

-

Der VI.
Zivilsenat des [X.] hat auf die mündliche Verhandlung vom
14. Mai 2013
durch den
Vorsitzenden [X.] Galke
und die [X.]
Zoll
und
Wellner, die [X.]in [X.] und den [X.] Stöhr
für Recht erkannt:
Die Revision der
Beklagten gegen das Urteil des 19. Zivilsenats des [X.] vom 17.
August 2011 wird auf ihre
Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen

Tatbestand:
Der Kläger, ein Gerichtsvollzieher, macht gegenüber
der Alleinerbin des im Verlaufe des Revisionsverfahrens verstorbenen früheren
Beklagten ([X.]: Beklagter) einen Anspruch auf Schmerzensgeld und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten wegen einer Schussverletzung geltend, die ihm der [X.] des Beklagten im Zusammenhang mit einer vom Beklagten beauftragten Räumung einer Wohnung zugefügt
hat.
Der [X.] des Beklagten, der zeitweilig unter Betreuung stand, hatte eine krankhafte Persönlichkeitsstörung entwickelt, die unter anderem zur Folge [X.], dass er zwanghaft Gegenstände sammelte, mit denen er die gesamte von ihm und dem Beklagten bewohnte Immobilie des Beklagten vollgestellt hatte.
Der Beklagte hatte gegen seinen [X.] einen Räumungstitel erwirkt und den Kläger mit der Räumung beauftragt.
Am vierten Tag der Räumung sollte mit der 1
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eigentlichen Räumung des Hauses begonnen werden. Der Kläger klingelte an der Haustür, die ihm vom Beklagten geöffnet wurde. Der hinter dem Beklagten stehende [X.] stieß seinen Vater beiseite und schoss auf den Oberkörper des [X.] mit einer halbautomatischen Pistole, die er zuvor am Morgen vor dem Eintreffen des [X.] dem Beklagten gezeigt hatte. Dabei wurde der Kläger schwer verletzt.
Er macht
den Beklagten für die Tat
mitverantwortlich
und hat ihn mit der vorliegenden Klage auf Zahlung von Schmerzensgeld (mindestens 20.000

und Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch genommen. Das Land-gericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des [X.] hat das Ober-landesgericht unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels das erst-instanzliche Urteil teilweise abgeändert und den Beklagten als Gesamtschuld-ner mit seinem [X.] verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld von 10.000

zu zahlen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision begehrt der Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht verneint mit dem [X.] eine Haftung des Beklagten wegen einer Körperverletzung durch Unterlassen mangels einer Ga-rantenstellung aus pflichtwidrigem [X.]. Insbesondere könne dies nicht aus dem Vollstreckungsauftrag als solchem hergeleitet werden, weil eine Ga-rantenstellung nicht aus einem rechtmäßigen [X.] entstehen könne. Allein der Umstand, dass der Beklagte tatsächlich in der Lage gewesen wäre, 3
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das spätere Geschehen zu verhindern, reiche zur Begründung einer Garanten-stellung nicht aus. Eine Haftung des Beklagten ergibt sich jedoch nach der Auf-fassung des Berufungsgerichts aus §
823 Abs.
2 [X.] i.V.m. §
323c StGB als Schutzgesetz. Nach der Rechtsauffassung des Berufungsgerichts dient der Schutzzweck der Strafbestimmung des §
323c StGB nicht nur dem Interesse der Allgemeinheit an solidarischer [X.] in akuten Notlagen, son-dern jedenfalls auch den bei einem Unglücksfall gefährdeten Individualrechts-gütern des in Not Geratenen. Auch die unmittelbar bevorstehende Straftat eines Dritten sei als Unglücksfall einzustufen, wenn erheblicher Schaden drohe. [X.] Voraussetzung sei im Streitfall erfüllt gewesen.
Ein Einschreiten des [X.] sei auch erforderlich gewesen. Ein verständiger Beobachter hätte aufgrund der Gesamtumstände erkennen können, dass der [X.] des Beklagten vom Einsatz der geladenen und entsicherten Schusswaffe zur Beendigung der Räumung nicht zurückschrecken würde. Für den Beklagten habe auch die ob-jektive Möglichkeit bestanden, die bevorstehende Straftat zu verhindern, indem er an diesem Morgen der Forderung seines [X.]s nachgekommen wäre, die Räumung nicht fortzusetzen. Ein solches Vorgehen
sei dem Beklagten bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen auch zumutbar gewesen. Auch der subjektive Tatbestand des §
323c StGB liege vor, da der Beklagte zumindest mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Hält der [X.] die Tatbestands-verwirklichung für möglich und nimmt er sie aus Gleichgültigkeit in Kauf, so sei bedingter Vorsatz gegeben. Dass der Beklagte eine mögliche Gefährdung des [X.] gar nicht in Betracht gezogen habe, sei in Anbetracht der Umstände als bloße Schutzbehauptung zu
werten. Nach diesen sei vielmehr davon auszuge-hen, dass er sich entschlossen habe, nun endlich die Räumung "durchzuzie-hen" unter Inkaufnahme des Risikos, dass sein [X.] die Schusswaffe gegen die an der Räumung beteiligten Personen einsetzen würde. Bei der
Bemessung der Höhe des zuerkannten [X.] von 10.000

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berücksichtigen, dass es sich bei dem Beklagten nicht um den die Verletzung des [X.] unmittelbar verursachenden Straftäter handele, sondern dieser nur gegen die ihn im Rahmen des §
323c StGB treffende Pflicht zur Hilfeleistung verstoßen habe.

II.
Das Berufungsurteil hält einer revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht eine Haftung des Beklagten aus §§
823 Abs.
2 [X.] i.V.m. §
323c StGB wegen unterlassener Hilfeleistung bejaht.
1. Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass §
323c StGB Schutzgesetz im Sinne des §
823 Abs.
2 [X.] ist.
a) Schutzgesetz im Sinne von §
823 Abs.
2 [X.] ist eine Rechtsnorm, die nach Zweck und Inhalt zumindest auch dazu dienen soll, den Einzelnen
oder einzelne Personenkreise gegen die Verletzung eines bestimmten Rechts-guts zu schützen. Dafür kommt es nicht auf die Wirkung, sondern auf Inhalt und Zweck des Gesetzes sowie darauf an, ob der Gesetzgeber bei Erlass des [X.] gerade einen Rechtsschutz, wie er wegen der behaupteten Verletzung in Anspruch genommen wird, zugunsten von Einzelpersonen oder bestimmten Personenkreisen gewollt oder doch mit gewollt hat. Es genügt, dass die Norm auch das in Frage stehende Interesse des Einzelnen schützen soll, mag sie auch in erster Linie das Interesse der Allgemeinheit im Auge haben. [X.] soll der Anwendungsbereich von Schutzgesetzen nicht ausufern. Deshalb reicht es nicht aus, dass der [X.] durch Befolgung der Norm als ihr Reflex objektiv erreicht werden kann; er muss vielmehr im Aufgabenbereich der Norm liegen (vgl. Senatsurteile
vom 16.
März 2004 -
VI
ZR 105/03, [X.], 5
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1012; vom 3. Februar 1987 -
VI
ZR 32/86, [X.], 13, 14
f.; vom 2. Februar 1988 -
VI
ZR 133/87, [X.], 197, 199 und vom 18.
November 2003 -
VI
ZR 385/02, [X.], 255, jeweils mwN). Bei diesem Verständnis bezweckt §
323c StGB zumindest auch den Schutz der Individualrechtsgüter des durch einen Unglücksfall Betroffenen (so zutreffend [X.], NJW 2004, 3640, 3641; [X.], [X.], 1689;
Fischer, StGB, 59.
Aufl., §
323c Rn.
1; vgl. auch [X.], Beschluss vom 22. Januar 2002 -
4
StR 392/01, [X.], 1356;
a.[X.], NJW-RR 1989, 794; differenzierend [X.]/[X.], 12.
Aufl., §
823 Rn.
136 und 546 zu §
330c StGB).
b) Aus den Gesetzesmaterialien lässt sich nicht die Schlussfolgerung ziehen, dass das Gesetz allein dem Interesse der Allgemeinheit an dem Schutz eines funktionierenden und auf Solidarität beruhenden Gemeinwesens dienen soll. Zwar wird in der amtlichen Begründung zum Gesetzesentwurf der [X.] der [X.] Verantwortung gegenüber der [X.] herausgestellt, als [X.] wird jedoch auch die "Versäumung einer wirklichen Chance
zu er-folgreicher Schadensabwendung" angeführt (Verhandlungen des [X.], 1.
Wahlperiode 1949, BT-Drucks. 3713 (1952), S.
44, Spalte
1). Damit ist jedenfalls auch das Ziel der Strafvorschrift erkennbar, individuelle Rechtsgüter des in Not Geratenen zu schützen und eine unterlassene Hilfeleis-tung in den Fällen strafrechtlich zu sanktionieren, in denen sie erforderlich und den Umständen nach zuzumuten war. Unter diesen Umständen steht die Ver-pflichtung zur Solidarität zwar im Allgemeininteresse,
sie zielt jedoch im Einzel-fall auch darauf ab, Schäden von Individualrechtsgütern, die in Gefahr geraten sind, abzuwenden.
c) Soweit die Gegenmeinung darauf abstellt, dass der untätig Bleibende in den Haftungsfolgen nicht einem aktiv handelnden Täter gleichgestellt werden dürfe (vgl. etwa [X.]/[X.]/[X.],
[X.], 3.
Aufl.
§
823 Rn.
178; OLG 8
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Frankfurt, NJW-RR 1989, 794, 795; [X.], NJW 1970, 1822, 1824
f.), wird dem Umstand nicht hinreichend Rechnung getragen, dass der zivilrechtlich auf Schadensersatz wegen Verletzung eines Schutzgesetzes in Anspruch [X.] im Rahmen des §
323c StGB, der insbesondere durch das Tatbestands-merkmal der Zumutbarkeit begrenzt wird,
selbst Täter ist. Darüber hinaus wird der Gegenmeinung zutreffend entgegengehalten, dass die zivilrechtliche Haf-tung durch das Erfordernis des Eintritts des Schadens und der Zurechnung [X.] als Folge der verletzten [X.] hinreichend begrenzt ist und der wegen unterlassener Hilfeleistung auf Schadensersatz in Anspruch Ge-nommene die Möglichkeit eines Rückgriffs im Rahmen der §§
840, 426 [X.] gegen den Haupttäter hat (so zutreffend [X.], NJW 2004, 3640, 3641). Fällt diese Möglichkeit fort, etwa weil ein aktiv handelnder Täter nicht vorhanden, nicht ermittelbar oder [X.] ist, kann hieraus eine [X.] für den untätig [X.] nicht hergeleitet werden, denn es ist kein Grund ersichtlich, den Verletzten in diesem Falle ohne Ersatzmöglich-keit gegen einen (Mit-)
Verursacher des Schadens zu belassen ([X.], aaO).
2. Das Berufungsgericht hat ohne Rechtsfehler das Vorliegen eines [X.] im Sinne des §
323c StGB bejaht. Nach §
323c StGB macht sich strafbar, wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leis-tet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbe-sondere ohne erhebliche Eigengefahr und ohne Verletzung anderer Pflichten möglich ist.
a) Eine Straftat kann für das Opfer ein Unglücksfall im Sinne des §
323c StGB sein, wobei es genügt, dass die Begehung der Straftat unmittelbar bevor-steht, die das Risiko einer erheblichen Verletzung beinhaltet (vgl. [X.], Urteil vom 12.
Januar 1993 -
1
StR 792/92, bei [X.] 1993, 721). Diese Voraus-10
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setzungen liegen im Streitfall vor, wobei offenbleiben kann, ob die das Gefah-renurteil tragenden tatsächlichen Umstände -
wie das Berufungsgericht meint
-
aus ex
post-Sicht nach objektiven Maßstäben zu beurteilen sind
(vgl. [X.]/[X.] in [X.]/[X.], StGB, 28.
Aufl. §
323c Rn.
2
mwN) oder sich -
wie die Revision meint
-
aus ex ante-Sicht beurteilen. Nachdem sich der Beklagte dem Wunsch seines [X.]s, die Räumung zu beenden, nicht [X.] hatte, hatte dieser den Beklagten nach den Feststellungen des [X.] nach dem Klingeln des [X.] mit gezogener, geladener und entsicherter Schusswaffe versucht daran zu hindern, zur Haustür zu gehen. In dieser Situation war aus objektiver Sicht damit zu rechnen, dass der [X.] des Beklagten die Schusswaffe auch einsetzen würde, um die Räumung zu [X.]. Davon, dass der [X.] des Beklagten die Waffe nur gegen sich selbst [X.] seinen Vater, den Beklagten, richten würde, konnte auch aus damaliger objektiver Sicht nicht ausgegangen werden.

b) Das Berufungsgericht hat mit Recht ein Einschreiten des Beklagten in dieser Situation für erforderlich erachtet. Erforderlich ist die Hilfeleistung nach dem objektiven ex
ante-Urteil eines verständigen Beobachters aufgrund der ihm erkennbaren Umstände dann, wenn ohne sie die Gefahr besteht, dass die von §
323c StGB
erfasste Notlage sich zu einer nicht mehr unerheblichen Schädi-gung von Personen auswirkt (vgl. Sternberg-Lieben/[X.]
in Schön-ke/[X.], aaO Rn.
12
mwN). Nach den Feststellungen des Berufungsge-richts hätte ein verständiger Beobachter aufgrund der Gesamtumstände die Gefahr einer unmittelbar bevorstehenden Straftat erkannt. Ziel des [X.]s des Beklagten war es gewesen, die Räumung zu verhindern. Spätestens als der [X.] des Beklagten, der im Umgang mit Waffen erfahren war, seinen Vater mit der geladenen und
entsicherten Schusswaffe bedrohte, um ihn zur Beendigung der Räumung zu veranlassen, musste ein verständiger Beobachter davon [X.], dass der [X.] des Beklagten die Schusswaffe notfalls auch einsetzen 12
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würde. Davon, dass der [X.] des Beklagten die Waffe
nur gegen sich selbst oder den Beklagten richten würde, konnte -
entgegen der Darstellung des [X.]
-
unter den Umständen des Streitfalles
nicht ausgegangen werden. Hierzu hätte der [X.] des Beklagten -
wie das Berufungsgericht zutreffend aus-führt
-
bereits dann Anlass gehabt, als sich der Beklagte auch angesichts der scharfen Waffe nicht von der Räumung hatte abbringen lassen, sondern sich zur Tür begab, um diese dem Kläger zu öffnen. Spätestens dann war [X.] deutlich, dass die Drohung gegenüber dem Beklagten erfolglos war. Ein verständiger Beobachter musste in dieser Situation die Möglichkeit vorausse-hen, dass der [X.] des Beklagten -
und sei es nur im Rahmen einer Kurz-schluss-
oder Panikreaktion
-
die geladene Waffe nicht nur, wie es ihm bereits vorher möglich gewesen wäre, gegen sich selbst oder seinen Vater einsetzen würde, sondern auch gegen denjenigen, der die Räumung im Auftrag seines Vaters durchführen sollte.
c) Entgegen der Auffassung der Revision sind Rechtsfehler in der tatrich-terlichen Würdigung des Berufungsgerichts nicht erkennbar. Soweit die [X.] meint, mit der Eskalation der Ereignisse habe der Beklagte nicht rechnen müssen und es habe für den Beklagten außerhalb der Vorstellungskraft gele-gen, dass der Kläger in der damaligen Situation würde Schaden nehmen [X.], versucht sie lediglich, ihre eigene Würdigung in revisionsrechtlich unzuläs-siger Weise an die Stelle der tatrichterlichen Würdigung des Berufungsgerichts zu setzen, ohne Rechtsfehler aufzuzeigen. Dass sich der [X.]
des Beklagten mit geladener und entsicherter Schusswaffe gegen die Fortsetzung der [X.] wandte, war dem Beklagten an jenem Morgen bekannt und ergab sich nicht erst durch Erkenntnisse, die sich erst durch die Äußerung des Sachver-ständigen im Strafverfahren ergeben haben. Darauf, dass der unter einer Per-sönlichkeitsstörung
leidende [X.] des Beklagten die Waffe
in einer Panikreak-tion nicht einsetzen würde, konnte der Beklagte aus der Sicht eines verständi-13
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gen Beobachters nicht vertrauen. Da der Beklagte die
der Erforderlichkeit eines Einschreitens zugrunde liegenden Umstände auch kannte, musste das [X.] auch nicht -
wie die Revision meint
-
einen Tatbestandsirrtum ge-mäß §
16 StGB prüfen.
d) Entgegen der Auffassung der Revision hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler
die objektive Möglichkeit für den Beklagten bejaht, durch seinen Einsatz die Tat zu verhindern.
Nach den von Rechts wegen nicht zu [X.] Feststellungen des Berufungsgerichts war
ihm ein entsprechendes Handeln auch zumutbar.
aa) Das Berufungsgericht hat die Möglichkeit, die Tat zu verhindern, da-rin gesehen, dass der Beklagte die Räumung zumindest am Tattag hätte [X.] können. Soweit die Revision meint, dem [X.] des Beklagten sei es nicht einzig und allein darum gegangen, dass am Tattag nicht weiter geräumt wurde, sondern dass generell die Räumung eingestellt würde, und deshalb eine ent-sprechende Lüge des Beklagten erforderlich gewesen wäre, ändert dies nichts an der objektiven Möglichkeit, das Unglück zu verhindern, sondern ist dies vielmehr eine Frage der Zumutbarkeit.
bb) Ein solches Vorgehen war dem Beklagten aber auch -
wie das [X.] mit Recht angenommen hat
-
zumutbar. Das Berufungsgericht ist zutreffend
davon ausgegangen, dass die
Frage, welche Hilfeleistungen dem [X.]n zumutbar sind, anhand einer Wertentscheidung durch Abwä-gung der widerstreitenden Interessen zu beantworten
ist, bei der die Bedeutung des bedrohten Rechtsguts, Art und Ausmaß der drohenden Schäden, konkrete Rettungschancen einerseits, Art und Umfang der Interessen sowie mit der [X.] verknüpfte Risiken andererseits gegeneinander abzuwägen sind (vgl. Sternberg-Lieben/[X.]
in [X.]/[X.], aaO Rn.
19 mwN). Das 14
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Berufungsgericht hat als mögliche Handlungsoption dem Beklagten angeson-nen, sich dem Wunsch seines [X.]s (zunächst) zu beugen und die Räumung abzubrechen, um die Situation zu entschärfen. Wäre es gleichwohl zu einem Schuss auf den Kläger gekommen, wäre ihm dies dann nicht mehr im Rahmen des §
323c StGB anzulasten gewesen, da er dann das aus seiner Sicht Zumut-bare getan hätte. Bei dieser Handlungsoption hat das Berufungsgericht zutref-fend das Interesse des Beklagten an einer ungehinderten Fortführung der Räumung gegenüber der von einer entsicherten Waffe in der Hand eines völlig Verzweifelten ausgehenden erheblichen Gefahr für Leib und Leben aller
sich im Umfeld der Waffe befindlichen Personen für nachrangig angesehen. Vor dieser Gefahr hatte ein -
wenn auch berechtigter
-
Anspruch auf Räumung vor allem vor dem Hintergrund zurückzustehen, dass die Räumung zu einem späteren Zeitpunkt ohne den [X.] des Beklagten ungehindert hätte fortgeführt werden können. Die im Abbruch der Räumung liegende Hilfeleistung war dem [X.] ohne erhebliche Eigengefahr zumutbar.
Er hätte auch eine Eigengefähr-dung
abwenden können, weil er
nach seiner eigenen Darstellung davon aus-ging, dass sein [X.] die Schusswaffe gegebenenfalls auch gegen ihn
richten würde. Soweit die Revision hiergegen meint, dem Beklagten
sei
es
in dieser Situation nicht möglich gewesen, rational und folgerichtig zu agieren,
und er hätte ohne eine Steigerung seiner eigenen Bedrohungssituation niemanden warnen können, wird übersehen, dass das Berufungsgericht gerade nicht eine Warnung des [X.], sondern einen vorübergehenden Abbruch der Räumung für möglich und zumutbar gehalten hat. Die Revision zeigt keinen hinreichen-den, vom Berufungsgericht übergangenen Sachvortrag auf, weshalb dem [X.] angesichts der Bedrohung mit einer entsicherten Schusswaffe eine solch nahe liegende Überlegung nicht möglich gewesen wäre.
e) Schließlich hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler auch den sub-jektiven Tatbestand des §
323c StGB als erfüllt angesehen, der auch im [X.]
-

12

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men des §
823 Abs.
2 [X.] maßgeblich ist. Das Berufungsgericht ist in Über-einstimmung mit der strafrechtlichen Literatur und Rechtsprechung (vgl. [X.]/[X.]
in [X.]/[X.], aaO §
15 Rn.
87 mwN) zutreffend davon ausgegangen, dass nach der neueren Rechtsprechung bedingter [X.] dann vorliegt,
wenn der Täter den Eintritt des tatbestandlichen Erfolgs als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt und
-
im Rechtssinne -
billigt oder sich um des erstrebten Ziels willen wenigstens mit ihm abfindet, mag ihm auch der Erfolgseintritt an sich unerwünscht sein
(vgl. Fischer, aaO §
15 Rn.
9
b; [X.], Urteil vom 26. Juli 2007 -
3
StR 221/07, [X.], 700 Rn.
7; vgl. auch Senatsurteile vom 15.
Juli 2008 -
VI [X.], [X.], 1407 Rn.
30 und vom 20. November 2012 -
VI
ZR 268/11, [X.], 200 Rn.
32). Die Annah-me einer "Billigung des Erfolgs" liegt beweisrechtlich dann nahe, wenn der [X.] sein Vorhaben trotz äußerster Gefährlichkeit durchführt, ohne auf einen glücklichen Ausgang vertrauen zu können, oder wenn er es dem Zufall über-lässt, ob sich die von ihm erkannte Gefahr verwirklicht oder nicht. Im Rahmen des §
323c StGB unterlässt derjenige die Hilfeleistung vorsätzlich, der die [X.] Handlung kennt, durch die er die erforderliche Hilfe leisten könnte. Das Bewusstsein, zur Hilfeleistung verpflichtet zu sein, gehört hingegen nicht zum Vorsatz. Mangelndes [X.] ist vielmehr ein dem Verbotsirrtum des §
17
StGB
gleichzustellender Gebotsirrtum (vgl. Sternberg-Lieben
in [X.]/[X.], aaO
§
15
Rn.
94). Hält der Hilfsbedürftige die Tatbestands-verwirklichung für möglich und nimmt er sie aus Gleichgültigkeit in Kauf, so ist bedingter Vorsatz gegeben (vgl. Sternberg-Lieben
in [X.]/[X.], aaO Rn.
98). Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts kannte der Beklagte die tatbestandsmäßige Situation. Er wusste, dass sein [X.], dem alles daran lag, die weitere Räumung zu verhindern, eine scharfe Waffe in der Hand hielt, mit der er umzugehen verstand. Er wusste auch, dass sein [X.] aufgrund sei-ner -
des Beklagten
-
Weigerung, die Räumung abzubrechen, davon ausgehen -

13

-

musste, dass die Räumung mit dem Eintreffen des [X.] unmittelbar [X.]. Ferner hat er selbst in seiner polizeilichen Vernehmung eingeräumt, dass sein [X.] nicht der Mensch sei, dem man so etwas wie die geschehene Tat zutrauen
könne, es sei denn, er komme in eine Paniksituation wie mit dem Klä-ger.
f) Auf dieser Grundlage ist die Beurteilung des Berufungsgerichts, dem Beklagten sei eine Gefährdung des [X.] erkennbar gewesen, aus [X.] ebenso wenig zu beanstanden wie die daraus gewonnene Überzeu-gung, dass das Vorbringen des Beklagten, eine mögliche Gefährdung des [X.] gar nicht in Betracht gezogen zu haben, in Anbetracht der Umstände als bloße Schutzbehauptung zu werten sei. Nach diesen sei vielmehr davon [X.], dass der Beklagte sich entschlossen gehabt habe, nun endlich die Räumung "durchzuziehen", und die möglicherweise mit diesem Entschluss [X.] Folgen in Kauf zu nehmen, zu denen neben einem möglichen Suizid seines [X.]s auch das Risiko gehört habe,
dass dieser auf ihn oder die die Räumung durchführende Person schießen würde. Diese Gleichgültigkeit ge-genüber den möglichen Folgen, mögen ihm diese auch höchst unerwünscht gewesen sein, hat das Berufungsgericht ohne Rechtsfehler für die Annahme eines bedingten Vorsatzes
als
ausreichend erachtet. Soweit die Revision hierzu meint, der Beklagte habe irrtümlich angenommen, sich durch seinen Einsatz zu gefährden, was den Vorsatz entfallen lasse, wird wiederum verkannt, dass das Berufungsgericht die tatsächlichen Voraussetzungen für einen solchen Irrtum bei der vom
Beklagten erwarteten Handlung, nämlich die Räumung vorerst ab-zubrechen, nicht festgestellt hat, da in diesem Fall nach den Feststellungen des Berufungsgerichts eine Selbstgefährdung des Beklagten nicht vorgelegen hätte.
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3. Die Höhe des zuerkannten [X.] und der vorgerichtlichen Anwaltskosten hat die Revision nicht angegriffen. Rechtsfehler sind diesbezüg-lich auch nicht erkennbar.
Galke
Zoll
Wellner

[X.]
Stöhr

Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 25.01.2011 -
5 [X.]/10 -

OLG
Düsseldorf, Entscheidung vom 17.08.2011 -
I-19 [X.] -

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Meta

VI ZR 255/11

14.05.2013

Bundesgerichtshof VI. Zivilsenat

Sachgebiet: ZR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 14.05.2013, Az. VI ZR 255/11 (REWIS RS 2013, 5931)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 5931

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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