Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.01.2013, Az. IX R 1/12

9. Senat | REWIS RS 2013, 8824

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Gegenstand

(Keine Berufung auf Treu und Glauben nach unterlassenem Untätigkeitseinspruch oder Antrag nach § 171 Abs. 3 AO - Ablaufhemmung durch Untätigkeitseinspruch)


Leitsatz

1. Wer seine Einkommensteuererklärung jenseits der Fristen des § 149 Abs. 2 AO abgibt, kann sich, falls das FA vor Ablauf der Festsetzungsfrist keinen Einkommensteuerbescheid erlässt, nicht auf Treu und Glauben berufen, wenn er es selbst unterlässt, einen Untätigkeitseinspruch einzulegen oder jedenfalls einen Antrag auf Steuerfestsetzung zu stellen .

2. Der Untätigkeitseinspruch führt zu einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a AO .

Tatbestand

1

I. Die Beteiligten streiten über einen nach Ablauf der Festsetzungsfrist erlassenen Einkommensteuerbescheid.

2

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) --zur Einkommensteuer zusammen veranlagte [X.] erzielten im Streitjahr (1998) Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit und aus Vermietung und Verpachtung. Sie reichten am 30. Dezember 2004 die Einkommensteuererklärung für das Streitjahr ein. Die Festsetzungsfrist lief für das Streitjahr am 31. Dezember 2005 ab. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --[X.]--) erließ am 3. August 2006 einen Einkommensteuerbescheid und wich darin bei der Festsetzung der Einkommensteuer in einigen Punkten von der Erklärung der Kläger ab. Der Steuerbescheid führte im Abrechnungsteil zu einer Steuererstattung zugunsten der Kläger.

3

Nach erfolglosem Einspruch machten die Kläger mit ihrer Klage höhere negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung geltend. Nachdem sich die Beteiligten zunächst in der Sache stritten, machte das [X.] später --erst im [X.] geltend, dass der Einkommensteuerbescheid wegen Ablaufs der Festsetzungsfrist nicht mehr habe ergehen und deshalb --schon aus diesem Grund-- auch nicht mehr habe geändert werden dürfen.

4

Diese Auffassung vertrat schließlich auch das Finanzgericht ([X.]) in der Vorentscheidung und wies die Klage ab. Der Ablauf der Festsetzungsfrist sei nicht nach § 171 Abs. 3 der Abgabenordnung ([X.]) gehemmt gewesen, und auf Treu und Glauben könnten sich die Kläger nicht berufen. Das [X.] habe vor dem maßgeblichen Zeitpunkt des Ablaufs der Festsetzungsfrist keinen Vertrauenstatbestand durch [X.] geschaffen, sondern lediglich die Steuererklärung entgegengenommen.

5

Hiergegen richtet sich die Revision der Kläger, mit der sie Verletzung des § 171 Abs. 3 [X.] rügen. Überdies liege in der Bearbeitung einer nach Ablauf der Abgabefrist eingereichten Steuererklärung eine stillschweigende Bewilligung der Fristverlängerung. Das [X.] könne sich ferner auf den Eintritt der Verjährung nicht mehr berufen, wenn es eine mehr als ein Jahr vor Ablauf der Festsetzungsfrist eingegangene gesetzlich vorgeschriebene Steuererklärung nicht bearbeite.

6

Die Kläger beantragen,
das angefochtene Urteil aufzuheben und den Einkommensteuerbescheid vom 3. August 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11. Oktober 2006 dahingehend zu ändern, dass die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung des Klägers und der Klägerin um weitere negative Einkünfte von jeweils 13.760 DM zu mindern und Spenden in Höhe von 250 DM zu berücksichtigen sind.

7

Das [X.] beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

8

II. Die Revision ist unbegründet und deshalb nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zurückzuweisen.

9

Zutreffend hat das [X.] eine Änderung des angefochtenen Einkommensteuerbescheides für das Streitjahr schon deshalb abgelehnt, weil Festsetzungsverjährung eingetreten war. Entsprechende Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind nach § 47 [X.] durch Verjährung erloschen.

1. In Bezug auf das Streitjahr war bereits Festsetzungsverjährung eingetreten, als das [X.] am 3. August 2006 einen Einkommensteuerbescheid erließ. Da die Kläger für das Streitjahr zunächst keine Steuererklärung abgegeben hatten, endete die Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] --wie vom [X.] zutreffend dargestellt-- am 31. Dezember 2005. Entgegen der Revision ändert daran eine verlängerte Erklärungsfrist nichts. Zwar kann die Erklärungsfrist auch nach ihrem Ablauf verlängert werden (§ 109 Abs. 1 Satz 2 [X.]). Die Fristverlängerung kann erst nach Fristablauf und überdies konkludent beantragt werden, hier z.B. durch die Einreichung der Steuererklärung. Auch die Entscheidung des [X.] kann stillschweigend ergehen (vgl. dazu [X.] in Tipke/ [X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 109 [X.] Rz 6). Ob allerdings ein derartiger Verwaltungsakt in der bloßen Entgegennahme einer verspätet abgegebenen Erklärung liegen kann (ablehnend [X.] in [X.]/[X.]/[X.] --[X.]--, § 109 [X.] Rz 54; [X.] in [X.]/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 109 Rz 16), mag offenbleiben. Denn eine Fristverlängerung nach § 109 [X.] bewirkt keine zusätzliche Anlaufhemmung. Gemäß § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] beginnt die Festsetzungsfrist nämlich   spätestens   mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist (vgl. dazu Banniza in [X.], § 170 [X.] Rz 47). Das ist hier der Ablauf des Jahres 2001.

2. Eine Ablaufhemmung ist nicht eingetreten. Die Voraussetzungen des § 171 Abs. 3 [X.] liegen nicht vor.

Wird vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entschieden ist. Die Abgabe einer gesetzlich vorgeschriebenen Steuererklärung ist indes nach einhelliger Auffassung kein Antrag i.S. von § 171 Abs. 3 [X.] (ständige Rechtsprechung, vgl. die Urteile des [X.] --BFH-- vom 25. Mai 2011 IX R 36/10, [X.], 314, [X.], 807, und vom 17. Februar 1998 VIII R 21/95, [X.] 1998, 1356; eingehend Banniza in [X.], § 171 [X.] Rz 28, m.w.N.). Muss der Steuerpflichtige eine Festsetzungserklärung abgeben, sieht das Gesetz keine Ablaufhemmung, wohl aber eine Anlaufhemmung vor (§ 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.]). Der Steuerpflichtige handelt, indem er eine Einkommensteuererklärung oder eine Feststellungserklärung abgibt. Den zeitlichen Rahmen umschreibt zunächst § 149 Abs. 2 Satz 1 [X.]. Wer bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist damit wartet, muss den Nachteil davon tragen, wenn ein Steuerbescheid nicht mehr in der gemäß § 169 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 [X.] notwendigen Weise erlassen wird.

3. Danach haben [X.] und [X.] es zutreffend abgelehnt, die Einkommensteuer abweichend festzusetzen. Diese Ablehnung verstößt nicht gegen [X.] und Glauben, auch wenn es dem [X.] noch zeitlich möglich gewesen wäre, einen Einkommensteuerbescheid zu erlassen (vgl. hierzu BFH-Urteil vom 19. August 1999 III R 57/98, [X.], 198, [X.], 330). Die Kläger können sich nicht auf [X.] und Glauben berufen, weil sie vor Ablauf der Festsetzungsfrist weder Einspruch eingelegt (a) noch einen Antrag nach § 171 Abs. 3 [X.] (b) gestellt haben und das [X.] jedenfalls keinen Vertrauenstatbestand gesetzt hat (c).

a) Die Kläger hätten --worauf auch das [X.] in seiner Revisionserwiderung zutreffend hinweist-- einen Untätigkeitseinspruch nach § 347 Abs. 1 Satz 2 [X.] einlegen müssen, um die Wirkungen des § 171 Abs. 3a [X.] zu erreichen. Tun sie dies nicht, können sie sich nicht auf [X.] und Glauben berufen, um dann so gestellt zu werden, wie sie stünden, wenn sie Einspruch eingelegt hätten (vgl. BFH-Urteil vom 29. Juni 2011 IX R 38/10, [X.], 326, [X.], 963).

Nach § 347 Abs. 1 Satz 2 [X.] ist der Einspruch statthaft, wenn in einer Abgabenangelegenheit über einen vom Einspruchsführer gestellten Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden worden ist. So kann es sich verhalten, wenn das [X.] eine Veranlagung trotz eingegangener Einkommensteuererklärung unterlässt (vgl. BFH-Urteile vom 19. April 2007 V R 48/04, [X.], 194, [X.], 315, und vom 19. Mai 2004 III R 18/02, [X.], 201, [X.], 980). Wenn deshalb der "Antrag auf Erlass eines Verwaltungsakts" anders auszulegen ist als die ähnliche Formulierung in § 171 Abs. 3 [X.] ("Antrag auf Steuerfestsetzung") und auch eine gesetzlich vorgeschriebene Steuererklärung umfasst, so sind dafür folgende Erwägungen entscheidend:

aa) Mit der Auslegung des Antragsbegriffs in § 171 Abs. 3 [X.] sollen nach der ständigen Rechtsprechung die in § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 [X.] abschließend geregelten Auswirkungen des Einreichungszeitpunkts von Steuererklärungen auf die Festsetzungsfrist nicht zum Nachteil desjenigen Steuerpflichtigen unterlaufen werden dürfen, der seiner gesetzlich auferlegten Erklärungsverpflichtung nachkommt (so BFH-Urteil in [X.] 1998, 1356, unter 3.b bb, m.w.N.). Würde nämlich die Einkommensteuererklärung, die der Steuerpflichtige jenseits der Fristen des § 149 Abs. 2 [X.] abgibt, zugleich mit den Wirkungen einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3 [X.] versehen, stünde derjenige, der sich in Bezug auf die Abgabefristen pflichtwidrig verhält, prozessual besser als der Steuerpflichtige, der seine Erklärung innerhalb der Erklärungsfrist abgibt und dem deshalb nur die Anlaufhemmung des § 170 Abs. 2 [X.] zugutekommt.

bb) Um diesen Widerstreit geht es bei § 347 Abs. 1 Satz 2 [X.] indes nicht:   Gegenstand   des Einspruchs ist vielmehr die   Untätigkeit des [X.]   trotz eines Antrags auf Erlass eines Verwaltungsakts. Hieran knüpft auch die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 3a [X.] an (so BFH-Urteil in [X.], 326, [X.], 963), so dass damit nicht etwa die Fristen zur Abgabe der Einkommensteuererklärung durch eine zusätzliche Ablaufhemmung verlängert werden. Eine Ablaufhemmung wird nur gewährt, bis über den Untätigkeitseinspruch entschieden wird. Es geht allein um die Prüfung, ob und gegebenenfalls warum das [X.] ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes binnen angemessener Frist sachlich nicht entschieden hat.

b) [X.] dessen hätten die Kläger in der [X.] nach Einreichung ihrer Steuererklärung bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist auch einen Antrag auf Steuerfestsetzung nach § 171 Abs. 3 [X.] stellen können --und müssen, um die gleichen Wirkungen wie ein Einspruch (s. vorstehend unter a) zu erreichen.

Wird vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist außerhalb eines Einspruchs- oder Klageverfahrens ein Antrag auf Steuerfestsetzung gestellt, so läuft die Festsetzungsfrist insoweit nicht ab, soweit über den Antrag unanfechtbar entschieden ist (§ 171 Abs. 3 [X.]). Diese Vorschrift erfasst alle --ausdrücklich oder stillschweigend-- vorgetragenen Begehren oder Bitten an die Finanzbehörde auf ein entsprechendes Verwaltungshandeln (Banniza in [X.], § 171 [X.] Rz 32; [X.] in [X.], [X.] § 171 Rz 23), und zwar auch dann, wenn der Antrag auf Maßnahmen abzielt, welche die Behörde --wie eine Steuerfestsetzung-- von Amts wegen vornehmen muss (BFH-Urteil vom 24. Juni 2008 IX R 64/06, [X.] 2008, 1676, unter [X.] bb, m.w.N.).

Einen derartigen Antrag haben die Kläger vor Ablauf der Festsetzungsfrist nicht --auch nicht konkludent oder stillschweigend-- gestellt. Wenn sie sich in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Senat darauf berufen, auch in den Vorjahren habe das [X.] die verspätete Abgabe der Steuererklärung als Antrag nach § 171 Abs. 3 [X.] gewertet, so lässt sich dies --ganz unabhängig davon, dass dieser Sachvortrag vom [X.] nicht festgestellt wurde-- den Akten nicht entnehmen. Das [X.] hat auch die (ebenfalls verspätet eingereichte) Einkommensteuererklärung für 1997 --wie die des [X.] vor Ablauf der Festsetzungsfrist lediglich entgegengenommen. Die Abgabe der Erklärung selbst ist aber kein Antrag i.S. von § 171 Abs. 3 [X.] (s. unter 2.).

c) Schließlich hat das [X.] für den erkennenden Senat nach § 118 Abs. 2 [X.]O bindend festgestellt, dass das [X.] außer der Entgegennahme der Einkommensteuererklärung keinen Vertrauenstatbestand gesetzt hat. Auf sein --in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat [X.] Verhalten nach Ablauf der Festsetzungsfrist kommt es nicht an. Der Steueranspruch des Streitjahres ist nach § 47 [X.] kraft Gesetzes durch Verjährung erloschen. Ist Verjährung eingetreten, ermöglicht es der Grundsatz von [X.] und Glauben nicht, dass ein erloschener Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis wieder entsteht ([X.] vom 14. Januar 2010 IV B 103/08, [X.] 2010, 1115; Banniza in [X.], Vor §§ 169 bis 171 [X.] Rz 33, m.w.N.).

Meta

IX R 1/12

22.01.2013

Bundesfinanzhof 9. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Berlin-Brandenburg, 18. Mai 2011, Az: 14 K 3279/06 B, Urteil

§ 149 Abs 2 AO, § 169 Abs 2 AO, § 170 Abs 2 AO, § 171 Abs 3 AO, § 171 Abs 3a AO, § 347 Abs 1 S 2 AO, § 109 AO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 22.01.2013, Az. IX R 1/12 (REWIS RS 2013, 8824)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2013, 8824

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