Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.02.2016, Az. XII ZB 317/15

XII. Zivilsenat | REWIS RS 2016, 16754

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[X.]:[X.]:BGH:2016:030216BXIIZB317.15.0

BUN[X.]SGERICHTSHOF

BESCHLUSS
XII ZB 317/15

vom

3. Februar 2016

in der Unterbringungssache

-
2
-
Der XII.
Zivilsenat des [X.] hat am
3.
Februar 2016
durch den
Vorsitzenden
Richter
Dose, die Richterin Weber-Monecke
und [X.]
Klinkhammer, Dr.
Nedden-Boeger
und Guhling
beschlossen:Die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen den Beschluss der 2.
Zivilkammer des [X.] vom 1.
Juli 2015 wird zurückgewiesen.
Das Verfahren der Rechtsbeschwerde ist gerichtsgebührenfrei.

Gründe:
Die angefochtene Entscheidung, mit der das [X.] die vom [X.] erteilte Genehmigung der zivilrechtlichen Unterbringung der Betroffenen für die Dauer eines Jahres bestätigt hat, hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB ist eine Unterbringung des Betreuten durch den Betreuer, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, nur zulässig, so lange sie zum Wohl des Betreuten erforderlich ist, weil aufgrund einer psychi-schen Krankheit oder geistigen oder seelischen Behinderung des Betreuten die Gefahr besteht, dass er sich selbst tötet oder erheblichen gesundheitlichen Schaden zufügt.
Alkoholismus für sich gesehen ist keine psychische Krankheit bzw. geis-tige oder seelische Behinderung im Sinne von §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB, so dass allein darauf die Genehmigung der Unterbringung nicht gestützt werden 1
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-
3
-
darf. Ebenso wenig vermag die bloße Rückfallgefahr eine Anordnung der zivil-rechtlichen Unterbringung zu rechtfertigen. Etwas anderes gilt, wenn der Alko-holismus entweder im ursächlichen Zusammenhang mit einem geistigen [X.], insbesondere einer psychischen Erkrankung, steht oder ein auf den Alkoholmissbrauch zurückzuführender Zustand eingetreten ist, der das Ausmaß eines geistigen Gebrechens erreicht hat. Die Grundrechte eines psychisch Kranken schließen einen staatlichen Eingriff nicht aus, der ausschließlich den Zweck verfolgt, ihn vor sich selbst in Schutz zu nehmen und ihn zu seinem ei-genen Wohl in einer geschlossenen Anstalt unterzubringen. Die zivilrechtliche Unterbringung ist

wie das Betreuungsrecht insgesamt

ein [X.] als Ausdruck der staatlichen Wohlfahrtspflege, deren [X.] und Grundlage das öffentliche Interesse an der Fürsorge für den schutzbe-dürftigen Einzelnen ist. Deshalb kann die geschlossene Unterbringung zur [X.] einer erheblichen Selbstgefährdung auch dann genehmigt werden, wenn eine gezielte Therapiemöglichkeit nicht besteht. Zwar steht es nach der Verfassung in der Regel jedermann frei, Hilfe zurückzuweisen, sofern dadurch nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden. Das Gewicht, das dem Freiheitsanspruch gegenüber dem Gemeinwohl zukommt, darf aber nicht losgelöst von den tatsächlichen Möglichkeiten
des Betroffenen bestimmt
werden, sich frei zu entschließen. Mithin setzt eine Unterbringung
zur Verhinderung einer Selbstschädigung infolge einer psychi-schen Erkrankung voraus, dass der Betroffene aufgrund der Krankheit seinen Willen nicht frei bestimmen kann (Senatsbeschluss vom
25.
März 2015

XII
ZA
12/15

FamRZ
2015, 1017 Rn.
7
ff.).
2. Das Beschwerdegericht hat in Anwendung dieser Grundsätze rechts-fehlerfrei das Vorliegen der Voraussetzungen einer Unterbringung gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB bejaht. Die Angriffe der Rechtsbeschwerde bleiben ohne Erfolg.
4
-
4
-
a) Der
für den Aufgabenkreis Gesundheitsfürsorge
und Entscheidung über die Unterbringung als Betreuer
bestellte Beteiligte zu
1 hat die Genehmi-gung der Unterbringung der
Betroffenen beantragt. Das Beschwerdegericht hat auf der Grundlage des im Beschwerdeverfahren eingeholten
Sachverständi-gengutachtens sowie der persönlichen Anhörung festgestellt, dass die [X.] an einer psychischen Krankheit bzw. geistigen Behinderung leidet. Diese besteht bei einer hochgradigen Alkoholabhängigkeit in gravierenden [X.] im Bereich des zentralen
Nervensystems, nämlich einer äthyltoxisch bedingten Neuropathie und einem äthyltoxisch bedingten Kleinhirnschaden mit Einschränkungen von Auffassungsgabe, Konzentrations-
und Merkfähigkeit.
Ferner hat das Beschwerdegericht gestützt auf das Sachverständigengutachten festgestellt, dass bei der Betroffenen ohne eine Unterbringung krankheitsbe-dingt ein alsbaldiger
Rückfall zu erwarten ist, durch den sich die Erkrankung vollständig demenziell im Sinne eines [X.] entwickeln und [X.] ein erheblicher Gesundheitsschaden im Sinne des §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB eintreten würde.
Das Amtsgericht hat zudem festgestellt, dass die Betroffene außerhalb der geschlossenen Station in lebensbedrohliche
Zustände gerät, in-dem sie die Nahrungsaufnahme einstellt und unkontrolliert exzessiv Alkohol konsumiert.
b) Die Rechtsbeschwerde dringt nicht mit der Rüge durch, es fehle an Feststellungen zum Fehlen des freien Willens. Das [X.] hat dieses rechtliche Erfordernis gesehen und im angegriffenen Beschluss ausdrücklich angesprochen. Es hat bei seiner Entscheidung ersichtlich auf dem
die Unter-bringung genehmigenden Beschluss des Amtsgerichts aufgebaut. Das Vorlie-gen eines freien Willens
hatte das Amtsgericht sachverständig beraten [X.] verneint, wogegen im Übrigen auch die Rechtsbeschwerde nichts er-innert. Darüber hinaus hat der im Beschwerdeverfahren beauftragte Sachver-ständige in seinem vom [X.] in Bezug genommenen Gutachten ausge-5
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-
5
-
führt, dass es der Betroffenen an einer Krankheitseinsicht fehlt. Ohne eine sol-che ist aber eine freie Willensbestimmung mit Blick auf die Unterbringung nicht möglich
(vgl. Senatsbeschluss vom 7.
Oktober 2015

XII
ZB
58/15

FamRZ 2015, 2158 Rn.
9).
c) Entgegen
der von der Rechtsbeschwerde vertretenen Auffassung ent-hält die angegriffene Entscheidung ausreichende Feststellungen dazu, dass bei der Betroffenen ohne die Unterbringung eine unmittelbare Rückfallgefahr [X.]. Wie sich aus den Ausführungen des [X.]s zum Sachverhalt und dem in Bezug genommenen, im Beschwerdeverfahren eingeholten [X.] ergibt, ist die Betroffene aufgrund akuter Alkoholintoxikatio-nen in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 dreimal

jeweils mit gerichtlicher Genehmigung geschlossen und über längere Zeiträume

stationär behandelt worden. Nach ihrer Entlassung Ende Dezember 2014 wurde sie bereits am 8.
Januar 2015 erneut schwerst alkoholintoxikiert mit einem Promillewert von rund 4,6 in die Klinik eingeliefert.
d)
Schließlich ist die Unterbringung auch verhältnismäßig.
Die Rechtsbe-schwerde wendet insoweit ohne Erfolg ein, die Beschwerdeentscheidung ver-halte sich nicht zu ambulanten Möglichkeiten, die eine geschlossene Unterbrin-gung der Betroffenen überflüssig machen könnten. Der Beschluss des Amtsge-richts, auf dem
die Beschwerdeentscheidung aufbaut, enthält die Feststellung, dass alle erdenklichen Versuche, der Betroffenen eine Heimunterbringung zu ersparen, gescheitert sind. Der vom [X.] beauftragte Sachverständige führt in seinem in Bezug genommenen Gutachten aus, dass in den vergange-nen Jahren erfolglos

neben wiederholten mehrmonatigen stationären Aufent-halten

ambulante psychiatrische und suchttherapeutische Therapien durchge-führt wurden
und eine ambulante Behandlung keinen Erfolg verspricht. Hinzu kommt, dass

wie dem Gutachten ebenfalls zu entnehmen ist

die Betroffene 7
8
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6
-
seit Jahren im Rahmen eines betreuten [X.] gelebt hat. Wenn Amts-
und [X.] bei dieser Sachlage die geschlossene Unterbringung der [X.]n als einzige Möglichkeit ansehen, der erheblichen Selbstgefährdung zu be-gegnen, ist das rechtlich nicht zu beanstanden.
Bei der [X.] hat das Beschwerdegericht ebenfalls die auf das erstinstanzlich eingeholte Sachverständigengutachten gestützte Ent-scheidung des Amtsgerichts bestätigt. Sie entspricht auch der Empfehlung des im Beschwerdeverfahren beauftragten Sachverständigen. Die [X.] erinnert insoweit nichts.
3. Die Beschwerdeentscheidung wird mithin von §
1906 Abs.
1 Nr.
1 BGB getragen. Daher kann dahinstehen, dass es im angefochtenen Beschluss

wie die Rechtsbeschwerde zu Recht rügt

an Ausführungen
fehlt, die eine Unterbringung der Betroffenen auch gemäß §
1906 Abs.
1 Nr.
2 BGB rechtferti-gen würden.
9
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-
7
-
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird gemäß §
74 Abs.
7 FamFG abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen.

Dose

Weber-Monecke

Klinkhammer

Nedden-Boeger

Guhling
Vorinstanzen:
[X.], Entscheidung vom 20.02.2015 -
662 XVII G 4242 -

LG Hannover, Entscheidung vom 01.07.2015 -
2 T 15/15 -

11

Meta

XII ZB 317/15

03.02.2016

Bundesgerichtshof XII. Zivilsenat

Sachgebiet: ZB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 03.02.2016, Az. XII ZB 317/15 (REWIS RS 2016, 16754)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 16754

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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