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BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 427/11
vom
8. Februar 2012
in der Strafsache
gegen
wegen gefährlicher Körperverletzung u.a.
-
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Der 1.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8.
Februar 2012, an der teilgenommen
haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Graf,
Prof. Dr. Jäger,
Prof. Dr. Sander,
Richter am Landgericht
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger
des Angeklagten,
Justizangestellte
-
in der Verhandlung -,
Justizangestellte
-
bei der Verkündung
-
als Urkundsbeamtinnen
der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
-
3
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1.
Auf die
Revision der Staatsanwaltschaft wird
das Urteil des Landgerichts Hof
vom 24. Mai
2011, soweit es den Angeklag-ten H.
betrifft,
mit den zugehörigen Feststellungen aufge-hoben
a)
im Schuldspruch zum Tatkomplex IV.B.2 der Urteilsgründe unter Aufrechterhaltung der Feststellungen
zum objektiven Tatgeschehen,
b)
soweit der
Angeklagte vom Vorwurf eines Sexualdelikts
freigesprochen worden ist,
und
c)
im gesamten Strafausspruch.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurück-verwiesen.
Von Rechts wegen
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Gründe:
Das Landgericht (Jugendkammer) hat den Angeklagten
unter Freispre-chung im Übrigen wegen
-
vorsätzlicher unerlaubter Einfuhr von Betäubungsmitteln
in Tatmehr-heit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (Tatkomplex B.II der Urteilsgründe) sowie wegen
-
Körperverletzung und gefährlicher Körperverletzung in drei tateinheit-lichen Fällen in Tateinheit mit Nötigung in Tateinheit mit Beihilfe zur dreifachen Nötigung, zur zweifachen gefährlichen Körperverletzung und zur Körperverletzung
(Tatkomplex B.IV der Urteilsgründe)
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Mit ihrer zuungunsten des Angeklagten eingelegten und auf die Verlet-zung materiellen Rechts gestützten Revision beanstandet
die Staatsanwalt-schaft den Teilfreispruch vom Vorwurf eines Sexualdelikts und rügt zudem
Rechtsfehler zum Vorteil des Angeklagten
im Schuld-
und Strafausspruch. Er-kennbar vom Revisionsangriff ausgenommen sind die Schuldsprüche im
Tat-komplex
B.II
(Betäubungsmitteldelikt und Widerstand gegen Vollstreckungsbe-amte) und im Fall B.IV.1 der Urteilsgründe (Körperverletzung), die Feststellun-gen zum objektiven Tatgeschehen im Tatkomplex B.IV.2 der Urteilsgründe so-wie der weitergehende Teilfreispruch von den Vorwürfen des Diebstahls und der räuberischen Erpressung.
Das vom Generalbundesanwalt weitgehend
ver-tretene Rechtsmittel hat Erfolg.
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I.
1.
Zum Tatgeschehen hat das Landgericht Folgendes festgestellt:
a) Tatkomplex B.II der Urteilsgründe
Am 20. April 2010 führte der Angeklagte in einem Pkw
als Beifahrer min-destens 0,1 Gramm Crystal-Speed mit einem Mindestwirkstoffgehalt von 30% Metamphetaminbase, das er zuvor in der Tschechischen Republik zum Eigen-konsum erworben hatte, über den Grenzübergang Selb/Asch in
die Bundesre-publik Deutschland ein.
Als er bei der Einreise einer Kontrolle durch Zollbeamte unterzogen wer-den sollte, steckte er das in einem kleinen Tütchen mitgeführte Rauschgift in den Mund. Nachdem er von den Beamten aufgefordert worden war, seinen
Mundinhalt vorzuzeigen, versuchte er zu fliehen. Als die Beamten ihn festhalten wollten, widersetzte er sich, schlug um sich und versuchte sich loszureißen. Nur unter Aufbietung aller Kräfte gelang es den Beamten, den Angeklagten am Bo-den zu fixieren und zu fesseln. Dem Angeklagten gelang es allerdings noch während der Auseinandersetzung, das Plastiktütchen zu zerbeißen und das Rauschgift zu schlucken.
b) Tatkomplex B.IV der Urteilsgründe
Am 28. Juli 2010 befand sich der Angeklagte zusammen mit dem Mitan-geklagten Ho.
sowie
B.
und dem Geschädigten S.
in der Jus-tizvollzugsanstalt Hof in Strafhaft in einer Gemeinschaftszelle.
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aa) Fall B.IV.1
Gegen 19.45 Uhr kam es zwischen den Insassen zu einer Auseinander-setzung über Radio und Fernsehen in der Zelle, ohne dass der nähere Ablauf festgestellt werden konnte. Nicht ausschließbar bezeichnete dabei der Ge-schädigte S.
ohne Vorwarnung dem Geschädigten mit der Faust ins Gesicht schlug. Hierbei traf er dessen rechte Wange, sodass dieser, wie vom Angeklagten beabsich-tigt, erhebliche Schmerzen verspürte.
bb) Fall B.IV.2a
Der Mitangeklagte Ho.
begab sich nun ebenfalls zum Geschädigten und forderte ihn
auf, sich körperlich zu wehren, was dieser jedoch ablehnte. Diese
dem Geschä-digten mit der Faust ins Gesicht schlug. Zudem versetzte er ihm einen Kniestoß
in die Rippen, sodass der Geschädigte vom Stuhl auf den Boden fiel. Als er am Boden lag, schlugen der Angeklagte und Ho.
gleichzeitig mit den Fäusten auf ihn ein, sodass er am Oberkörper weitere Schmerzen erlitt.
cc) Fall B.IV.2b
Anschließend forderten Ho.
und der Angeklagte den Geschädigten unter
Androhung weiterer Schläge auf, sich auf die Toilette zu begeben und dort zu bleiben. Während dieser Zeit räumte der Mitangeklagte Ho.
den Spind des Ge-schädigten aus.
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Nach etwa 15 bis 20 Minuten forderten Ho.
und der Angeklagte den Ge-schädigten auf, aus der Toilette zu kommen und den gesamten Zellenbereich einschließlich Toilette und Waschbecken sofort zu reinigen. Dieser Aufforde-rung kam der Geschädigte aus Furcht vor weiteren Schlägen des Mitangeklag-ten Ho.
und auch des Angeklagten nach.
dd) Fall B.IV.2c
Während des nun folgenden, sich über zwei bis drei Stunden hinziehen-den Geschehens lief der Angeklagte -
soweit er sich nicht unmittelbar an dem Geschehen beteiligte -
in der Zelle auf und ab oder hielt sich am Fenster auf. Er nahm das Vorgehen des Mitangeklagten Ho.
wahr, griff aber nicht in dieses ein, weil er keinen Anlass sah, dem Geschädigten zu helfen. Insbesondere be-tätigte er nicht die in der Zelle angebrachte Notrufanlage und drohte auch nicht mit ihrer Betätigung, obwohl ihm klar war, dass er mit seinem Untätigbleiben das Verhalten des Mitangeklagten Ho.
begünstigte. Er war sich auch bewusst, dass er durch seine gemeinsam mit Ho.
verübten Schläge erheblich dazu bei-getragen hatte, dass der Geschädigte eingeschüchtert war und die folgenden Misshandlungen aus Furcht vor weiteren Schlägen über sich ergehen ließ.
Der weitere Zelleninsasse
B.
lag während der folgenden Ge-schehnisse auf seinem
Doppelstockbett und verhielt sich teils aus Desinteres-se, teils aus Angst, selbst geschlagen zu werden, völlig passiv.
o.
bekäme. Der Geschädigte musste sich auf seine Anweisung hin auf einen
Stuhl setzen, auf dem ihn Ho.
rasierte, um ihn zu demütigen und vor sämtlichen Mit-o.
rasierte ihm mit einem Einwegrasie-rer die Augenbrauen weg sowie von hinten nach vorn und von Ohr zu Ohr ein 15
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mehrere Zentimeter breites Kreuz in die Haare. Dabei erlitt der Geschädigte eine Vielzahl blutender Schürfwunden, die ihm erhebliche Schmerzen bereite-ten. Er erduldete dieses Vorgehen, da er -
wie von Ho.
ausdrücklich angedroht -
andernfalls weitere Schläge befürchten musste.
ee) Fall B.IV.2d
o.
noch mit einer Pa-ketschnur den linken Arm des Geschädigten an dessen linken Oberschenkel. Sodann musste sich der Geschädigte mit einer mit Seife gefüllten Socke selbst schlagen. Als er nach Ansicht des Ho.
nicht fest genug zuschlug, versetzte die-ser ihm noch weitere starke und schmerzvolle Schläge auf den Oberkörper.
ff) Fall B.IV.2e
Wiede
später
geriet der Mitangeklagte Ho.
erneut in Wut. Er forderte den Geschädigten auf, sich zu entkleiden,
und zog über den Zellenbesen eine Plastiktüte, die mit Duschgel oder Handcreme eingerieben wurde. Den so präparierten Besen reichte der Mitangeklagte Ho.
dem Geschä-digten unter Androhung weiterer Schläge mit der Aufforderung, sich diesen rek-tal einzuführen. Der Geschädigte, der erhebliche Angst hatte, kam dem nach und führte sich den Besenstiel mindestens einmal in gebückter Stellung
für we-nige Sekunden in seinen After ein.
Anschließend musste er sich auf Geheiß des Mitangeklagten Ho.
auf den Boden legen und den Vorgang wiederholen. Hierbei ergriff der Mitange-klagte
Ho.
unvermittelt selbst den Besen und versuchte, diesen kräftig in den After des Geschädigten nachzudrücken. Dem Geschädigten gelang es jedoch, das Ende des Stiels so zu führen, dass der Besenstiel dabei nicht in seinen After eindrang, sondern daneben vorbei auf den Boden rutschte. Auch hiermit 20
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wollte der Mitangeklagte Ho.
dem Geschädigten seine Hilflosigkeit und seine Opferrolle demonstrieren und ihn gegenüber den Zellengenossen als minder-wertig darstellen.
gg) Fall B.IV.2f
Danach
griff der Angeklagte, der sich am vorherigen Geschehen nicht aktiv oder kommunikativ beteiligt hatte, den Geschädigten mit dem Zellen-schrubber an und schlug ihm mehrfach mit dem Stiel derart heftig auf den Rü-cken, dass der Stiel schließlich durchbrach. Der Geschädigte erlitt heftige Schmerzen und einige mehrere Zentimeter lange Hämatome am Rücken, auf denen sich die Form des Schrubberstiels abzeichnete.
hh) Fall B.IV.2g
Nachdem der Angeklagte und der Mitangeklagte Ho.
zunächst aufgehört hatten, den Geschädigten zu misshandeln, zwang ihn der Mitangeklagte Ho.
unter Androhung weiterer
Schläge, den Inhalt des Zigarettenaschenbechers in den Mund zu schütten und herunterzuschlucken.
ii) Fall B.IV.2h
Zu einem nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt im Laufe der Ereignisse versetzten die Angeklagten dem vor dem Zellenspiegel stehenden Geschädig-ten gemeinsam weitere schmerzhafte Faustschläge gegen den Oberkörper und bespuckten ihn.
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jj) Fall B.IV.2i
Schließlich musste sich der Geschädigte
auf Weisung des Mitangeklag-ten Ho.
zu einem ebenfalls nicht näher bestimmbaren Zeitpunkt auf eine Wä-schekiste setzen und musste
zur weiteren Demütigung
unter Androhung weiterer Schläge auf Familienfotos, seinen Verlobungsring und andere persön-liche Gegenstände spucken.
Erst gegen 23.00 Uhr ließen der Angeklagte
und der Mitangeklagte Ho.
von dem Geschädigten ab, forderten ihn aber nachdrücklich unter Hinweis auf drohende Nachteile für seine Familie auf, über das Geschehene Stillschweigen zu wahren. Im Laufe dieses
Geschehens war
es immer wieder zu Pausen
ge-kommen, in denen sich nichts ereignete. Der Entschluss, den Geschädigten nun nicht mehr weiter anzugehen, wurde erst gegen 23.00 Uhr gefasst. Infolge der Misshandlungen befand sich der Geschädigte vier Wochen auf der Kran-kenstation des Gefängnisses.
Das Landgericht konnte sich
keine Überzeugung dahingehend bilden, dass der Angeklagte und der Mitangeklagte Ho.
-
als sich der Geschädigte auf der Toilette befand -
eine Absprache getroffen haben, den Geschädigten weiter zu misshandeln und zu demütigen. Das gilt insbesondere auch für die
Miss-handlung
des Geschädigten mit dem Zellenbesen.
2. Im Tatkomplex B.IV hat das Landgericht den Angeklagten wegen Kör-perverletzung (Fall B.IV.1) in Tatmehrheit mit drei tateinheitlichen Fällen der gefährlichen Körperverletzung (Fälle B.IV.2a, 2f, 2h) in Tateinheit mit Nötigung (Fall B.IV.2b) in Tateinheit mit Beihilfe durch Unterlassen zur dreifachen Nöti-gung, zur zweifachen gefährlichen Körperverletzung und zur Körperverletzung (Fälle B.IV.2c, 2d, 2e,
1. Geschehensabschnitt, 2g, 2i) schuldig gesprochen.
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a) Eine mittäterschaftliche Beteiligung des Angeklagten an den vom Mit-angeklagten Ho.
ausgeführten Handlungen hat das Landgericht verneint. Der Angeklagte habe sich an
weiten
Teilen
des Geschehens weder
aktiv beteiligt noch dieses durch Anfeuerung oder verbales Bestärken des Mitangeklagten gefördert. Er habe keinerlei Tatherrschaft bei der Ausführung der Delikte ge-habt, die vom Mitangeklagten Ho.
eigenständig vorgenommen worden seien. Eine Absprache oder ein eigenes Interesse an den Taten des Mitangeklagten konnte das Landgericht ebenfalls nicht feststellen (UA S.
28, 31).
b) Das Landgericht hat aber hinsichtlich der
Taten, bei denen der Ange-klagte nicht selbst aktiv wurde,
eine
psychische Beihilfe durch Unterlassen an-genommen. Es
ist
davon überzeugt, dass der Angeklagte mit seinem Untätig-bleiben das Verhalten des Mitangeklagten psychisch unterstützen wollte. Aus der Gesamtschau der Ereignisse hat es
geschlossen, dem Angeklagten sei bewusst gewesen, dass er durch seine Beteiligung am Anfang des Gesche-hens dem Mitangeklagten und dem Geschädigten das Gefühl vermittelt habe, es stünden zwei Mann gegen einen, und dass der Geschädigte deshalb aus Angst vor weiteren Schlägen auch vom Angeklagten
die ihm zugefügten Demü-tigungen dulden würde (UA S. 28). Damit habe der Angeklagte durch sein ei-genes Zuschlagen zu Beginn des Geschehens dem Geschädigten zu erkennen gegeben, dass er das Verhalten des Mitangeklagten billige und dass der Ge-schädigte sich nicht nur einem Gegner gegenüber sehe. Mit diesem Verhalten habe der Angeklagte eine Garantenstellung im Sinne eines vorangegangenen
gefährlichen Tuns begründet.
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c) Im Tatkomplex B.IV.2 der Urteilsgründe hat das Landgericht ein ein-heitliches Geschehen im Sinne einer Tateinheit (§
52 StGB) angenommen.
Auch wenn das Tatgeschehen von Phasen vorübergehend fehlender Aktivität gekennzeichnet gewesen sei, habe der Mitangeklagte zu keinem Zeitpunkt
sei-nen Plan, den Geschädigten zu demütigen, aufgegeben. Auch dem Angeklag-ten sei es von Anfang an gleichgültig gewesen, ob und in welcher Form der Mitangeklagte den Geschädigten weiter traktieren würde.
3. Abgesehen von den vom Revisionsangriff ausgenommenen Vorwür-fen des Diebstahls und der räuberischen Erpressung im Hinblick auf persönli-che Habe des Geschädigten
hat das Landgericht den Angeklagten auch vom
Vorwurf
der Beteiligung an dem
vom Mitangeklagten Ho.
mit einem Besenstiel begangenen Sexualdelikt (Fall B.IV.2e,
2. Geschehensabschnitt) aus tatsächli-chen Gründen freigesprochen. Dieses Geschehen sei schon nach Sekunden wieder beendet gewesen, sodass der Angeklagte keine Möglichkeit zum Ein-greifen gehabt habe. Er habe damit diese Tat des Mitangeklagten Ho.
schon objektiv nicht gefördert (UA S.
29, 37).
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils hinsichtlich des Teilfreispruchs vom Vorwurf der Be-teiligung am Sexualdelikt des Mitangeklagten Ho.
, des Schuldspruchs
im Tat-komplex B.IV.2 sowie im gesamten Strafausspruch. Die Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen im Tatkomplex B.IV.2 sind vom Revisionsangriff aus-genommen und bleiben deshalb bestehen. Rechtsfehler zum Nachteil (§
301 StPO) des Angeklagten
sind nicht vorhanden.
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1. Im Ansatz zutreffend hat das Landgericht die von dem Angeklagten im Tatkomplex B.IV.2 der Urteilsgründe zum Nachteil des Geschädigten begange-nen Taten als einheitliches Geschehen
im Sinne einer natürlichen Handlungs-einheit
bewertet.
Eine natürliche
Handlungseinheit setzt voraus, dass zwischen mehreren strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen, die von einem einheitlichen Willen getragen werden, ein unmittelbarer räumlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und das gesamte Tätigwerden bei natürlicher Betrachtungsweise auch für einen Dritten als ein
einheitliches Tun erscheint (st. Rspr.;
vgl. BGH, Urteil vom 30.
Januar 1991 -
2 StR 321/90, BGHR StGB vor §
1 natürli-che Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher
4; BGH, Urteil vom 19.
November 2009 -
3 StR 87/09; BGH, Urteil vom 25.
September 1997
-
1
StR 481/97, NStZ-RR 1998, 68, 69; vgl. auch die weiteren Nachweise bei
Fischer, StGB, 59.
Aufl., Vor §
52 Rn.
3).
Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen durfte das Landgericht hier aus-gehen, denn der erforderliche zeitliche Zusammenhang wurde nicht dadurch beseitigt, dass die einzelnen strafrechtlich erheblichen Verhaltensweisen in ei-nem gewissen zeitlichen Abstand erfolgten. Vielmehr war das mehraktige Ge-schehen zum einen von einem einheitlichen Willen, den Geschädigten zu de-mütigen (UA S.
32), getragen (vgl. dazu BGH, Beschluss vom 26. Juli 1995
-
4 StR 401/95; BGH, Urteil vom 30.
Januar 1991 -
2 StR 321/90, BGHR StGB vor § 1 natürliche Handlungseinheit Entschluss, einheitlicher
4), zum anderen befand sich der Geschädigte in einer fortdauernden
Zwangslage und konnte sich als in einer Gemeinschaftszelle untergebrachter Strafgefangener auch nicht frei bewegen, was der Angeklagte und der Mitangeklagte Ho.
bei den Verletzungshandlungen ausnutzten (vgl. BGH, Urteil vom 4.
September 2001 -
1
StR 232/01, StV 2002, 21 mwN). Die mehrfachen Pausen aktiver Einwirkung 41
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auf den
Geschädigten stellten -
entgegen der Auffassung der Staatsanwalt-schaft -
keine Zäsuren dar, zumal sich der Geschädigte unter der fortwirkenden Androhung weiterer Schläge in der abgeschlossenen Gefängniszelle dem Ge-schehen zu keinem Zeitpunkt entziehen konnte. Selbst die (theoretische) Mög-lichkeit, zu versuchen, durch Drücken des Notrufknopfes weitere Gewalt gegen ihn zu unterbinden, konnte angesichts der Einschüchterung des Geschädigten durch die vorangegangenen Gewalthandlungen die das Geschehen verbinden-de Zwangssituation nicht beseitigen. Das einheitliche Geschehen zum Nachteil des Geschädigten fand erst dann seinen Abschluss, als der Mitangeklagte Ho.
und mit ihm auch der Angeklagte gegen 23.00 Uhr den Entschluss fassten, den Geschädigten nun nicht mehr weiter anzugehen (UA S.
23).
2. Gleichwohl kann der Schuldspruch im Tatkomplex B.IV.2 keinen Be-stand haben, denn das Landgericht hat in den Fällen, in denen sich der Ange-klagte nicht
aktiv am Geschehen beteiligte, sondern in der Zelle umherlief oder zum Zellenfenster hinaussah, rechtsfehlerhaft eine mittäterschaftliche Tatbege-hung verneint.
a) Mittäter ist, wer nicht nur fremdes Tun fördert, sondern einen eigenen Tatbeitrag derart in eine gemeinschaftliche Tat einfügt, dass sein Beitrag als Teil der Tätigkeit des anderen und umgekehrt dessen Tun als Ergänzung sei-nes eigenen Tatanteils erscheint. Ob ein Beteiligter ein so enges Verhältnis zur Tat hat, ist nach den gesamten Umständen,
die von seiner Vorstellung umfasst sind, in wertender Betrachtung zu beurteilen. Wesentliche Anhaltspunkte kön-nen der Grad des eigenen Interesses am Taterfolg, der Umfang der Tatbeteili-gung und die Tatherrschaft oder wenigstens der Wille zur Tatherrschaft
sein (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 15.
Januar 1991 -
5 StR 492/90, BGHSt 37, 289, 291 mwN). In Grenzfällen hat der Bundesgerichtshof dem Tatrichter für die ihm obliegende Wertung einen Beurteilungsspielraum eröffnet. Lässt das 44
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angefochtene Urteil erkennen, dass der Tatrichter die genannten Maßstäbe gesehen
und den Sachverhalt vollständig gewürdigt hat, so kann das gefunde-ne Ergebnis vom Revisionsgericht auch dann nicht als rechtsfehlerhaft bean-standet werden, wenn eine andere tatrichterliche Beurteilung möglich gewesen wäre oder sogar näher gelegen hätte (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Urteil vom 30.
Juni 2005 -
5 StR 12/05,
wistra 2005, 380, 381).
b) Das Landgericht hat diese Maßstäbe zwar erkannt;
es hat aber den Sachverhalt nicht vollständig gewürdigt, weil es die erforderliche Gesamtbe-trachtung der Tathandlungen nicht vorgenommen hat.
Dadurch hat sich das Landgericht den Blick dafür verstellt, dass der An-geklagte nach den Feststellungen durch seine Beteiligung am Anfang des Ge-schehens bewusst sowohl dem Geschädigten als auch dem Mitangeklagten Ho.
das Gefühl vermittelt hatte, zwei Mann stünden gegen einen. Ihm war von Anfang an auch
bewusst, dass der Geschädigte aus Angst vor weiteren Schlä-gen auch von dem Angeklagten die ihm zugefügten Demütigungen dulden wür-de (UA S.
28). Damit hat er aktiv an der Schaffung einer Bedrohungssituation mitgewirkt, welche die Tathandlungen des Mitangeklagten Ho.
ermöglichte, zumindest aber förderte. Diese von ihm mitgeschaffene Bedrohungssituation bestand auch
dann fort, wenn der Angeklagte lediglich in der Zelle auf-
und ab-ging oder sich am Fenster aufhielt (UA S.
17, 28).
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Die Wertung des Landgerichts, der Angeklagte habe bei den Tathand-lungen des Mitangeklagten Ho.
lediglich eine untergeordnete Rolle gespielt, blendet rechtsfehlerhaft das Zusammenspiel der jeweiligen Handlungen des Angeklagten und des Mitangeklagten Ho.
im
Gesamtgeschehen aus. Der
An-geklagte hat nicht nur die Situation, dass der Geschädigte sich zwei Gegnern gegenüber sah, bewusst geschaffen, er hat auch jeweils nach
Gewalthandlun-gen des Mitangeklagten Ho.
wieder selbst
den Geschädigten geschlagen
und hat damit zum Ausdruck gebracht, dass er die Handlungen des Ho.
billigt.
Auch wenn
chluss, den Ge-schädigten nun nicht mehr anzugehen, erst gegen 23.00 Uhr gefasst. Erst zu diesem Zeitpunkt endete die von dem Angeklagten geschaffene und bis dahin fortbestehende Bedrohungssituation.
Die Feststellungen zu den über drei Stunden andauernden und teils ge-meinsam, teils
einzeln vorgenommenen Einwirkungen des Angeklagten und des Mitangeklagten Ho.
auf den Geschädigten belegen damit ein
so enges Verhältnis des Angeklagten zu den Taten des Ho., dass sich seine Verurteilung insoweit lediglich als Gehilfe durch Unterlassen als rechtsfehlerhaft erweist.
Seine
Tatbeiträge fügen sich derart in eine gemeinschaftliche Tat ein, dass der
Beitrag des Angeklagten als Teil der Tätigkeit des Mitangeklagten und umge-kehrt dessen Tun als Ergänzung seines eigenen Tatanteils zu bewerten ist.
Dass der Angeklagte sich von den Handlungen des Mitangeklagten Ho.
distan-ziert habe, hat das Landgericht nicht festgestellt und wäre mit dem übrigen Tat-bild auch nicht vereinbar.
3. Angesichts der unrichtigen Bewertung des Gesamtgeschehens im Tatkomplex B.IV.2
kann auch der Teilfreispruch des Angeklagten vom Vorwurf der Beteiligung an dem vom Mitangeklagten Ho.
mit einem Besenstiel began-genen Sexualdelikt (Fall B.IV.2e, 2. Geschehensabschnitt der Urteilsgründe) 48
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keinen Bestand haben. Denn das insoweit festgestellte Tatgeschehen kann nur im Lichte der übrigen Taten zutreffend bewertet werden.
Waren die übrigen gegen den Geschädigten gerichteten Gewalthandlun-gen aber von einem Täterwillen des Angeklagten umfasst, lag es
fern, dass gerade der Einsatz des Besenstiels gegen den After des Geschädigten nicht vom Willen des Angeklagten getragen sein sollte, zumal der Besenstiel schon vorher zum Einsatz kam und der Angeklagte im Anschluss daran selbst mit dem Zellenschrubber auf den Geschädigten einschlug.
Mit dem unzutreffenden
Ansatz, es liege lediglich ein Unterlassen des Angeklagten vor,
hat sich das Landgericht
den Blick für die Frage verstellt, ob eine Handlung wie das Nachschieben des Besenstiels in Richtung des Afters
des Geschädigten durch den Mitangeklagten Ho.
bereits vorher, als der Ange-klagte selbst zuschlug und damit zur Einschüchterung des Geschädigten bei-trug, vom Vorsatz
des Angeklagten grundsätzlich umfasst war. Für einen Tat-vorsatz
spricht, dass der Angeklagte während des Tatgeschehens selbst mehr-fach heftige Schläge gegen den Geschädigten
austeilte, billigte, dass der Ge-schädigte von dem Mitangeklagten Ho.
gezwungen wurde, den Besenstiel in seinen After einzuführen,
des Besen-stielo.
mit dem Stiel des Zellenschrubbers derart heftig auf den Rücken des Geschädigten einschlug, dass der Zellenschrubber durchbrach (Fall B.IV.2f).
Vor diesem Hintergrund ist auch die Wertung
des Landgerichts nicht tragfähig, bei diesem Geschehen handele es sich um eine Eskalation, die ei-nem plötzlichen Impuls des Mitangeklagten Ho.
entsprang, und mit dem nicht zu rechnen war
(UA S.
31).
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Jedenfalls liegt ein durch den unrichtigen Ansatz des Landgerichts be-dingter,
durchgreifender Erörterungsmangel zur Frage
vor, ob ein vom Vorsatz des Angeklagten nicht umfasster Exzess des Mitangeklagten Ho.
gegeben war
oder ob -
was näher liegt -
der Angeklagte von vornherein auch mit einem sol-chen Vorgehen des Mitangeklagten einverstanden war. Dies gilt zumal ange-sichts der Erwägung des Landgerichts, dem Angeklagten sei es -
soweit er nicht selbst aktiv tätig wurde -
von Anfang an gleichgültig gewesen, ob und in welcher Form der Mitangeklagte Ho.
den Geschädigten weiter traktieren würde
(UA S.
32). Die Jugendkammer hätte daher jedenfalls den Umstand näher erör-tern müssen, dass der Angeklagte trotz des nach ihrer Wertung für den Ange-klagten unvorhersehbaren Übergriffs des Mitangeklagten auf den Geschädigten im Fall
B.IV.2e, 2. Geschehensabschnitt heftig mit eigenen Schlägen in das Geschehen eingegriffen hat, statt sich zu distanzieren.
4. Die Teilaufhebung zieht hinsichtlich der betroffenen Taten die Aufhe-bung der zugehörigen Einzelstrafen sowie des Gesamtstrafausspruchs nach sich. Der Senat hebt auch die von den Rechtsfehlern nicht betroffenen Einzel-strafen auf, um dem neuen Tatgericht eine einheitliche und bruchlose Strafzu-messung zu ermöglichen.
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5. Im Hinblick darauf, dass das Urteil gegen den Mitangeklagten Ho.
rechtskräftig ist, verweist der Senat die Sache im Umfang der Aufhebung an eine allgemeine Strafkammer des Landgerichts zurück.
Nack Wahl Graf
Jäger Sander
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Meta
08.02.2012
Bundesgerichtshof 1. Strafsenat
Sachgebiet: StR
Zitiervorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 08.02.2012, Az. 1 StR 427/11 (REWIS RS 2012, 9378)
Papierfundstellen: REWIS RS 2012, 9378
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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.
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