Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. 2 StR 483/14

2. Strafsenat | REWIS RS 2015, 5363

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BUNDESGERICHTSHOF

IM NAMEN DES VOLKES

URTEIL
2 StR 483/14
vom
16. September
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Totschlags

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2
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Der 2.
Strafsenat des [X.] hat in der Sitzung vom 16. Septem-ber
2015, an der teilgenommen haben:
[X.] am [X.]
Prof. Dr. Fischer,

[X.] am [X.]
Dr. [X.],
Prof. Dr. [X.],
[X.],
Richterin am [X.]
Dr. [X.],

Oberstaatsanwalt beim [X.]

in der Verhandlung,
[X.] beim [X.]

bei der Verkündung

als Vertreter der [X.],

Rechtsanwalt

als Verteidiger,

Justizangestellte

als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,

für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30. Juli 2014 mit den Feststellungen aufge-hoben.
2.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere [X.] zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer Frei-heitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt. Seine auf die [X.] sachlichen Rechts gestützte Revision hat Erfolg.

I.
Nach den Feststellungen des [X.]s bewohnte der später getötete

[X.]

, der Alkoholprobleme hatte, ab August 2013 [X.] in der
Wohnung des Angeklagten. Das Zusammenleben gestaltete sich anfangs [X.], später kam es zu Differenzen. So leistete

[X.]

keine Zah-
lung für die Nutzung der Wohnung, er beteiligte sich nicht an der Reinigung. 1
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Während er im [X.] des Angeklagten Fernsehen schaute, trank er Schnaps und rauchte, ohne zu lüften, was dem Angeklagten missfiel.
[X.] 2013 war der Besuch der Mutter des Angeklagten ange-kündigt. Aus diesem Grund forderte der Angeklagte

[X.]

auf, ihm
beim Aufräumen der Wohnung zu helfen. Nach Rückkehr von der Arbeit am 23.
Dezember 2013 gegen 12.15 Uhr stellte der Angeklagte fest, dass sein
Mit-bewohner noch keine Anstalten unternommen hatte aufzuräumen. Aus Ärger trank er zwei oder drei Bier. Daraufhin beschloss er zwischen 15.00 und 16.00 Uhr, zu einem ca. 800
m entfernten Imbiss zu fahren, um dort etwas zu [X.]. Auf der Fahrt dorthin ging
sein Roller kaputt; aus Frust hierüber trank er weiter Bier oder Apfelwein. Gegen 18.00 Uhr verließ der Angeklagte, der zwar nicht volltrunken war, aber "einen über den Durst" getrunken hatte, den Imbiss und schob seinen Roller zunächst, bis er ihn stehen
ließ, weil er sich nicht mehr in der Lage sah, ihn weiter zu schieben. Er lief nach Hause
und stellte dort fest, dass

[X.]

, der betrunken war und sich eingenässt hatte, in seinem
[X.] fernsah und rauchte. Zu Aufräumarbeiten war es nicht gekommen. Auf eine Strafpredigt des Angeklagten hin verteidigte sich

[X.]

damit, es
gehe ihm nicht gut. Anschließend tranken der Angeklagte und [X.]

ein weite-
res Bier, bevor der Angeklagte eine von [X.]

versteckt gehaltene Flasche
Kräuterschnaps entdeckte. Aus Verärgerung trank der Angeklagte hiervon [X.] und schüttete den Rest fort.
Auf Aufforderung des Angeklagten verließ

[X.]

das [X.]
des Angeklagten, der sich mit Kleidung
und seinen Arbeitsschuhen mit Stahl-kappen
in sein Bett legte und sogleich einschlief. Gegen 19.00 Uhr betrat

[X.]

mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,7 Promille das [X.]
des Angeklagten, kam zu Fall und stürzte in das Bett des Angeklagten. Er traf dabei mit seinem Kopf direkt auf das Gesicht des Angeklagten, bei dem sich 3
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infolge d[X.] ein Schneidezahn lockerte. Der Angeklagte, der einen Blutalko-holwert von 2,57 Promille aufwies, schreckte hoch, trat nach

[X.]

und "donnerte" ihn vom Bett hinunter. Anschließend übergab er sich. [X.]

rappelte sich auf und stürzte noch einmal auf das Bett des Angeklagten, der sich nunmehr enthemmt durch den Alkoholeinfluss entschloss, seinem Frust und Ärger über

[X.]

freien Lauf zu lassen. [X.] durch den Al-
kohol schlug er ihn mehrfach mit der Faust ins Gesicht und gegen den Kopf. Anschließend trat er

[X.]

mit voller Wucht von einem Stuhl hinunter,
auf den sich dieser gesetzt hatte.
Dem
am Boden liegenden
Geschädigten trat er sodann mehrfach, [X.], mit seinen Arbeitsschuhen gegen Kopf, Hals und Oberkörper. Auch nahm der Angeklagte den Kopf des

[X.]

und schlug ihn mehrfach wuchtig auf den Boden. Dabei war ihm trotz
seiner Alkoholisierung bewusst, dass [X.]

durch die zahlreichen wuchtigen
Schläge und Tritte zu Tode kommen konnte. Dies nahm er bei Ausführung der Tat billigend in Kauf.

[X.]

erlitt zahlreiche Hämatome und Einblutungen, außerdem
acht Rippenbrüche auf der rechten und
zwei auf der linken Seite. Zudem kam es zu einer Zertrümmerung des Mittelgesichts sowie zu einem Bruch des [X.]. Infolge weiter eingetretener Einblutungen in die [X.] sowie der Erschwerung der Atmung verstarb

[X.]

in der Nacht, spätestens
einige Stunden nach der Tat.
Zum Zeitpunkt der Tat war der Angeklagte in seiner Steuerungsfähigkeit erheblich eingeschränkt.
Der Angeklagte, der seinen Frust und Ärger nunmehr abreagiert hatte,
legte sich nach der Tat wieder schlafen und fand am nächsten Morgen den Leichnam seines Mitbewohners vor seinem Bett. Er schaffte ihn in d[X.] 5
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[X.] und reinigte die Wohnung. Zunächst war er bemüht, die Tat zu verde-cken, bevor er sich am 5.
Januar 2014 entschloss, sich der Polizei zu stellen.

II.
Die Revision des Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg. Die Annahme des [X.]s, der Angeklagte habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehan-delt, hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
1. Das [X.] hat festgestellt, dem Angeklagten sei trotz seiner [X.]isierung bewusst gewesen, dass

[X.]

durch die zahlreichen
wuchtigen Schläge und Tritte gegen Kopf, Hals und Oberkörper zu Tode [X.] konnte. Dies habe er bei Ausführung der Tat zumindest billigend in Kauf genommen.
2. Eine Beweiswürdigung hierzu fehlt
in den Urteilsgründen. Dies erweist sich aus zwei Gründen als fehlerhaft.
a) Das [X.] hat nicht mitgeteilt, wie sich der Angeklagte hinsicht-lich der subjektiven Tatseite eingelassen hat. Aus den Ausführungen der [X.] ergibt sich zwar, dass die Feststellungen zur Sache auf dem Ergebnis der Beweisaufnahme, insbesondere auf dem glaubhaften Geständnis des [X.], beruhen. Die im Folgenden wiedergegebenen Angaben des Ange-klagten beziehen sich aber lediglich auf den äußeren Geschehensablauf und enthalten keinerlei Hinweise, ob und in welcher Weise der Angeklagte sich hin-sichtlich des Tatvorsatzes eingelassen hat.
Aus §
267 StPO, der den Inhalt der Urteilsgründe festlegt, ergibt sich zwar nicht, dass das Gericht verpflichtet ist, eine Beweiswürdigung im Urteil 8
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vorzunehmen, in der die Einlassung des Angeklagten mitgeteilt und diese Ein-lassung unter Bewertung der sonstigen Beweismittel gewürdigt wird. Doch ist unter sachlich-rechtlichem Blickwinkel regelmäßig eine Wiedergabe der [X.] erforderlich, damit das Revisionsgericht nachprüfen kann, ob sich der Tatrichter unter Berücksichtigung der erhobenen Beweise eine tragfähige Grundlage für seine Überzeugungsbildung verschafft und das materielle
Recht richtig angewendet hat (vgl. [X.], 299; NStZ-RR 2013, 134, 135 m.w.N.; NStZ-RR 1999, 45; siehe auch: [X.] StraFO 2003, 133; [X.] StraFO 2003, 313). Es bedarf somit einer geschlossenen und zusammenhängenden Wiedergabe wenigstens der wesentlichen Grundzü-ge der Einlassung des Angeklagten, regelmäßig auch mit Blick auf die [X.], um die Beweiswürdigung des Tatrichters auf sachlichrechtliche Fehler hin überprüfen zu können. In den Urteilsgründen fehlt dies ebenso wie eine
Auseinandersetzung mit der Einlassung des Angeklagten. Schon deshalb ist das Urteil aufzuheben.
b)
[X.] hat auch nicht dargelegt, wie sie zu den [X.] zur subjektiven Tatseite gelangt ist. Darauf konnte
im vorliegenden Fall auch nicht deshalb verzichtet werden,
weil die Annahme bedingten Tötungsvor-satzes auf der Hand gelegen hätte. Vielmehr machten die Umstände des Falles eine eingehende Darlegung der Beweiswürdigung zur subjektiven Tatseite er-forderlich.
Bedingten Tötungsvorsatz hat, wer den Eintritt des Todes als mögliche Folge seines Handelns erkennt (Wissenselement) und billigend in Kauf nimmt (Willenselement). Beide Elemente müssen durch tatsächliche Feststellungen belegt werden. Ihre Bejahung oder Verneinung kann nur auf der Grundlage [X.] Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände erfolgen (vgl. [X.], 699). Dabei ist die auf der Grundlage der dem Täter be-13
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kannten Umstände zu bestimmende objektive Gefährlichkeit der Tathandlung ein wesentlicher Indikator (vgl. [X.], 443, 444). Bei der Würdigung des Willenselements sind
neben der konkreten Angriffsweise regelmäßig auch die Persönlichkeit des [X.], sein psychischer Zustand zum Tatzeitpunkt und seine Motivation mit in die Betrachtung einzubeziehen (BGHR StGB §
212 Abs.
1 Vorsatz, bedingter 51; [X.], 267, 268; NStZ-RR 2009, 372).
Es kann bei äußerst gefährlichen Gewalthandlungen zwar nahe liegen, dass der Täter damit rechnet, dass sein Opfer zu Tode kommen könnte,
und er dies billigend in Kauf nimmt, wenn er gleichwohl sein gefährliches Handeln be-ginnt oder fortsetzt. Aber immer ist auch die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Täter die Gefahr der Tötung nicht erkannt oder jedenfalls darauf [X.] hat, ein solcher Erfolg werde nicht eintreten. Liegen -
wie hier
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Umstände vor, die auf diese Möglichkeit hinweisen, muss sich der Tatrichter damit ausei-nander setzen (vgl. BGHR StGB §
212 Abs.
1 Vorsatz bedingter 41 m.w.N.).
Trotz der gefährlichen Schläge und Tritte des Angeklagten, die zu den massiven Verletzungen des [X.] und schließlich zu seinem Tod geführt haben, kann schon zweifelhaft sein, ob dem Angeklagten tatsächlich bewusst war, dass

[X.]

zu Tode kommen könne. Er war hochgradig alkoholi-
siert
und
wurde von

[X.]

, als dieser auf das Gesicht des Angeklag-
ten stürzte, schmerzhaft aus dem Schlaf gerissen
und erschreckt; gleich da-nach musste er
sich übergeben. Ob dem durch die [X.] ohnehin affektiv aufgeladenen Angeklagten angesichts des überraschenden Sturzes des [X.] in sein Bett
und der vorhandenen, zu erheblich eingeschränkter
Steuerungsfähigkeit führenden Alkoholisierung im Zeitpunkt des Übergriffs wirk-lich die möglichen Folgen seines spontanen Tuns bewusst waren
und er
auch einen tödlichen Ausgang in seine Überlegungen einbezogen hatte, hätte jeden-15
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falls über die bloße Feststellung hinaus auch deshalb eingehenderer Würdigung bedurft, weil der Angeklagte sich nach seinen Gewalthandlungen ohne Weite-res
wieder schlafen legte und das Tatopfer vor seinem Bett liegen ließ. Insoweit wäre zumindest zu erörtern
gewesen, ob dies nicht ein gravierender
Beleg für einen womöglich wenig orientierten Zustand des Angeklagten sein könnte, der (lediglich) seinen Ärger abreagiert und die Auswirkungen seiner Handlungen nicht realistisch abgeschätzt haben könnte. Dies gilt um so mehr, als der Tod des Opfers nicht unmittelbar nach den Übergriffen des Angeklagten, sondern erst im weiteren Verlauf der Nacht eingetreten ist.
Es versteht sich auch angesichts der erheblichen Verletzungen, die

[X.]

erlitten hat, nicht von sich selbst, dass sich der Angeklagte, selbst
wenn davon auszugehen wäre, dass er die mögliche Tödlichkeit
der dem Opfer beigefügten Verletzungen erkannt haben sollte, mit d[X.] Tod abgefunden hat. Schon der Umstand, dass der Angeklagte in einer affektaufgeladenen und von der Alkoholisierung der beiden Beteiligten geprägten Situation seinen Frust und Ärger abreagiert hat, ist ein Umstand, der gegen die Schlussfolgerung sprechen könnte, der Angeklagte habe im Zeitpunkt der Schläge und Tritte den Tod des Opfers billigend in Kauf genommen, und deshalb vom [X.] hät-te erörtert werden müssen. Gleiches gilt für die vom [X.] getroffene Feststellung, dass der Angeklagte am nächsten Morgen, als er den Tod von

[X.]

feststellte, über die Tat erschrocken und von Angst und Schuld-
gefühlen geplagt war. Auch dies hätte -
trotz begrenzter Aussagekraft dieser zeitlich nach der Tat liegenden Umstände
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jedenfalls erörtert werden müssen, 17
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weil es unter Umständen Rückschlüsse auf die innere Verfassung des Ange-klagten zu dem
ihm vorgeworfenen [X.] im Tatzeitpunkt zulässt. Nicht zu-letzt hätte sich das [X.] auch im Rahmen des voluntativen [X.] mit der Alkoholisierung des Angeklagten und der dadurch bedingten er-heblich eingeschränkten Steuerungsfähigkeit auseinander setzen müssen.
Fischer [X.] [X.]

Eschelbach [X.]

Meta

2 StR 483/14

16.09.2015

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 16.09.2015, Az. 2 StR 483/14 (REWIS RS 2015, 5363)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 5363

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