Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 17.11.2022, Az. IX ZR 42/22

9. Zivilsenat | REWIS RS 2022, 9358

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Gegenstand

Insolvenzverfahren gegen den eine KGaA und Emittentin von Schuldverschreibungen: Vergütungsanspruch des gemeinsamen Vertreters von Schuldverschreibungsgläubigern


Tenor

Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 5. Zivilkammer des [X.] vom 19. Januar 2022, berichtigt durch Beschluss vom 8. Februar 2022, im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als der Beklagte zur Zahlung von 654,50 € nebst Zinsen verurteilt worden ist.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des [X.] vom 2. Dezember 2019 wird auch insoweit zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin hält [X.], welche die zwischenzeitlich insolvente [X.] (fortan: Schuldnerin) ausgegeben hat. Nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin wurde der Beklagte durch Mehrheitsbeschluss der Gläubigerversammlung, an welcher die Klägerin nicht teilnahm, zum gemeinsamen Vertreter der Gläubiger bestellt.

2

In der Folgezeit zahlte der Insolvenzverwalter an den Beklagten einen Abschlag auf die zu erwartende Quote. Der Beklagte leitete den auf die Klägerin entfallenden Betrag an diese weiter, behielt jedoch einen Betrag in Höhe von 1,1 % der Nominalhöhe der Schuldverschreibung zuzüglich Mehrwertsteuer, insgesamt 654,50 €, als Abschlag auf seine Vergütung ein.

3

Die Klägerin hat die Auszahlung des einbehaltenen Betrages nebst Zinsen, die Erstattung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen sowie die Feststellung verlangt, dass ihr Anspruch aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung des Beklagten stamme. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat den Beklagten unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung zur Zahlung von 654,50 € nebst Zinsen verurteilt. Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision will der Beklagte die Wiederherstellung des Urteils des Amtsgerichts erreichen.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

5

Da die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht erschienen war, ist antragsgemäß durch Versäumnisurteil zu entscheiden. Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis, sondern auf einer Sachprüfung (vgl. [X.], Urteil vom 4. April 1962 - [X.], [X.]Z 37, 79, 82).

I.

6

Das Berufungsgericht hat, soweit noch von Interesse, ausgeführt: Der Anspruch der Klägerin folge aus § 675 Abs. 1, § 667 BGB. Das Verhältnis zwischen dem gemeinsamen Vertreter und dem Gläubiger richte sich nach [X.]. Aus der Bestellung zum gemeinsamen Vertreter folge jedoch kein Vergütungs- und Aufwendungsersatzanspruch des gemeinsamen Vertreters gegen den Gläubiger. Der Vergütungsanspruch richte sich vielmehr ausschließlich gegen den Schuldner. Eine ergänzende Vertragsauslegung in dem vom Beklagten gewünschten Sinne komme angesichts der gesetzlichen Regelung des § 7 Abs. 6 [X.] nicht in Betracht. Auch die Voraussetzungen einer Vertragsanpassung wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 BGB lägen nicht vor. [X.] entfielen, weil die Leistungen des Beklagten nicht [X.] erbracht worden seien und es an einer Zweckvereinbarung der Parteien fehle.

II.

7

Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

8

1. Grundlage des Begehrens der Klägerin ist § 667 BGB in entsprechender Anwendung. Das Rechtsverhältnis zwischen dem nach § 19 Abs. 2 [X.] von der Gläubigerversammlung bestellten gemeinsamen Vertreter und den Gläubigern richtet sich, soweit das Schuldverschreibungsgesetz keine abweichenden Bestimmungen trifft, nach den Vorschriften der §§ 675, 667 ff BGB ([X.], Urteil vom 10. März 2022 - [X.], [X.], 617 Rn. 8 mwN). Der Beklagte ist verpflichtet, das, was er aus seiner Tätigkeit nach § 19 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 [X.] erlangt hat, an die Klägerin herauszugeben.

9

2. Der nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Emittenten bestellte gemeinsame Vertreter der Anleihegläubiger ist jedoch berechtigt, die ihm zustehende angemessene Vergütung nebst Auslagen der auf den einzelnen Anleihegläubiger entfallenden Quote zu entnehmen (vgl. [X.], Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 10 ff).

a) Der von der Gläubigerversammlung bestellte gemeinsame Vertreter hat Anspruch auf eine angemessene Vergütung. Dieser Anspruch richtet sich zwar grundsätzlich gegen den Schuldner (vgl. § 7 Abs. 6 [X.]). Das gilt auch nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners. Auch dann steht dem gemeinsamen Vertreter kein selbständig durchsetzbarer Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Vergütung gegen den einzelnen Gläubiger zu (vgl. [X.], Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 11 f mwN).

b) Der Vergütungsanspruch berechtigt den gemeinsamen Vertreter jedoch, die angemessene Vergütung und seine Auslagen der auf den einzelnen Gläubiger entfallenden Quote zu entnehmen. Grundlage der Entnahmebefugnis ist der nach § 19 Abs. 2 Satz 1 [X.] gefasste Mehrheitsbeschluss der Gläubiger. Das Schuldverschreibungsgesetz schützt den einzelnen Gläubiger nicht vor Mehrheitsbeschlüssen, die sich nachteilig auf dessen Hauptforderung auswirken. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf das bereits zitierte [X.]surteil vom 10. März 2022 (aaO Rn. 13 ff) Bezug genommen. Die Höhe der geltend gemachten Vergütung ist als Vorschuss nicht zu beanstanden ([X.], Urteil vom 10. März 2022, aaO Rn. 20).

3. Das [X.]surteil vom 10. März 2022 ist überwiegend kritisch aufgenommen worden (vgl. die Anmerkungen von Bork, [X.], 845, 850 f; [X.]/[X.], [X.], 454; [X.], [X.], 1033; [X.]/Wintzer, EWiR 2022, 371; hinsichtlich der Begründung auch [X.], [X.], 277). Der [X.] hat die Kritik zur Kenntnis genommen, hält aber an seiner Auffassung fest.

III.

Das angefochtene Urteil kann folglich keinen Bestand haben. Es ist aufzuheben, soweit zum Nachteil des Beklagten erkannt worden ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da die Aufhebung des Urteils nur wegen Rechtsverletzung bei Anwendung des Gesetzes auf das festgestellte Sachverhältnis erfolgt und nach letzterem die Sache zur Endentscheidung reif ist, hat der [X.] in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Berufung der Klägerin gegen das klagabweisende Urteil des Amtsgerichts wird auch hinsichtlich des [X.] zurückgewiesen.

Rechtsbehelfsbelehrung

Gegen dieses Versäumnisurteil steht der säumigen Partei der Einspruch zu. Dieser ist von einem bei dem [X.] zugelassenen Rechtsanwalt binnen einer Notfrist von zwei Wochen ab der Zustellung des Versäumnisurteils bei dem [X.], [X.] 45a, 76133 [X.], durch Einreichung einer Einspruchsschrift einzulegen.

Schoppmeyer     

  

Lohmann     

  

Schultz

  

Selbmann     

  

Harms     

  

Meta

IX ZR 42/22

17.11.2022

Bundesgerichtshof 9. Zivilsenat

Versäumnisurteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend LG Nürnberg-Fürth, 19. Januar 2022, Az: 5 S 8110/19

§ 7 Abs 6 SchVG, § 19 Abs 2 S 1 SchVG, § 19 Abs 3 SchVG, § 667 BGB, §§ 667ff BGB, § 675 BGB

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Versäumnisurteil vom 17.11.2022, Az. IX ZR 42/22 (REWIS RS 2022, 9358)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2022, 9358

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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