Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 902/21

7. Zivilsenat | REWIS RS 2024, 1599

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Tenor

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 4. Zivilsenats des [X.] vom 30. Juni 2021 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als die Klage betreffend eine deliktische Schädigung der Klägerin durch das Inverkehrbringen des in ihren Klageanträgen näher bezeichneten Fahrzeugs abgewiesen worden ist.

Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf bis zu 50.000 € festgesetzt.

Von Rechts wegen

Tatbestand

1

Die Klägerin nimmt die Beklagte hinsichtlich eines von ihr im April 2012 von der Beklagten als Neuwagen erworbenen und von der Beklagten hergestellten Fahrzeugs [X.] [X.] in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs [X.] ([X.]) ausgestattet. Die Abgasrückführung erfolgt unter anderem [X.] mittels eines sogenannten Thermofensters. Die Beklagte spielte im Rahmen einer Kundendienstmaßnahme ein Software-Update auf, ohne dass dies auf Vorgaben des Kraftfahrzeug-Bundesamtes ([X.]) beruhte.

2

Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte habe sie im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe sie den Kaufvertrag für das Fahrzeug nicht abgeschlossen. Mit der Klage hat sie zuletzt die Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung reduzierten Kaufpreises nebst Verzugszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug befinde, die Erstattung beziehungsweise Freistellung von vorprozessualen Rechtsanwaltskosten und die Feststellung der Erledigung des Rechtsstreits im Übrigen verlangt.

3

Das [X.] hat die Klage abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der von der Klägerin auf deliktsrechtliche Ansprüche beschränkten und vom Senat im Umfang der Anfechtung zugelassenen Revision verfolgt sie ihre Klageanträge weiter.

Entscheidungsgründe

4

Die Revision hat Erfolg.

I.

5

Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung, wie folgt begründet:

6

Die Voraussetzungen des § 826 BGB in Verbindung mit § 31 BGB lägen nicht vor; es fehle bereits an einer objektiv sittenwidrigen Schädigungshandlung der [X.]. Eine Haftung der [X.] aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV oder Art. 5 der Verordnung ([X.]) Nr. 715/2007 scheide mangels Schutzgesetzeigenschaft der Normen aus.

II.

7

Die Revision ist begründet. Sie führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

8

1. Allerdings begegnet es auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen keinen revisionsrechtlichen Zweifeln, dass das Berufungsgericht eine Haftung der [X.] gemäß §§ 826, 31 BGB und gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 263 StGB mangels vorsätzlichen und sittenwidrigen Verhaltens verneint hat. Hieran ist das Revisionsgericht gemäß § 559 Abs. 2 ZPO in Ermangelung eines zulässigen und begründeten Revisionsangriffs gebunden. Die Revision zeigt nicht auf, dass dem Berufungsgericht bei der Würdigung der von ihm festgestellten Tatsachen und des von ihm als zutreffend unterstellten Sachvortrags der Klägerin ein Rechtsfehler unterlaufen wäre (vgl. zur eingeschränkten revisionsgerichtlichen Prüfung [X.], Urteil vom 25. November 2021 - [X.] Rn. 32 m.w.N., [X.], 87). Sie legt auch nicht dar, dass das Berufungsgericht relevanten Sachvortrag oder Beweisantritte der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin (vgl. [X.], Urteil vom 13. Juli 2021 - [X.] Rn. 14, [X.], 1252; Beschluss vom 19. Januar 2021 - [X.]/19 Rn. 19, NJW 2021, 921; Beschluss vom 9. März 2021 - [X.] 889/20 Rn. 29, NJW 2021, 1814; Beschluss vom 14. März 2022 - [X.] Rn. 21, juris) übergangen hätte.

9

2. Im Lichte der nach Erlass der Entscheidung des Berufungsgerichts ergangenen neueren Rechtsprechung des [X.] kann allerdings eine Haftung der [X.] nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV auf Ersatz des [X.] nicht ausgeschlossen werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245).

Der [X.]. Zivilsenat des [X.] hat am 26. Juni 2023 entschieden, dass von § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV nach der gebotenen unionsrechtlichen Lesart das Interesse des Käufers geschützt ist, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden. Der [X.] habe in seinem Urteil vom 21. März 2023 (Az. [X.]/21) Art. 3 Nr. 36, Art. 18 Abs. 1, Art. 26 Abs. 1 und Art. 46 der Richtlinie 2007/46/[X.] im Sinne des Schutzes auch der individuellen Interessen des Käufers eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 VO ([X.]) Nr. 715/2007 ausgerüsteten Kraftfahrzeugs gegenüber dem Fahrzeughersteller ausgelegt. Den Schutz der individuellen Interessen des [X.] im Verhältnis zum Hersteller habe er dabei aus der in Art. 26 Abs. 1 der Richtlinie 2007/46/[X.] vorgesehenen Beifügung einer Übereinstimmungsbescheinigung für die Zulassung, den Verkauf oder die Inbetriebnahme des Fahrzeugs abgeleitet. Der [X.] habe das auf der Übereinstimmungsbescheinigung beruhende und unionsrechtlich geschützte Vertrauen des Käufers mit dessen Kaufentscheidung verknüpft und dem Unionsrecht auf diesem Weg einen von einer vertraglichen Sonderverbindung unabhängigen Anspruch des [X.] gegen den Fahrzeughersteller auf Schadensersatz "wegen des Erwerbs" eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung ausgestatteten Fahrzeugs entnommen. Das trage dem engen tatsächlichen Zusammenhang zwischen dem Vertrauen des Käufers auf die Ordnungsmäßigkeit des erworbenen Kraftfahrzeugs einerseits und der Kaufentscheidung andererseits Rechnung. Dieser Zusammenhang wiederum liege der Rechtsprechung des [X.] zu dem Erfahrungssatz zugrunde, dass ein Käufer, der ein Fahrzeug zur eigenen Nutzung erwerbe, in Kenntnis der Gefahr einer Betriebsbeschränkung oder -untersagung von dem Erwerb des Fahrzeugs abgesehen hätte. Dementsprechend könne der vom Gerichtshof geforderte Schutz des Käufervertrauens im Verhältnis zum Fahrzeughersteller, sollten [X.] vermieden werden, nur unter einer Einbeziehung auch der Kaufentscheidung gewährleistet werden (vgl. [X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.], [X.]Z 237, 245; Urteil vom 20. Juli 2023 - [X.]/20 Rn. 22, [X.] 2023, 1903). Der erkennende Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. Urteile vom 26. Oktober 2023 - [X.] und [X.], juris).

Diesem Anspruch steht, anders als die Beklagte meint, nicht entgegen, dass die Klägerin das Fahrzeug gewerblich nutzt (vgl. schon [X.], Urteile vom 20. November 2023 - [X.] ZR 661/21 Rn. 11, juris und [X.] ZR 1/21 Rn. 13, juris). Etwas anderes ergibt sich insbesondere nicht aus der Entscheidung des erkennenden Senats vom 6. Dezember 2018 ([X.]/17 Rn. 25 ff., [X.]Z 220, 270). Diese betrifft die Frage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der im Entzug der Gebrauchsmöglichkeit eines gewerblich genutzten Fahrzeugs liegende Schaden (§ 252 BGB) durch eine pauschalierte Nutzungsausfallentschädigung abgegolten werden kann. Um die Modalitäten der schadensrechtlichen Abgeltung fehlender Nutzungsmöglichkeit geht es hier indes nicht. Der auf Ersatz des [X.] gerichtete Anspruch nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 [X.]-FGV knüpft an die Enttäuschung des unionsrechtlich geschützten Käuferinteresses an, durch den Abschluss eines Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug nicht wegen eines Verstoßes des Fahrzeugherstellers gegen das [X.] Abgasrecht eine Vermögenseinbuße im Sinne der [X.] zu erleiden ([X.], Urteil vom 26. Juni 2023 - [X.] Rn. 30 ff., [X.]Z 237, 245).

III.

Danach ist das angefochtene Urteil im tenorierten Umfang aufzuheben und die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Eine Entscheidung in der Sache durch den Senat kommt nicht in Betracht, weil der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO).

[X.]     

      

Kartzke     

      

Borris

      

Brenneisen     

      

[X.]     

      

Meta

VII ZR 902/21

29.02.2024

Bundesgerichtshof 7. Zivilsenat

Urteil

Sachgebiet: ZR

vorgehend OLG Frankfurt, 30. Juni 2021, Az: 4 U 195/19

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Urteil vom 29.02.2024, Az. VII ZR 902/21 (REWIS RS 2024, 1599)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2024, 1599

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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