Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2010, Az. VI R 35/08

6. Senat | REWIS RS 2010, 5765

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Gegenstand

Regelmäßige Arbeitsstätte für Leiharbeitnehmer - Verpflegungsmehraufwand


Leitsatz

Ein Leiharbeitnehmer verfügt typischerweise nicht über eine regelmäßige Arbeitsstätte     .

Tatbestand

1

I. Streitig ist, ob der als Leiharbeitnehmer im Hafengebiet von [[X.].] tätige Kläger und Revisionskläger (Kläger) eine [[X.].]uswärtstätigkeit ausübte und daher Verpflegungsmehraufwendungen als Werbungskosten geltend machen kann.

2

Der Kläger ist bei [[X.].] angestellt. Der [[X.].] verleiht seine Bediensteten an verschiedene andere Firmen im Hafengebiet jeweils kurzfristig entsprechend dem jeweiligen Bedarf. [[X.].]uf dieser Grundlage ist der Kläger als Hafenarbeiter für andere Firmen im Hafengebiet von [[X.].] tätig.

3

Der Kläger und seine Ehefrau, die Klägerin und Revisionsklägerin, begehrten im Rahmen ihrer gemeinsamen Veranlagung zur Einkommensteuer die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen in Höhe von 1.236 € (206 Tage á 6 €) bei den Einkünften des [[X.].] aus nichtselbstständiger [[X.].]rbeit. Dazu brachte der Kläger vor, dass sein [[X.].]rbeitsgebiet alle Häfen in [[X.].] mit dazugehörigen Hallen und Lagerräumen umfasse und die verschiedenen Einsatzorte im nördlichen Hafengebiet bis zu 5 km auseinander lägen.

4

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --F[[X.].]--) lehnte im streitigen Einkommensteuerbescheid sowie im Einspruchsbescheid die Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen ab. Der Kläger sei keiner Einsatzwechseltätigkeit nachgegangen, sondern nur an verschiedenen Stellen eines einheitlichen weiträumigen [[X.].]rbeitsgebiets tätig geworden. Dementsprechend habe der [X.] in seinem Urteil vom 11. [[X.].]pril 2006 [X.] ([X.], 2237) die Tätigkeit eines Festmachers in einem überschaubaren Teil eines Hafengebiets auch als [[X.].]rbeit an derselben Tätigkeitsstätte bewertet.

5

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage auf Berücksichtigung von Verpflegungsmehraufwendungen aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 242 veröffentlichten Gründen ab.

6

Der Kläger macht mit der Revision die Verletzung materiellen Rechts geltend.

7

Er beantragt sinngemäß,

das Urteil des [X.] vom 18. Februar 2008 sowie die Einspruchsentscheidung vom 7. November 2007 aufzuheben und den streitigen Einkommensteuerbescheid des Veranlagungszeitraums 2006 vom 1. März 2007 dahingehend abzuändern, dass bei den Einkünften des [[X.].] aus nichtselbstständiger [[X.].]rbeit weitere Werbungskosten in Höhe von 1.236 € berücksichtigt werden.

8

Das F[[X.].] beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

9

II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [[X.].] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --[[X.].]O--).

1. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes in der im streitigen Veranlagungszeitraum 2006 geltenden Fassung (EStG) i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Sätze 1 und 2 EStG kann ein Arbeitnehmer Mehraufwendungen für seine Verpflegung dann als Werbungskosten abziehen, wenn er vorübergehend von seiner Wohnung und dem [[X.].] entfernt beruflich tätig ist. Nach § 9 Abs. 5 Satz 1 EStG i.V.m. § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 3 EStG gilt dies entsprechend, wenn er bei seiner individuellen beruflichen Tätigkeit typischerweise nur an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten oder auf einem Fahrzeug tätig wird. Auf dieser Grundlage ist nach der Rechtsprechung des erkennenden [[X.].]s erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwand einkommensteuerrechtlich zu berücksichtigen, wenn sich der Arbeitnehmer aus beruflichen Gründen auf einer Auswärtstätigkeit befunden hat (geänderte Rechtsprechung seit den [[X.].] vom 11. Mai 2005 [[X.].], [[X.].], 502, [[X.].] 2005, 782; VI R 16/04, [[X.].], 518, [[X.].] 2005, 789, unter [[X.].] und [[X.].] der Gründe).

a) [[X.].] i.S. des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 2 EStG und (regelmäßige) Arbeitsstätte i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG ist jeweils jede dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nachhaltig, fortdauernd und immer wieder aufsucht. Das ist regelmäßig im Betrieb des Arbeitgebers oder im Zweigbetrieb der Fall (vgl. zuletzt [[X.].]surteile vom 18. Dezember 2008 [[X.].], [[X.].], 111, [[X.].] 2009, 475; vom 18. Juni 2009 [[X.].], [[X.].], 59, [[X.].] 2010, 564; vom 21. Januar 2010 [[X.].]/08, [[X.].], 85), nicht aber bei der Tätigkeitsstätte in einer betrieblichen Einrichtung des Kunden des Arbeitgebers ([[X.].]surteile vom 10. Juli 2008 VI R 21/07, [[X.].], 391, [[X.].] 2009, 818; vom 9. Juli 2009 VI R 21/08, [[X.].], 449, [[X.].] 2009, 822).

b) [[X.].] und regelmäßige Arbeitsstätte im vorgenannten Sinne sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der Arbeitnehmer in unterschiedlicher Weise auf die immer gleichen Wege einstellen und so auf eine Minderung der Wegekosten etwa durch die Bildung von Fahrgemeinschaften, die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und gegebenenfalls sogar durch die entsprechende Wohnsitznahme hinwirken kann. Für diesen Fall erweist sich die Regelung des § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG als sachgerechte und folgerichtige Ausnahme vom objektiven Nettoprinzip (vgl. [[X.].]surteile vom 11. Mai 2005 [[X.].], [[X.].], 523, [[X.].] 2005, 791; in [[X.].], 391, [[X.].] 2010, 564; in [[X.].], 111, [[X.].] 2009, 475).

c) Auf Grundlage der gesetzlich angelegten und in der vorgenannten Weise gerechtfertigten Zweiteilung der Berücksichtigung von Erwerbsaufwendungen unterscheiden sich regelmäßige Arbeitsstätte/[[X.].] von Auswärtstätigkeit nach der mittlerweile ständigen Rechtsprechung des erkennenden [[X.].]s nicht danach, ob der Arbeitnehmer aus einer ex post-Betrachtung tatsächlich an einem bestimmten Ort für längere Zeit tätig gewesen war, sondern danach, ob sich der Arbeitnehmer zu Beginn der jeweiligen Tätigkeit ("ex ante") darauf hatte einrichten können, dort dauerhaft tätig zu sein. Deshalb hatte der [[X.].] auch die Frage, ob eine Tätigkeitsstätte beim Kunden des Arbeitgebers eine regelmäßige Arbeitsstätte sein kann, verneint. Denn selbst dann, wenn der Arbeitnehmer jahrelang bei einem bestimmten Kunden seines Arbeitgebers tätig gewesen sein sollte, hatte sich der Arbeitnehmer darauf typischerweise nicht einstellen können.

2. Gemessen daran lag beim Kläger eine Auswärtstätigkeit vor, die grundsätzlich zum Abzug erwerbsbedingter Verpflegungsmehraufwendungen berechtigt.

a) Denn der Kläger kam weder an einer regelmäßigen Arbeitsstätte noch an einem [[X.].] im vorgenannten Sinne zum Einsatz. Der Kläger war im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit an jeweils verschiedenen Orten des [[X.].] bei jeweils unterschiedlichen Auftraggebern seines Arbeitgebers tätig. Der Kläger ging seiner beruflichen Tätigkeit in keinen betrieblichen Einrichtungen seines Arbeitgebers, sondern jeweils in solchen der diversen Kunden seines Arbeitgebers nach. Und der Kläger konnte sich als Leiharbeitnehmer insbesondere nicht darauf einrichten, an einem bestimmten [[X.].]/regelmäßigen Arbeitsstätte dauerhaft tätig zu sein. Denn als Leiharbeitnehmer war er typischerweise stets bei Kunden seines Arbeitgebers tätig. Damit war es zwar nicht ausgeschlossen, dass der Kläger auch längerfristig an einer bestimmten Tätigkeitsstätte zum Einsatz hätte kommen können, dies war aber letztlich von der konkreten Ausgestaltung und Dauer der jeweiligen vertraglichen Beziehung zwischen dem Arbeitgeber und dessen Kunden abhängig.

b) Das [[X.].] kann sich schließlich auch nicht auf das [[X.].]surteil in [[X.].], 2237 berufen, das davon ausgegangen war, dass ein Festmacher im Hafen von [X.] keine Einsatzwechseltätigkeit ausübte. Denn nach dem in jenem Verfahren festgestellten und mit Revisionsrügen nicht angegriffenen Sachverhalt hatte dort kein Leiharbeitnehmerverhältnis vorgelegen. Andererseits liegen im Streitfall nach dem festgestellten Sachverhalt auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger bei den jeweiligen Auftraggebern seines Arbeitgebers jeweils länger als drei Monate ununterbrochen tätig war (§ 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 Satz 5 EStG).

c) Für den Streitfall kann schließlich auch dahinstehen, ob dann, wenn ein Leiharbeitnehmer vom Verleiher für die gesamte Dauer seines Dienstverhältnisses dem Entleiher überlassen wird, etwas anderes gilt (in diesem Sinne offensichtlich Schreiben des [X.] vom 21. Dezember 2009 [X.] - [X.], [X.], [X.], Beispiel 3). Denn im Streitfall war der Kläger jeweils nur kurzfristig für diverse Kunden seines Arbeitgebers tätig, so dass jedenfalls kein solcher Sonderfall vorgelegen hat.

3. [X.] ist nicht spruchreif. Das [[X.].] hat --auf Grundlage seiner Rechtsauffassung zu [X.] noch keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Kläger tatsächlich, wie mit der Einkommensteuererklärung geltend gemacht, an 206 Tagen des [X.] jeweils zwischen 8 und 14 Stunden an den verschiedenen Einsatzorten im Hafen als an ständig wechselnden Tätigkeitsstätten beschäftigt gewesen war. Die diesbezüglichen Feststellungen wird das [[X.].] im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben und die Sache an das [[X.].] zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Meta

VI R 35/08

17.06.2010

Bundesfinanzhof 6. Senat

Urteil

vorgehend Niedersächsisches Finanzgericht, 18. Februar 2008, Az: 4 K 1/07, Urteil

§ 9 Abs 5 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 1 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 2 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 3 EStG 2002, § 4 Abs 5 S 1 Nr 5 S 5 EStG 2002

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 17.06.2010, Az. VI R 35/08 (REWIS RS 2010, 5765)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2010, 5765

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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4 Sa 1541/12

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