Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.07.2016, Az. I R 40/14

1. Senat | REWIS RS 2016, 7906

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Gegenstand

(Ausschluss früherer Beamter vom Richteramt - Aufhebung und Zurückverweisung bei Verstoß des FG gegen § 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 41 Nr. 4 ZPO)


Leitsatz

NV: Eine (Finanz-)Beamtin, die Vertreterin einer Behörde war (hier: eine vormalige Sachgebietsleiterin des FA) und nunmehr Richterin wird, ist von der Mitwirkung an allen Sachen ausgeschlossen, die bereits vor ihrer Übernahme in das Richterverhältnis anhängig waren und somit von ihr hätten vertreten werden können .

Tenor

Auf die Revision des [X.] wird das Urteil des [X.], [X.], vom 19. Dezember 2013  3 K 1189/13 aufgehoben.

Die Sache wird an das [X.], [X.], zurückverwiesen.

Diesem wird die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens übertragen.

Tatbestand

1

I. Der im Inland wohnende und hier auch im Sinne des Abkommensrechts ansässige Kläger und Revisionskläger (Kläger) arbeitete seit 1998 in [X.] bei einem dortigen Unternehmen als Vizedirektor. Seine im Streitjahr (2010) erzielten [X.] wurden vom Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --[X.]--) der Besteuerung unterworfen, weil der [X.] das Besteuerungsrecht daran nach der Grenzgängerregelung des Art. 15a des Abkommens zwischen der [X.] und [X.]erischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 ([X.] 1972, 1022, BStBl I 1972, 519) i.d.[X.] vom 21. Dezember 1992 ([X.] 1993, 1888, [X.], 928) zustehe.

2

Dagegen wendete sich der Kläger mit seinem im August 2012 erhobenen Einspruch; der Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung des [X.] vom 27. Februar 2013 als unbegründet zurückgewiesen. Die anschließend (am 4. April 2013) erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht ([X.]) [X.], [X.], hat sie mit Urteil vom 19. Dezember 2013  3 K 1189/13 unter Mitwirkung von Richterin am [X.] als unbegründet abgewiesen.

3

Gegen das [X.]-Urteil richtet sich die Revision des Klägers.

4

Der Kläger beantragt, das [X.]-Urteil und den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

5

Das [X.] beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

6

II. Die [X.]evision ist begründet und führt gemäß § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung ([X.]O) zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das [X.] zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung. Das angefochtene Urteil kann keinen Bestand haben, weil [X.] für den Streitfall von der Ausübung des [X.]amts ausgeschlossen ist.

7

1. Nach der gemäß § 51 Abs. 1 [X.]O im [X.] sinngemäß anwendbaren Bestimmung des § 41 Nr. 4 der Zivilprozessordnung (ZPO) ist [X.] von der Ausübung des [X.]amts kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er in der Sache als Prozessbevollmächtigter oder Beistand einer Partei bestellt oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei aufzutreten berechtigt ist oder gewesen ist. Durch den Ausschluss soll die Mitwirkung einer Gerichtsperson verhindert werden, für die auch nur die abstrakte Möglichkeit bestand, den Streitpunkt bereits aus der Sicht eines Beteiligtenvertreters zu sehen (Urteil des [X.] --BFH-- vom 4. Juli 1990 II [X.] 65/89, [X.] 161, 8, [X.] 1990, 787). Da für den Tatbestand des § 41 Nr. 4 ZPO ein tatsächliches Auftreten als Vertreter nicht erforderlich ist ([X.] in Tipke/[X.], Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 51 [X.]O [X.]z 9), ist ein ([X.], der kraft Gesetzes oder aufgrund erteilten generellen oder einzelnen Auftrags Vertreter einer Behörde war und nunmehr [X.] wird, von der Mitwirkung an allen Sachen, in denen diese Behörde Beteiligte ist, ausgeschlossen, die bereits vor seiner Übernahme in das [X.]verhältnis anhängig waren und somit von ihm hätten vertreten werden können (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2016 I B 159/15, juris; [X.] in [X.]/[X.]/[X.], § 51 [X.]O [X.]z 24; Schoenfeld in [X.], [X.]O § 51 [X.]z 27; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 8. Aufl., § 51 [X.]z 11; s. auch BFH-Urteil in [X.] 161, 8, [X.] 1990, 787 zur Ausschließung eines [X.]s, der zum Zeitpunkt des Erlasses der Einspruchsentscheidung [X.] war).

8

2. In Bezug auf [X.] liegt eine solche Konstellation hier vor. Ausweislich der Angaben des [X.], die für das [X.] durch Vorlage des betreffenden [X.] belegt sind, war [X.] vom 1. Oktober 2010 bis 30. September 2013 Sachgebietsleiterin und zugleich Stellvertreterin desjenigen [X.], der die [X.]echtsbehelfsstelle des [X.] geleitet hat, in welcher im Februar 2013 auch über den Einspruch des hiesigen Klägers entschieden worden ist. [X.] war außerdem aufgrund einer Generalvollmacht des Vorstehers des [X.] vom 22. August 2012 ermächtigt worden, das [X.] in allen stattfindenden Terminen beim [X.] zu vertreten und alle Erklärungen für und gegen das [X.] abzugeben. Die Generalvollmacht bestand noch, als die Klage bereits beim [X.] anhängig war. Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob [X.] seinerzeit tatsächlich mit der Streitsache befasst gewesen ist (Senatsbeschluss vom 7. Juni 2016 I B 159/15, juris).

9

3. Da die Ausschließung unverzichtbar und in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu beachten ist, steht der Aufhebung und Zurückverweisung nicht entgegen, dass die Beteiligten die Besetzung des [X.] weder vor dem [X.] noch im [X.]ahmen des [X.]evisionsverfahrens gerügt haben.

4. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 [X.]O.

Meta

I R 40/14

20.07.2016

Bundesfinanzhof 1. Senat

Urteil

vorgehend Finanzgericht Baden-Württemberg, 19. Dezember 2013, Az: 3 K 1189/13, Urteil

§ 51 Abs 1 S 1 FGO, § 41 Nr 4 ZPO, § 126 Abs 3 S 1 Nr 2 FGO

Zitier­vorschlag: Bundesfinanzhof, Urteil vom 20.07.2016, Az. I R 40/14 (REWIS RS 2016, 7906)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2016, 7906

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