Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.02.2015, Az. 4 StR 11/15

4. Strafsenat | REWIS RS 2015, 15109

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
4 StR 11/15

vom
24. Februar
2015
in der Strafsache
gegen

wegen Misshandlung von [X.] u.a.

-
2
-
Der 4.
Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 24.
Februar 2015 gemäß §
46 Abs.
1, §
349 Abs.
2 und Abs.
4 [X.] beschlossen:

1.
Dem Angeklagten wird auf seinen Antrag und seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der Frist zur Begründung der Revision gegen das Urteil des [X.] vom 30.
September 2014 gewährt.
Damit ist der Beschluss des [X.] vom 2.
Dezember 2014 gegenstandslos.
2.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des [X.] vom 30.
September 2014 mit den [X.] aufgehoben, soweit der Angeklagte wegen [X.] Schutzbefohlener in vier Fällen verurteilt worden ist, und im Ausspruch über die Gesamtstrafe.
Die weiter gehende Revision des Angeklagten wird verwor-fen.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-tels, an eine andere als Jugendschutzkammer zuständige Strafkammer des [X.]s zurückverwiesen.

-
3
-
Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Misshandlung Schutzbe-fohlener in vier Fällen und wegen Körperverletzung in 24
Fällen zu einer Ge-samtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, die er

verbunden mit einem Antrag auf Wiedereinsetzung in die versäumte [X.]

auf die Sachrüge stützt. Der [X.] hat Erfolg. Die Revision führt zur Aufhebung der [X.] wegen Misshandlung Schutzbefohlener und der Gesamtstrafe; im Übrigen ist sie unbegründet.
1.
Dem Angeklagten ist aus den vom [X.] in der [X.] vom 27.
Januar 2015 dargelegten Gründen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Versäumung der [X.] zu gewäh-ren. Damit ist der das Rechtsmittel als unzulässig verwerfende Beschluss des [X.]s vom 2.
Dezember 2014 gegenstandslos.
2.
Die Revision des Angeklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Verurteilung wegen Körperverletzung in 24
Fällen zum Nachteil seiner früheren Ehefrau richtet

349 Abs.
2 [X.]). Dagegen hat sie hinsichtlich der Verurteilung wegen Misshandlung Schutzbefohlener in vier Fällen Erfolg.
a)
Insofern begegnet schon die Beweiswürdigung zu den Misshandlun-gen der Kinder J.

und R.

durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
1
2
3
4
-
4
-
aa)
Die Beweiswürdigung ist zwar Sache des Tatrichters (§
261 [X.]). Die zur richterlichen Überzeugung erforderliche persönliche Gewissheit des Richters setzt aber objektive Grundlagen voraus, die aus rationalen Gründen den Schluss auf das festgestellte Geschehen zulassen müssen. Das ist der Nachprüfung durch das Revisionsgericht zugänglich. Deshalb müssen die
Urteilsgründe erkennen lassen, dass die Beweiswürdigung auf einer tragfähi-gen, verstandesmäßig einsehbaren Tatsachengrundlage beruht und die vom Gericht gezogene Schlussfolgerung nicht etwa nur eine Annahme ist oder sich als bloße Vermutung erweist, die letztlich nicht mehr als einen Verdacht zu
begründen vermag (vgl. etwa [X.], Beschlüsse vom 24.
März 2000

3
StR
585/99; vom 12.
Dezember 2001

5
StR
520/01, [X.], 235; [X.]/[X.], [X.], 57.
Aufl., §
261 Rn.
38, §
337 Rn.
26 jeweils mwN).
bb)
Dem wird die Beweiswürdigung des [X.]s hinsichtlich der Feststellungen zu den Misshandlungen der Kinder J.

und R.

nicht ge-
recht.
Nach den insofern getroffenen Feststellungen schlug der Angeklagte in -
bis viermal in der Woche, überwiegend mit der flachen Hand auf das Gesäß, aber auch in das Gesicht, außerdem mit den Fäusten auf den Körper, so dass die Kinder erheb-S.
11); darüber hinaus schloss der Angeklagte die Kinder mehrfach in [X.] ein ([X.] S.
12). Konkrete Ereignisse zum Nachteil dieser Kinder teilen die Urteilsfeststellungen

anders als bei E.

und Ja.

nicht mit.
Der Angeklagte hat zwar eingeräumt, seine Kinder etwa jeden dritten 5
6
7
8
-
5
-
bestreitet er indes. Seine Überzeugung, dass
der Angeklagte (auch) J.

und
R.

misshandelt habe, stützt die Strafkammer im Wesentlichen auf die Anga-

-
bis viermal in der Woche Schläge S.
15); J.

und R.

15 und 18).
Auf
Grund dieser hinsichtlich der Häufigkeit und der Art sowie der Inten-sität der Schläge widersprüchlichen, zudem Faustschläge auf den Körper, die auch bei J.

und R.

n
Schmerzen, Blutergüssen, Schwel-

stätigenden Angaben der Zeu-gin ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Grundlage die Strafkammer die Fest-stellungen zu diesen Misshandlungen von J.

und R.

getroffen hat. Die
Feststellungen hierzu werden auch nicht dadurch plausibel, dass der damals drei bis sechs Jahre alte Ja.

-

21) und ein
(lediglich) verlesener Bericht des [X.] mitteilt, dass im Kindergarten bemerkt worden sei, dass J.

häufig blaue Flecken
gehabt
und dazu einmal
geäußert habe, dass ihr Vater sie geschlagen und getreten habe ([X.] S.
23). Denn insbesondere hinsichtlich der häufigen blauen Flecke kann Bedeutung haben, dass die Zeugin selbst eingeräumt hat, ihre Kinder

auch mit einem Kochlöffel

geschlagen zu haben ([X.] S.
19).
b)
Im Übrigen begegnet aber

hinsichtlich aller vier Fälle

die rechtliche Bewertung der Misshandlungen der Kinder durch den Angeklagten als Quälen im Sinne
des §
225 Abs.
1 StGB durchgreifenden rechtlichen Bedenken.
9
10
-
6
-
aa)

e-gelmäßig drei-

sowie dem Einsperren für den Tatzeitraum von 2008 bis 2011 konkret lediglich
auf einen Vorfall zum Nachteil von Ja.

und E.

(Schläge auf das Gesäß,
so dass diese kaum mehr laufen konnten) und vier weitere Vorfälle zum Nach-teil von Ja.

(Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöf-
fel, Schlag des Kopfes
von Ja.

gegen eine Wand, Verabreichen von Bier).
bb)
Damit ist ein Quälen im Sinne
des §
225 Abs.
1 StGB jedoch nicht hinreichend belegt.
(1)
Quälen im Sinne dieser Vorschrift bedeutet das Verursachen länger dauernder oder sich wiederholender Schmerzen oder Leiden, die über die typi-schen Auswirkungen der festgestellten einzelnen Körperverletzungshandlungen hinausgehen. Mehrere Körperverletzungshandlungen, die für sich genommen noch nicht den Tatbestand des §
225 Abs.
1 StGB erfüllen, können als ein Quä-len im Sinne dieser Vorschrift zu beurteilen sein, wenn erst die ständige Wie-derholung den gegenüber §
223 StGB gesteigerten Unrechtsgehalt ausmacht. In diesem Fall werden die jeweiligen Einzelakte zu einer tatbestandlichen Hand-lungseinheit und damit
einer den Tatbestand des §
225 Abs.
1 StGB verwirk-lichenden Tat zusammengefasst. Ob sich mehrere Körperverletzungen zu einer als Quälen zu bezeichnenden Tathandlung zusammenfügen, ist auf Grund
einer Gesamtbetrachtung zu entscheiden. Regelmäßig wird es dabei erfor-derlich sein, dass sich die festgestellten einzelnen Gewalthandlungen als ein äußerlich und innerlich geschlossenes Geschehen darstellen. Dabei sind räum-liche und situative Zusammenhänge, zeitliche Dichte oder eine sämtliche Ein-zelakte prägende
Gesinnung mögliche Indikatoren. In subjektiver Hinsicht ist es erforderlich, dass der Täter bei jeder Einzelhandlung den Vorsatz hat, dem Op-11
12
13
-
7
-
fer sich wiederholende erhebliche Schmerzen oder Leiden zuzufügen, die über die typischen Verletzungsfolgen hinausgehen, die mit der aktuellen Körperver-letzungshandlung verbunden sind (zum Ganzen: [X.], Beschluss vom
20.
März 2012

4
StR
561/11,
NStZ 2013, 466, 467 m. Anm. [X.]/[X.] mwN).
(2)
Ausgehend hiervon wird der Schuldspruch wegen vier Fällen der Misshandlung von [X.] im Sinne von §
225 Abs.
1 Nr.
1 StGB von den Feststellungen nicht getragen. Denn das [X.] hat nicht festgestellt, dass die Gewalthandlungen jeweils zu länger andauernden Schmerzen geführt haben, die über die typischen Auswirkungen der festgestellten Körperverletzung l-ö-rung bei Ja.

aufgeführt. Soweit das [X.]

wie
seine Ausführungen in
der rechtlichen Würdigung nahelegen

davon ausgegangen ist, dass erst durch die Vielzahl der körperlichen Übergriffe ein Quälen im Sinne von §
225 Abs.
1 StGB bewirkt worden ist, begegnet auch eine Zusammenfassung aller festgestellh-greifenden rechtlichen Bedenken. Der Begriff des Quälens in §
225 Abs.
1 StGB setzt zwar nicht notwendig voraus, dass zwischen den einzelnen Teilak-ten ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Intervalle von mehreren Ta-gen, bis hin zu einigen Wochen, können daher unschädlich sein, wenn das [X.] auf Grund anderer Umstände innerlich und äußerlich geschlos-sen bleibt; mehrere Monate oder sogar Jahre auseinander liegende Körperver-letzungshandlungen werden in der Regel aber nicht mehr als eine einzige dem Opfer bereitete Qual verstanden werden können ([X.] aaO). Die allgemein ge-haltene Feststellung des [X.]s, wonach der Angeklagte von 2008 bis -
bis viermal in mag zwar ausreichen, um objektiv die Annahme einer sich über vier Jahre hin-14
-
8
-
ziehenden tatbestandlichen Handlungseinheit zu rechtfertigen, sie ist aber für sich genommen nicht geeignet, auch die innere Tatseite einer Handlungseinheit tragfähig zu belegen. Denn nach den Feststellungen ging es dem Angeklagten

11). Dies spricht dafür, dass jeder Einzeltat ein anlassbezogener neuer Tatent-schluss des Angeklagten zu Grunde lag. Ein übergreifender Vorsatz, der auf die Zufügung sich wiederholender und über die konkreten Tatfolgen hinausgehen-der erheblicher Schmerzen oder Leiden gerichtet ist, wird dadurch nicht belegt.
c)
Durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnet die rechtliche Würdi-gung der Strafkammer auch, soweit sie bei Ja.

neben dem Quälen den Tat-
bestand der rohen Misshandlung (§
225 Abs.
1 StGB) bejaht.
Insofern verweist das [X.] zwar auf drei der Misshandlungen des Kindes (Schlag auf das Auge, Schlag auf das Gesäß mit einem Kochlöffel, Schlag des Kopfes von Ja.

gegen eine Wand), die Ausführungen lassen es
aber als jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheinen, dass es dabei

zumal es hinsichtlich Ja.

lediglich eine
Misshandlung Schutzbefohlener angenommen
hat

davon ausgegangen ist, die drei Körperverletzungen seien erst in ihrer Gesamtheit als eine rohe Misshandlung zu bewerten. Anders als das Quälen bezieht sich diese Tatalternative des §
225 Abs.
1 StGB jedoch stets auf ein
15
16
-
9
-
einzelnes Körperverletzungsgeschehen (vgl. [X.], Beschluss vom 28.
Februar 2007

5
StR
44/07, [X.], 405).
Sost-Scheible
Roggenbuck
Franke

Mutzbauer
Quentin

Meta

4 StR 11/15

24.02.2015

Bundesgerichtshof 4. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 24.02.2015, Az. 4 StR 11/15 (REWIS RS 2015, 15109)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2015, 15109

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4 StR 511/15

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4 StR 11/15

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