Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.12.2020, Az. 5 C 9/19

5. Senat | REWIS RS 2020, 4365

© Bundesverwaltungsgericht, Foto: Michael Moser

Tags hinzufügen

Sie können dem Inhalt selbst Schlagworten zuordnen. Geben Sie hierfür jeweils ein Schlagwort ein und drücken danach auf sichern, bevor Sie ggf. ein neues Schlagwort eingeben.

Beispiele: "Befangenheit", "Revision", "Ablehnung eines Richters"

QR-Code

Gegenstand

Kostenbeitrag für Einkommen aus einer Werkstatt für behinderte Menschen


Leitsatz

1. Für die Berechnung des Kostenbeitrags, den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe einzusetzen haben, ist gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres maßgeblich.

2. Der Jugendhilfeträger hat gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 SGB VIII nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden, ob er von der Erhebung eines Kostenbeitrags ganz oder teilweise absieht, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient.

Tenor

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des [X.] vom 9. Mai 2019 wird zurückgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Revisionsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1

Die Beteiligten streiten über die Erhebung von Kostenbeiträgen für die Gewährung von Hilfe für junge Volljährige.

2

Die 1993 geborene Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt und wird von einer Berufsbetreuerin betreut. Der beklagte [X.] ist Träger der Jugendhilfe und gewährte ihr Hilfe für junge Volljährige in Form der vollstationären Unterbringung in einem Wohnheim für behinderte Menschen. Seit Dezember 2014 arbeitete sie in einer von einem freien Träger betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen, für die der [X.] als überörtlicher Träger der Sozialhilfe (Sozialhilfeträger) die Kosten trug. In dem hierüber mit dem freien Träger abgeschlossenen Werkstattvertrag waren ein vom Arbeitsergebnis abhängiges Arbeitsentgelt sowie ein Arbeitsförderungsgeld vereinbart. Von Dezember 2014 bis Juli 2016 erzielte die Klägerin für ihre Tätigkeit Entgelte von durchschnittlich rund 134 € im Monat. Davon wurden ihr nach Abzug eines "[X.]", der an den Sozialhilfeträger abgeführt und später von diesem an den Beklagten überwiesen wurde, monatlich im Durchschnitt rund 95 € ausgezahlt.

3

Mit Leistungsbescheid vom 15. Februar 2016 setzte der Beklagte ab dem 1. Dezember 2014 einen monatlichen Kostenbeitrag fest, den er ohne Berücksichtigung der an den Sozialhilfeträger abgeführten Beträge aus dem durchschnittlichen monatlichen Bruttoeinkommen der Klägerin abzüglich eines pauschalen Betrages in Höhe von 25 Prozent berechnete. Auf den Widerspruch der Klägerin änderte er den Leistungsbescheid mit Widerspruchsbescheid vom 22. August 2016. Den für Dezember 2014 festgesetzten Kostenbeitrag hob er auf und setzte für den Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Juli 2016 monatliche Kostenbeiträge fest, deren Berechnung er das in den jeweiligen Monaten erzielte und um die an den Sozialhilfeträger abgeführten Beträge verminderte Einkommen der Klägerin zugrunde legte, woraus sich eine Verpflichtung der Klägerin zu einer Nachzahlung in Höhe von 1 373,95 € ergab.

4

Die dagegen erhobene Klage hat in beiden Vorinstanzen Erfolg gehabt. Das Oberverwaltungsgericht hat zur Begründung insbesondere darauf abgestellt, sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem systematischen Zusammenhang des § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] folge, dass auch bei der Heranziehung kostenbeitragspflichtiger junger Menschen wie der Klägerin Kostenbeiträge auf der Grundlage des durchschnittlichen Monatseinkommens des Vorjahres zu berechnen und festzusetzen seien. Außerdem habe der Beklagte nicht gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] nach pflichtgemäßem Ermessen entschieden, ob von der Erhebung eines [X.] ganz oder teilweise abgesehen werden solle. Der [X.] sei erfüllt, weil die Tätigkeit der Klägerin in der Werkstatt für behinderte Menschen zu einem wesentlichen Teil der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft und damit zugleich der ihr gewährten Jugendhilfeleistung diene.

5

Hiergegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision. Er macht im Wesentlichen geltend, § 93 Abs. 4 [X.] sei vom Wortlaut her zu weit gefasst und aus teleologischen Gründen nur auf die Berechnung des Einkommens bei solchen [X.]pflichtigen anwendbar, die zu Unterhaltsleistungen verpflichtet seien, nicht aber bei den jungen Menschen selbst. Der Gesetzgeber habe mit der Einführung des § 93 Abs. 4 [X.] die Abrechnungsmodalitäten bei kostenbeitragspflichtigen jungen Menschen nicht verändern wollen, bei denen die Anwendung dieser Vorschrift zu unbilligen und aus pädagogischer Sicht nicht sinnvollen Ergebnissen führe. Die Ermessensregelung in § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] sei ihrem Wortlaut nach sowie aus systematischen und teleologischen Gründen eng auszulegen und erfasse nur Tätigkeiten, bei denen ein gemeinnütziges Engagement im Vordergrund stehe.

6

Die Klägerin verteidigt die angegriffene Entscheidung.

7

Der Vertreter des [X.] beim [X.] beteiligt sich am Verfahren und unterstützt im Einvernehmen mit dem [X.], Frauen und Jugend die Revision des Beklagten.

Entscheidungsgründe

8

Die Revision ist nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es steht im Einklang mit den streitigen Regelungen des [X.] - ([X.]) i.d.F. der Bekanntmachung vom 11. September 2012 ([X.]), für den hier maßgeblichen Zeitraum zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 29. August 2013 ([X.]). Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass für die Berechnung des [X.], den junge Menschen bei vollstationären Leistungen der Jugendhilfe einzusetzen haben, gemäß § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] das durchschnittliche Monatseinkommen des Vorjahres maßgeblich ist und dass der Jugendhilfeträger gemäß § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden hat, ob er von der Erhebung eines [X.] ganz oder teilweise absieht, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit in einer Werkstatt für behinderte Menschen stammt, die dem Zweck der Jugendhilfeleistung dient.

9

Zwischen den Beteiligten steht zu Recht nicht im Streit, dass die Klägerin für den hier in Rede stehenden Zeitraum vom 1. Januar 2015 bis zum 31. Juli 2016 als junge Volljährige [X.]. § 7 Abs. 1 Nr. 3 [X.] dem Grunde nach gemäß § 91 Abs. 1 Nr. 8 i.V.m. Nr. 5 Buchst. b und § 92 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 [X.] aus ihrem Einkommen nach Maßgabe der §§ 93 und 94 [X.] zu einem Kostenbeitrag zu den ihr gemäß § 41 i.V.m. § 34 [X.] gewährten vollstationären Leistungen heranzuziehen ist.

Sie gehen, was die Kostenbeteiligung der Höhe nach betrifft, auch übereinstimmend zu Recht davon aus, dass für die Berechnung des Einkommens § 93 Abs. 1 [X.] maßgeblich ist, weil § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] mit dem Begriff "Einkommen" darauf verweist. Einigkeit besteht insofern zutreffenderweise auch darüber, dass nur solche Einkünfte in Geld oder Geldeswert gemäß § 93 Abs. 1 [X.] als Einkommen zu berücksichtigen sind, die der Klägerin im maßgeblichen Zeitraum tatsächlich zugeflossen sind (vgl. zu dem insoweit geltenden Zuflussprinzip z.B. [X.], Urteil vom 19. März 2013 - 5 C 16.12 - [X.] 436.511 § 93 [X.] Nr. 4 Rn. 23 f.).

Unstreitig ist schließlich zu Recht, dass, wie bereits vom Verwaltungsgericht ([X.] ff.) ausgeführt, zwischen dem Einkommen aus der Werkstatt für behinderte Menschen und der Jugendhilfeleistung keine [X.]. § 93 Abs. 1 Satz 3 [X.] besteht. Streit besteht zwischen den Beteiligten allein darüber, ob bei der Ermittlung des zugrunde zu legenden Einkommens § 93 Abs. 4 [X.] anzuwenden ist (1.) und ob der [X.] verpflichtet war, von dem ihm in § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] eingeräumten Ermessen Gebrauch zu machen (2.). Beides ist der Fall.

1. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass bei der Berechnung des [X.] der Klägerin § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] anzuwenden ist. Danach ist das durchschnittliche Monatseinkommen maßgeblich, das die kostenbeitragspflichtige Person in dem Kalenderjahr erzielt hat, welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung vorangeht. § 93 Abs. 4 [X.] findet auch dann Anwendung, wenn sich der Umfang der Heranziehung wie im Fall der Klägerin nach § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] richtet, der bestimmt, dass u.a. junge Menschen bei vollstationären Leistungen nach Abzug der in § 93 Abs. 2 [X.] genannten Beträge 75 Prozent ihres Einkommens als Kostenbeitrag einzusetzen haben. Das folgt aus Wortlaut (a), Systematik (b) sowie Sinn und Zweck des § 93 Abs. 4 [X.] (c), die Voraussetzungen für eine teleologische Reduktion im Hinblick auf den vom Gesetzgeber mit § 93 Abs. 4 [X.] verfolgten Zweck liegen nicht vor (d).

a) Für die Geltung des § 93 Abs. 4 [X.] bei der Heranziehung junger Menschen spricht bereits der klare Wortlaut der Vorschrift. Dieser stellt auf das Monatseinkommen der "kostenbeitragspflichtigen Person" ab und erfasst damit uneingeschränkt alle kostenbeitragspflichtigen Personen, die nach § 92 Abs. 1 [X.] aus ihrem Einkommen heranzuziehen sind. Das sind gemäß § 92 Abs. 1 Nr. 1 und 2 i.V.m. § 7 Abs. 1 Nr. 4 [X.] auch junge Menschen i.S.d. § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.].

b) Das [X.] wird durch die systematische Stellung des Absatzes 4 innerhalb des § 93 [X.] sowie durch das Verhältnis von § 93 zu § 94 [X.] bestätigt (aa). § 94 Abs. 6 [X.] steht dem nicht entgegen (bb).

aa) [X.] ergänzt § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] den Einkommensbegriff in § 93 Abs. 1 [X.]. § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] bestimmt sowohl den maßgeblichen Zeitraum ("Kalenderjahr [...], welches dem jeweiligen Kalenderjahr der Leistung oder Maßnahme vorangeht") als auch die Art und Weise der Berechnung des Einkommens ("das durchschnittliche Monatseinkommen") und ist deshalb Teil des Einkommensbegriffs des § 93 Abs. 1 [X.]. Überdies spricht, wie das Oberverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das [X.] (Urteil vom 14. Dezember 2018 - 3 A 7642/16 - juris Rn. 25) zu Recht ausführt, für eine Anwendbarkeit des § 93 Abs. 4 [X.] bei der Heranziehung junger Menschen gemäß § 94 Abs. 6 [X.] die systematische Stellung der §§ 93 und 94 [X.] innerhalb des Zweiten Abschnitts des [X.] des [X.]. Die §§ 91 bis 94 [X.] regeln jeweils selbstständige Voraussetzungen für die Erhebung von [X.] für stationäre und teilstationäre Leistungen sowie vorläufige Maßnahmen und bauen grundsätzlich aufeinander auf. So normiert § 93 [X.] die Berechnung des Einkommens, die Voraussetzung für die Ermittlung des Umfangs der Heranziehung nach § 94 [X.] ist. Das rechtfertigt die Annahme, dass die Einkommensberechnungsregelungen des § 93 [X.] grundsätzlich für die Heranziehungsregelungen in § 94 [X.] gelten, soweit dort nichts anderes geregelt ist.

bb) § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] wird nicht durch die Regelung über den Umfang der Heranziehung junger Menschen in § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] verdrängt.

In diese Richtung weist bereits der Wortlaut des § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.], der zwar ausdrücklich die Anwendbarkeit der Abzugsregelung des § 93 Abs. 2 [X.] regelt, zu § 93 Abs. 4 [X.] aber keine Regelung trifft.

Dafür, dass § 93 Abs. 4 [X.] auch bei der Heranziehung junger Menschen nach § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] anzuwenden ist, spricht maßgeblich die systematische Auslegung der Regelung. § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] bezieht sich mit der Wendung "[...] haben [...] 75 Prozent ihres Einkommens [...] einzusetzen" auf den Einkommensbegriff in § 93 Abs. 1 [X.]. Von dieser Bezugnahme ist auch § 93 Abs. 4 [X.] umfasst, der § 93 Abs. 1 [X.] durch die Festlegung des maßgeblichen Zeitraums sowie der Berechnungsweise ergänzt und damit Teil des Einkommensbegriffs ist. Aus dem Umstand, dass in § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] ausdrücklich nur die Abzugsregelung des § 93 Abs. 2 [X.] genannt wird, ergibt sich nichts Gegenteiliges. Daraus folgt nur, dass § 93 Abs. 3 [X.] bei der Heranziehung junger Menschen gemäß § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] nicht gilt, sondern durch einen prozentualen Abschlag von 25 Prozent ersetzt wird (vgl. [X.]. 16/9299 S. 19). Die Bezugnahme des § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] auf den Einkommensbegriff des § 93 Abs. 1 und 4 [X.] bleibt davon unberührt. Das gilt umso mehr, als auch die übrigen Absätze des § 94 [X.] uneingeschränkt auf § 93 [X.] Bezug nehmen, sodass es einer hinreichend eindeutigen Regelung bedurft hätte, wenn der Gesetzgeber davon mit § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] über die Nichtanwendung von § 93 Abs. 3 [X.] hinaus hätte abweichen wollen.

Die Gesetzgebungsgeschichte des § 94 Abs. 6 [X.] und des § 93 Abs. 4 [X.] bestätigt diese Auslegung. Nach der Einführung des heutigen § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] durch Art. 1 Nr. 20 Buchst. b des Gesetzes zur Förderung von Kindern unter drei Jahren in Tageseinrichtungen und in [X.] (Kinderförderungsgesetz - [X.]) vom 10. Dezember 2008 ([X.] I S. 2403) führte der darin sinngemäß angeordnete Ausschluss des § 93 Abs. 3 [X.] zwar zunächst nur dazu, dass das bei der Ermittlung des [X.] zugrunde zu legende Einkommen lediglich nach § 93 Abs. 1 und 2 [X.] zu bestimmen war. Daraus folgt für das Verhältnis zu § 93 Abs. 4 [X.] jedoch nichts, weil diese Regelung erst später durch das Gesetz zur Verwaltungsvereinfachung in der Kinder- und Jugendhilfe (Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz - [X.]) vom 29. August 2013 ([X.]) eingefügt worden ist. In der Gesetzesbegründung dazu fehlt aber jeglicher Hinweis darauf, dass § 93 Abs. 4 [X.] für die Heranziehung von jungen Menschen nach § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] nicht gelten soll (vgl. [X.]. 17/13023 S. 14 f.). Dies wiegt umso schwerer, als der Gesetzgeber mit dem Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz nicht nur § 93 Abs. 4 [X.], sondern auch in § 94 Abs. 6 [X.] die Sätze 2 und 3 angefügt und mit dieser neuen Ermessensregelung die Heranziehung u.a. junger Menschen zu einem Kostenbeitrag modifiziert hat, ohne hierfür zugleich die Geltung des § 93 Abs. 4 [X.] auszuschließen oder seine entsprechende Vorstellung zumindest in der Gesetzesbegründung zum Ausdruck zu bringen.

Etwas anderes ergibt sich entgegen der Auffassung des [X.]n auch nicht im Hinblick auf § 1 Abs. 1 [X.], wonach jeder junge Mensch ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit hat. Denn die in § 94 Abs. 6 [X.] neu angefügten Sätze 2 und 3 sollen ausweislich der Gesetzesbegründung ([X.]. 17/13023 [X.]) gerade der Übernahme von Eigenverantwortung durch die jungen Menschen Rechnung tragen, sodass der Gesetzgeber die in § 1 Abs. 1 [X.] formulierten Ziele der Kinder- und Jugendhilfe bei der Ausgestaltung der [X.]regelung nicht außer Acht gelassen hat.

Durch die Anwendung des § 93 Abs. 4 [X.] wird der Zweck des § 94 Abs. 6 [X.], junge Menschen im Hinblick auf ihre Verselbstständigung und Vorbereitung auf ein eigenverantwortliches Leben an ihrem notwendigen Lebensunterhalt zu beteiligen, der im Rahmen ihrer vollstationären Unterbringung vom Jugendhilfeträger voll finanziert wird, nicht infrage gestellt. Die Heranziehung nach Maßgabe des durchschnittlichen Monatseinkommens des Vorjahres verlangt einen anderen Umgang mit dem erzielten Einkommen, lässt sich aber ebenso als geeignet ansehen, eine eigenverantwortliche Lebensführung zu unterstützen (vgl. [X.], Urteil vom 3. Februar 2017 - 1 K 568/16 - juris Rn. 29 f.; [X.], Urteil vom 14. Dezember 2018 - 3 A 7642/16 - juris Rn. 29 f.; [X.], Urteil vom 25. September 2019 - 12 BV 18.1274 - juris Rn. 37).

c) Entgegen der Ansicht des [X.]n gebietet auch der Zweck des § 93 Abs. 4 [X.] kein anderes Verständnis. Mit der Einführung des § 93 Abs. 4 [X.] durch das Kinder- und Jugendhilfeverwaltungsvereinfachungsgesetz im Jahr 2013 verfolgte der Gesetzgeber insbesondere die Zielsetzungen, den in der Praxis bestehenden Unsicherheiten über den für die Berechnung maßgeblichen Zeitraum zu begegnen und gleichzeitig im Interesse der Verwaltungsvereinfachung die Erhebung eines [X.] zeitnah zur Leistung oder Maßnahme zu ermöglichen, um die kostentragungspflichtigen Kommunen in unmittelbarem Zusammenhang mit ihrer Belastung zu entlasten (vgl. [X.]. 17/13023 S. 14 f.). Anlass für die Schaffung einer Berechnungsregelung, die auf das durchschnittliche Monatseinkommen des Jahres abstellt, das der Jugendhilfeleistung vorangeht, waren zwar die Schwierigkeiten bei der Heranziehung Selbstständiger, deren Tätigkeit häufig durch hohe Schwankungen im Umsatz gekennzeichnet ist. Die Regelung ist aber nicht auf Selbstständige beschränkt worden. Im Vordergrund standen vielmehr unabhängig von bestimmten Gruppen von [X.] die Verwaltungsvereinfachung und leistungsnahe Entlastung der Jugendhilfeträger als solche, für die der Gesetzgeber als mögliche Folge auch eine komplette Freistellung der [X.]pflichtigen in Kauf genommen hat. Sachliche Unterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung bei der Heranziehung von Unterhaltspflichtigen einerseits und jungen Menschen andererseits zwingend gebieten würden, sind vor diesem Hintergrund nicht ersichtlich.

d) Dieses Auslegungsergebnis zu § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] ist nicht im Wege richterlicher Rechtsfortbildung zu korrigieren. Deren Voraussetzungen liegen nicht vor.

Die Befugnis zur Korrektur des Wortlauts einer Vorschrift steht den Gerichten nur begrenzt zu. Sie ist u.a. dann gegeben, wenn die Beschränkung des Wortsinns einer gesetzlichen Regelung aufgrund des vom Gesetzgeber mit ihr verfolgten [X.] geboten ist, die gesetzliche Regelung also nach ihrem Wortlaut Sachverhalte erfasst, die sie nach dem erkennbaren Willen des Gesetzgebers nicht erfassen soll. In einem solchen Fall ist eine zu weit gefasste Regelung im Wege der sogenannten teleologischen Reduktion auf den ihr nach Sinn und Zweck zugedachten Anwendungsbereich zurückzuführen. Ob eine planwidrige Gesetzeslücke als Voraussetzung einer teleologischen Reduktion vorliegt, ist nach dem Plan des Gesetzgebers zu beurteilen, der dem Gesetz zugrunde liegt (stRspr, vgl. etwa [X.], Urteile vom 25. März 2014 - 5 C 13.13 - [X.] 436.36 § 8 [X.] Nr. 14 Rn. 25, vom 23. April 2015 - 5 C 10.14 - [X.]E 152, 60 Rn. 21 und vom 28. Februar 2019 - 5 C 1.18 - [X.] 436.511 § 23 [X.] Nr. 4 Rn. 15).

Gemessen daran lässt sich schon nicht feststellen, dass die Regelung in § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] über die damit verfolgten Zwecke des Gesetzgebers hinausgeht. Es fehlt jeglicher Anhaltspunkt dafür, dass diese Berechnungsmodalitäten bei der Heranziehung junger Menschen keine Anwendung finden sollten und lediglich übersehen worden wäre, dass die Regelung alle [X.]pflichtigen erfasst. Ebenso wenig ist ersichtlich, dass die damit bezweckte Verwaltungsvereinfachung in der Gruppe junger Menschen von vornherein nicht erreicht werden könnte oder dass die Anwendung des § 93 Abs. 4 [X.] dem Ziel der Jugendhilfe zuwiderlaufen würde, den jungen Menschen bei einer eigenverantwortlichen Lebensführung zu unterstützen.

Darüber hinaus setzt eine teleologische Reduktion voraus, dass sich dem Plan des Gesetzgebers mit hinreichender Deutlichkeit entnehmen lässt, in welcher Weise die gesetzliche Regelung einzuschränken ist, um den Gesetzeszweck zu erreichen (vgl. [X.], Urteil vom 27. Februar 2020 - 5 C 5.19 - [X.]E 168, 15 Rn. 15). Daran fehlt es hier, weil neben der vom [X.]n anstelle der Berücksichtigung des [X.] befürworteten monatlichen Heranziehung aus dem Einkommen im Hilfezeitraum auch andere Lösungen, etwa die Berechnung anhand des zu Beginn des Jahres oder einer Beschäftigung erzielten monatlichen Durchschnittseinkommens, denkbar sind.

Weil der [X.] zur Ermittlung der monatlichen Kostenbeiträge der Klägerin für das [X.] nicht, wie nach § 93 Abs. 4 Satz 1 [X.] geboten, deren durchschnittliches Monatseinkommen aus dem [X.] und für das [X.] deren monatliches Durchschnittseinkommen aus dem [X.] zugrunde gelegt hat, ist die angegriffene Kostenerhebung rechtswidrig, soweit der [X.] zu hohe monatliche Kostenbeiträge sowie eine überhöhte Nachzahlung festgesetzt hat. Der Senat ist hier allerdings nicht gehalten, die zutreffende Höhe des monatlichen [X.] und einer etwaigen Nachzahlung zu ermitteln. Denn der angegriffene Kostenbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist auch aus anderen Gründen rechtswidrig und deshalb insgesamt aufzuheben.

2. Das Oberverwaltungsgericht hat zu Recht entschieden, dass die Kostenerhebung auch deshalb rechtswidrig ist, weil der [X.] das ihm in § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] eingeräumte Ermessen nicht ausgeübt hat. Danach kann ein geringerer Kostenbeitrag als nach § 94 Abs. 6 Satz 1 [X.] erhoben oder gänzlich von der Erhebung des [X.] abgesehen werden, wenn das Einkommen aus einer Tätigkeit stammt, die dem Zweck der Leistung dient. Das ist hier der Fall.

Die Tätigkeit der Klägerin dient dem Zweck der ihr gewährten Hilfe für junge Volljährige, die gemäß § 41 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 34 [X.] auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung sowie einer selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung des jungen Menschen gerichtet ist. Das Oberverwaltungsgericht hat für den Senat verbindlich (§ 137 Abs. 2 VwGO) festgestellt, dass die Arbeit der Klägerin in der Werkstatt für behinderte Menschen zum Ziel hat, ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln und ihr eine Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu ermöglichen, und ist auf der Grundlage dieser Tatsachenfeststellung zu Recht davon ausgegangen, dass diese Tätigkeit dem Zweck der ihr gewährten Hilfe für junge Volljährige dient.

Der Tatbestand des § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] ist nicht im Hinblick auf § 94 Abs. 6 Satz 3 [X.] einschränkend dahin auszulegen, dass das Ermessen nur bei Tätigkeiten im [X.] und kulturellen Bereich eröffnet wäre. Entgegen der Auffassung des [X.]n ist eine enge Auslegung des § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] nicht schon deshalb geboten, weil es sich um eine "Ausnahmeregelung" handeln würde. Dabei kann dahinstehen, ob § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] als solche zu qualifizieren ist. Denn auch [X.] sind nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen auszulegen und können je nach der ihnen innewohnenden Zweckrichtung einer einschränkenden oder ausdehnenden Auslegung zugänglich sein (stRspr, vgl. z.B. [X.], Urteile vom 7. November 1995 - 9 C 73.95 - [X.]E 100, 23 <30>, vom 26. November 2003 - 9 C 4.03 - [X.]E 119, 258 <260> und vom 16. März 2005 - 9 C 7.04 - [X.]E 123, 132 <136 f.>).

Der Wortlaut des § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.] ist insofern offen, als er uneingeschränkt alle Tätigkeiten erfasst, die dem Zweck der Leistung dienen. Gemäß § 94 Abs. 6 Satz 3 [X.] gilt die Ermessensregelung des Satzes 2 allerdings insbesondere, wenn es sich um eine Tätigkeit im [X.] oder kulturellen Bereich handelt, bei der nicht die Erwerbstätigkeit, sondern das [X.] oder kulturelle Engagement im Vordergrund stehen. Dem [X.]n ist einzuräumen, dass das Wort "insbesondere" üblicherweise vom Gesetzgeber verwendet wird, um Regelbeispiele einzuführen, die die Auslegung der Tatbestandsmerkmale steuern sollen, auf die sie sich beziehen (vgl. z.B. [X.], Urteil vom 29. August 2019 - 7 C 33.17 - [X.] 422.1 Presserecht Nr. 21 Rn. 16). In § 94 Abs. 6 Satz 3 [X.] hat der Gesetzgeber jedoch keine derartigen Regelbeispiele festgelegt. Die dort genannten Beispiele haben keinen Leitbildcharakter. Das Wort "insbesondere" wird hier vielmehr im Sinne von "das ist stets dann der Fall, wenn" verwendet und nicht im Sinne einer Definition des Merkmals "Tätigkeiten, die dem Zweck der Leistung dienen" in § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.]. Wie sich aus der Gesetzesbegründung (vgl. [X.]. 17/13023 [X.]) und den dort ausdrücklich angeführten Beispielen eindeutig ergibt, soll die Ermessensregelung nach dem Willen des Gesetzgebers für alle Fälle der Aufnahme einer bezahlten Tätigkeit gelten, "in denen der junge Mensch Eigeninitiative ergreift und sich verantwortungsbewusst gegenüber seinem Leben und seiner Zukunft zeigt". Dies entspricht dem sich ebenfalls aus der Gesetzesbegründung ergebenden Zweck des § 94 Abs. 6 Satz 2 [X.], den rechtlichen Spielraum zum Absehen von einer Kostenbeteiligung im Einzelfall im Vergleich zur vorherigen Rechtslage zu erweitern und solche Kostenbeteiligungen auszuschließen, die im Widerspruch zum Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe stehen. Dass § 92 Abs. 5 Satz 1 [X.] bereits eine Härtefallregelung vorsieht, steht dem nicht entgegen, weil der Gesetzgeber den Handlungsspielraum bei der Heranziehung junger Menschen in Kenntnis dieser Regelung erweitern, also gerade darüber hinausgehen wollte.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.

Meta

5 C 9/19

11.12.2020

Bundesverwaltungsgericht 5. Senat

Urteil

Sachgebiet: C

vorgehend Sächsisches Oberverwaltungsgericht, 9. Mai 2019, Az: 3 A 751/18, Urteil

§ 93 Abs 4 S 1 SGB 8, § 94 Abs 6 S 2 SGB 8

Zitier­vorschlag: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 11.12.2020, Az. 5 C 9/19 (REWIS RS 2020, 4365)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2020, 4365

Auf dem Handy öffnen Auf Mobilgerät öffnen.


Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

Ähnliche Entscheidungen

12 BV 18.1274 (VGH München)

Berechnung eines durchschnittlichen Monatseinkommens und Kostenbeitrags


3 A 7642/16 (Verwaltungsgericht Hannover)


RN 4 K 17.1236 (VG Regensburg)

maßgebliches Einkommen beim Kostenbeitrag zur Jugendhilfe


5 C 13/22 (Bundesverwaltungsgericht)

Berücksichtigung von Kfz-Kosten bei der Berechnung eines jugendhilferechtlichen Kostenbeitrags


5 C 3/17 (Bundesverwaltungsgericht)

Anrechnung von Betreuungsleistungen auf Kostenbeitrag


Referenzen
Wird zitiert von

Keine Referenz gefunden.

Zitiert

3 A 7642/16

Zitieren mit Quelle:
x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.