Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2011, Az. 2 StR 189/11

2. Strafsenat | REWIS RS 2011, 5624

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BUNDESGERICHTSHOF

BESCHLUSS
2 StR 189/11

vom
21.
Juni 2011
in der Strafsache
gegen

wegen
Vergewaltigung u.a.

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2
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Der 2. Strafsenat des [X.] hat nach Anhörung des [X.] und des Beschwerdeführers am 21.
Juni 2011 gemäß §
349 Abs.
2 und 4 StPO beschlossen:

1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-gerichts [X.] vom 6.
Dezember 2010 aufgeho-ben
a)
im Schuldspruch zu Fall
[X.] der Urteilsgründe;
jedoch bleiben die hierzu getroffenen Feststellungen [X.],
b)
im gesamten Strafausspruch mit den zugehörigen [X.],
c)
im [X.] mit den zugehörigen [X.], soweit die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet und von seiner Un-terbringung in einer Entziehungsanstalt abgesehen wur-de.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-lung und Entscheidung, auch über die Kosten des [X.]s, an eine andere Strafkammer des [X.] zurück-verwiesen.
3.
Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbe-gründet verworfen.
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Gründe:
Das [X.] hat den Angeklagten wegen Vergewaltigung in sieben tateinheitlichen Fällen in Tateinheit mit Körperverletzung in zwei Fällen und in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, ferner wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Bedrohung sowie wegen Körperverlet-zung in drei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verurteilt und seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung [X.]. Die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt hat es abgelehnt. Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt. Das [X.] ist in dem aus der Entscheidungsformel ersichtlichen Umfang begründet, im Übrigen unbegründet im Sinne von §
349 Abs.
2 StPO.

I.
Nach den Feststellungen des [X.] lernte der Angeklagte bei [X.] die Geschädigte als Mitpatientin in der Klinik kennen. Sie nahmen eine sexuelle Beziehung auf. Beide mussten deshalb die Klinik verlassen und setzten danach ihren Alkoholkonsum fort. Die Geschädigte zog nicht wieder bei ihrem Ehemann ein, wie es die zeitweise getrennt leben-den Eheleute geplant
hatten, sondern sie nahm den Angeklagten in ihre Woh-nung auf. Der Angeklagte wurde gewalttätig, wenn er befürchtete, dass die Ge-schädigte zu ihrem Ehemann zurückkehren könnte. Sie wollte sich nicht von ihrem Ehemann trennen, kehrte aber immer wieder zu dem [X.]. Vor diesem Hintergrund kam es zu den abgeurteilten Straftaten, die vom 1
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Angeklagten unter Alkoholeinfluss begangen wurden. Am 28.
August 2009 schlug er die Geschädigte anlässlich eines Streits ins Gesicht (Fall [X.] der Urteilsgründe). Einen Tag darauf schloss er sie in der Wohnung ein, schlug und würgte sie und drohte damit, sie zu töten (Fall III.2.). Am 19.
Februar 2010 box-te er sie auf den Mund, so dass eine Lippe aufplatzte (Fall III.3.). Würgen, Schläge ins Gesicht und Tritte des Angeklagten führten am 28.
Februar 2010 dazu, dass die Geschädigte neben Prellungen auch eine Kieferfraktur erlitt (Fall [X.]). Ungeachtet dieser Verletzung misshandelte der Angeklagte die [X.] ab dem 31.
März 2010 weiter und erzwang sexuelle Handlungen. An [X.] schloss er sie in der Wohnung ein, beschimpfte sie als "Schlampe"
und "Hure"
und verlangte den Geschlechtsverkehr, den sie zwar ablehnte, aber aus Angst vor weiterer Gewaltanwendung duldete. Am nächsten Tag verließ der Angeklagte zeitweise die Wohnung, schloss die Geschädigte auch während dieser Zeit ein und verlangte nach seiner Rückkehr erneut Geschlechtsverkehr, worauf sie "Widerworte"
gab, die er mit Drohungen und Schlägen parierte. Er erzwang dann den Oral-
und Vaginalverkehr. Am 2.
April 2010 folgten weitere Schläge des Angeklagten in die Rippen des Opfers, dem er mindestens dreimal den Geschlechtsverkehr abnötigte, am 3.
April 2010 [X.]. Erst am 5.
April 2010 ließ der Angeklagte die Geschädigte zu ihrem [X.] zurückkehren. Sie hatte Rippenbrüche und eine Nasenbeinfraktur erlitten (Fall [X.]).

II.
Die Verfahrensrügen des Angeklagten sind unbegründet. Die [X.] führt aber zur Aufhebung des Schuldspruchs im Fall [X.] der Urteils-gründe, sowie zur Aufhebung des Straf-
und [X.]s.
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1.
Das [X.] hat angenommen, die [X.] im Fall [X.] seien in natürlicher Handlungseinheit begangen worden. Das trifft nicht zu. Die andauernde Freiheitsberaubung im Sinne von §
239 Abs.
1 StGB ist nicht dazu geeignet, die Sexualdelikte zur Tateinheit zu verklammern (vgl. BGHR StGB §
52 Abs.
1 Klammerwirkung
10). Einen Fall des §
239b Abs.
1 StGB, der eine solche Klammerwirkung entfalten könnte, hat das [X.] bisher nicht fest-gestellt. Zumindest zwischen den an verschiedenen Tagen begangenen Ver-gewaltigungen liegt daher eine Zäsur, so dass von Tatmehrheit auszugehen ist. Möglicherweise gilt dasselbe auch für die am 2.
April 2010 begangenen drei Vergewaltigungen.
Der Schuldspruch
kann demnach auf einem Wertungsfehler beruhen. Die Tatsachenfeststellungen sind dagegen rechtsfehlerfrei getroffen worden und können bestehen bleiben. Ergänzende Feststellungen sind möglich, [X.] auch solche, aus denen sich eine Tat nach §
239b Abs.
1 StGB er-geben würde. Der Angeklagte ist durch die Annahme von Tateinheit beschwert, weil die Einzelstrafe in Höhe von fünf Jahren und sechs Monaten im Rahmen der [X.] nach §
66 Abs.
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StGB von Bedeutung sein kann.
2.
Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall [X.] nötigt zur Aufhebung der Einzelstrafe in diesem Fall. Der [X.] kann nicht ausschließen, dass auch die Einzelstrafen in den anderen Fällen mittelbar davon betroffen sind. Zudem hat das [X.] die Einzelstrafe von drei Jahren wegen Körperverletzung gemäß §
223 Abs.
1 StGB im Fall
[X.] nicht nachvollziehbar begründet, welche die [X.] wegen Körperverletzung von acht Monaten im Fall [X.] und einem Jahr im Fall III.3. sowie die [X.] wegen gefährli-cher Körperverletzung von einem Jahr und sechs Monaten im Fall III.2. erheb-lich überschreitet.
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Außerdem hat das [X.] die Anwendung von §
21 StGB in recht-lich bedenklicher Weise verneint. Es hat angenommen, die Alkoholsucht des Angeklagten sei nicht ursächlich für die Tatbegehung gewesen. Maßgeblich sei die dissoziale, narzisstische und emotional instabile Persönlichkeitsstörung des Angeklagten. Dabei handele es sich zwar um eine schwere andere seelische Abartigkeit gemäß §
20 StGB. Die hierdurch bedingte Einschränkung des Hemmungsvermögens sei aber nicht erheblich im Sinne von §
21 StGB gewe-sen. Es habe trotz des fehlenden Einfühlungsvermögens des Angeklagten in die Schmerzen, die er dem Opfer zugefügt habe, und seiner Verlustängste so-wie des [X.] von ihm verlangt werden können, die Frau, die er geliebt habe, nicht derart körperlich zu misshandeln und zu sexuellen Handlun-gen zu zwingen. Diese Überlegung trägt nicht. Auch wenn normative Gesichts-punkte bei der Beantwortung der Rechtsfrage der Erheblichkeit der Beeinträch-tigung der Steuerungsfähigkeit des Angeklagten zur Tatzeit nicht außer [X.] bleiben können, so steht für die Beurteilung doch das tatsächliche Aus-maß der individuellen Einschränkung des Hemmungsvermögens beim Ange-klagten zur Tatzeit infolge von Alkoholeinfluss und kombinierter Persönlich-keitsstörung im Vordergrund. Die Urteilsgründe lassen besorgen, dass das [X.] dies verkannt hat.
3.
Die Ablehnung einer Maßregel nach §
64 StGB ist ebenfalls rechtlich zu
beanstanden. Das [X.] hat den [X.] der abgeurteilten Taten dafür verneint, dass der Angeklagte einen Hang zum Konsum berau-schender Mittel im Übermaß hat und deshalb zur Begehung von Straftaten neigt, weil seine Persönlichkeitsstörung bei der Begehung der Taten bestim-mend gewesen sei. Der Hang muss aber nicht die alleinige Tatursache sein; Mitursächlichkeit genügt (vgl. [X.], 681 f.). Eine dissoziale Persön-lichkeitsstruktur schließt die Mitursächlichkeit des Hanges für die Tatbegehung nicht aus (vgl. [X.], 107).
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4.
Die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung kann nach alledem keinen Bestand haben. Die formellen Voraussetzungen gemäß §
66 Abs.
2 StGB sind durch die Aufhebung des Strafausspruchs in Frage ge-stellt. §
64 StGB hat zudem möglicherweise Vorrang, sofern er zur Beseitigung der Gefahr weiterer
Straftaten des Angeklagten ausreicht. Aber auch die Ge-fährlichkeitsprognose nach §
66 Abs.
1 Nr.
4 StGB
(§ 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB a.F.)
begegnet Bedenken. Die Gesamtwürdigung des [X.] und seiner Taten muss ergeben, dass er infolge eines Hanges zur Begehung von erheblichen Straftaten zum Zeitpunkt der Verurteilung für die Allgemeinheit gefährlich ist. Die zu erwartenden künftigen Taten liegen hier aber nur auf der Linie der Vor-straftaten Nr.
4 bis 7, die mit Freiheitsstrafen von sechs
bis acht
Monaten belegt wurden. [X.], wie bei der [X.] abgeurteilten Körperver-letzung mit Todesfolge zum Nachteil des [X.] oder der Vergewaltigung der Geschädigten, sind nach Ansicht des [X.] in Zukunft nicht wahrschein-lich. Dann aber fehlt die Prognose der besonderen Erheblichkeit künftiger Ta-ten, welche die Maßregel verhältnismäßig erscheinen ließe.
Durch Urteil des [X.] vom 4. Mai 2011 -
2 BvR 2365/09 u.a. (NJW 2011, 1931 ff.) sind die hier maßgeblichen Bestimmungen über die Sicherungsverwahrung als mit Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG i.V.m. Art. 104 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt worden. Das [X.] hat [X.], dass die Vorschriften bis zu einer Neuregelung durch den [X.] -
längstens bis 31. Mai 2013 -
nach Maßgabe der Gründe seiner Entschei-dung weiter anwendbar bleiben. Danach bedarf es wegen der derzeit verfas-sungswidrigen Ausgestaltung der Sicherungsverwahrung einer "strikten Ver-hältnismäßigkeitsprüfung", wenn sie gleichwohl angeordnet werden soll. In der Regel wird die Anordnung nur verhältnismäßig sein, wenn eine Gefahr schwe-rer Gewalt-
oder Sexualstraftaten aus konkreten Umständen in der Person oder
dem Verhalten des Betroffenen abzuleiten ist ([X.] aaO Rn. 172). Dies be-9
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darf der Berücksichtigung bei der erneuten Prüfung der Anordnung dieser Maß-regel.

Fischer

Appl

Berger

Eschelbach

Ott

Meta

2 StR 189/11

21.06.2011

Bundesgerichtshof 2. Strafsenat

Sachgebiet: StR

Zitier­vorschlag: Bundesgerichtshof, Entscheidung vom 21.06.2011, Az. 2 StR 189/11 (REWIS RS 2011, 5624)

Papier­fundstellen: REWIS RS 2011, 5624

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Die hier dargestellten Entscheidungen sind möglicherweise nicht rechtskräftig oder wurden bereits in höheren Instanzen abgeändert.

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